20. Mai 2012 - Predigt zu Jeremia 31, 31-34
20. Mai 2012
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der Herr; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: „Erkenne den Herrn“, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.
Liebe Gemeinde!
Damit du lebst.
Zitternd hebt der Prophet Jeremia die Scherbe auf, auf der diese drei Worte stehen. Allein sie sind übrig geblieben. Unter seinen Sandalen knirschen die Trümmer des Jerusalemer Tempels. Alles, was Gott je gesprochen hat, alles, was an Liedern hier über die Jahrhunderte zu seinem Lobe gesungen wurde – nur noch drei Worte auf dieser Scherbe halten das fest. Damit du lebst! Dabei ist nun alles zu Staub zerfallen… Immer wieder hat Jeremia ihnen dieses Unheil prophezeit. Kapitel um Kapitel hat er sein Volk ermahnt, dass sie die falschen Bündnisse schließen. Dass es Israel nicht gut tut, militärisch zu paktieren und sich korrupten Financiers auszuliefern. Doch sie sind den falschen Propheten auf den Leim gegangen. Solchen, die von hoher Rendite geschwärmt und der Liberalisierung des Finanzmarktes das Wort geredet haben. Damals schon, vor zweieinhalb Jahrtausenden. Nicht dem Propheten im eigenen Land, sondern diesen falschen Propheten haben sie geglaubt. Und so haben sie Waffen geschmiedet statt Pflugscharen. Nun liegen die Felder brach. Es gibt kaum noch Brot, das gerecht zu teilen wäre. Viel zu viele Menschen haben schon lang kein Auskommen mehr mit ihrem Einkommen. Zuviel Waffen und kein Mindestlohn. Blühende Landschaften hat man ihnen versprochen. Bitter enttäuscht stehen sie nun vor der Wüstenei und hungern, schlimmer denn je. Hungern nach Brot. Gerechtigkeit. Nach wahrem Wort.
Einsam steht Jeremia im Staub. Dort, an dem zerstörten Ort, wo Gott diesen Hunger immer zu stillen vermochte. Dort, wo er einst glanzvoll wohnte. Doch Gott ist ausgezogen. Er hat den einzigartigen Bund des Lebens mit seinem Volk aufgekündigt - wegen fortwährender Untreue. Mein Gott, mein Gott, denkt der Prophet, warum hast du uns verlassen? Die Leere an diesem Ort ist mit Händen zu greifen. Und in ihm schreien still drei Worte:
Gott fehlt. - Mir.
Gott fehlt. Mir.
Ich glaube, liebe Gemeinde, diese drei Worte kennen sehr, sehr viele Menschen auch in unserer Zeit. Mag sein, sie beziehen sich nicht immer auf Gott, doch allemal auf das Gefühl, einsam zu sein und irgendwie verloren gegangen. Manchmal gibt es Wüstenzeiten im Leben, in denen man sich so elend fühlt und angeschlagen und ungesehen. Da zieht jemand aus und sagt: Ich liebe dich nicht mehr. Oder der geliebte Mensch geht unwiederbringlich aus meinem Leben und lässt überall einen leeren Platz zurück. Da hält eine andere die ständigen Schläge ihres Mannes nicht mehr aus und das Kind nicht mehr diese vermaledeite Armut seiner Eltern. Die Düsternis in einem Leben hat viele Namen, auch hier unter uns. Und mir geht es immer furchtbar nahe, wenn die Gedemütigten, wenn die Kleingemachten mit dennoch oft so großem Herzen sich in solchen Zeiten nicht nur von der Welt, sondern auch von Gott verlassen fühlen.
Ich verstehe das. Manchmal kommt Gott einem so unverständlich vor. So fern. So abgehoben von der Realität. Und für viel zu viele ist Gott sowieso schon längst unbekannt verzogen. Keine Ahnung, wo er wohnt, sagen sie. Wie er heißt. Was er tut. Was er will. Und gerade jetzt, wenn es in den Kirchen heißt: „Er ist aufgefahren in den Himmel“, fragen sie: Was soll das sein? und feiern lieber Vatertag. Es sei ihnen gegönnt.
