27. Oktober 2013 - Christuskirche Othmarschen

27. Oktober 2013 - Gottesdienst zur Verleihung der Bugenhagenmedaille an Renate Billig und Helmut Stange

27. Oktober 2013 von Kirsten Fehrs

Micha 6, 6-8 6“Womit soll ich mich dem Herrn nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? … 7Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? …8 Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht: nichts als Gerechtigkeit tun und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Liebe Festgemeinde!

Ich danke meinem Gott, sooft ich euer gedenke, für eure Gemeinschaft am Evangelium – auch im Philipperbrief setzt Paulus wie in fast allen seinen Briefen den Dank an den Anfang. Nicht an den Schluss wie bei Reden üblich. Die Würdigung des und der anderen steht allem voran. Und das kein Zufall, sondern Programm: Würdigung ist das Grundprinzip der Gemeinde Jesu Christi. Sie gibt Kraft, Gutes nicht nur im anderen zu erkennen, sondern auch zu bewirken – und nun, was würde heute besser passen?

 

Denn wir würdigen nicht nur zwei sehr verdiente Ehrenamtliche unserer Kirche mit der höchsten Auszeichnung, die unsere Nordkirche zu bieten hat. Nein wir danken damit dem Herrgott von ganzem Herzen, dass es Sie gibt, liebe Frau Billig, lieber Herr Stange.

Wir danken für Ihre Liebe zum Glauben, die Sie Ihrer Kirche geschenkt, für Ihre Kraft, mit der Sie beide Enormes geleistet, wir danken für Ihre Zeit – in so vielen Jahrzehnte so viele Stunden in Synoden, Kirchenkreisräten, Ausschüssen, Unterausschüssen, Unterunterarbeitsgruppen! Wir danken für das Herzenswort im rechten Moment, für Ihren Mut und Ihren Unmut – und Ihren feinen Humor. Und um mir nun nicht den Unmut der Laudatorin und des Laudators zuzuziehen, weil ich zu viel vorwegnehme – nur noch dies: Ich freue mich sehr, dass „meine“ ersten Bugenhagenmedaillen an Sie beide gehen, die ich Sie beide in Ihrer Arbeit kennen und sehr, sehr schätzen gelernt habe. Da ist durch Sie und mit Ihnen in unserer Kirche so viel Gutes gewachsen!

 

Womit ich beim Predigttext wäre. Da geht es um das Gute. Er steht beim Propheten Micha im 6. Kapitel. Worte, geschrieben im 8. Jahrhundert vor Christus:

6“Womit soll ich mich dem Herrn nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? … 7Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? …8 Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht: nichts als Gerechtigkeit tun und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

 

Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist.

Längst. Schon vor fast 3000 Jahren. Nur – Himmel, was war das gleich? Und wer hat es mir gesagt? Und wann?

Zumindest darüber gesagt hat man vieles, 1995 auf dem vorletzten Kirchentag in Hamburg. Da war genau dieses Michawort die Losung. Und erinnern Sie noch das Plakat dazu? Es sah von weitem aus wie eines dieser blauen Hinweisschilder auf der Autobahn und war höchst umstritten – besonders bei den Umwelt- und Entschleunigungs-Engagierten. Ich fand es ehrlich gestanden ganz gut: ein Autobahnschild, auf dem plötzlich nicht Lübeck steht oder Maschener Kreuz, sondern so ein Satz, der mich auf meiner Lebensstraße anredet: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist. Und dann weist der Pfeil zur Ausfahrt auch noch nach links – nicht nach rechts. Dorthin wo das Herz ist. Und ich verlangsame das Tempo – das ist ja wirklich wohltuend – und biege ab von der Hauptstraße, auf der die meisten unterwegs sind. Zum meinem Herzen hin, weg vom Mainstream.

 

Nun, mit der Ruhe, höre ich in mir die Klänge aus vergangenen Zeiten. Sie verschmelzen mit den Chorälen der Gegenwart und ich merke, wie ich immer gern vom Herz gesungen, das über Mauern springt. Und dass ich lange schon mit Worten meinen Weg gehe, die in mir verankert sind als Mut und Trost und Zuversicht. Und ich weiß von Ihnen, liebe Frau Billig und lieber Herr Stange, dass Ihnen das ähnlich geht - wie ja vielleicht den meisten hier. So etwa der 23. Psalm: Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar – wie gut tut diese Zusage, immer ein Obdach zu haben! Und ist sie nicht unsagbar gut, die Stille im Gebet, die uns zusammen hält und trägt? Oder die schwungvolle Kraft, die in nur sechs Worten liegen kann: „Und er zog seine Straße fröhlich“…Wir erinnern uns: Er, der da seine Straße zieht, ist der so überaus kluge, gerade getaufte Äthiopier aus einer fremden Kultur. Einer, der gelernt hat, was auf der Rückseite Ihrer Bugenhagenmedaille steht: „Christus liebhaben ist viel besser als allwissend zu sein.“ Er schließlich ist es, der uns aufgibt, uns mit dem Buch der Bücher zu erinnern, was uns längst an Gutem gesagt ist.

