19. September 2012 - Generalkonvent der pommerschen Pastorinnen und Pastoren
19. September 2012
Eins ist Not, aber alles muss gemacht werden! Predigt zu Markus 6, 6b-13 6 Jesus zog durch die Dörfer in der Umgebung und lehrte. 7 Und er rief die Zwölf zu sich. Er sandte sie aus, immer zu zweit. Und er gab ihnen die Vollmacht über die bösen Geister. 8 Und er ordnete an: "Außer einem Wanderstock sollt ihr auf dem Weg nichts mitnehmen: kein Brot, keine Tragetasche und auch kein Geld im Gürtel. 9Ihr dürft Sandalen anziehen, aber kein Untergewand." 10 Außerdem sagte er: "Wenn ihr in einem Haus aufgenommen werdet, bleibt so lange dort, bis ihr von dort weiterzieht. 11 Wenn euch die Leute in einem Ort nicht aufnehmen und euch nicht zuhören wollen, dann zieht gleich weiter. Schüttelt den Staub von dort ab, der an euren Füßen hängt. Dadurch sollen die Leute erkennen, worum es geht." 12 Und die Jünger zogen los. Sie verkündeten den Menschen: "Ändert euer Leben!" 13 Und sie trieben viele Dämonen aus. Sie salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie. (Übersetzung nach der basisbibel)
Liebe Schwestern und Brüder,
irgendwie ist das ja auch eine idyllische Situation. Es ist sehr radikal, was Jesus von seinen Jüngern verlangt, aber auch überschaubar. Als Wanderpropheten sendet Jesus seine Jünger aus. Sie sollen arm sein auf dem Weg der Verkündigung. Nur das Notwendigste, Sandalen und einen Wanderstock, sollen sie dabei haben. Jesus sendet seine Jünger mit der gleichen Botschaft, die auch er verkündet hat: „Gott ist da! Er ist Wirklichkeit und kein Produkt menschlicher Fantasie. Also: Stellt euch darauf ein! Lebt verantwortlich! Ändert euer Leben!“ Denn nichts anderes heißt: „Tut Buße!“
Der Herr sendet seine Boten aus. D.h. der eine Herr ist in seinen Jüngerinnen und Jüngern anwesend. „Der eine Jesus Christus geht in seinen zwölf Boten durch das Land und tut sein Werk.“1 Oder, wie Bonhoeffer am Ende seines Buches Nachfolge sagt: „Das Leben Jesu Christi ist auf dieser Erde noch nicht zu Ende gebracht. Christus lebt es weiter in dem Leben seiner Nachfolger.“2
Das ist das eine, das Not tut, dass diese Botschaft weiter gesagt wird. „Bildet euch nicht ein, ihr könntet euch gegen Gott abschotten. Er ist da, auch in eurem Leben. Also nehmt ihn wahr! Tut nicht so, als wäret ihr unter euch. Stellt euch auf Gott ein!“ Unserer gottvergessenen Welt eröffnet sich eine neue Dimension, wenn sie erkennt, dass sie vor Gott steht. Wenn die Welt dieses nur erkennen würde!
Wie war das damals bei Jesus? War es nicht auch idyllisch? Ich sehe Jesus durch die Hügel und Wiesen Galiläas ziehen. Immer ist Volk um ihn. Wo er geht und steht, wollen die Menschen ihn hören. Er predigt und lehrt, tröstet und mahnt, kümmert sich und heilt. Genau diesen Auftrag bekommen auch die Jünger. Auch sie ziehen durchs Land, predigen und lehren, trösten und mahnen, kümmern sich und heilen.
Die Überschaubarkeit der Situation, die Ganzheit der Begegnung und die Präsenz im Dienst sind bei Jesus und bei uns anders. Bei Jesus und seinen Jüngern finden wir diese klare Konzentration auf das eine, was not tut. Aber wir müssen alles andere auch machen. Trotzdem können wir von drei Kennzeichen der Sendung Jesu lernen.