Aber auch das andere gibt es. Wo ist, wer ist Gott? fragen inzwischen immer mehr Menschen und riskieren den Blick in den Himmel. Sie ahnen, dass es gut ist, entschiedener von sich und der eigenen Misere abzusehen und den Horizont auszumessen. Sie suchen. Wir suchen. Etwas, das einem den Sinn erklärt. Etliches wissen wir davon noch. Wir tragen zumindest Bruchstücke erfahrener Gottesnähe in uns. Wenn man so will: Scherben mit Lebensworten. Ein Lied zum Beispiel. Ein Bild von der Taufe des Kindes. Ungewohnte Worte wie Barmherzigkeit. Jesus. Und - ist es nicht so? - so ein Lied wie: „Weißt du, wieviel Sternlein stehen?“ hält einen doch sofort in Armen! Da ist eine Sehnsucht tief in uns Menschen, ich bin sicher. Eine Sehnsucht, diese Bruchstücke unseres Lebens wieder zusammenzufügen zu einem guten Ganzen. Eine Sehnsucht deshalb auch, an der Vollkommenheit Gottes teilzuhaben und Gott aus der großen, himmlischen Weite in mein kleines Leben herunter zu holen. Damit es aufhört, das ständige „Warum?“ Dies Gefühl, da sei kein Sinn dahinter. Damit es nicht mehr so einsam ist in schwerer Zeit. Damit man nicht mehr sagen muss wie Jeremia: Gott fehlt. Mir.
Jeremia wendet seinen flehenden Blick vom Himmel ab und schaut auf den Boden. Da leuchtet doch etwas? Zitternd hebt er die Scherbe auf. Und mit ihr Worte, die ihn retten.
Damit du lebst. Inmitten der Verlorenheit, unter Staub und Asche, unter Schuld und Not, da liegt dieses Lebenswort. Ja, letztlich liegt doch Gott selbst so zerbrechlich vor ihm. Fast hätte er ihn übersehen! Behutsam nimmt er die Scherbe in seine Hand und drückt sie ans Herz. So viel Innigkeit liegt darin. Damit du lebst…Es geht weiter…. Nein, es fängt etwas Neues an! Und dieses Neue, das versteht Jeremia in diesem Moment, kommt nicht mit Getöse und Macht. Sondern in Zerbrechlichkeit und Stille.
Stille.
Still, liebe Gemeinde. Damit wir ihn hören können:
Ich will einen neuen Bund schließen, sagt Gott. Nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit euren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen … sondern das soll der Bund sein: Ich will mein Gesetz in euer Herz geben und in euren Sinn schreiben, und ihr sollt mein Volk sein und ich will euer Gott sein.
Damit sie leben.
Ein neuer Bund. Neu, das ist das Schlüsselwort unseres Predigttextes. Neu, denn der Bund ersteht aus dem Staub: Gottes Verheißung kommt aus der Tiefe und nicht aus der Höhe. Deshalb hat er seinen Ort auch nicht im Tempel. Er wohnt, nah unserem Herzen, bei uns. Der neue Bund wird nicht in Lettern verfasst, in Dogmen zementiert, von Lehrern eingetrimmt, mühsam auswendig gelernt. Der Glaube ist keine Gehorsamsleistung. Er macht uns nicht zu Kindern, die an der Hand des Vaters gehen müssen, damit sie den richtigen Weg finden. Sondern in diesem neuen Bund „erkennen alle, klein und groß“, Kind und Mann und Frau, wer ich bin, spricht Gott. Erkennen ist im Hebräischen ein wunderschönes Wort. Es wird gebraucht, wenn zwei ihre Liebe zueinander entdecken und die Sehnsucht sie treibt, sich zu vereinen. Was für ein Bild für diesen neuen Bund des Lebens! Er wird geboren aus der Liebe zwischen Gott und Mensch, die nichts Menschliches auslässt. Nichts, was uns unglücklich macht und zerbrechlich. Aber auch nichts, was uns so glücklich sein lässt. Der neue Bund ist geprägt von dem Gedanken, dass ein Mensch, wenn er liebt, nicht zerstören kann und will. Dass er alles dafür tut, damit die Landschaft blüht. Dass das Brot gerecht verteilt wird. Dass er die Zerbrechlichkeit eines jeden Lebens würdigt – und deshalb im Getöse der Welt die Stille übt.
