18. Oktober 2013 - Universität Rostock

18. Oktober 2013 - Durchsicht Lutherbibel - Grußwort

18. Oktober 2013 von Gerhard Ulrich

„Ich weiß wohl, …, was für Kunst, Fleiß, Vernunft, Verstand zum guten Übersetzer gehöret (Aland, S. 80)“ schreibt Martin Luther in seinem „Sendbrief vom Dolmetschen“ aus dem Jahr 1530, in dem er über die Prinzipien seiner Übersetzung Rechenschaft ablegt. „Ich weiß wohl, …, was für Kunst, Fleiß, Vernunft, Verstand zum guten Übersetzer gehöret.“ So weiß ich mich hier inmitten kunstverständiger, fleißiger, kluger Menschen, die sich gemeinsam ein hohes Ziel gesteckt haben: die Gesamtdurchsicht der Lutherbibel.

Sehr geehrter Herr Prof. Rösel, sehr geehrter Herr Prof. Schareck, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder!

Ich grüße Sie herzlich hier in Rostock als Landesbischof der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland – die jüngste unter den Gliedkirchen der EKD – und ich grüße Sie als Leitender Bischof der VELKD.

Ich freue mich, dass Sie für Ihren Kongress diesen historischen Ort gewählt haben: „Leuchte des Nordens“ wird er nicht zuletzt wegen seiner Universität genannt. Programmatisch ist er für das, was Sie vorhaben: „traditio et innovatio“ – das ist die Inschrift im Siegel der Universität der Hansestadt Rostock.

Wir sind stolz auf die vier Fakultäten im Bereich unserer Landeskirche und sind dankbar, dass wir sie haben und dass es gelungen ist, während der Fusion zur neuen Landeskirche die drei Bundesländer davon zu überzeugen, dass alle vier Fakultäten den Ländern und auch der Kirche gut tun. Gerade die Rostocker Fakultät – mit 850 Studierenden nicht die kleinste – versteht es mit ihrem Programm, ihrem Profil und ihren Projekten deutlich zu machen: Evangelische Theologie ist von Bedeutung nicht nur für die Ausbildung zu kirchlichen Berufen, sondern für die Kultur einer Gesellschaft insgesamt.

Kirche und wissenschaftliche Theologie brauchen einander. Unsere Verkündigung braucht die ständige Reflexion auf den Grund unseres Dienstes: das Wort Gottes. Und die wissenschaftliche Theologie braucht die Einbindung in die Kirchen hinein, als Erdung gewissermaßen, denn alle Theologie will praktisch werden, alle Theologie ist selbst Verkündigung des Wortes Gottes.

Die Durchsicht der Luther-Bibel: Ein gewiss ebenso spannendes wie herausforderndes Unternehmen. Denn Sie beschäftigen sich damit mit dem Kern des Glaubens nicht nur und mit dem Zentrum unserer christlichen Identität und unserer Kultur in unserem Sprachraum; Sie bewegen sich zugleich auf dem Feld, das den Reformatoren vor fast 500 Jahren so bedeutend war: die Wiederentdeckung der Schrift, die Wiederentdeckung der Autorität, der dynamis des Evangeliums als Grund aller christlichen Freiheit! Darum ist dem Rat der EKD dafür zu danken, dass er den Auftrag zur Durchsicht der Lutherbibel mit dem Blick auf das Reformations-Jubiläum erteilt hat. Denn das ist doch zugleich das, was es gemeinsam ökumenisch zu bedenken, zu danken und zu feiern gibt, was uns nicht trennt, sondern was uns einig ist, die Voraussetzung aller sichtbaren Einheit nämlich: Die Einheit, die sich definiert aus der Zugehörigkeit zu Gott selbst, ist gemeint zu allererst und vor aller institutionellen oder gar organisatorischen Einheit. Und diese Einheit lebt aus der ständigen Beschäftigung, der steten Rück-Beziehung auf Gott selbst, dessen Wort Fleisch geworden ist in Jesus Christus. Das kann gar nicht oft genug zur Durchsicht kommen, muss gar durchsichtig werden und bleiben. Darum auch ist es wunderbar, dass in dieser Durchsicht auch der ökumenische Gedanke, die ökumenische Verpflichtung zum Tragen kommt. Anders kann eine Durchsicht heute gar nicht mehr geleistet und gestaltet werden. Und es geht auch gar nicht anders, als Sie es hier tun: im Dialog. Denn das Wort Gottes eröffnet den Dialog. Mit seinem Wort kommt Gott in Beziehung zu seinen Menschen.

Insofern ist Ihre Aufgabe auch nicht nur eine, die exegetische, linguistische, theologische Kompetenz erfordert. Sie ist eine Aufgabe, die ohne die gelebte und ständig erneuerte Einheit mit dem, der Herr ist allen Lebens, nicht zu leisten ist. Sie erfordert beides: Beheimatung in dem Wort Gottes und in der Welt.

Gott spricht sein Wort in konkrete lebensgeschichtliche und politische Realitäten hinein. Und er bedient sich der Autoren, der Propheten, der Apostel, der Autoren, sein Wort auszurichten in die Welt und an die Welt. Und immer wohl in der Geschichte der Schrift hat es so etwas gegeben wie „Durchsichten“ – damit es zu Einsichten kommen kann und damit neue Einsichten Konsequenzen haben können und damit unterschieden werden kann Menschenwort von Gotteswort und umgekehrt.

Und noch etwas begründet die Größe Ihrer Verantwortung: das Wort Gottes ist allemal mehr als wir mit Worten erfassen. Es ist allemal größer als wir, als unsere Kirchen, als unsere Traditionen. Es ist allemal größer als alles, was uns trennt.

