Chorfest Dreiklang 2012 - Dorfkirche zu Greifswald-Wieck - 12. Sonntag nach Trinitatis

26. August 2012 - Predigt zu Apg 3, 1-10

26. August 2012 von Hans-Jürgen Abromeit

Die Kraft des Namens Jesu

Liebe Gemeinde,

manchmal wird das Leben noch einmal geschenkt. Nach einer schweren Krebsoperation schrieb mir vor einigen Monaten ein älterer Pfarrer: „’Dir ist das Leben noch einmal geschenkt worden’, sagte eine Nachbarin. Ja, so ist es.“ Auch diesem Gelähmten vor der Pforte des Tempels in Jerusalem ist das Leben noch einmal geschenkt worden. So wird uns diese Frage bei diesem Chorfest durch das Bibelwort gestellt: Wie wird einem das Leben noch einmal geschenkt?

Aber damit wird unser Chorfest in eine ganz neue Dimension hineingestellt. Das gemeinsame Singen ist nicht eine beliebige Freizeitbeschäftigung, wie das Kegeln, das Segeln oder das Fußballspielen. Die einen lieben es, die anderen lassen es. Ja, man muss nicht im Chor singen, aber das gemeinsame gesungene Gotteslob auch in spontan entstehenden Gemeinschaften, wie beim Gottesdienstbesuch sollte man sich nicht entgehen lassen. Das Lob Gottes entfaltet Kräfte, die das Leben gesund machen. Es hilft, die Kraft des Namens Jesu im Leben zu entfalten. Den Hintergrund für diese segensreiche Folge zeigt uns die heute Morgen vorgelegte Geschichte aus dem Handeln der ersten Apostel. Es gibt das Phänomen, dass wir gelähmt sind, obwohl wir gerade Beine haben. Der Grad mag unterschiedlich sein, aber diese Alltagslähmung dürfte niemanden von uns unbekannt sein. Ich nenne einige Beispiele: Du siehst die Arbeit, du weißt, was zu tun ist, du überlegst dir, wie du es anfangen könntest, aber du tust es nicht. Du hast Probleme mit deinem Partner oder mit deinen Kindern, du weißt, du müsstest daran, dir legen sich auch erste Schritte nahe, hier müsste eine Entschuldigung ausgesprochen werden, dort könnte man jenes aus dem Weg räumen, aber nichts fasst du an.

Die Mechanismen sind unterschiedlich, aber gemeinsam haben sie, dass die eine Ziel führende Handlung ausbleibt. Du bist wie gelähmt. Es gibt richtige Vermeidungsstrategien, die Ausdruck einer solchen Lähmung sind. Statt der geforderten Handlung steigerst du dich vielleicht in eine höchst aktive, aber nicht Ziel führende Tätigkeit. Z. B. ist Studenten vor Prüfungen dieses Verhalten bestens bekannt. Statt sich auf die anstehende Prüfung gezielt vorzubereiten, statt alle Kräfte zu mobilisieren, damit diese Hürde genommen wird, wird nicht gelernt, sondern das Studentenzimmer aufgeräumt, der längst notwendige Abwasch erledigt, die Schuhe geputzt (was der Student sonst nie gemacht hatte) und alle anderen durchaus sinnvollen Tätigkeiten erledigt, die aber jetzt gar nicht dran gewesen wären. Man tut etwas, aber das Problem wird dadurch nicht kleiner. Am Ende ist der Mensch müde und leer und meint, vor der anstehenden Leistungskontrolle verzweifeln zu müssen. Aber eben das ist die Lähmung: Du weißt genau, was zu tun ist, aber du tust es nicht! Dadurch werden die Probleme immer größer. Wir wissen, dass hier auch die Ursache für manche Alkohol- oder Tablettenabhängigkeit liegt. Vor Jahren lerne ich einmal eine junge Frau kennen, die ein nettes Wesen hatte, sich aber irgendwie von all den Anforderungen, die im Beruf und sozialen Beziehungen an sie gestellt wurden, überfordert fühlte. Und in der Tat, eine Lähmung stellte sich ein. Zuerst waren die Gliedmaßen nur noch bei Schmerzen gängig, schließlich wurde es so schlimm, dass sie an den Rollstuhl gefesselt war. Am Ende verbrachte sie die meiste Zeit ihres Tages im Bett. Sie brauchte sogar eine Haushaltshilfe, die ihre kleine Wohnung in Ordnung hielt. Es wurde immer schlechter. Wir brachten sie von einem Arzt zum andern. Die besten Experten untersuchten sie. Man fand hier einen Anhaltspunkt für eine Krankheit und dort. Aber am Ende war klar: Organisch fehlte der Frau nichts. Ihr Leiden war rein psychosomatisch bedingt. Sie war vom Leben überfordert. Die alltäglichen Anforderungen drückten sie nieder und lösten eine körperliche Lähmung aus.

Ich habe später lernen müssen, dass solche psychisch bedingten körperlichen Lähmungen gar nicht so selten sind. Ich weiß nicht, ob auch in dieser Geschichte, die die Apostel Petrus und Johannes an der schönen Pforte des Tempels in Jerusalem erlebt haben, eine solche Art von Lähmung vor Augen hat. Aber ich weiß, dass die Art und Weise, wie Petrus und Johannes die Lähmung angehen, für jede Art von Lähmung Hilfe bringen kann. Wenn wir genauer hinschauen, sehen wir drei Verhaltensweisen, die Lähmung zu überwinden.

Dies sind:

  1. Heilende Lebensrhythmen,
  2. die Zuwendung im Namen Jesu und
  3. die Unterstützung sicherer Tritte.

1.      Heilende Lebensrhythmen

Unsere kleine Geschichte beginnt damit, dass die Apostel Petrus und Johannes zu einer bestimmten Stunde in den Tempel in Jerusalem gehen. Es ist die 9. Stunde, „zur Gebetszeit“. Wir wissen, dass die Urgemeinde sich regelmäßig zu den üblichen jüdischen Gebetszeiten im Tempel versammelt hat. Wenige Verse vor unserem Predigtabschnitt wird von der ersten Gemeinde berichtet: „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.“ (2, 42) Die beiden Jünger Jesu gehen nachmittags um drei in den Tempel, um an dem üblicherweise hier abgehaltenen Gebet teilzunehmen. Wir sollten es nicht unterschätzen, welche positiven Kräfte von guten Gewohnheiten ausgehen. Die Gewöhnung an bestimmte Gebetszeiten ist sehr hilfreich. Sie wird von uns unterschätzt. Eine feste Gebetsordnung hilft dazu, dass unser Leben in eine Grundordnung hineinkommt. Jesus selbst hat sich in eine solche Ordnung hineingestellt und seine Jünger haben dieses Verhalten mit ihm geteilt.

Aber auch der Gelähmte wurde offensichtlich regelmäßig – das Bibelwort sagt „täglich’“ – vor die Tempelpforte gelegt. Das lebensabträgliche Chaos kann schon dadurch etwas gemindert werden, dass Rhythmen in unserm Leben wiederkehren. Unterschätzen Sie deswegen bitte nicht die Hilfe, die solche persönlichen Rhythmen unserm Leben geben. Gebetszeiten  z. B. geben dem Leben eine heilende Struktur. Ähnlich ist es mit dem regelmäßigen sonntäglichen Gottesdienstbesuch. Gerade wir Protestanten nehmen uns da eine für uns selber abträgliche Freiheit heraus. Die undiskutierte Selbstverständlichkeit des sonntäglichen Gottesdienstbesuchs entfaltet eine gesundmachende Wirkung. Aber auch andere gute Gewohnheiten können Ordnung in unser Leben bringen und Teil eines heilenden spirituellen Rhythmus werden. Dazu zähle ich auch die wöchentliche Chorstunde, in der gute Worte auf gehobene sprachliche Weise in melodischer Gestaltung in unser Unterbewusstes hinein gesungen werden.

2.      Zuwendung im Namen Jesu

Nun liegt dieser Mann, wie jeden Tag, an der Pforte des Tempels und in diesem Augenblick treten die beiden Jünger Petrus und Johannes an ihn heran. Wie beinahe jeden spricht er sie an und bittet um eine Spende. Er hat diese ihn erniedrigende Handlung so in sein Inneres hinein genommen, dass es schon sein Wesen prägt. Aber Petrus und Johannes schauen ihn an und fordern ihn auf: „Sieh uns an!“ Und nun schaut dieser Mann hoch und wartet darauf, dass er von den Aposteln eine Gabe bekommt. Doch Petrus sagt ihm: „Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!“ Was muss nun nicht alles durch den Kopf dieses Mannes geschossen sein? Was sind das für Menschen, die auf seine notwendige Bitte um etwas finanzielle Unterstützung lediglich mit einem Blick antworten und ihm dann auch noch ihre Armut gestehen?