Still, damit wir Gott hören – in dieser Stadt. In diesem Land. Still, damit du hörst, wie du lebst!
Denn das ist die entscheidend neue Bewegung des aufregenden Bibeltextes: Gott will, dass du lebst, wie du lebst. Er bindet dich ein in seiner Liebe und lässt dich deshalb los. So wie Väter und Mütter auch loslassen müssen. Hoffend, dass die Losgelassenen Freiheit und Erkenntnis in sich vereinen. Zärtlich liebt sich Gott in dein Herz hinein, damit du in die Welt hinaus gehen kannst. Stark. Damit du Bündnisse für das Leben schließt. Für das Leben und gegen den ganzen Irrsinn der tobenden Welt. Bündnisse für das Leben etwa mit den arabischen Friedensstiftern oder mit denen, die die vom Tode bedrohten Flüchtlinge vor den europäischen Grenzen in ihr Boot holen. Der neue Bund, von dem Jeremia spricht, ist eine Verheißung, die wahrlich etwas weiß vom Unheil in der Welt. Und so macht er uns achtsam dafür, wie wir genau dort neue Anfänge finden können. Sollen uns etwa Terror und Piraterie nicht noch mehr in Furcht bringen, müssten doch endlich auch für die Ärmsten der Armen Rettungspakete geschnürt werden. Und dies wären Rettungspakete, liebe Gemeinde, mit vergleichsweise bescheidenen Summen für Entwicklungshilfe, Bildung und Gesundheitsversorgung. Längst ist es Zeit, Bündnisse einzugehen, die wirklich etwas bewirken: Auf Klimagipfeln, wozu macht man sie sonst?! Und jetzt – während des G8-Gipfels!
Gott liebt sich in unser Herz, dass wir in die Welt gehen und Bündnisse für das Leben kreieren. Bündnisse, damit nicht nur du und ich, sondern alle leben. Aufrecht, frei, mit Perspektive und Horizont. Damit kein Mensch mehr sagt: Gott fehlt. Mir. In dieser Stadt. In diesem Land. In dieser Welt. Sondern, im Gegenteil, wo das Herz erkennt: Gott wohnt hier. Mitten unter uns. Mitten unter uns Losgelassenen.
Was für eine ermutigende Aussicht, liebe Gemeinde. Ein neuer Bund, der uns immer wieder neu frei spricht. In eine neue Bewegung bringt. Was für eine Aussicht angesichts einer Nordkirche, in der zu Pfingsten Ost und West sich verbindet, ganz neu. Viel Arbeit hat darin gesteckt. Auch Trauerarbeit. Und Liebe. Zum jeweilig Eigenen, natürlich. Liebe aber vor allem zur Sache Jesu. Denn die braucht Begeisterte. Menschen, die sich binden. Allen Risiken zum Trotz. Ich finde dabei ein Lebenswort von Bischof Desmond Tutu besonders ermutigend; so sagte er zur großen Ökumene der Welt: „Riskiert es, euch zu vereinigen. Und die Aufräumarbeiten, die lasst die Theologen machen.“
Und wir nun? Wir losgelassenen Geliebten Gottes, aus dem Osten und Westen, Süden und Norden? Es ist uns so viel Neues verheißen. Deshalb kann es doch sein, dass wir eines Abends – am liebsten heute schon - unter blühenden Linden sitzen und uns einig sind. Und in Gedenken an den weisen Jeremia lassen wir eine Scherbe von Hand zu Hand gehen und fangen an von unseren Lebensworten zu erzählen. Wie wir hoffen, was wir glauben, wen wir lieben. Und voller Dankbarkeit erkennen wir, dass unser Leben eine Richtung hat. Sinn. Dass da so viel Licht ist und Kraft. Dass Trost uns erreicht hat inmitten mancher Untröstlichkeit. Und wir schauen die Scherbe und brechen das Brot darauf. Zum Zeichen des neuen Bundes. Verbunden mit allen, die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit…
… und siehe, wir leben!
Denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen