Dom zu Lübeck – 16. Sonntag nach Trinitatis

23. September 2012 - Predigt im Abendmahlsgottesdienst

23. September 2012 von Kirsten Fehrs

Predigttext: Apostelgeschichte 12,1-17 Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln. Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert. Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote. Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu überantworten. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen. So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott. Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen. Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir! Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen. Und sie gingen durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit und alsbald verließ ihn der Engel. Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk erwartete. Und als er sich besonnen hatte, ging er zum Haus Marias, der Mutter des Johannes mit dem Beinamen Markus, wo viele beieinander waren und beteten. Als er aber an das Hoftor klopfte, kam einen Magd mit Namen Rhode, um zu hören, wer da wäre. Und als sie die Stimme des Petrus erkannte, tat sie vor Freude das Tor nicht auf, lief hinein und verkündete, Petrus stünde vor dem Tor. Sie aber sprachen zu ihr: Du bist von Sinnen. Doch sie bestand darauf, es wäre so. Da sprachen sie: Es ist sein Engel. Petrus aber klopfte weiter an. Als sie nun aufmachten, sahen sie ihn und entsetzten sich. Er aber winkte ihnen mit der Hand, dass sie schweigen sollten, und erzählte ihnen, wie ihn der Herr aus dem Gefängnis geführt hatte, und sprach: Verkündet dies dem Jakobus und den Brüdern. Dann ging er hinaus und zog an einen andern Ort. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig. Amen

Liebe Gemeinde,

Unglaublich, diese Befreiung des Petrus. Es ist geradezu so, als würde Weihnachten und Ostern zusammen fallen! Oder so, als könnte ein Engel tatsächlich Mauern zum Einsturz bringen. Oder so, als würde Beten wirklich helfen.

Unglaublich.

Aber wahr, sagt unsere Geschichte.

Wahr auf eine eigene, auf Gottes Weise. Eine Wahrheit, die sich nicht auffinden lässt im „schwarz auf weiß“. Vielmehr leuchtet sie auf im Dazwischen. Im Raum zwischen Gott und Mensch. Himmel und Erde. Zwischen Träumen und Wachen, Flehen und Glück. Genau dort eben, halten sich die Engel auf mit ihrem rettenden Wort. Damit für Menschen wahr wird, was sie kaum glauben können. So ist es kein Zufall, dass sich unsere Predigtgeschichte im Dazwischen von Nacht und Tag ereignet – in der Zeit also, in der uns das Morgengrauen manchmal nur allzu wörtlich aus dem Schlaf der Gerechten aufschrecken lässt.

Damit beginnt die Geschichte der Befreiung. Mit dem „für wahr nehmen“, wie grauen-voll es um Petrus und die Seinen gestellt war. Der ungeliebte Despot Herodes, der die christenfeindlichen Tendenzen in Jerusalem wittert, will Petrus hinrichten wie Jakobus. Denn „er sah, dass das dem Volk gefiel.“

Aber noch nicht gleich. Denn es ist ja das Fest der ungesäuerten Brote. Pessah. Herodes will sich´s nicht mit den jüdischen Obrigkeiten verderben. Töten lässt es sich auch noch morgen. Hauptsache man bleibt an der Macht. Es ist politisches Kalkül, nichts anderes. Der Machthunger treibt Herodes, nicht religiöser Eifer.

Es ist politisches Kalkül, Machthunger, der auch sie treibt. Sowohl sie, die mit Pseudonym ein Schmähvideo allerdümmster Art produzieren und gezielt in der arabischen Welt medial verbreiten. Als auch sie, die die Menschen dort anheizen, mit wutverzerrten Gesichtern und Hassparolen deutsche und amerikanische Botschaften im Sudan und anderswo zu stürmen, gewaltbereit bis zum Anschlag. Jene wie diese, die sich als Vollstrecker göttlicher Macht gerieren, ja, die sich erdreisten, für Milliarden Christen oder Muslime in der Welt zu stehen, sie sind zum Fürchten. Weil sie feindselige Stimmungen im Volk ausnutzen und dessen Nöte und Unzufriedenheit. Hauptsache, sie erhalten Macht. Und ich bin sicher: an den wahren, friedenssehnsüchtigen Fundamenten ihrer und unserer Religion sind sie keinen Deut interessiert. Vielmehr speisen sie ihre verirrten Machtphantasien mit heraus gerissenen Worten aus dem Koran und der Bibel, und tun damit auch diesen Gewalt an. Aus den Heiligen Schriften wird heiliger Krieg. Aus dem Wort der Befreiung wird Hasspredigt und Angstmache, Tod und Verfolgung. Und so muss hier im Angesicht eines Herodes eindeutig gesagt werden: Auch und gerade Christen werden verfolgt. Zu dieser Stunde sitzen sie in zahllosen Gefängnissen, werden bedroht und gequält. Im Irak, im Kongo, an viel zu vielen Orten der Welt.