Nein, die Apostel haben kein Geld. Sie sind Repräsentanten einer armen Kirche. „Silber und Gold habe ich nicht.“ Aber sie wissen einen Weg, wie eine Veränderung in das Leben dieses Gelähmten hineinkommen kann. Diese Veränderung hat drei Elemente. Zuerst verweist Petrus auf den Namen Jesu. Wenn ich auf den Namen eines anderen verweise, dann zeige ich an: Ich handle nicht in eigener Autorität und Macht. Ich habe nicht die Kraft, hier zu helfen, aber ich weiß den Ursprung einer helfenden Macht. Aber das, was ich hier machen kann, ist keine magische Handlung. Ich verfüge über diese Kraft nicht, sondern diese Kraft hat einen Namen, sie ist Person und sie hat den Namen Jesus Christus. Es ist dieser einmalige Herr, dessen Leben durch seine Herkunft aus Nazareth bestimmt ist, und dessen Leben diese besondere Signatur erhalten hat. Es ist der Mann, der sein Leben gebraucht hat, um das lösende Wort Gottes zu verkündigen, anderen beizustehen und dem dieses Leben den Tod gebracht hat. Seine Hingabe war so groß, dass sie ihn in das Leiden führte und schließlich am Kreuz endete. Aber Gott hat an diesem einmaligen Menschen seine Kraft bewiesen und ihn von den Toten auferstehen lassen. Und weil diese Kraft Gottes in Jesus Christus unter uns Menschen gekommen ist, deswegen kann Petrus den Gelähmten auch auffordern, steh auf und geh umher. Nicht in Petrus und Johannes, aber in Jesus Christus stehen Kräfte, die die Lähmung überwinden können. Es kommt für uns als Kirche auch darauf an, dass wir den Anschluss finden an diese Macht, die Lähmung heilen kann.

3.      Sichere Tritte tun!

Aber Petrus redet nicht nur, er tut auch etwas. Das Bibelwort sagt es sehr eindrücklich: „Er ergriff den Gelähmten bei der rechten Hand und richtete ihn auf.“ Dass die Situation verändernde Wort und die unterstützende Handlung müssen zusammenkommen. Die Kirche ist gefordert, ihre Verkündigung durch helfende Handlungen zu begleiten. Und jetzt passiert etwas, was ausführlicher kaum geschildert werden kann: Sogleich wurden die Füße und Knöchel des Gelähmten fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.“ (7 b, 8)

Schärfer kann man den Kontrast, der durch den Zuspruch des Apostels Petrus eingetreten ist, von dem bisherigen Leben des Gelähmten nicht zum Ausdruck bringen. Siebenmal werden uns Verben der Bewegung geschildert. Der heilende Einfluss Gottes auf unser Leben geht aus vom Zuspruch des Wortes und der begleitenden helfenden Tat seiner Gemeinde. Das Ziel ist das Lob Gottes.

Natürlich haben wir vor Augen, dass im Tempel in Jerusalem gewiss viel mehr Kranke und Gelähmte, Hilfsbedürftige und Leidtragende sich aufgehalten haben als die, denen Petrus und Johannes hier geholfen haben. Auch vor der Pforte unserer Kirche liegen viele, die schuldlos in höchst schwierige Lebenslagen gekommen sind. Ich denke an die Menschen, die durch die Werftenkrise in unserer Region in eine Lage gekommen sind, die ihnen die Lebensgrundlage nimmt. In dieser unvollendeten Welt erleben wir nun zeichenhaft die Überwindung des Leids. Einzelnen Leidenden wird geholfen, aber das Leid als solches gehört zum Wesen dieser Welt. Es wird gelitten und erduldet. Aber hier und da erleben wir auch die Überwindung des Leids. Heute muss gesagt werden, dass dabei nicht selten Musik im Spiel ist und wir Ansingen können gegen die Überwindung der Angst. Es ist vor allen Dingen eine Musik im Spiel, in deren Zentrum dieser Name steht, den auch diese Geschichte groß macht, der Name Jesu Christi von Nazareth. In ihm begegnen wir einer Macht und einer Person, die das ganze Leben wenden kann. Wie schrieb mir der ältere Herr ? „’Dir ist das Leben noch einmal geschenkt worden’, sagte eine Nachbarin. Ja, so ist es.“ Amen.

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