2. September 2012 - Predigt zu 1. Mose 4, 1-16
02. September 2012
Predigttext: 1. Mose 4, 1-16: Kain und Abel Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des Herrn. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer. Kain aber wurde ein Ackermann. Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Harr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. Da sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist’s nicht also: Wenn du fromm bist, kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist den Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruder schreit zu mir von der Erde. Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul aufgetan hat und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen hat. Wenn du deinen Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. Kain aber sprach zu dem Herrn: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s ergehen: dass mich totschlägt, wer mich findet. Aber der Herr sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der Herr machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. So ging Kain hinweg von dem Angesicht des Herrn und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.
Liebe Gemeinde!
Stellen wir uns dies einmal vor: Ein Vater hat zwei Söhne. Der eine ist sieben, der andere acht Jahre alt. Zum Geburtstag des Vaters wollen beide ihm eine Freude machen. Sie malen ihm jeder ein Bild. Der Jüngere malt so gut er nur kann die Familienkatze, mit allem drum und dran. Ähnlich begeistert malt der Ältere. Sein Bild zeigt den Garten samt Teich mit den Seerosen darauf. Beide sind Feuer und Flamme. Endlich ist der große Tag da. Zuerst überreicht der Jüngere sein Bild. Der Vater ist sprachlos. „So etwas Schönes!“, sagt er, und nimmt den Kleinen in die Arme. In Vorfreude überreicht der Ältere nun sein Bild. Der Vater schaut kurz darauf und sagt: „Nun ja.“ Und legt es mit einer beiläufigen Handbewegung zur Seite.
Wie würden Sie sich an Stelle des Älteren fühlen?
Und Kain ergrimmte sehr und senkte finster seinen Blick.
Ganz klar: Die Geschichten am Anfang der Bibel sind keine historischen Erzählungen, sondern Menschheitsgeschichte. Es geht darin um Sie und mich. Kain und Abel, Adam und Eva, Noah und die Sintflut – es geht um Väter und gekränkte Söhne und Töchter, es geht um Neid und Zorn, um Scham und Schuld. Und es geht um Liebe, die einen so selig macht. Oder die einem gerade nicht geschenkt wird. Auch stellt sich durch die Menschheitsgeschichte hindurch wie ein Ostinato die Frage, warum für einige immer und immer das Halleluja ausbleibt. Und warum Gott so dunkel sein kann und abweisend, ja ungerecht?!
Und der Herr sah an Abel und sein Opfer, aber Kain sah er nicht an… Und Kain ergrimmte sehr. Es gibt Erfahrungen von Ungerechtigkeit, die legen sich wie ein Schatten auf die Seele. Dann verstehen wir die Welt nicht mehr. Kaum etwas ist kränkender als die gleichgültige Nichtbeachtung eines Liebesbeweises. Und wer so gekränkt ist, sieht bitter auf die Welt. Sieht mit Neid, dass den anderen die Herzen zufliegen. Warum eigentlich Abel, und nicht ich? Und vor lauter Ohnmacht bohrt Wut sich ins Herz, Wut auf Gott und die Welt. Hände, die man reichen wollte, werden zu Fäusten, die nur noch um sich schlagen wollen.
Ich denke, wir alle haben schon einmal so gefühlt. Zurück gesetzt, man weiß nicht warum?! Nicht angesehen, warum bloß?? Nicht in den Arm genommen, warum nicht auch ich?!
„Das Leben ist manchmal ungerecht. Damit muss man zurecht kommen“, sagte meine Großmutter immer, wenn wir mit unserem kindlichen heißen Zorn gerungen haben. Und – so streng sie sonst sein konnte – sie meinte das nicht abweisend. Im Gegenteil. Es war ihre Art von frommer Zuwendung zum Leben. Ihren Ältesten hat sie im Krieg, in den letzten Tagen noch im April 1945 verloren. Bombenhagel und Todesangst hat sie erlebt auf der Flucht, die ihr Hab und Gut und Ehre geraubt. „Gott gibt uns nicht mehr auf, als wir tragen können“, hat sie gesagt und hat es fest geglaubt. So nur konnte sie das Unerträgliche tragen und den Schmerz überwinden.
Das Leben ist manchmal ungerecht. Ich sage das und sehe, es stimmt. Und zugleich merke ich, dass ich die Gelassenheit meiner Großmutter oft nicht habe, dies hin – oder besser anzunehmen. Denn so viel ist ungerecht in unserer globalen Gesellschaft, was man ändern müsste. Es bekommen z. B. einige an sozialer Last derzeit viel zu viel zu tragen. Die Familien gehen in die Knie. Väter haben mehrere Arbeitsstellen, weil´s nicht reicht. Das ist doch nicht gerecht in dieser Welt? Zumal demgegenüber die Skrupellosen rauschende Gewinne einfahren, die Ehrlichen die Dummen sind und so oft die Gemeinheit siegt.
Ja, das Leben ist ungerecht. Und vielleicht müssen wir manchmal sogar sagen: Nicht nur die Welt, auch Gott ist ungerecht. Dem einen macht er es leicht und dem anderen so unsagbar schwer. Dem einen wendet er sich zu, vom anderen ab. Wir können, liebe Gemeinde, die Unterschiede zwischen uns als Menschen nicht leugnen, gleich ob wir uns zu den Begünstigten zählen oder zu den Nichtbeachteten oder irgendwo dazwischen. Doch genau deshalb fragt uns der Predigttext, wie wir denn mit diesen Unterschieden, mit den Ungerechtigkeiten des Lebens leben. Was kann ich als eine, die ihr Leben als unerhört glücklich empfindet, dazu tun, dem gekränkten Bruder beizustehen? Wie kann ich den Gedemütigten die Hand reichen und ihnen aufhelfen, wie der Samariter im Evangelium heute? Und als vom Leben benachteiligter Mensch könnte ich doch heute die Frage mitnehmen: Wie viel Raum gebe ich meiner Wut, meinem Neid und der geballten Faust in der Tasche? Lasse ich zu, dass sie mir den Blick verfinstern auf alles, was noch in meinem Leben an Schönem wartet? Gibt es nicht doch einen anderen Weg…
Und Gott sprach: Kain, warum ergrimmst du. Warum senkst du deinen Blick? Doch Kain hört das nicht. Er ist zu beschäftigt mit seiner Schmach. Und Gott hebt sein Kinn und spricht sanft auf Kain ein: Was ist es, dass dich so zornig macht? Sag. Sprich ein Wort und du könntest gesund bleiben.
Doch Kain redet nicht.
Viele Menschen reden nicht. Sie reden zu wenig über das, was sie wütend macht, trostlos und deprimiert. Damit meine ich wohlgemerkt nicht die Pöbelattacken, die ich zunehmend bei Menschen beobachte. Sie wüten maßlos und aggressiv. Weil jemand falsch steht. Oder jemand falsch parkt. Oder, so geht das weiter, eine Behinderteneinrichtung oder ein Hospiz in der Nachbarschaft aufbauen will. Menschen, die unkontrolliert in Leserbriefen und Internetforen ihre erschreckend hemmungslose Wut heraus schleudern. Diese sogenannten „Meinungsäußerungen“ meine ich nicht. Sie sind ja eher Ausdruck einer Wut auf die Welt, die irgendeine Adresse sucht, um sich zu entladen. Nein, in unserer Geschichte geht es darum, an sich selbst zu adressieren: Sag, was ist es, das dich so zornig macht? Hebe dein Kinn und schau mich an. Ich will es doch verstehen. Versuch zu sagen: Was ist so untröstlich in dir?
Doch Kain redet nicht. Er klagt auch nicht. Er klagt Gott eben nicht an, ist er es doch, der ihm so unerklärlich ist und dunkel. Nein, er kann nicht klagen. Und so bleibt auch ihm selbst verschlossen, was er fühlt. Deshalb nimmt das Unheil, die Bibel sagt: Sünde, ihren Lauf. Kain lässt sich infizieren von dem Zorn, der aus ihm heraus galoppiert. Nicht mehr er hat Wut, sie hat ihn. Sie wird Abel zu Tode bringen. Es trifft oft die, liebe Gemeinde, die einem am nächsten sind. Hauptsache, der Zorn ist heraus. So schlimme Ausbrüche spielen sich in Familien ab! Allein im August dieses Jahres starben 19 Menschen durch Familiendramen.
