23. November 2012 - Grußwort anlässlich des 20. Gedenktages des rechtsradikalen Brandanschlags in Mölln

23. November 2012 von Kirsten Fehrs

Sehr geehrte Familie Arslan und lieber Herr Yilmaz,
Sehr geehrter Landtagspräsident Schlie,
lieber Ministerpräsident Albig,
Sehr geehrter Botschafter Karslioglu und erster Vorsitzender Herr Kolat,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Wiegels,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

so viele klare Worte haben wir gehört. So viel Trauer, Mitgefühl, kämpferischer Protest, Schmerz ist in diesem Raum. Genau darum sind wir hier: Den Schmerz nicht zu vergessen. Sondern zu erinnern, dass Menschen grausam getötet wurden. Getötet mit solch einer Rohheit und dumpfer, grenzenloser Gewalt, dass die Erschütterung bis heute, 20 Jahre danach, anhält.
Erinnerung ist eine starke Kraft. Weil sie im Inneren etwas bewegt – aufwühlt, hochreißt und beim Namen nennt. Im wahrsten Sinne die Namen nennt. Bahide Arslan, Yeliz Arslan, Ayse Yilmaz. Mit dem Er-innern der Namen schreibt sich ihr Leid in unser Gedächtnis ein. Aber ebenso auch das Leid von Ihnen, liebe Angehörige, die Sie teilweise zu diesem bedeutsamen Tag aus der Türkei angereist sind. Zuletzt eindrücklich durch Ihren Film, lieber Ibrahim Arslan, ist uns ja nahe gebracht, was für eine tiefe seelische Verletzung Sie alle zu verarbeiten haben und wie schwer das alles ist, auch und gerade heute. Am Tag des Gedenkens.
Deshalb sind Worte und Gesten so richtig und wichtig, die erinnern. Auch wenn sie bei einem solch abgründig- heimtückischen und grauenvollen Mord  wohl niemals die ganze Wirklichkeit erfassen.
Diese Wirklichkeit aber ist im Inneren der Trauer. Wir alle hier fühlen sie mit. Einer Trauer zumal, die ja immer von einer Schwester begleitet wird. Und diese Schwester heißt: Wut. Sie ist mal kleiner, mal größer. Sie fragt, warum jemand sterben muss, die so klein und so schön war oder so mütterlich und so liebevoll. Und sie kann beben und einen niemals in Ruhe lassen, kann unstillbar sein und drängend.
Und so ist auch diese Wut im Raum.

Vor ungefähr 10 Jahren nahm ich an einem Notfallseelsorge –Seminar teil. Auch Feuerwehrleute waren da. U.a. einer, der hier in Mölln mit gelöscht hat. Das blanke Entsetzen immer noch in den Augen. Unverarbeitet lag diese furchtbare Nacht auf seiner Seele. Diese Panik. Die Hilflosigkeit. Der kleine Junge. Diese Wut.-

Auch das ist Teil der Wirklichkeit. Dass eine ganze Stadt in Schockstarre geriet – und versucht hat, so gut es ging, diese Katastrophe zu verarbeiten. Sicherlich – gemessen an dem Leid der Opfer ist das ja doch immer zu wenig, immer in aller Menschlichkeit begrenzt, nie genug. Zugleich aber stellt sich durch das jährliche Gedenken die Stadt Mölln politisch mit aller Deutlichkeit gegen den menschenverachtenden Brandanschlag, der diese Stadt im Innersten erschüttert hat. Und ich habe großen Respekt davor, dass und wie sich so viele hier fragen: Was können wir tun, mein Gott , was können wir tun, Allah, gegen die Traurigkeit, die Wut, dagegen, dass die Getöteten in den Schatten der Vergangenheit treten, was können wir tun nie zu vergessen, dass dies ein rechtsradikaler Brandanschlag war?

Antwort: Wir können vor allem eines tun: lernen. Und das bedeutet auch: wer dem Rassismus und dem Rechtsextremismus der Gegenwart kein Zeichen entgegensetzt, hat nichts gelernt. Gleichgültigkeit verbietet sich, weil eben nicht alles gleich gültig ist.  So stehen wir hier in diesem Gedenken auch entschieden auf gegen braune Parolen voller Einfalt,  gegen Intoleranz, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit- und Fremdenhass. Parolen, die immer mehr Einzug halten in deutschen Wohnzimmern und guten Stuben! Und also halten wir hier und jetzt jeglichem Rechtsextremismus entgegen: Euer Hass ist uns Ansporn. Ansporn, wach zu bleiben. Und nicht ängstlich zu werden. Er ist ein Ansporn, klar zu reden. Mit zu trauern. Hass nicht zuzulassen. Aus den Sesseln aufzustehen…
… und alles zu tun, dass die Gedanken und Emotionen junger Menschen nicht von Rechtsextremisten besetzt werden. Hoffnungszeichen dazu gibt es. Auch hier in Mölln. Dank der übergreifenden Initiativen des Vereins „Miteinander leben“ und vieler anderer hört man „open mind“, setzt sich im deutsch-türkisches Projektjahr mit dem „Brandmal“ auseinander und entwickelt mit Jugendlichen ein Demokratietheater, das viel mehr als Theater ist. Danke sage ich an dieser Stelle, lieber Herr Sauer.
Trauert nicht wie die, die keine Hoffnung haben! So lautet ein Satz in der Bibel. Einen ähnlichen dürften wir mühelos auch im Koran finden. Erinnert euch, sagen unsere Religionen. Erinnert euch, was euch die, die starben, mitgegeben haben. Besonders doch ihre Liebe, die niemals aufhört. Liebe ist stärker als der Tod. Erinnert euch. Denn auch diese Erinnerung hat eine Schwester. Und die heißt Hoffnung. Sie sagt: mit jedem Jahr des Gedenkens, mit allem, was wir lernen, bringt es uns doch auch voran!
So verschieden wir auch sein mögen: Es sollte uns einen, dass unsere Hoffnung ebenso in die Welt gehört wie unser Widerwort gegen die Gewalt. Hoffnung heißt nämlich: ich gebe mich nicht zufrieden mit dem, was ist. Deshalb: Nein zu Rechtsextremismus. Klar, kompromisslos. - Gerade vor zwei Wochen haben Neonazis sämtliche Stolpersteine in Greifswald herausgerissen. Und wir, wir werden sie wieder einsetzen! Es braucht Menschen, die sich einig sind, dass es keine humane Zukunft gibt ohne die Erinnerung und das ehrende Gedenken. Wir brauchen Stolpersteine – nicht allein auf der Straße, sondern auch in den Köpfen der Menschen. 
Daran gemahnen uns die Getöteten, um die auch ich heute trauere: Dass wir einstehen für eine Kultur, die einen 23. November 1992 nie vergisst. Weil nur eine gedenkende Gesellschaft auch eine nachdenkliche und demokratische sein kann.
Gott segne uns alle dazu.

Datum
23.11.2012
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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