21. November 2012 - Fernsehgottesdienst am Buß- und Bettag
21. November 2012
Thema „Einsamkeit“ Predigt zu Joh 5, 1-9
Teil I
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig. Amen
Er versteht die Welt nicht mehr, liebe Gemeinde.
Hiob fühlt sich so einsam.
Verlassen.
Von seinen Freunden. Und sogar von Gott.
Und jetzt ist er fertig. Mit diesem Gott und der Welt.
Hiob hat heute viele Namen. Susanne. Jürgen, Anna-Sophie. Sie sind alt, jung, unglücklich verliebt, verloren, voller Sehnsucht und Schuldenlast; sie sind elend arm und tief enttäuscht. Sie wollten autonom sein und sind einsam geworden.
So verlassen. Wie Hiob.
Verlassenheit ist etwas anderes als allein zu leben. Verlassenheit macht einem Angst. Da steht man wie in einem eigenen Raum der Leere, ohne irgendeine Resonanz. So dass man irgendwann anfängt mit sich selbst zu reden, damit diese laute Stille endlich aufhört! Wäre da doch wenigstens ein Mensch! Wenigstens ein Du braucht es doch, um Ich sagen zu können. Ein Du, um es zu liebkosen, heraus zu fordern, die Hand zu reichen; ein Du, das mich beim Namen ruft und zur Besinnung.
Doch da ist kein Mensch.
Kein Anruf.
Da ist kein Gott.
Auch Susanne, Jürgen, Anna-Sophie sind fertig mit ihm. Und der Welt.
Viele Menschen heutzutage leben allein, auch ohne Gott. Sie haben ihn vielleicht nie gekannt, haben ihn verloren oder vergessen. Gott ist nach ihrem Empfinden schlichtweg nicht da. Nicht als Zuhörer. Nicht als Beschützerin. Nicht als leiser, aber anwesender Gedanke von Lebensfreude.
Mir kommt angesichts all der Erschöpfungskrankheiten in unserer Gesellschaft der Gedanke, ob vielleicht genau darin das Problem liegt: Dass so viele Menschen diese Kraft nicht mehr kennen, die über sie selbst hinaus weist. So etwas wie ein Friedenssehnen, eine Vision von Gerechtigkeit, etwas, was inspiriert. Aufweckt. Ohne diese Kraft passiert es dann nämlich: inmitten des Labyrinths von Arbeitsverdichtung, Erwartungsdruck und Erfolgsstress gerät man auf einmal in eine Pause, die zur Katastrophe wird. Weil man ausgepumpt ist und gleichzeitig unerfüllt. Kein Internet, trotzdem es Nähe verspricht, erfüllt doch das Sehnen nach Wärme und Sinn, ach einfach einem Menschen, vital und unperfekt, der mir zuhört. Mich mag. Und sagt: Es wird wieder gut.
Heute, am Buß- und Bettag, geht es genau darum. Nämlich mit dem Herzen zu hören: Es wird wieder gut. Nicht weil man verdrängt, was ungut ist und einsam macht, sondern weil man es gerade nicht tut.
Doch dazu müssen wir uns lösen vom Hinstieren auf die Flachbildschirme unserer Zeit. Wir sollten uns umschauen. Erkennen, dass da um mich herum ganz viele Menschen sind, die glücklicherweise anders sind als ich. Es liegt Kraft in dieser Gemeinschaft der Verschiedenen. Für uns Christen ist sie elementar. Denn wir haben keinen privaten Glauben – er findet gerade nicht nur statt im kleinen Kämmerlein. Wir glauben, ich glaube; dass sich in der Nähe zum Anderen Gott ereignet. Im Tanzen, Reden, im Schweigen. Gott ist in dem Freund, der verstehen will und nicht beurteilen. Er ist in der Nachbarin, die den Topf Suppe vor die Tür stellt, wenn einem elend ist. Gott steht mit auf im Protest gegen soziale Armut und – natürlich auch global! – Gott weint mit den Müttern jetzt in Syrien und in Israel-Palästina, die ihre Kinder verloren haben. Auf unterschiedlichste Weise ist Gott da. Eben nicht unbekannt verzogen. Sondern präsent. Jetzt. Leise rührt er an unsere Seele. Vielleicht nach langer Zeit das erste Mal wieder.
Das kann sein: Ein Wort, ganz ungezielt. Eine Umarmung, ganz spontan. Zuneigung, unverhofft. Eine Frage, ganz verrückt. Eine Begegnung, sehr speziell.
Gott geschieht - gern im Wir.
Es lohnt sich also, vom Ich einmal eine Pause einzulegen.
Und dann hinzuhören, wer da sonst noch spielt…
Saxophon
Teil II
Kehr deine Gedanken doch einmal um, singt die Melodie.
