21. Dezember 2014 - 4. Advent
21. Dezember 2014
Predigt zu Lukas 2
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Brüder in Christus!
Was denken Sie – wo würde das Christuskind zur Welt kommen, wenn es heute, in unsere Zeit hinein geboren würde?
Als ich das einmal ein paar Jugendliche in meiner damaligen Gemeinde fragte, antworteten sie: „Wahrscheinlich würde Maria ihr Kind unter einer Brücke oder in einer alten, leerstehenden Fabrikhalle zur Welt bringen. Und ein paar alkoholisierte Obdachlose wären die ersten Gäste…“
Eine fremde Vorstellung! Nichts von süßer Weihnachtsstimmung! Aber vermutlich hatten die Jugendlichen ganz recht: Gott kommt zur Welt, wo man es am wenigstens erwartet – mitten hinein in die Härten des Lebens. Er kommt zu denen, die es am wenigsten erwarten.
Auch die Hirten damals auf dem Feld bei Betlehem hatten mit so etwas nicht gerechnet. Harte Männer, die sie waren, hatten sie auf einen starken Mann gehofft, auf einen Führer, der die verhassten Feinde mit Macht aus dem Land werfen würde. Und nun dies: Ein Kind als Retter! Ein wehrloses Kind – die Freude, die allem Volk widerfahren sollte!?
Ungläubig und verdutzt werden sie dagestanden haben: ‚Wir sind gemeint? Wir, um die doch alle einen weiten Bogen machen? Für uns soll der Retter geboren sein – bei dem, was wir auf dem Kerbholz haben?‘ Aber dann gehen sie doch los. Die Neugier ist stärker als der Zweifel. Was, wenn es doch stimmte! Was, wenn es Gott gäbe und er tatsächlich ein Herz für jeden Menschen hätte! Was, wenn dieser Gott verstehen könnte, was sonst niemand verstand.
Vielleicht ist das die größte Hürde – noch höher als die Mauern eines Gefängnisses – das für möglich zu halten: ‚Ich kann schlimme Fehler begehen und schuldig werden. Doch in den Augen Gottes ist das nicht alles. Er sieht auch das andere – meine Verletzungen, meinen Durst nach Leben. Er sieht meine Sehnsucht. Gott hat einen Blick für das, was noch werden kann in mir, was möglich ist. Er traut mir zu, dass da etwas neu werden kann in meinem Leben.’
Das für möglich zu halten, diese Hürde ist hoch. Fragen stellen sich quer: ‚Wie soll ich mir solch einen ‚Gott‘ überhaupt vorstellen? Als eine höhere Macht oder als eine Art Person? Und wenn es ihn denn gibt, warum lässt er so viel Böses zu?‘
Diese Fragen stelle auch ich mir immer wieder. Sie sind nicht in zwei Sätzen zu beantworten. Aber die Antwort hat zu tun mit Jesus. An seinem Leben ist etwas deutlich geworden von Gott. Jesus hat einen anderen Geist in die Welt gebracht. Er ist zu den Außenseitern seiner Zeit gegangen – den Huren, den Korrupten, zu denen eben, mit denen niemand etwas zu tun haben wollte. Er hat versucht, etwas zu ändern – nicht durch Macht und Gewalt, sondern von innen her, durch Menschenfreundlichkeit, durch Anteilnahme, durch Liebe. Er hat deutlich gemacht: Jeder Mensch hat eine Würde – unabhängig von seinen Taten. Jeder Mensch ist wertvoll – unabhängig von seinen Leistungen.
Ich bin überzeugt: Bei Gott ist das so. Er hat uns Menschen frei gewollt – nicht als Marionetten. Er hat uns mit Verantwortung begabt. Gott zieht nicht im Hintergrund die Strippen und lässt uns wie Puppen tanzen. Wie Jesus setzt er auf Veränderung von innen, setzt darauf, dass Güte und Menschlichkeit die Verhältnisse verändern. Er setzt unsere Freiheit selbst dann nicht außer Kraft, wenn wir sie zum Schlechten gebrauchen. Er käme ja aus dem Eingreifen gar nicht heraus.
Manchmal hat das einen sehr hohen Preis. Wenn Menschen körperlich oder seelisch schlimmen Schaden leiden, dann frage ich mich: Ist der Preis dieser Freiheit nicht zu hoch? Andererseits wissen wir aus der Geschichte: Alle Versuche, die Welt mit Gewalt zu bessern, haben nur noch schlimmere Verhältnisse hervorgebracht. Nein, durch Gewalt wird erst recht nichts Gutes.
Es ist schon erstaunlich mit diesem Gott: Wenn uns einer durchschaut, dann er. Und trotzdem gibt er uns nicht auf – selbst da nicht, wo wir an uns selbst verzweifeln. Selbst da, wo wir selbst uns schon aufgegeben haben oder wo andere die Beziehung zu uns abbrechen, hat Gott Hoffnung für uns. Verrückt? – Ja, ein bisschen schon. Denn so verrückt ist die Liebe.
Die Hirten damals jedenfalls gingen los und fanden das Kind in der Krippe, dazu Maria und Josef. Sie interessierten sich. Sie ließen sich nicht abhalten – weder von Zweifeln noch von der Angst, ein weiteres Mal im Leben enttäuscht zu werden. Sie versuchten es mit der Botschaft, die sie draußen auf dem Feld gehört hatten:
„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freue, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist … der Heiland geboren, welcher ist Christus.“
Diese Botschaft gilt auch uns in unserer Zeit. Trotz aller Schrecklichkeiten – „Fürchtet euch nicht!“ Es gibt noch etwas anderes! Es gibt Hoffnung! Es gibt einen Weg, auf dem dein Leben neu werden kann! Na klar, ein Selbstläufer ist das nicht. Dieser Weg will begangen sein. Es braucht dein Interesse. Wenn du dich einlässt, wenn du versuchst, Gott besser kennen zu lernen, dann kann sich etwas entscheidend verändern. Mitten in einer JVA kann es der Anfang deiner Befreiung sein.
Zweimal habe ich Weihnachten hinter Stacheldraht verbracht – damals als Bausoldat bei der NVA. Die Tage waren besonders schwer. Aber auch hinter Mauern und Stacheldraht gilt: Gott kommt zur Welt, wo man es am wenigstens erwartet.
Amen.
Und der Friede . . .