27. Oktober 2013 - Abendmahlsgottesdienst am 22. Sonntag nach Trinitatis
27. Oktober 2013
Micha 6, 6-8 Womit soll ich mich dem Herrn nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern? Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? … Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht: Nämlich Gottes Wort hören und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Liebe Gemeinde!
Der Predigttext heute befasst sich mit dem, was in Epistel und Evangelium schon anklang: wie gerecht handeln als Christ in dieser Welt? Was tun, damit unsere Liebe reicher werde an Erkenntnis und Erfahrung – wie Paulus es in der Epistel so wunderschön formuliert.
Ich lese aus dem 6. Kapitel des Propheten Micha: Worte, geschrieben im 8. Jahrhundert vor Christus:
“Womit soll ich mich dem Herrn nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern? Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? … Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht: Nämlich Gottes Wort hören und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist.
Längst. Schon vor fast 3000 Jahren. Nur – Himmel, was war das gleich? Und wer hat es mir gesagt? Und wann?
Zumindest darüber gesagt hat man vieles, 1995 auf dem vorletzten Kirchentag in Hamburg. Da war genau dieses Michawort die Losung. Und ich erinnere noch sehr genau das Plakat dazu: es sah von weitem aus wie eines dieser großen blauen Hinweisschilder auf der Autobahn. „Ausgerechnet!“, empörten sich damals die Umweltschützer und Entschleunigungs-Engagierten. „Banaler und alltäglicher geht´s ja kaum“, sagten sie, „so ohne jedes Geheimnis und Feierlichkeit.“ Mir dagegen hat`s gefallen. Das hat doch was: ein Autobahnschild, auf dem plötzlich nicht Lübeck steht oder Maschener Kreuz, sondern so ein Satz, der mich auf meinem Weg anredet: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist. Und dann weist der Pfeil obendrein noch in eine ungewohnte Richtung. Nicht nach rechts, sondern nach links – dorthin wo das Herz ist. Und meine Gedanken halten inne auf meiner Lebensstraße. …Es ist ja auch mir gesagt. Auch zu meinem Guten…Ich nehme Tempo heraus und biege schließlich ab von der Hauptstraße, auf der die meisten unterwegs sind. Zum meinem Herzen hin, weg vom Mainstream.
Es ist dir, Mensch gesagt, was gut ist. Längst.
Doch was war das gleich?
Nun, mit der Ruhe, höre ich in mir die Klänge aus vergangenen Zeiten. Sie verschmelzen mit den Chorälen der Gegenwart und ich merke, wie ich immer schon gern von der Gnadensonne gesungen habe. Und dass ich lange schon mit Worten meinen Weg gehe, die in mir verankert sind als Mut und Trost und Zuversicht. Das geht Ihnen ja vielleicht ähnlich. Mit einem Psalm etwa wie dem 23sten. Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar – wie gut tut diese Zusage, immer ein Obdach zu haben! Und ist sie nicht unsagbar gut, diese Stille im Gebet, die uns so innig zusammen bringt hier im Dom? Oder die schwungvolle Kraft, die in nur sechs Worten liegen kann: Und er zog seine Straße fröhlich - Wir erinnern uns: Er, der da seine Straße zieht, ist der überaus kluge, gerade getaufte Äthiopier aus einer fremden Kultur. Und er ist es, der uns aufgibt, in dem Buch der Bücher zu lesen, was uns an Gutem gesagt ist…Längst!
Und ich sehe den hinreißend klugen, schon vor längerer Zeit getauften afrikanischen jungen Mann vor mir. Einer von 80 Flüchtlingen, die nun seit knapp 5 Monaten jede Nacht in der St. Pauli-Kirche in Hamburg schlafen. Vielleicht singt er gerade in diesem Moment - in seiner Kirche, die ihm Obdach gibt - auch von der Gnadensonne. Wissend, wie es ist, in Ungnade zu fallen. Heimat zu verlieren. Schleppern ausgeliefert zu sein. Todesangst zu haben. In ihm kämpfen immer wieder die Schatten seiner Fluchtgeschichte mit seinem sonst so sonnigen Gemüt. Polizeiaktionen vor der Kirche und die Eskalationen der letzten Wochen haben ihn und seine Gefährten in große Angst versetzt. Die über hundert Ehrenamtlichen, die mit so viel Herz für ihre afrikanischen Gäste sorgen – afrikanisches Essen kochen, waschen, mit ihnen Fahrräder reparieren, Deutsch unterrichten, Babysachen und Schuhe organisieren – sie teilen auch diese traumatischen Ängste. Sie halten sie mit aus – und damit das Grauen einer Flucht, die zumindest aus Libyen keiner wollte. Die jüngsten Bilder aus Lampedusa haben uns ihre Not ins Wohnzimmer geholt. Gekenterte Boote, mit denen auch jegliche Humanität ertrinkt. Unsere Nation schaut vom Sessel aus zu. Was auch sonst. Unser Land hat keine EU- Außengrenzen – jedenfalls keine geographischen. Aber andere. Jede Menge Grenzen durch ein Asylrecht aus Absurdistan. Und Grenzen durch innere Zäune; wir leben europaweit die Abschottung. Wäre es nicht an der Zeit, wäre es nicht eindeutig gut, hier einmal links abzubiegen und uns der Menschen zuzuwenden? Eine Kultur der Annahme zu üben, als Gesellschaft, die ihr Herz auf dem rechten Fleck hat?