Das Ergebnis Ihrer Durchsicht hat womöglich weit reichende Folgen. Gehört doch das, was in der Heiligen Schrift aufgeschrieben ist, für so viele Menschen zu ihren täglichen Sprechakten – oft, ohne dass sie wissen, woher die Formulierung stammt. Ob das der „Tod im Topf“ ist oder die „Grube“, die gegraben wird. Und für viele Menschen haben geprägte Sprachformen und Wendungen ganz existenzielle Bedeutung.

Ich zum Beispiel habe etwas von der Bibel erfahren, nicht, weil mir jemand vorgelesen oder erzählt hätte oder weil mir jemand Kundiges den Text ausgelegt hätte. Auch war es kein frommer Mensch, der mir weitergegeben hätte, was ihm selber einleuchtete. In einer Lebensphase, in der ich nach Orientierung suchte, in der ich nicht recht wusste, wohin die Lebensreise gehen würde, traf mich als Schauspieler auf der Bühne ein Abschnitt aus dem 139. Psalm – gesprochen von einer Schauspielerin, die überzeugte Atheistin war: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir…und nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten…“ Das Wort hat mich nie wieder losgelassen. Und selbst, wenn die Formulierungen einer kritischen Durchsicht so nicht standhalten würden: nie werde ich diesen Psalm anders beten.

Für viele Menschen gerade in der ehemaligen DDR ist die friedliche Revolution gar nicht denkbar ohne Worte der Schrift. In den Gruppen der Gemeinden damals, in den Friedengebeten zumal, sind Menschen dem Wort begegnet, das sie ermutigt hat, hinaus zu gehen. Wenn sie hörten, dass „Schwerter zu Pflugscharen“ umzuschmieden seien; wenn sie in den Seligpreisungen Orientierung fanden für friedlichen Widerstand. Wenn Paulus sagt, das Evangelium sei eine dynamis, eine Kraft Gottes – dann hat sich das zur friedlichen Revolution als wahr und erfahrbar erwiesen.

Neben „Kunst, Fleiß, Vernunft und Verstand“ braucht es sicher auch einen guten Gleichgewichtssinn, denn die Durchsicht der Lutherbibel ist ein anspruchsvoller Balanceakt. Sie soll bewusst keine „Revision“ sein, also nicht die „Annäherung an das heutige Deutsch“ suchen. Aber drei Kriterien sollen nach Willen des Rates der EKD auf jeden Fall in Balance gehalten oder gebracht werden: Texttreue, Treue zur Luthersprache und liturgische Brauchbarkeit.

Man kann sich leicht vorstellen, wie anspruchsvoll es ist, diese Kriterien immer wieder zum Ausgleich zu bringen: Was dem Exegeten aufgrund neuer exegetischer Erkenntnisse zwingend geboten erscheint, lässt den Germanisten die Stirn runzeln und die praktische Theologin womöglich bedenklich das Haupt wiegen. „Lebt“ oder „wandelt“ man in der Liebe, „lechzt“ oder „schreit“ der Hirsch, „hilft er mit seinem Angesicht“ oder ist er „meines Angesichts Hilfe“. Kaum zu ermessen, wie viel „Kunst, Fleiß, Vernunft und Verstand“ in die Durchsicht der Lutherbibel einflossen und für den weiteren Verlauf noch nötig sind.

Die Arbeit ist den Schweiß der Tüchtigen wert. Wenn wir im Jahr 2017 über eine neue Ordnung der gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexte beschließen und 2018 eine neue Perikopenordnung einführen wollen, dann muss die Textgestalt den heutigen Anforderungen genügen. Aus der Arbeitsgruppe „Perikopenrevision“ habe ich gehört, dass man auf einige Verbesserungen regelrecht wartet. Es wird manchen Text lektionabler und prädikabler werden lassen, wenn von „Völkern“ statt von „Heiden“ gesprochen wird oder die unselige „Synagoge des Satans“ der „Versammlung des Satans“ weichen kann. Dazu wird Prof. Deeg, Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Perikopenrevision“, am Freitag noch mehr ausführen können.

„Wer am Wege bauet, der hat viele Meister. So gehet mirs auch“, resümiert Luther im erwähnten Sendschreiben und relativiert damit die vielstimmige Kritik, die seine heute so unstrittig anerkannte Übersetzung seinerzeit erfuhr. „Wer am Wege bauet, der hat viele Meister“, das werden die für die Durchsicht Verantwortlichen sicher auch noch erfahren. Bei einem solchen Werk wird man nicht nur Zustimmung ernten, sondern sich vermutlich auch mit mancherlei Kritik auseinander setzen müssen. Das gehört zu kirchlichen Reformvorhaben, vor allem auch dann, wenn sie so weit in den Kern kirchlichen Handelns führen. So wird „Überzeugungskraft“ auch zu den Gaben gerechnet werden müssen, die man den Verantwortlichen wünscht.

Ich schließe mit einem letzten Zitat aus Luthers Sendschreiben: „Ah, es ist Dolmetschen ja nicht eines jeglichen Kunst, wie die tollen Heiligen meinen. Es gehöret ein recht, fromm, treu, fleißig, furchtsam, christlich, gelehret, erfahren, geübet Herz dazu.“

Solche Herzen wünsche ich Ihnen für die Arbeitsphase, die nun noch vor Ihnen steht. Etwa 50 Personen seien es, so wurde mir zugetragen, die an dieser Durchsicht arbeiten. Ihnen allen: „ein recht, fromm, treu, fleißig, furchtsam, christlich, gelehret, erfahren, geübet Herz“! Möge das Rostocker Ambiente die Herzen stärken und der Austausch sie nähren. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie diesen Dienst tun und sich zur Verfügung stellen, damit unverfügbar bleibt das eine Wort Gottes.

Datum
18.10.2013
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Gerhard Ulrich
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