Hauptkirche St. Michaelis

24. Dezember 2012 - Predigt im Gottesdienst zur Christnacht

24. Dezember 2012 von Kirsten Fehrs

Predigt zu Lukas 2 / Ezechiel 37, 24-28

  Liebe Festgemeinde!

Zu den schönsten Weihnachtsgeschichten (abgesehen natürlich von dem Original des Lukas) gehört für mich die Geschichte vom kleinen Wirt. Ich erzähle kurz das Wesentliche:

 

Turbulenzen und Krisenstimmung stören die letzten Vorbereitungen des Krippenspiels: Wenige Stunden vor der Aufführung erkrankt der Wirt. In letzter Minute springt Tim, der kleinste Bruder vom Josef, ein und wird eilig eingewiesen. Eigentlich müsse er nur eines tun: Wenn er etwas gefragt wird, klar und deutlich „Nein!“ sagen. Die Vorstellung beginnt. Maria und Josef erreichen müden Schrittes die Herberge und fragen: „Habt Ihr ein Zimmer frei?“ Antwort vom kleinen Wirt: „Aber ja!“  Und als nach dem ersten Schock der verzweifelte Josef entgegnet: „Ihr lügt!“ antwortet er warmherzig: „Nein, nein, kommt nur herein!“ Das Chaos wird zwar während der Aufführung noch irgendwie geordnet. Doch danach, hinter der Bühne geht´s dann zur Sache. Der Josef hätte so eine traurige Stimme gehabt, verteidigt Tim sich gegen die wütenden Mitspieler, da hätte er nicht nein sagen können und zu Hause hätten sie auch immer Platz für alle, notfalls auf der Luftmatratze. Nach etlichen Ermahnungen schließlich gelobt er Besserung. Dennoch getraut sich bei der zweiten Aufführung das hochheilige Paar schon gar nicht recht an die Herberge heran. Als sie zaghaft klopfen, bleibt alles still. Maria entringt sich ein verzweifeltes Schluchzen. Schließlich ruft Josef mit lauter Stimme: „Hier ist wohl kein Zimmer frei?“  Und in die atemlose Stille hinein ertönt ein leises, aber eindeutiges: „Doch.“

 

In diesem ordnungswidrigen kleinen „Doch!“  steckt die gesamte Weihnachtsbotschaft, liebe Gemeinde. Denn an Weihnachten, das ist das Erste, kommen wir doch nach Haus!  Da stehen wir nicht vor verschlossener Tür, sondern sind von Herzen willkommen. In unseren Familien und natürlich auch hier, in der Herberge Gottes. Mit offenen Armen nimmt Gott uns auf, samt dem Lebenspäckchen, das wir tragen. Samt unserem Glück und unserer Trauer vom vergangenen Jahr. Samt unseren Nöten und Hoffnungen. All dies hat Raum in dieser Herberge; wir können zur Ruhe kommen. Wir müssen hier nun nichts mehr erreichen – außer uns selbst.

 

Deshalb ist das herzliche Doch! so wichtig. Damit wir eintreten in unser Inneres. Uns öffnen für das Herzenswort, das eben nicht nur den Verstand erreichen will. Gott will bei uns wohnen, heißt es dazu im Predigttext. Er will – viermal in einem Bibelvers. Das heißt: Er sehnt sich geradezu danach, unser Leben zu teilen. Deshalb ist er auf die Erde gekommen. Hier ist sein Ort. Mitten unter uns sagt er: Friede sei mit dir. Und auch, wenn man dieses Geheimnis gar nicht so genau erklären kann, fühlt man doch, was für ein friedvoller Moment das ist. Die tiefe Angst, ob es denn in dieser Welt überhaupt einen Ort gibt, wo ich hingehöre und angenommen bin, löst sich. Doch!, heißt es. Uns verbindet große Zugehörigkeit. Zu Gott, dem Vater, der Mutter, dem Kind.

Wir sind angekommen.