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht: nichts anderes als Gerechtigkeit tun und Liebe üben und demütig gehen mit deinem Gott (Kirchentagsübersetzung).
Recht, Liebe, Demut. Diese drei. Sie sind wie ein Fels in der Brandung einer damalig tosenden Zeit voller Spannungen. Vor allem sozialer Spannung. Micha sieht: Die Luft brennt und die Herzen sind kalt. Die Ungerechtigkeit hat die Menschen bitter und böse gemacht und ihm, den himmlischen Ewigen, haben sie frustriert den Rücken gekehrt. Und während sie da Rücken an Rücken stehen, grummeln sie: “Womit soll ich mich dem Herrn nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl?“ Und während sie so gottesmüde ihren Ingrimm heraus fragen, wird doch auch die Verzweiflung darin hörbar: Warum lässt er, der Allmächtige, der hohe Gott all das Elend zu? Was nur kann man tun? Welches Opfer stimmt diesen so fremd Gewordenen da oben gnädig?! Und ich höre (vor drei Tagen zuletzt) darin auch die Frage der verwaisten Mutter, warum Gott ihre Tochter hat sterben lassen. Trotz aller Gebete.
Dahinein spricht der Prophet:
Recht. Liebe. Demut. In diesem Dreigestirn ist Gott. Nicht irgendwo im Himmel. Sondern dort, wo dieser Stern auf die Erde kommt. Dort, wo man mit den Trauernden den Schmerz aushält und für die Friedenstifter betet. Dort, wo Menschen dem Misstrauen eine Absage erteilen und sich von ihrer Überheblichkeit und Gier abschotten. Dort ist Gott, wo Menschen Liebe üben, weil sie unerhörte Schönheit auf die Welt bringt. Dies alles aber braucht das Angesicht. Augen, die sich anschauen. Das Verbindende im Ungleichen. Deshalb: umgedreht! Weg mit der kalten Schulter. Und dem stummen Rücken. Das Gute entsteht nur, wenn ich den anderen das Gute zutraue. Und das geht nur, wenn es aufsuche. So wie Gott das Gute ja auch bei uns sucht – welch Glück, dass dies so in unserem Bibeltext steht!
Und ich stelle mir vor, wie Gott das macht. Es kommt mir ein Bild von Emil Nolde in den Sinn. Da sieht man den Gärtner, wie er sein bärtiges Gesicht in ein unerhört buntes Blütenmeer senkt, sich behutsam eine Blüte herausnimmt und die Blätter sanft beiseite biegt, um ihr auf den Grund zu sehen. Zart, genau guckt er hin, sehnsüchtig danach, dass es auch nur ein kleines Gutes gibt, was die Welt schöner macht.
Ich bin überzeugt: Bei jedem Menschen hier könnte er viel finden. Und wir sollten dazu stehen. Entgegen aller abwertenden Rede vom Gutmenschen, die in bestimmten Kreisen ja en vogue geworden ist. Wir sollten angehen gegen Miesredner, die uns „Gutmensch“ hinterherrufen und damit meinen: Gut gemeint, schlecht gemacht. Ehrlich, aber dumm. Barmherzig, aber doof.
Nein, die Güte, die Qualität einer Gesellschaft misst sich seit Mose und seinen Gesetzestafeln genau daran, wie gut wir es machen mit den Armen und den Geschwächten, wie sensibel wir sind mit den Trauernden und Verwaisten, wie herzlich wir den Fremdlingen und Hoffnungslosen begegnen. Das ist ja eben der Linksabbieger, der andere Weg, der suchende Blick, den uns die Bibel lehrt, vom ersten bis zum letzten Satz. Wenn wir da nicht mehr abbiegen wollen von der Main Street der Gesellschaft, wer dann?!
Auf hinreißende Weise ist jüngst die Klasse 10b der Stadtteilschule in St. Pauli links abgebogen. Sie hat ihr Herz sprechen lassen und Briefe an den Senator und mich geschrieben. Sie würden sich große Sorgen machen um die Flüchtlinge nebenan. Die seien so nett. Und hätten Schlimmes hinter sich. Die Polizei hätte ihnen Angst eingejagt. Sie, die Zehntklässler, würden gern als Winterquartier ihre Turnhalle zur Verfügung stellen – und ob es nicht möglich ist, dass ich die Turnhalle segne, damit dann die Polizei da nicht einfach herein kommen kann. Ob wir darüber nicht mal reden könnten? Sie würden einem Gespräch mit Freude entgegen sehen.
Ich auch, habe ich geantwortet.
Denn, liebe Gemeinde, ist das, was sich hier offenbart, nicht unglaublich gut?!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.