1. Kennzeichen der Sendung Jesu: Gemeinsam haben wir die Vollmacht, nicht allein.
Es ist Christus selbst, der durch seine Boten wirkt. Und über ihn haben wir von Dietrich Bonhoeffer gelernt, dass er heute als Gemeinde existiert. Hier liegt der entscheidende Unterschied zur fernöstlichen Spiritualität. Es ist nicht der große Guru und nicht die eine spirituelle Frau, sondern nur gemeinsam haben wir die Vollmacht, Gottes Gegenwart anzusagen und Heilung zu wirken.
Der Auftrag, jeweils zu zweit, in dieser Dienstgemeinschaft, Gottes Gegenwart anzusagen, hat eine doppelte Begründung. Es gibt eine Begründung im Hinblick auf den Hörer und eine im Hinblick auf den Verkündiger. Für die Adressaten der Botschaft ist die Botschaft glaubwürdiger, wenn sie von mehreren bezeugt wird. Die Aufgabe des Verkündigers ist hart. Er braucht Rat und Trost. Deswegen sendet Jesus zu zweit. Allein trocknen wir aus.
2. Kennzeichen der Sendung Jesu: „In königlicher Armut sollen die Boten Zeugnis ablegen von dem Reichtum ihres Herrn“3
Die Boten konzentrieren sich ganz auf ihren Dienst und lassen darum alles weg, was weggelassen werden kann. Sie sollen nach dem Gebot Jesu keine Verpflegung, keinen Ballast (ja, noch nicht einmal eine Tasche!) und kein Geld mit sich führen. Auch bei der Kleidung sollen sie sich auf das Nötigste beschränken. Wer es sich leisten konnte, trug zwei Gewänder (Luther sagt „Hemden“) übereinander. Alles das sollen die Jünger bei der Ausübung ihres Auftrages nicht mit sich tragen. Jesus legt seinen Jüngern zur Ausübung ihres Auftrages einen absoluten Reduktionismus nahe. Dadurch, dass sie weglassen, was nicht unbedingt notwendig ist, sollen sie frei werden, sich ganz ihrem Auftrag zu widmen.
Auffällig ist, dass Jesus ihnen hier bei Markus ausdrücklich gebietet, einen Wanderstab mit sich zu führen und Sandalen zu tragen. Das scheint mir ein Ergebnis der Diskussion im Jüngerkreis zu sein. Matthäus verbietet den Wanderstab und die Schuhe, Lukas nur den Wanderstock. In der Ausübung des Weglassens musste man wohl erst seine Erfahrungen machen. Aber für den, der so gut wie ausschließlich zu Fuß unterwegs ist, ist ein Wanderstock als Stütze auf dem Weg und als Schutz gegen wilde Tiere und andere Bedrängnisse genauso unverzichtbar wie Sandalen, die den Radius der Wanderungen erweitern. Offensichtlich waren Jesus und sein Jüngerkreis im Praktizieren des Weglassens nicht gesetzlich. Man wusste zu unterscheiden, was weggelassen werden konnte und was nicht.
Das Prinzip des Weglassens ist als Ausdruck des urchristlichen Wanderradikalismus überzeugend, aber wie können wir uns heute dazu stellen? Schon lange ist das Christentum in die Jahre gekommen und sendet nicht mehr zwei predigende Brüder aus, die das Evangelium verkünden, sondern beruft Frauen oder Männer, die zumeist eine Familie haben, bei der die Ehepartner und die Kinder von der Ausübung des Auftrages mit betroffen sind. Auch geht es im Dienst der Boten nicht mehr nur um das Ausrichten einer Botschaft, sondern sie sind schon bald sesshaft geworden, leben mit den ihnen anvertrauten Menschen mit und begleiten sie in ihrer Lebensspanne. Zu den prophetischen Aufgaben sind priesterliche getreten.