 

Ankommen ist das Eine in der Weihnachtsgeschichte. Zugleich ist sie eine von Grund auf bewegte, wir haben es eben gehört. „Da machten sich auf auch Josef“ und Maria und dann die Engel und die Hirten, und schließlich bewegte Maria alles ihrem Herzen. Weihnachten setzt unzählige Menschen und Schritte in Gang, mit letztlich überraschendem Ziel. Kein Palast für den, der da kommen soll, sondern ein Stall. Und so stehen sie, stehen wir nun an seiner Krippen hier – o Jesu, du mein Leben. Er ist mein Leben jetzt. Das andere Leben, das ich sonst lebe, soll ich nun einmal loslassen. Später, nach dieser Weihnacht, kehre ich an die Arbeit zurück wie die Hirten auch. Aber nicht jetzt. Jetzt stehen die Hirten da, die Hüte an die Brust gedrückt und schauen auf den, der die Welt umarmen möcht´. Und wir stehen da mit ihnen. Friedensleis. Mit klopfendem Herzen und so sicherer Hoffnung. Und sind, so Gott will, nun zu Haus.

Für den Propheten Ezechiel wäre ein solcher Moment die Erfüllung größter Sehnsucht gewesen. Denn vor 3000 Jahren gab es keine Hoffnung und keinen Frieden. Ezechiel stand vor verwüsteten Feldern und rauchenden Trümmern. Und nicht nur er. Das ganze Volk Israel war gebannt in seiner Heimatverlorenheit. In dieser hoffnungsarmen Situation macht Ezechiel etwas, was die Menschen verändert hat: Er erinnert an die alten Verheißungen. „So spricht Gott: Sie sollen wieder in dem Lande wohnen, in dem eure Väter gewohnt haben und mein Knecht David soll für immer ihr Friedefürst sein. Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen. Ich will unter ihnen wohnen und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein.

 

Und ich will unter euch wohnen und einen ewigen Bund des Friedens schließen. Darauf geht alles Sehnen. Wie mag man dies heute, Weihnachten 2012, in Bethlehem hören, frage ich mich? Steht man doch dort weniger vor der Krippe, als vielmehr vor einer 8 m hohen Mauer, die durch diesen sehr kleinen Ort hindurch geht. Sie ist Stein gewordenes Symbol eines endlos scheinenden Krieges zwischen Israelis und Palästinensern, der unvereinbaren Trennung zwischen Juden, Moslems und Christen, Orthodoxen und Gemäßigten, sie alle gleichermaßen in Angst vor dem Terror und der Gewalt des anderen. Wann, o Gott, wird das Licht des Friedens sie erreichen?

Jedes Jahr wieder, wenn ich als Christin laut bekenne, dass die weihnachtliche Friedensverheißung in Christus wahr geworden ist, ja dass mit diesem kleinen Kind auch das Böse in uns umarmt wird, um es zu überwinden, jedes Jahr wieder fühle ich den Schmerz über die Verlorenheit, die die Menschen an so vielen Orten der Erde friedlos macht und kalt. Dass etwa der Amokläufer in Newtown sich nicht hat erweichen lassen durch die kindliche Zartheit dieser Erstklässler! Was für eine Trauer dort.

 

Und hier geht mir besonders nach, wie die intoleranten Töne stärker werden. Gerade was die Religion betrifft. Und es zeigt sich: so viele sind in ihrer Religion gar nicht mehr zu Hause  und damit auch nicht mehr in ihren alten Verheißungen. Wir sind nicht mehr zu Hause in unseren Friedenssehnsüchten! Und das richtet im modernen  Menschen etwas an: Ohne Erinnerung an die Errettungen, an die Freiheit, ohne Glaube und ohne Gebet hat der Mensch nicht nur Gott, sondern seine Hoffnungen verloren. Es gibt so viele hoffnungslose Menschen in unserer Gesellschaft! Die es für naiv halten oder gar zynisch, wenn wir in unseren Religionen mit großem Ernst auf Veränderung hoffen. Wenn wir bitten, handeln, ringen, widerstehen, damit der globalen Maßlosigkeit Einhalt geboten wird. Oder der sozialen Kälte. Oder der Gewalt – besonders an Kindern.

