Chorfest Dreiklang 2012 - St. Marien zu Greifswald - 12. Sonntag nach Trinitatis

26. August 2012 - Predigt zu Psalm 147 und Markus 7, 31-37

26. August 2012

Liebe Gemeinde!

 

Im Urlaub habe ich gelesen: "Die Perspektive des Gärtners" von Hakan Nesser. In einer fast ausweglosen Situation ihres Lebens sitzen Erik und seine Frau Winnie in der Oper – Rigoletto von Guiseppe Verdi. Erik schildert die Szene: "...Weder Winnie noch ich sind besonders begeistert von der Oper..., aber während des berühmten Quartetts spüre ich, wie plötzlich Tränen in mir aufsteigen. Ich kann sie nicht zurückhalten, und unbewusst taste ich im Dunkel nach Winnies Hand. Ich finde sie, vielleicht ist es auch sie, die mich findet, und während der schmerzhaft schöne Gesang erklingt und ausklingt, spüre ich einen unerwarteten Trost. Vielleicht liegt er in der trivialen Tatsache begründet, dass Musik...die Fähigkeit besitzt, über die Ohren direkt ins Herz zu gehen, ohne den Umweg über den Kopf nehmen zu müssen..."

Musik – über die Ohren, direkt ins Herz – vielleicht war es ja auch so bei dem Taubstummen, in der Heilungsgeschichte, die wir eben gehört haben: Hefata! – Tu dich auf! – über die Ohren direkt ins Herz. Und die Ohren taten sich auf und die Fessel der Zunge wurde gelöst! Die verstopften Ohren wurden frei, der verstopfte Mund öffnete sich – Halleluja! Lobet den HERRN!

„Halleluja! Lobet den HERRN! Denn unseren Gott loben, das ist ein köstlich Ding, ihn loben ist lieblich und schön!““ – so ruft uns der Psalm 147 an diesem Sonntag auf: Gott loben und von seiner Größe singen vor der Welt! Im Dreiklang miteinander besingen Gottes Schönheit und Güte – und die Schönheit der Welt, seiner Schöpfung!

Musik, diese Gottesgabe, ist der Atem des Glaubens, hat mal einer gesagt. Und sie macht auch diesen Gottesdienst wieder festlich und reich. So wie schon all die Kirchen und öffentlichen Plätze in der Musikstadt Greifswald in diesen Tagen.

„In jeder andächtigen Musike ist Gott in seiner Gnade Gegenwart“, so hat es Johann Sebastian Bach in seine Bibel geschrieben, die er zum Komponieren benutzt hat! Und das erleben wir doch in diesen Tagen hier mit allen Tönen, die uns beim Chorfest entgegen brausen.

„Und die Menschen wunderten sich über die Maßen und sprachen: Christus hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.“ – so heißt es in der Heilungsgeschichte.

Ist das nicht Musik in den Ohren vieler Menschen, die sich sehnen nach Geborgenheit, nach neuer Kraft?  Ja, eine Einladung – vorbehaltlos, ohne Einlasskarte: frei, umsonst – an alle. So großzügig lädt Gott ein. Ein Wunder! Und wir wissen oder ahnen und glauben: auch die, die nicht hören können mit den Ohren, gehen mit im Dreiklang der Musik, spüren ihre heilsame Wirkung: man hört auch mit den Augen, mit den Händen, mit der Nase – wie man auch sehen kann mit den Ohren und riechen mit den Augen. Musik ist ein Fest aller Sinne.

Gott lädt alle ein zu seinem Fest des Glaubens – so wie damals auf den Gassen von Sidon so auch heute in den Straßen von Greifswald. Alle sind eingeladen; alle, die nichts mehr hören können vor lauter Stimmengewirr und Alltagslärm, alle, denen es die Sprache verschlagen hat vor lauter Unmut oder Hoffnungslosigkeit. Kommt her, zu mir alle – ruft Jesus ihnen zu – und so singen es die vielen Sängerinnen und Sänger in diesen Tagen.

Und es ist zu erleben, wie die Sängerinnen und Sänger die Stadt prägen -  nicht nur, weil sie viele sind, sondern weil sie einen neuen, überraschenden Ton anstimmen, der direkt in die Herzen geht. Da sind Staunende, Skeptische, Mitsingende, Mitschwingende…

Nein, unsere Lieder singen nicht weg all den Jammer und all die Sorge. Nicht die Sorge um den Frieden in der Welt; nicht auch die Sorgen der vielen in Stralsund und Wolgast, die um ihren Arbeitsplatz fürchten; singt nicht weg die Wut und die Enttäuschung. Aber: der Gesang behauptet trotzig eine andere Macht in dieser Welt! Singt von einer Kraft, die mehr ist als unsere Kraft. Gibt der Klage Raum und Stimme. Fördert vor allem Widerspruch und Widerstand: und wenn die Welt voll Teufel wär…

Martin Luther hat die Kirche und das Kirchengebäude gelegentlich mit einem Krankenhaus, einem Spital, verglichen, das für alle Menschen offen steht und in das alle kommen können, die von Gott Gutes erwarten: Heil für Leib uns Seele. Die Kirche also ein großes Hospital, in dem die Tauben freie Ohren bekommen und die Sprachlosen eine neue Sprache der Hoffnung und der Zuversicht finden! Die Mühseligen und Beladenen, die Kranken und Bedrückten an Leib und Seele; diejenigen, die leiden und krank werden vom Druck im Berufsleben und vom Stress im Alltag. Die Hechelnden und die Rasenden, die Lastenträger und diejenigen, die an der Last tragen, nicht gebraucht zu werden in der Arbeitsgesellschaft. Gerade für sie alle gilt, was das Volk Israel so schmerzhaft erfahren hatte in seinem Exil in Babylon: das Verstummen in Leid und Jammer, angesichts scheinbarer und gespürter Ausweglosigkeit ist der Anfang vom Ende erst. Das Heraus-Rufen auch der Verzweiflung, der Wut und der Klage, der Bitte und der Sehnsucht nach Überwindung ist der Aufstand, der nicht hinnehmen will die Ungerechtigkeit, der der Klage nicht den letzten Ton überlässt, der alles weitere regiert. Im Dreiklang aufstehen gegen alle Misstöne des Unfriedens: das ist unser Auftrag als Kirche im Norden.

Ich habe mal bei Google das Wort „Dreiklang“ eingegeben:

„Ein Dreiklang ist ein Klang aus (Achtung, Überraschung!) drei Tönen, die nacheinander oder gleichzeitig erklingen können.
Es gibt recht viele unterschiedliche, teilweise exotische Kombinationen von drei Tönen…“ – Vielleicht ist die neue Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland ja eine exotische Kombination aus drei Tönen. Wichtig ist doch: der Dreiklang ist die Grundlage aller Harmonie. Auch wer nichts von Musik versteht, der hört, wie die Töne zueinander klingen und zueinander stehen; wie mal der eine, mal der andere den Ton gibt, vorklingt oder nachklingt. Und wie ohne die anderen Töne keine Melodie entsteht. „Die Kombination der drei Klänge verändert sich, jeder mal Grundton, jeder mal Mittellage…“, lese ich bei Google. Und: „ Dreiklänge sind die Grundlage der harmonischen Struktur der Musik, sie sind dafür hauptverantwortlich, dass wir … von Musik nicht in Ruhe gelassen werden. Dreiklänge stehen in Beziehungen zu einander. Besser: sobald Musik erklingt, fängt der Hörer an, mitzudenken, voraus zu ahnen, zu empfinden, zu bewerten.
Dreiklänge ruhen in sich, weil sie schön klingen, sie klingen dissonant und stiften Unruhe, sie gruppieren sich zu Kadenzen, sie wollen Spannung auflösen. Wenn ein Dreiklang oder Akkord …so viel Spannung enthält, dass der Hörer mit ihm als Schluss unzufrieden wäre, strebt er nach Auflösung, d. h. er wird entweder in sich verändert, oder er bewegt sich überhaupt zu einem neuen Zielklang weiter.“

Das wollen wir als Kirche auch, damit wir gehört werden, damit man gespannt ist auf uns und mit uns: in uns ruhen, weil Gott selbst die Töne in den Mund legt; dissonant klingen, wenn nötig und Unruhe stiften – nicht nur einlullen in Wohlklang, sondern uns verändern lassen und Missklänge auflösen hin zum Frieden und zur Ruhe..

Ich finde es ein wunderbares Zeichen, dass wir als neue, junge Kirche das erste Fest nach der Gründung als Fest der Chöre feiern, als Dreiklang voller Spannung und Harmonie. Und das im Themenjahr der Musik auf dem Weg zum Reformationsjubiläum!

Ja: wir singen nun gemeinsam unser Halleluja. Wir tun unsere Stimmen zusammen, kombinieren sie – mal so und mal anders, mal exotisch, mal ganz klassisch. Wir wissen als erprobte Chorsängerinnen oder Chor-Hörer: jede Stimme ist wichtig, jeder Ton braucht seinen ganz eigenen unverwechselbaren Platz, damit es klingt, als rufe eine Stimme: Halleluja, lobe den Herrn! Es gibt keinen Chor ohne einzelne Stimmen mit ihrem je eigenen Charakter. Und es kommt beim Singen darauf an, dass wir recht hören – aufeinander, auf die Töne um uns herum. Dass wir einschwingen in den Rhythmus, dass wir das Tempo aufnehmen. Dann wird das Heilsame spürbar, der Lobgesang, der zum Grundton führt, den Gott selber setzt:

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid – Ich will euch erquicken…“, sagt Jesus.

Ich will euch stärken, aufbauen. Erquicken wie an einer klaren Quelle frischen Wassers. Damit du auf die Beine kommen kannst. Damit du gehen kannst mit den anderen neben dir: Lasten tragen helfen den Mühseligen; Worte finden für die Sprachlosen.

In der Erzählung der Heilungstat Jesu ist eine Spannung zu spüren: Es gibt da schon Leute, die haben gehört das Gerücht von dem guten Gott, der den Seinen Frieden und Gerechtigkeit schaffen will. Es gibt sie, die Freunde, die den Taubstummen zu Jesus schleppen, weil sie Gutes für ihn von dem Heiland erwarten. Hören und vertrauen auf das Gerücht von Gott, ja, darauf kommt es allemal an. Und genau darum, liebe Schwestern und Brüder, machen wir auch hier so ein Chorfest, um weiter zu erzählen und weiter zu singen die gute Botschaft von Jesus Christus als dem Herrn und Heiland der Welt. Wir wollen und sollen nicht unter uns bleiben wollen – das gute Wort es will heraus aus den Kehlen, es will laut werden und gehört werden auf dem Marktplatz. Das Evangelium ist ein Wort für alle – es will nicht versteckt werden, sondern öffentlich seine heilende Wirkung entfalten – über die Ohren, direkt ins Herz!

„Singet dem HERRN, ein neues Lied, denn er tut Wunder!“

Wer singt, öffnet sich. Der gibt von sich, was er glaubt, was ihn oder sie erfüllt; gibt her von seiner oder ihrer Kraft. Und: wer singt, dient nicht nur einem schönen kulturellen Erlebnis, sondern setzt sich und die Hörenden auf eine Spur: Hefata – Tu dich auf!

Heilsam ist das für Singende und Hörende gleichermaßen.

Singen heißt: hinaus gehen, aus sich heraus kommen, nicht bei sich behalten und bleiben. Ist Einatmen und Ausatmen; Hören und Reden.

Nein, wer singt, bleibt nicht bei sich selbst. Und behält Gott nicht für sich.

Das ist ein Bild für den Glauben insgesamt: er will hinaus. Will nicht nur ergötzen das eigene, fromme Ich. Will stiften Kraft des Lebens.

Darum gehören Beten und Tun des Gerechten zusammen!

Wer den Grundton Gottes, den des Friedens und der Verheißung, das Recht und Gerechtigkeit fließen sollen wie ein Bach – wer diesen Grundton anstimmt, der weckt Erwartungen, dass die anderen Töne folgen, damit es klingt: dass wir uns bewegen hin zu denen, die Mühselig sind und beladen; dass wir teilen, was wir zum Leben haben mit denen, die hungern nach Brot und Frieden. Dass wir hinaus gehen, hin zu den Werfttoren, die Menschen dort abholen, sie bringen zu der Quelle frischen Wassers, die wir kennen und von der wir singen: die Menschen bringen zu Jesus – wie es die Leute damals getan haben mit dem Taubstummen.

Und Jesus selbst? Er redet nicht nur, er geht hin zu dem Mann, kennt keine Berührungsangst, fasst ihn an, packt zu.

Ja, wer den einen Ton setzt, kann die anderen, die folgen müssen, nicht auslassen – bis vollendet ist die Melodie, das neue Lied. Bis Gott alles neu hat werden lassen. Bis sich auflöst der Missklang aus Hass und Ungerechtigkeit.

Wir werden nicht ruhen und den Mund nicht halten; wir werden Töne haben, bis vollendet ist, was verheißen ist. Und wenn die Chöre hier wieder abgereist sind aus Greifswald: das Lied wird bleiben, die Melodie wird widerhallen und nachhallen – in den Herzen der Menschen.

Denn: wer singt und Gesang gehört hat, der spürt, wie Gott selbst frei macht an Leib und Seele – heil macht. Frei macht für die Töne, die im Dreiklang die Melodie des Lebens anstimmen immer neu und immer wieder: Fürchte Dich nicht, sei unverzagt und erschrecke nicht:

Hefata – Tu dich auf! Amen.

Datum
26.08.2012
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