Wie geht Dietrich Bonhoeffer in seiner Zeit – übrigens hier in Pommern gedacht und aufgeschrieben – mit diesen Fragen um? Er sagt: „Jesu Bote zu sein verleiht keinerlei persönliches Recht, keinen Anspruch auf Ehrung oder Macht. Auch, wo aus dem freien Boten Jesu der beamtete Pfarrer geworden ist, ist das nicht anders. Die Rechte des studierten Mannes, die gesellschaftlichen Ansprüche eines Standes haben für den, der Jesu Bote geworden ist, keine Geltung mehr.“4
Liegt es nicht ganz auf dieser Linie, wenn Bonhoeffer 8 Jahre später, im Gefängnis, im Nachdenken darüber, wie die Kirche nach dem Kriege neu anfangen könne, empfiehlt, dass die Kirche alles Eigentum zugunsten der Notleidenden aufgeben sollte und die Pfarrer von den freiwilligen Gaben der Gemeinde leben sollten?5
Wir diskutieren heute über die Angemessenheit der Residenzpflicht für Pastorinnen und Pastoren und ihre Pflicht, im Pfarrhaus inmitten der Gemeinde zu wohnen. Ist das heute noch zumutbar oder sollten wir Gelegenheit geben, dass die Pastorinnen und Pastoren eigenes Wohneigentum bilden können?
Nein, das Leben im Pfarrhaus ist heute noch immer eine gute Möglichkeit, inmitten unserer Mitmenschen ganzheitlich das Evangelium zu bezeugen. Vielleicht könnte man sogar die Residenzpflicht und die damit verbundene Notwendigkeit, bei Dienstantritt in ein Pfarrhaus ein- und bei Dienstende wieder auszuziehen, sogar als eine bürgerlich adaptierte Form des frühchristlichen Wanderradikalismus bezeichnen. Was wir von Jesus empfangen, wird nicht zu unserem eigenen Besitz. Wir hinterlassen es dann denen, die nach uns an dem gleichen Auftrag weiterarbeiten. Unser Pfarrhaus heute mit Residenzpflicht und Dienstwohnungspflicht, ein offenes Haus inmitten der Menschen, ist unsere zeitgemäße Form der Präsenz mitten in der Gesellschaft. Die Pfarrhäuser sollten dann einerseits bescheiden, eher reduktionistisch gestaltet sein, aber doch gleichzeitig auch so, dass man in ihnen gerne wohnt.
3. Ein drittes Kennzeichen der Sendung Jesu tritt uns aus diesem Bibelabschnitt entgegen: Es gilt, die Grenzen der Aufnahmebereitschaft zu akzeptieren!
Unser Auftrag besteht im Kern darin, die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk (Barmen VI). Aber praktizierte Freiheit schließt auch den Respekt vor der Ablehnung ein. Wir verkünden die Botschaft klar, aber wir drängen uns nicht auf. Gewiss ist es im Einzelfall schwer, die Grenze zwischen Desinteresse aus Unkenntnis und offener Ablehnung zu erkennen. Für unsere Geschwister im ländlichen Pfarramt ist dies häufig genug ein existentielles Problem. Die Not der kleinen Zahl ist immer bedrängend. Da habe ich mir ein Herz gefasst und das, was mir unendlich wichtig ist, gut vorbereitet verkündet und ich merke eine ganz geringe Resonanz. Das muss – mindestens in der Länge der Jahre – an die Substanz des Selbstwertgefühls gehen.
