2. November 2014 - Hubertusmesse
02. November 2014
Predigt zu Gen 8, 1-2.18-22
Liebe Hubertusgemeinde,
ich freue mich, heute mit Ihnen diesen Gottesdienst zu feiern – nicht nur als Enkel eines Forstmeisters habe ich gern für die heutige Hubertusmesse zugesagt. Die Hubertusjagd hat in Stralendorf eine Jahrzehnte währende Tradition. Ich freue mich, dass die Hubertusmesse inzwischen zu dieser Tradition dazugehört. Es ist gut, innezuhalten, sich zu besinnen auf das, was trägt, was unser Leben ausmacht und erfüllt. Es ist gut, sich darauf zu besinnen, mit welcher Verantwortung wir begabt sind, wofür wir dankbar sein können.
Wenn man wie ich in Mecklenburg aufgewachsen ist, kommt einem vieles selbstverständlich vor. Aber wie wenig selbstverständlich all das ist, wurde mir durch den Pastor unserer niederländischen Partnergemeinde bewusst: Er ist ein begeisterter Jäger. Als er uns besuchte – damals war ich Pastor an der Müritz –, da gingen ihm die Augen über, als er einen Sprung Rehe entdeckte. Und später noch viel mehr Wild! Er war kaum zu halten, denn bei sich zu Hause konnte er maximal ein paar Enten jagen. Wie glücklich war er, als ihn einer der Einheimischen mit auf die Pirsch nahm! Ja, wir können dankbar sein für den Reichtum der Natur, der uns geschenkt ist in dem Land, in dem wir leben.
Zwei alte Erzählungen begleiten uns in diesem Gottesdienst – eine mittelalterliche Legende von Hubertus und die Geschichte von der Arche Noahs. In beiden Geschichten geht es um Menschen, um Tiere und um Gott.
Was stellen wir uns vor, wenn von ‚Gott‘ die Rede ist?
Sicherlich nicht ernsthaft einen weißbärtigen, alten Mann auf der dritten Wolke rechts! Der christliche Glaube bekennt ‚Gott‘ als den Ursprung allen Lebens, als Schöpfer. Aber auch das ist längst nicht mehr für alle selbstverständlich. Meine Mitschüler an der 1.EOS Ernst Thälmann in Rostock damals fragten mich jedenfalls:
„Widerspricht das nicht Deinem Glauben, Andreas, was wir hier gemeinsam in den naturwissenschaftlichen Fächern lernen? Die Entstehung der Welt, angefangen mit dem Urknall, die Entwicklung der Arten nach der Evolutionstheorie, dass sich alles nach Naturgesetzen vollzieht?“
Ich weiß nicht mehr im Einzelnen, was ich geantwortet habe. Aber sinngemäß so:
„Warum sollen sich Glaube und Naturwissenschaft ausschließen? Wo es Naturgesetze gibt, da ist ja vielleicht auch ein Gesetz-Geber. Oder wollen wir im Ernst annehmen, das wunderbare Zusammenspiel der Kräfte und Gesetze sei Resultat blinden Zufalls? Da gibt es doch so etwas wie einen Plan, eine Richtung der Entwicklung. Für mich steht hinter der ganzen Entwicklung hin zum Menschen Gott. Er gab den Anstoß zu dieser Entwicklung. Er steht hinter den Naturgesetzen. In diesem Sinne ist er für mich der Ursprung allen Lebens.“
Gott, der Schöpfer, der Ursprung allen Lebens – davon geht auch die Bibel aus, wenn sie uns von der Arche Noahs eine Geschichte erzählt, die noch Jahrtausende älter ist als die Hubertuslegende. Sie zählt zu den Ur-Geschichten der Bibel. ‚Ur-Geschichte‘ nennt man sie nicht so sehr wegen ihres Alters, sondern weil hier etwas Grundlegendes zur Sprache kommt. Wir sollen sie nicht hören wie einen historischen Bericht über etwas, das sich einmalig so und so zugetragen hat, sondern eher wie eine archetypische Erzählung, die etwas Grundsätzliches aussagt – über uns Menschen wie über Gott.
Was bringt sie zur Sprache – diese düstere Geschichte von der Sintflut, die Gott angesichts der Verdorbenheit der Menschheit entfesselt hatte? Man kann sie verstehen als eine Geschichte von der Rettung der Artenvielfalt. Pärchen jeder Art hatte Noah in seine Arche gerettet – Grundstock des neuen Lebens nach der Flut. Die Rettung der Artenvielfalt ist auch heute ein hochaktuelles Thema. Dass große Konzerne sich die Gen-Codes seltener Pflanzen patentieren lassen wollen, zeigt, wie kostbar und auch wirtschaftlich unverzichtbar, aber auch wie bedroht die Vielfalt der Arten ist.
Aber bleiben wir noch einen Moment bei der biblischen ‚Ur-Geschichte‘. Was bringt sie zur Sprache über uns Menschen und über Gott?
Das Bild, das sie von uns Menschen zeigt, ist alles andere als schmeichelhaft: „Das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an.“ Das lässt man sich nicht gern sagen. Bemühen wir uns nicht, als halbwegs anständige Menschen unser Leben zu führen? Versuchen wir nicht, verantwortlich zu leben und in guter Weise für diejenigen da zu sein, die uns anvertraut sind? Die meisten Menschen, die ich kenne, tun das. Aber ich fürchte – auch das andere ist wahr: Immer wieder bleiben wir hinter unseren guten Vorsätzen zurück. Wir wissen z. B., dass wir in diesem reichen Land über unsere Verhältnisse leben – als Gesellschaft wie in unserem persönlichen Lebensstil. Und doch fällt es uns unendlich schwer, unser Leben so auszurichten, dass es die Lebenschancen anderer nicht einschränkt.
