2. Mai 2013 - Mariendom Hamburg

2. Mai 2013 - Predigt zur Ökumenischen Vesper auf dem 34. DEKT

02. Mai 2013 von Hans-Jürgen Abromeit

Markus 10, 21-22 21 Jesus sah den jungen Mann an. Er gewann ihn lieb und sagte zu ihm: „Eins fehlt dir: Geh los. Verkaufe alles, was du hast, und gib das Geld den Armen. So wirst du unverlierbaren Reichtum im Himmel haben. Dann komm und folge mir!“ 22 Der Mann war unglücklich über das, was Jesus sagte, und er ging traurig weg. Denn er hatte großen Grundbesitz. (Mk 10, 21-22 - BasisBibel)

Liebe Kirchentagsgemeinde,

 

„Soviel du brauchst“ heißt das Motto dieses Hamburger Kirchentages. Und wir buchstabieren es durch in diesen Tagen: Was brauchen wir an Gerechtigkeit? Wo fehlt etwas, was Menschen zum Leben brauchen? Was brauchen wir Menschen eigentlich? Das Bibelwort, das ich ins Gespräch mit der Kirchentagslosung bringen will, sagt uns zunächst einmal eines. Du brauchst nicht das Viele. Du brauchst Gott. Mit den unüberholbaren Worten der Teresa von Avila gesagt: „Gott allein genügt.“ Und genau deswegen sind wir hier auch bei der Frage der Verteilung des Reichtums. Die Frage nach Gott entscheidet sich nicht im luftleeren Raum, sondern angesichts unseres konkreten Lebens.

 

Ich komme aus Pommern. Dort hat Dietrich Bonhoeffer, der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer über den auf diesem Kirchentag eine Oper zu erleben ist, das Buch erarbeitet, das ihn zu seinen Lebzeiten bekannt gemacht hat, die „Nachfolge“. Seine persönliche Art der Nachfolge hat Bonhoeffer am 9. April 1945 mit dem Tod besiegelt.

 

Dietrich Bonhoeffer behandelt die Geschichte vom Reichen, der von Jesus in seine Nachfolge berufen wird, in diesem Buch in dem Kapitel: „Der Ruf in die Nachfolge.“ (D. Bonhoeffer, Nachfolge, hg. v. M. Kuske, u. Ilse Tödt (DBW 4), München 1989, 45.) „Der Ruf in die Nachfolge ist also Bindung an die Person Jesu Christi allein“ (A.a.O. 47.). Glaube ist im Neuen Testament nicht das Fürwahrhalten irgendwelcher Glaubenssätze, sondern erweist sich in konkreten Lebenssituationen. Der Ruf Jesu schafft erst eine Situation, in der geglaubt werden kann, in der sich der Angesprochene rückhaltlos auf Jesus verlässt und das von ihm Geforderte entweder tut oder verweigert. Glaube ist Nachfolge Jesu Christi, keine Weltanschauung.

 

Bonhoeffer legt dann die Geschichte von dem Reichen aus, den Jesus in seine Nachfolge ruft. Die Ausgangsfrage des reichen Mannes, der sich an Jesus wendet, ist: „Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben bekomme?“ (V. 17) Manch einer behauptet, diese Frage würde heute niemand mehr stellen. Ist die Frage nach dem ewigen Leben heute noch aktuell?

 

Doch, es gibt einen metaphysischen Durst. Man stellt heute wieder die Frage nach Gott, Glauben, Religion, und vor allem die nach dem ewigen Leben. Die Menschen spüren: Das Leben ist zu gewaltig. Es kann nicht einfach mit dem Tod zu Ende sein. Neueste Umfragen zur Religiosität zeigen: Mehr junge Menschen glauben als alte. Allerdings richtet sich das wiedererwachte religiöse Interesse nicht auf die traditionellen Kirchen. Deren Religiosität wird als kalt empfunden. Die Religion der verfassten Kirchen, besonders des Protestantismus, sei heruntergekühlt auf das Gesellschaftsdienliche, sagt der Berliner Philosoph Rüdiger Safranski, dem wir die Unterscheidung zwischen heißer und kalter Religion verdanken. Er beschreibt die Glaubenswelt der kalten Religion als „ein Gemisch aus Sozialethik, institutionellem Machtdenken, Psychotherapie, Meditationstechnik, Museumsdienst, Kulturmanagement, Sozialarbeit“ (Zuerst in Cicero vom 28. April 2004, dann auch im Spiegel Nr. 3/2010). Zur Erkaltung der Religion gehöre auch die von Max Weber genannte „Trennung der Wertsphären“, die Religion und Wissenschaft und Religion und Politik voneinander trennt. Dabei habe der Protestantismus den Glauben an ein Jenseits verloren und frage nur noch danach, was vom Glauben für die Gestaltung des Diesseits nützlich sei.