 

Deshalb jedes Jahr wieder diese alte Geschichte: Gott will bei uns wohnen – in diesem kleinen Kind. So nackt und bloß auf dem kalten Boden weiß es nämlich, dass es auf etwas ganz anderes ankommt als auf äußere Mauern und wehrhafte Panzer. Seine Wehrlosigkeit ruft - im Gegenteil - uns zu: Entwaffnet euch! Friedvoll leben ist doch viel mehr als vermeintliche Sicherheit. Frieden hat etwas damit zu tun, der Hoffnung auch innerlich eine Heimat zu geben. In und mit dieser Hoffnung andere zu halten und sich zu verschenken. Sich zu verschenken mit der unaufhörlichen Sehnsucht nach Menschenrecht und Liebeswort. Und ich sehe, wie das Gotteskind uns trotz der widrigen Umstände so freundlich anschaut und frage mich: Gibt es einen Weg, dass die so vielen erschöpften, enttäuschten, bitter gewordenen Menschen unserer Tage wieder in ihren Träumen vom Leben ankommen? Vielleicht durch eine wahre Hoffnungsgeschichte. Von Saskia, die mir kürzlich fröhlich und lebendig wie sie ist, sagt: „So viele brauchen Hoffnung. Und ich kann glücklicherweise sagen: Ich bin die Hoffnung.“ Und sie erzählt, dass ihre Eltern ihr erstes Kind verloren hatten. Man hatte ihnen dringend abgeraten, noch ein Kind zu bekommen. Und dann sei sie gekommen, ganz bewusst in diese Welt geboren. Die Hoffnung eben in Person. Zeichen dafür, wie viel man übersteht. Wie Gott Trauer in einen Reigen verwandeln kann. Und ich schaue sie an, was für eine Lebensfreude sie ausstrahlt. Und denke: O wie lacht, holder Knabe im eiskalten Stall.

Es gibt so oft ein „Ja, doch!“ , liebe Gemeinde. Ja doch! in den ganzen Verneinungen, die wir erfahren. Ja doch, gerade weil das Gotteskind nicht nur Friedefürst heißt, sondern auch Armut, Flüchtling und vom Tode Bedrohter. Auch mit diesen Namen will er unter uns wohnen. Er will, dass wir ihm Bleiberecht gewähren. Und sagen: Ja doch! Zimmer frei.

 

Damit die Hoffnung einziehen kann. Darauf, dass der Bund des Friedens uns verändert. Uns stärkt im Zusammenhalten. Im Miteinander. Eltern und Kinder können dies einander gewähren, aber auch Menschen in allen nur denkbaren und unverhofften Konstellationen. Wir erleben es ja in diesem Moment. Dass man eine Heimat erreicht, die etwas ganz anderes meint als ein Weihnachtsidyll. Eine Heimat, die dein Glück, die neue Liebe, deinen Traum ebenso aufnimmt  wie das Unbehauste, Wütende, Verlorene in dir.

 

Gottes Wohngemeinschaft ist unzerstörbar ein Haus, in dem Menschen beieinander sind, Mitgefühl üben und feierlich einander sagen: Friede sei mit dir. Und deshalb können wir auf die Frage: Sollen wir auf einen anderen warten? nur sagen: Nein, nein, wir sind angekommen. Angekommen in der Reihe der unbeirrbar Hoffenden, die spüren:

 

Diese Weihnacht

ist so anders als alle anderen Nächte.

Friedensworte lassen sich liebkosen

wie einen lieben Menschen,

Glaube lässt sich

in beide Arme nehmen und

Liebe darf mietfrei

in jedem wohnen.  Jeden Tag.

 

Übrigens, liebe Gemeinde, auch für Tim hat sich seine Hoffnung erfüllt. Nicht zum Stern, aber Engel wurde er befördert. Man hatte ein Einsehen mit seiner Herzlichkeit und gab ihm Flügel. So hat er denn manch Halleluja gesungen und konnte einfach nicht aufhören damit, glücklich, endlich am richtigen Platz im Leben angekommen zu sein.

 

Fröhliche Weihnachten, liebe Gemeinde. Denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne und Hoffnungen in Christus Jesus. Amen

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