Umso wichtiger, uns der Fundamente unserer Religionen bewusst zu sein. Zu erinnern, was uns wirklich heilig ist nach der Schrift. Sie innerlich aufzunehmen, von klein auf. Ein Kollege in Hamburg erzählte dazu eine wunderbare Geschichte. Er hatte eine dritte Klasse eingeladen, „seine“ Kirche zu besuchen und kennen zu lernen. Von den 23 Kindern waren 18 muslimischen Glaubens. Und was machten sie? Sie zogen ihre Schuhe aus! Stellten sie fein säuberlich vor die Tür, ganz selbstverständlich, bevor sie den heiligen Raum betraten. 18 Paar kleine Kinderschuhe – was für eine Geste. Sie zeigt, dass so vieles uns gemeinsam heilig ist: Respekt. Frieden. Liebe. Auch Engelglaube. Und Befreiungsgeschichten wie die heute, die so unglaublich wahr sind. Befreiungen, die unsere Begrenztheit sprengen, nicht aber Häuser, in denen Kinder wohnen. Befreiungen, bei denen man gerade nicht zu dem Übel wird, das man beklagt. Befreiungen wie diese von Petrus, bei denen man nicht über Leichen geht, sondern durch Türen. Dort hin, zu den Hecken und Zäunen, wo nicht nur Christen schwer an ihren Kreuzen tragen und mehr denn je Glaubensstärke brauchen und Hoffnungswort.

Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen. Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Nun wirf deinen Mantel um und folge mir!

Fast mütterlich kommt er daher, der Engel des Herrn. Wie einem schlaftrunkenen Kind, das man morgens für die Schule fertig macht, gibt er dem Petrus Durchsagen. Schnell, steh auf! Zieh dich an! Er macht nicht viele Worte, der Engel. Licht, leis´ und eindringlich ist er, kraftvoll und beharrlich. Ja, all die himmlischen Boten, die Gottes Sprache auf den Boden der Tatsachen zu bringen haben, reden nicht in Zuckerwatte. Sie haben Schwarzbrot im Gepäck. Denn dort, wo Engel sich einschalten – in der Bibel wie im richtigen Leben – geht es um entscheidende Wegkreuzungen, um Wendung in einer Krise, es geht um Leben und Sterben, um Freiheitstraum und Widerstand. Um Gottes Nähe in totaler Hoffnungsferne.

Deshalb immer wieder die Engel, die den Himmel erden. Und je unglaublicher die Geschichte, desto mehr davon. Weihnachten gar kommen sie in Heerscharen, und Ostern wäre ohne ihren Einsatz undenkbar. Und wenn dann die Menschheit tatsächlich wie Petrus ein wenig verwundert und so herrlich frei auf der Straße des Lebens steht – herrlich frei, weil nichts und niemand zu Schaden kam – ja, dann ist der Engel auch schon wieder weg. Was bleibt, ist seine Botschaft. Die Botschaft, dass die Welt, gerade eben, erlöst wurde von ihrer Gottlosigkeit.

Ja, ist sie denn erlöst? fragt der vernünftige Mensch und schaut sich um und sieht so vieles an Schmerz und Trauer und Elend und Unfrieden. Er sieht die Flüchtlinge, die an den Grenzen Europas zu Hunderten umkommen. Er sieht diese unvergleichliche Armut in so vielen Ländern der Erde. Die Perspektivlosigkeit der jungen Spanier, Griechen. Er sieht die vielen Opfer in Syrien und die heutigen Despoten, sieht, wie der Krieg lauert zwischen Iran und Israel.

Und dann hört er uns heute zu. Hört vom Hoffnungswort, das dem Hass das Leben nehmen will. Vom Engel, der durch Mauern geht.  

Und sagt: Unglaublich.

Aber wahr?

Und Petrus wusste nicht, dass ihm das alles wahrhaftig geschehe… Manchmal, das geht uns doch auch so, merken wir gar nichts von den Engeln, oder? Folgen ihnen nicht durch offene Türen, weil uns die Angst vor dem neuen Leben gefangen hält. Denn wir Wirklichkeitsmenschen, wie Thomas Mann uns beschreiben würde, halten ja oft erst einmal nur das für möglich, was wir selbst verwirklichen können. Manches Mal sind wir noch zu nah an uns selbst, zu verstrickt in Eitelkeit und alter Gewohnheit, haben zu wenig Abstand zum eigenen Schmerz oder zur eigenen Bedeutsamkeit, um das Neue zu entdecken, das Gott uns zuschickt. Doch die Geschichte sagt: er schickt es. Tatsächlich. Er schickt den Engel. Den Freund. Den klaren Gedanken. Die Liebe des Lebens. Das tröstende Wort. Den Schlaf zur rechten Zeit.

Von guten Mächten wunderbar geborgen – so drückt das Dietrich Bonhoeffer aus. Inmitten von Qual, Kälte und verzweifelten Momenten ist dies bekannte Gedicht am Wechsel zu seinem letzten Lebensjahr entstanden. Trotz der Dunkelheit des Kellergefängnisses sind die Zeilen durchwoben von lichter Hoffnung. Und von einer- ja unglaublichen! – Freiheit. Freiheit in den Gedanken, die etwas glauben. Ganz real. „Ich glaube“, sagt Bonhoeffer im Angesicht der Nazi-Schergen, „ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.“ Darum sollen wir beten. Als Freunde. Geschwister, über die Grenzen der Nationen hinweg. Deshalb sollen wir beten, dass den aufgeschreckten Seelen Heil widerfährt. Dass uns die Zuversicht nie verlasse: Gott ist mit uns ist am Abend und am Morgen.

Es graut schon der Morgen, als Petrus (so herrlich frei!) an sein Haus klopft. Doch keiner hört ihn zunächst. Sie beteten ja. Für ihn. Ohne Unterlass. Nur die Magd, das Röschen, hört und sieht ihn und läuft freudig zu den anderen. Allerdings ohne ihn ins Haus zu lassen. In dem Maße, wie das Böse weicht, setzt sich in unserer Geschichte ein erfrischender Humor durch. Sozusagen die Leichtigkeit des Engels. Denn ausgerechnet sie, die im Haus für ihn beten, sagen: „Unglaublich. Das kann doch nicht wahr sein!? Das Röschen spinnt.“ Sie glauben nicht an die Kraft ihres eigenen Gebetes. Ausgerechnet sie, die in den Kirchen sitzen und sich dem Wunder öffnen wollen, sind allzu oft leider eine geschlossene Gesellschaft. Da hilft nur: Anklopfen. Kräftig. Und es wird ihm aufgetan. Jedenfalls früher oder später.

Lassen wir ihn eintreten, liebe Gemeinde. Den Engel Gottes. In unser Lebenshaus. Ich glaube daran, dass Gott uns Engel schickt, leise, leicht, licht. Manchmal sind sie auch dick oder alt, haben ganz kleine Hände und tragen statt der Flügel kurze Hose. Immer aber haben sie Kraft. So dass Ketten fallen und eiserne Tore brechen –

Daran glaube ich:

Täglich begleitet mein Engel mich

wie ein einziger Segen.

Manchmal streitet er sich  –

für mich. Für dich.

Hebt uns auf starken Armen

hinüber ins Leben.

Er ist nicht leicht,

mehr quadratisch gebaut

liebt es laut

und kraftvoll eben,

kann trotzdem schweben

an meine Herzhaut,

an deine auch?

Was für ein Segen…

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Datum
23.09.2012
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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