 

Bei der heißen Religion dagegen will „ihre Wahrheit das Ganze des Lebens erfassen und verwandeln; hier gibt es keine Trennung der Wertsphären. Hier geht es ums Ganze und sie greift nach dem ganzen Menschen. Sie will ihn von dieser Welt erlösen. Sie lockert die Weltbindung und löst sie vielleicht sogar ganz auf, entweder sanft und mystisch oder terroristisch und zerstörerisch.“ Heiße Religion fände man heute im Islam, aber auch noch in Spuren im Katholizismus. Das Christentum in seinen Ursprüngen ist insgesamt heiße Religion. Es geht aufs Ganze, vermittelt authentisch Glauben und fragt nach der Ewigkeit. Die Geschichte von dem einen Reichen, der zu Jesus kommt, ist ein wunderbarer Beleg für diese Art heißer Religion der sanften und mystischen Art.

 

Da kommt ein Mann angelaufen und veranstaltet einen ziemlichen Wirbel. Er fällt vor Jesus auf die Knie, was im Judentum unüblich war. Er redet Jesus an mit „guter Lehrer“. Ein solches Verhalten von Menschen, das zu zuvorkommend ist, ist verdächtig. Dietrich Bonhoeffer sieht im Verhalten dieses Mannes ein Ausweichen vor dem gebieterischen Wort Jesu. Er beantwortet dann die Frage des reichen Mannes in durchaus traditioneller jüdischer Weise.

 

Jesus verweist den reichen Mann auf das Halten der Gebote und er nennt ihm die Gebote der so genannten Zweiten Tafel, die Gebote, die das Verhalten zum Mitmenschen betreffen. Voller innerer Überzeugung antwortet darauf der Mann: „Das alles befolge ich seit meiner Jugend.“ Erstaunlicherweise nimmt Jesus dem Mann das ab. Er korrigiert ihn nicht und weist ihn nicht darauf hin, dass er auch schon gewiss an diesen Geboten versagt habe, sondern im Gegenteil: Jesus sieht den Mann an und gewinnt ihn lieb. Die Ernsthaftigkeit des Mannes, seine heiße Religiosität, imponiert Jesus. Doch dann setzt Jesus auf dieses stolze Selbstbewusstsein eines drauf. Er sagt: „Eins fehlt dir.“ Der Hörer fragt sich: Kommt nun noch ein 11. Gebot, das dem religiös besonders Ernsthaften nun mit Gewissheit den Weg zu Gott zeigt?

 

Das, was Jesus sagt, könnte so verstanden werden. „Geh los. Verkaufe alles, was du hast, und gib das Geld den Armen. So wirst du unverlierbaren Reichtum im Himmel haben. Dann komm und folge mir!“ Man könnte es so verstehen, dass hier demjenigen, der mit dem Brustton der Überzeugung sagt, dass er alle Gebote Gottes in seinem Leben gehalten habe, ein umso größeres zusätzlich auferlegt wird. Er soll nun freiwillig auf allen Besitz verzichten und den Erlös dafür den Armen geben.

 

Aber das wäre ein Missverständnis. Jesus hat den reichen Gottsucher nur an die Gebote erinnert, die das Verhältnis zum Mitmenschen betreffen. Dabei hatte der Mann doch nach dem ewigen Leben, nach seinem Heil in Gott gefragt. Hinter Jesu Antwort steckt die Wahrheit – wie es Ernst Lohmeyer, der von der russischen Besatzungsmacht ermordete Greifswalder Neutestamentler ausgedrückt hat: „Wer sein Heil in Gott sucht, findet es nur in dem anderen.“ (E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus (KEK I2), Göttingen 15. Auflage 1959, 210.) Oder wie es Paul Zulehner, der katholische Pastoraltheologe sagt: “Wer in Gott eintaucht, taucht neben dem Armen wieder auf.“ Die Frage nach Gott hängt untrennbar mit der Liebe zu meinem Mitmenschen zusammen.

 

Und doch ist die Frage nach dem Besitz und die Aufforderung freiwillig darauf zu verzichten für den reichen Mann gleichzeitig die Frage danach, wie er es mit dem ersten Gebot hält. Gott will der einzige Herr sein, der im Leben der Menschen zu sagen hat. Anderen Göttern zu folgen oder ihnen zu gehorchen, schließt sich das Herrsein des lebendigen Gottes aus: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ (2. Mose 20 3) In der Bergpredigt nennt Jesus einen zweiten Herren, dem man nicht zugleich dienen kann beim Namen: „Ihr könnt nicht gleichzeitig Gott und dem Geld dienen!“ (Math. 6, 24). Und Martin Luther hat in der Auslegung des Ersten Gebotes im Großen Katechismus formuliert: „Das, woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Also geht es bei der Aufforderung Jesu, alles zu verkaufen, für den reichen Mann um seine Wertehierarchie. Was kann er in seinem Leben auf keinen Fall aufgeben? Weil der Mann großen Grundbesitz besaß, sah er sich nicht in der Lage, Jesu Aufforderung zu folgen und ging – wie es heißt – „traurig weg“.

 

Jesus schaut auf seine Jünger und stellt fest: „Wie schwer ist es doch für die Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes hineinzukommen.“ Wer nachfolgen kann, kann dies nie aus eigener Kraft, sondern nur, weil Gott es schenkt. Wer glauben kann, dem ist das geschenkt. Glauben können ist immer Gnade. Der Reichtum dieses Gottsuchers ist nur ein Beispiel. Dieser Mann war durch seinen Grundbesitz gebunden. Bei anderen mag es die Macht sein, auf deren Ausübung sie nicht verzichten können, oder die Geltung vor anderen, die ihnen unverzichtbar zu sein scheint, oder der Eros, der ihre gesamten Gedanken füllt. Erschrocken reagieren wir wie die Jünger. Kann Jesus denn wirklich verlangen, dass der Mann all seinen Besitz aufgibt? Ist das Verhalten des Reichen nicht eigentlich alternativlos? Wer würde schon seinen gesamten Grundbesitz aufgeben, um in der doch letztlich ungewissen Beziehung zu einem solchen Rabbi zu sein?

 

Die Bezeichnung eines bestimmten Verhaltens als alternativlos ist Ausdruck einer kalten Religion. Wer aufmerksam mitgeht mit seinem Gott (Micha 6,8), dem werden Alternativen zu scheinbar alternativlosem Verhalten deutlich werden. So wie Dietrich Bonhoeffer zu seiner Zeit gegen die vermeintlichen Eigengesetzlichkeiten angekämpft hat, so sollten wir heute gegen die Alternativlosigkeiten ankämpfen. Zu Recht ist das Wort „alternativlos“ vor einigen Jahren zum Unwort des Jahres (2010) erklärt worden. Alles, beinahe alles, war ja schon einmal alternativlos: der Afghanistan-Einsatz, die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke, der Banken-Rettungsfonds usw. In England war es die kürzlich verstorbene, frühere Premierministerin Margaret Thatcher, die für die Rede von Alternativlosigkeit bekannt war. Dort bezeichnet sich bereits eine ganze Generation als die Generation „TINA“: There is no alternative. Wer immer wieder das Wort Alternativlosigkeit im Munde führt, traut weder der Kreativität des Menschen noch dem Handeln Gottes etwas zu. Bei Gott gibt es immer noch eine Alternative.

 

In der Bibel heißt das: „Für Gott ist alles möglich!“ (Mk10, 27) Da macht es eben auch keinen Unterschied, ob wir evangelisch sind oder katholisch. Wem Gott allein genügt, für den ist die Religion heiß. Wenn ich mich umschaue, sehe ich Katholiken und Evangelische und Freikirchliche und Orthodoxe, die von heißer Religion erfüllt sind und sich deswegen verstehen und auch zu gemeinsamen Handeln kommen. In der heißen Religion ist der Zustand der Ökumene besser als ihre Presse. Gerade bei uns im Norden sind wir nah beieinander und diese Vesper ein Ausdruck davon. Ja, es gibt die Relativierungen und die Reduzierung aufs Innerweltliche. Aber gerade da, wo Religiosität heiß ist, hat sie auch eine Leidenschaft zur Gestaltung dieser Welt. Genau das ist typisch für das Christentum in seiner heißen Form: Wenn die Beziehung zu Jesus Christus stark ist und die Freude auf die Ewigkeit groß, dann entsteht eine unwiderstehliche Liebe zu den Mitmenschen und ein unbändiger Wille, sich in der Welt einzumischen, um den Geboten Gottes Geltung zu verschaffen. Und das können wir in unserer Gesellschaft am besten in gemeinsamer, ökumenischer Verantwortung.

 

Wir sollten vor allem deswegen auf dem ökumenischen Weg voranschreiten, weil so eine Voraussetzung geschaffen wird, dass die erkaltete Religion wieder als heiß erfahren wird. Wenn wir uns auf die authentische Jesusnachfolge rückbesinnen, dann warten auch auf den coolen Norden heiße Zeiten.

Amen.

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