Und auf einmal ist es ganz still. Totenstill.
Abel, der zarte Träumer, Abel, sein Name ist „Hauch“, atmet nicht mehr.
Still ist es um Abel. Von ihm erfahren wir in der Geschichte so gut wie nichts. Wie so viele Opfer von Gewalttaten verschwindet er fast vollständig hinter der Geschichte des Täters. Und es ist wie eine andere Seite im gleichen Kapitel: Die Opfer werden stumm. Auch gesellschaftlich stumm gemacht. Sie bekommen lebenslänglich, gefangen in ihren Traumata. Deshalb sind Einrichtungen wie der Weiße Ring so wichtig. Er nimmt sich der Opfer mit großer Zuneigung an und gibt ihnen eine Stimme. Auch denen gibt er eine Stimme, die ihren Abel oder ihre Anna nur noch betrauern können. Sie haben die größte Dunkelheit erlebt. Anrührend sagte mir das Elternpaar eines ermordeten Kindes: „Wir leben. Und wir möchten anderen sagen: Das ist ein Geschenk. Wir merken täglich: Die Liebe zu Anna ist stärker als der Tod. Zorn dagegen tötet uns. Wir wollen das nicht mehr. Wir wollen nicht, dass der Täter noch einmal gewinnt. Und so halten wir auch aus, dass er immer noch so tut, als wäre nichts.“
Achje, Kain, er tut als wäre nichts. „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Er verdrängt, was ihn in Wahrheit zutiefst bedrängt. Er hört nämlich, zunächst nur ganz leise, dann immer lauter: Das Blut schreit. Adams Blut schreit. Es schreit im ins Gewissen. Natürlich hätte er ihn hüten müssen, diesen Hass in sich selbst!
„Allzu groß ist meine Schuld, als dass sie mir vergeben werden könnte!“ bricht es schließlich in ihn ein. Und Gott – ist erst einmal ganz still. Dann macht er ihm ein Zeichen. Ein Zeichen, das ihn schützen und am Leben erhalten soll. Das Kainszeichen, das daran erinnert, wie grausam wir töten können. Ein Zeichen, das auch an das Opfer erinnert, an all die Gedemütigten und zu Tode Gekommenen an so vielen Orten der Welt. Allemal aber ist es auch ein Zeichen zum Leben, zum Weiterleben. So setzt, liebe Gemeinde, die Bibel gleich am Anfang einen Akzent gegen den Tod und gegen die Todesstrafe. Gott will das Leben. Auch das Leben und Weiterleben derer, die schlimme Schuld auf sich geladen haben.
Wie viele norwegische Familien hatten bis zuletzt darauf gehofft, dass auch ein Anders Breivik zur Einsicht seiner Schuld vordringen könnte. Doch er blieb gekränkt davon, dass die liberale Haltung seines Landes mehr Zustimmung findet als seine rechtsextreme und fremdenfeindliche. Nach wie vor ist er verschlossen in einer finsteren Welt, in der 77 Tote seiner Ansicht nach „notwendig“ waren. Dies mit anzusehen, tut weh. Ganz besonders den Angehörigen.
Und dennoch, liebe Gemeinde, darf er leben. So will es die norwegische Rechtsprechung. Und so will es unsere Geschichte. Leben soll Kain, im Land der Unruhe zwar, anders als zuvor, doch leben – gezeichnet mit der Hoffnung Gottes, die niemals einen Menschen verloren gibt. - So sind wir am Ende der Geschichte – und gleichzeitig wieder am Anfang. Indem Gott hofft, immer und immer wieder, schenkt er uns Anfänge und segnet sie.
Segnet sie und gibt´s nicht auf mit seiner gnädigen Gegenwart.
Gibt es also einen tieferen Sinn, als zu werden seiner Barmherzigkeit Hand?
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Einzelne Motive und Gedanken der Predigt stammen aus
- Predigtstudien Perikopenreihe IV 2011/2012, 2. Halbjahr, Kreuzverlag, S. 179-186 (R. Stieber/G. Zinn)
- einer Predigt von Hanna Hartmann, predigten.evangelisch.de