Umkehr ist heute dran.
Du magst fertig sein mit Gott.
Doch Gott ist nicht fertig mit dir.
Schon gar nicht, wenn Sorge und Einsamkeit steinschwer auf dir lasten. Wenn du ausgezehrt bist vor lauter Arbeit oder innerer Leere. Wenn das Herz taub ist vor lauter Trauer und unser Wille gelähmt vor lauter Unwillen.
Gott ist doch nicht fertig mit uns, wenn wir verzweifelt sind und gekränkt!
Und Jesus kam und fragte den Kranken.
Willst du gesund werden?
Was für eine Frage, liebe Gemeinde.
Er sieht doch das Elend, mein Gott. Er sieht uns doch. Und diese himmelschreiende Einsamkeit des Mannes dort in Betesda! Seit achtunddreißig Jahren hat er das Wasser vor Augen, das heilen kann. Zum Greifen nah. Doch er kommt immer zu spät. Die anderen sind cleverer. Schneller. Werden gesund. Und gehen vor seinen Augen davon, vergnügt, erlöst, befreit. Für ihn dagegen gibt es keine Aussicht, 38 Jahre schon.
Jesus sieht seine Qual ganz genau. Deshalb ja: Willst du gesund werden?
Was für eine Provokation. Natürlich will er gesund werden!
Allein: er ist allein. „Herr, ich habe keinen Menschen.“
Endlich ist es heraus. Nicht die Krankheit ist`s, sondern seine unerlöste Einsamkeit. Sie wirft ihn zurück - auf sich selbst. Und so bleibt´s bei diesem ungelebten Leben. Darüber aber, liebe Gemeinde, redet man nicht. Es ist ein gesellschaftliches Tabu. Man hat autonom zu sein, hat´s im Griff. Doch auf einmal der Bruch. Da liegt man dann. Hasst es, hilfsbedürftig zu sein und mag einfach nicht sagen: Ich brauche dich. Ohne dich wird mein Ich nicht gesund. Und so wird allzu oft der Panzer des Schutzes zum Panzer der Unberührbarkeit.
Deshalb fragt Gottes Sohn.
Willst du? Die Frage bekommt auf einmal eine innige Zärtlichkeit. Sie ist eine einzige Erlaubnis, offen mit Mühsal umzugehen und die Wirklichkeit zu benennen, wie sie wirklich ist. Auch deswegen ist es eine Geschichte zum Buß- und Bettag: Weil es unerhört entlasten kann, wenn Menschen büßen und beten, wenn sie also aussprechen, dass sie nicht zurechtkommen im Moment, dass sie anderen etwas schuldig geblieben sind. Dass sie ihre Armut verfluchen und ihre Unzulänglichkeit. Wenn sie zugestehen können, dass sie Gott nicht verstehen, ja mit ihm hadern. Dass sie nicht lieben können, den sie lieben sollten. Dass die größte Last manchmal die Wahrheit über sich selbst ist. Wir brauchen, liebe Gemeinde, einen Ort, um diese Schwere los zu werden. Damit nicht wir schwer erträglich werden…
Und wir schauen auf den Stein in unserer Hand – Symbol dafür, dass es belastende Momente der Verlorenheit in jedem Leben gibt. Sie können schwer auf der Seele liegen. Sorgen, Zukunftsängste, Schuldgefühle. Willst du leichter werden? Jesus nimmt uns auf den wirklich einzig erlösenden Weg mit: Einen Moment inne zu halten, meinen Stein anzuschauen und zu sagen: „Ja, so ist es mit mir!“ Meinen Sehnsüchten. Meinen Ängsten nicht zu genügen. Meinen Selbsttäuschungen, all den unerfüllten Träumen. In dem Moment, in dem ich dies zugestehe, beginnt die Freiheit. Löst sich der Zwang, perfekt zu sein. In dem Moment des Zugestehens tut man sich nicht mehr Gewalt an - und anderen auch nicht. Demut nennt dies das Evangelium. Eine Haltung, die unserer Gesellschaft so gut täte! Denn Demut rechnet beständig damit, dass Gott mit uns, dass Gott in uns ist. Demut rechnet damit, dass jeder Mensch, der hier sitzt oder uns zusieht, eine Kraft in sich hat, die Versöhnung wirkt und Friede und Wahrheit.
Stehen wir also demütigst auf, liebe Schwestern und Brüder, legen den Stein ab und sagen: Nicht weiter so! Doch weiter mit ihm, mit Gott. Denn sein Friede ist höher als alles menschliche Vermögen und er bewahrt unsere Herzen und unsere Sinne in Jesus Christus, der uns liebt.
Amen