Es tröstet auch nicht sehr, wenn ich mir klar mache, dass dieses Problem überhaupt nicht neu ist, sondern gerade in unserer Region wohl seit den Zeiten der Christianisierung durchgängig festzustellen gewesen ist. Ich kann es aus dem Briefwechsel zwischen Dietrich Bonhoeffer und seinem Schüler Gerhard Vibrans illustrieren. Vibrans, der seine Ausbildung im Predigerseminar in Zingst und Finkenwalde bei Bonhoeffer erhalten hat, wurde von seiner Kirchenleitung, dem Bruderrat der Kirchenprovinz Sachsen in die Gegend östlich von Magdeburg entsandt. Trotz seiner hohen Motivation und seines starken Einsatzes findet sein Dienst so gut wie keine Resonanz. In dem einen Kirchdorf kommen von 600 Gemeindegliedern am Sonntag durchschnittlich 1,5 Menschen in die Kirche. Vibrans bestellte die Konfirmanden zum Gottesdienst, es sind immerhin 27, von denen sich einer entschuldigt, 25 unentschuldigt fehlen und nur einer kommt. Bei Hausbesuchen möchte man nicht auf Gott angesprochen werden. Gemeindeglieder versuchen, ihn zu trösten, dass es eben bei ihnen nicht Mode sei, zur Kirche zu gehen. „Daran würde ich mich sehr bald gewöhnen. Mein Gehalt kriegte ich ja doch, auch, wenn keiner drin [d.h. im Gottesdienst] sei...“6
Gerhard Vibrans macht diese mangelnde Teilnahme ganz fertig („Ich bin auch nur ein Mensch“7). Bonhoeffer schreibt umgehend an Wolfgang Staemmler, der im Provinz-Sächsischen Bruderrat für die Ausbildung und den Einsatz der jungen Theologen zuständig ist, „ob wir nicht heute zu einer gründlichen Neuordnung des Kräfteeinsatzes kommen müssen“8 An Vibrans selbst schreibt Bonhoeffer: „Wenn ein Dorf nicht hören will, dann gehen wir ins andere. Es gibt da Grenzen. Nun musst du natürlich zunächst durchhalten. Aber du musst eben jeden Tag so arbeiten, dass du eines Tages mit gutem Gewissen sagen kannst: Es ist hier gepredigt worden und sie haben nicht gewollt.“9 Insgesamt empfiehlt Bonhoeffer eine Doppelbewegung. Von Zeit zu Zeit soll durch geeignete Möglichkeiten eine Ansprache an alle gesucht werden, damit dann das kontinuierliche Angebot der Aufnahmebereitschaft angepasst werden kann. Alle sollen das Evangelium hören, aber der Pastor soll sich nicht kaputtmachen. So empfiehlt Bonhoeffer, an der Besuchsarbeit festzuhalten, damit es auch zu persönlichen Gesprächen über das Evangelium kommt. Er empfiehlt, einmal einen Brief an die ganze Gemeinde zu schreiben, in dem der Pfarrer seine Not, die er empfindet, ernsthaft zum Ausdruck bringt und einlädt, „einen neuen Anfang zu machen, um des Wortes Gottes Willen (nicht um Deinetwillen!)“. Ebenso soll eine geeignete Ansprache an alle Jugendlichen gesucht werden. Die Ansprache an alle einerseits und die Reduktion des kontinuierlichen Angebots zur Schonung der eigenen Kräfte andererseits sind die beiden Bewegungsrichtungen dieser Doppelbewegung.
Wir haben unter uns ja leider die Fähigkeit, nein zu sagen, schlecht ausgebildet. Von meinem Marketingfreund habe ich einen Satz gelernt, den ich mich aber kaum traue, selber zu praktizieren. Macht jemand in der rein additiven Weise einen Vorschlag, doch noch mal etwas Neues auszuprobieren, dann empfiehlt mein Freund zu sagen: „Gute Idee – machen wir auch nicht!“
Die dringende Botschaft Jesu will und muss verkündigt werden. Sie ist das eine, das Not tut. Und sie bleibt häufig auf der Strecke, weil das viele Andere auch noch getan werden muss. Diese drei Kennzeichen der Sendung Jesu helfen uns, aus diesem Spagat zwischen dem Einen, das Not tut und dem Vielen, das getan werden muss, herauszukommen.
Jesus empfiehlt,
· die Gemeinschaft und die Gemeinsamkeit der Boten zu suchen,
· reduktionistisch zu leben und durch Weglassen frei zu werden für den Dienst,
· schließlich allen die Botschaft von der freien Gnade zu verkündigen, aber die Grenzen der Aufnahmebereitschaft zu akzeptieren.
Und was passiert, wenn wir daran scheitern? Denkt daran: Wir folgen einem gekreuzigten Gott, der durch die Niederlage hindurch das Heil für alle bewirkt hat. Amen.
Fußnoten
1 Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge (DBW 4) 1989, 199.
2 A.a.O. 303.
3 A.a.O. 200.
4 A.a.O. 200.
5 Vgl. D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung (Neuausgabe) 415.
6 D. Bonhoeffer, Illegale Theologenausbildung: Finkenwalde 1935-1937 (DBW 14), 1996, 171 – 175, 172.
7 Ebd.
8 AaO. 178.
9 AaO 181.