Das ist die zweite Problemanzeige dieser Urgeschichte: Die Natur ist bedroht – durch uns! Auch wenn in der Erzählung von Noahs Arche die Flut als von Gott geschickt erscheint – im Grunde ist sie Folge des zerstörerischen Potentials der Menschheit. Auch das hochaktuell – jedermann weiß es: Die heutigen Waffenarsenale haben die Macht, uns Menschen auszulöschen. Die Klimakrise, die unser Kohlendioxid-Ausstoß verursacht, hat das Zeug, das Gesicht unserer Erde brutal zu verändern. Krieg und Klimawandel, aber auch die fehlende Gerechtigkeit in der Verteilung der Lebenschancen und des Reichtums lassen Flüchtlingsströme wachsen. Man möchte ‚dichtmachen‘ angesichts all dieser Probleme, nicht hinschauen. Aber Verdrängen ist keine Lösung, denn noch können wir das Schlimmste verhindern.
Und Gott?
Gott wird nicht das Leben auf der Erde zerstören, erzählt die Geschichte von Noahs Arche. Aus Enttäuschung und Zorn wird Gott keine Katastrophe über uns bringen:
„Solange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“
Die schöpfungsmäßigen Rhythmen sollen – von Gott aus – Bestand haben. Aber ist das auch eine Garantie gegenüber dem zerstörerischen Potential, das die Menschheit entwickelt hat?
Gott greift nicht ein, indem er für uns alles regelt. Aber er hat uns mit Verantwortung und Phantasie begabt. Die Lösungen liegen auf der Hand: Wir können Konflikte auf gewaltlose Weise beilegen. Wir können weniger Energie verbrauchen und den Ausstoß an Kohlendioxid verringern – jede und jeder persönlich, aber auch wir als Gesellschaft. Darum ist so wichtig, dass die Energiewende gelingt, auch wenn sie uns etwas kostet. Andere Nationen schauen auf uns, ob wir es schaffen. Es kann ein Beispiel sein, an dem sich andere orientieren. Geben wir der Versuchung der Aussichtslosigkeit nicht nach! Auch beim Ozonloch hatten viele das Gefühl: ‚Es hat ja doch keinen Zweck.‘ Aber die Vermeidung der FCKW-Stoffe hat dazu geführt, dass die Ozonschicht wieder wächst!
Noch können wir das Schlimmste verhindern – jeder an seinem Ort. Aber wir müssen jetzt unsere Aktivitäten verstärken. Auch unsere Nordkirche hat sich mit diesem Thema befasst. Sie hat beschlossen, bis 2050 klimaneutral zu werden und entsprechende Maßnahmen auf den Weg gebracht. Das ist für mich ja auch das Schöne an der Hubertus-Legende. Sie macht deutlich, dass die Verhältnisse nicht bleiben müssen, wie sie sind. Das Leben kann verwandelt werden. Sie kennen die Legende: Hubertus hatte ein schwerer Schicksalsschlag getroffen. Sowohl seine Frau als auch sein Kind starben bei der Geburt. Ruhelos jagte er dahin, versuchte Schmerz und innerer Leere durch die Jagd zu entgehen. Aber bestenfalls brachte es ihm Betäubung. Doch eines Tages – es ist ein Karfreitag – jagt er einem besonders kapitalem Hirsch hinterher und hat eine Begegnung der besonderen Art. Inmitten des mächtigen Geweihs erscheint ihm ein Kreuz, daran der gekreuzigte Christus. Diese Begegnung verändert sein Leben. Hubertus lebt an der Stelle dieses Geschehens eine Zeit lang als Einsiedler. Später wird ihm ein geistliches Amt übertragen.
An dieser Legende ist für mich entscheidend: Ein Menschenleben kann sich ändern. Aus einem Leben, das gezeichnet war von Schmerz und innerer Leere, kann ein Leben im Sinne Gottes werden – also ein Leben, das nicht ‚dichtmacht‘ und verdrängt, sondern Verantwortung wahrnimmt. Sie als Menschen, die mit der Jagd verbunden sind, sind in solche Verantwortung gestellt – für die Tierwelt, für Wald und Flur. Sie spüren früher als andere, welchen Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft entgegenzutreten ist, die den Reichtum der Natur, gefährden. Sie können Kinder und Jugendliche vertraut machen mit dem Leben in der Natur, mit der Ehrfurcht vor allem Leben. Sie erleben, wie kostbar unsere Mitwelt ist und setzen sich darum für deren Erhaltung ein. Sie können aber auch diesen Geist mit hineinnehmen in Ihre beruflichen Tätigkeiten und ihn dort wirksam werden lassen. Gott, den Ursprung allen Lebens haben wir dabei auf unserer Seite.
Denn er will nicht, dass es ein Ende hat mit den natürlichen Rhythmen von Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Wir können daran mitwirken, dass Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung keine schönen Worte bleiben, sondern für immer mehr Menschen Wirklichkeit werden. Unsere Eltern haben uns eine lebenswerte Welt hinterlassen. Lassen Sie uns mit Gottes Hilfe darauf hinwirken, dass auch unsere Kindeskinder lebenswerte Verhältnisse vorfinden werden!
Amen.
Und der Friede . . .