 

Und ich sehe den hinreißend klugen, schon vor längerer Zeit getauften afrikanischen jungen Mann vor mir. Einer von den 80 Flüchtlingen, die nun seit knapp 5 Monaten jede Nacht in der St. Pauli-Kirche schlafen. Sie haben nach den Eskalationen der letzten Wochen Angst. Und hoffen, dass es gut wird. Die über hundert Ehrenamtlichen, die mit so viel Herz für ihre afrikanischen Gäste sorgen - sie teilen ihre Angst und ihre Hoffnung. Aus tiefstem Herzen.

Die jüngsten Bilder aus Lampedusa haben uns die Not dieser Menschen ins Wohnzimmer geholt. Gekenterte Boote, mit denen auch jegliche Humanität ertrinkt. Unsere Nation schaut vom Sessel aus zu. Was auch sonst. Unser Land hat keine EU- Außengrenzen – jedenfalls keine geographischen. Aber andere. Jede Menge Grenzen durch ein Asylrecht aus Absurdistan. Und Grenzen durch innere Zäune; wir leben europaweit die Abschottung. Wäre es nicht an der Zeit, wäre es nicht eindeutig gut, hier einmal links abzubiegen und uns der Menschen zuzuwenden? Eine Kultur der Annahme zu üben, als Gesellschaft, die ihr Herz auf dem rechten Fleck hat? So wie diese beiden Menschen, die wir heute und hier würdigen, sich immer offen und mutig für die Verarmten, Gedemütigten und Elenden eingesetzt haben?

 

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht: nichts anderes als Gerechtigkeit tun und Liebe üben und demütig gehen mit deinem Gott (Kirchentagsübersetzung).

 

Recht, Liebe, Demut. Diese drei. Sie sind wie ein Fels in der Brandung einer damalig tosenden Zeit voller Spannungen, vor allem sozialer Spannungen. Micha sieht: Die Luft brennt und die Herzen sind kalt. Die Ungerechtigkeit hat die Menschen böse gemacht und ihm, den himmlischen Ewigen, haben sie frustriert den Rücken gekehrt. Und während sie da Rücken an Rücken stehen, grummeln sie: “Womit soll ich mich dem Herrn nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Wird wohl der Herr Gefallen an unzähligen Strömen von Öl? Und während sie so gottesmüde ihren Ingrimm heraus fragen, wird doch auch die Verzweiflung hörbar: Warum nur ist er ihnen so fern? So fremd? Lässt dieses Elend zu? Was nur sollen sie tun, dass es ihn da oben gnädig stimmt?! Und Micha antwortet: Es ist doch längst gesagt. Mensch, höre, was gut ist.

 

Recht. Liebe. Demut. In diesem Dreigestirn ist Gott. Nicht irgendwo im Himmel. Sondern dort, wo dieser Stern auf die Erde kommt. Dort, wo man mit den Trauernden den Schmerz aushält und für die Friedenstifter betet. Dort, wo Menschen dem Misstrauen eine Absage erteilen und sich von ihrer Überheblichkeit und Gier abschotten. Dort ist Gott, wo Menschen Liebe üben, weil sie unerhörte Schönheit auf die Welt bringt. Dies alles aber braucht das Angesicht. Augen, die sich anschauen. Das Verbindende im Ungleichen. Deshalb: umgedreht. Weg mit der kalten Schulter. Und dem stummen Rücken. Das Gute entsteht nur, wenn ich den anderen das Gute zutraue. Und das geht nur, wenn es aufsuche. Würdige. So wie Gott das Gute ja auch bei uns sucht – welch Glück, dass dies so in unserem Bibeltext steht!

Ich bin überzeugt: Bei jedem Menschen hier könnte er viel finden. Viel von dem, was Renate Billig und Helmut Stange auszeichnet: Güte. Mut. Weitsicht im Glauben. Und einen unbedingten Hang zum Linksabbiegen…Denn darum geht es doch: der andere Weg, der suchende Blick nach dem Guten, Würdigung eben, die uns die Bibel lehrt, vom ersten bis zum letzten Satz. Wenn wir da nicht mehr abbiegen wollen von der Main Street der Gesellschaft, wer dann?!

 

Auf hinreißende Weise ist jüngst die Klasse 10b der Stadtteilschule in St. Pauli links abgebogen. Sie hat ihr Herz sprechen lassen und Briefe an den Senator und mich geschrieben. Sie würden sich große Sorgen machen um die Flüchtlinge nebenan. Die seien so nett. Und hätten Schlimmes hinter sich. Die Polizei hätte ihnen Angst eingejagt. Sie, die Zehntklässler, würden gern als Winterquartier ihre Turnhalle zur Verfügung stellen – und ob es nicht möglich ist, dass ich die Turnhalle segne, damit dann die Polizei da nicht einfach herein kommen kann. Ob wir darüber nicht mal reden könnten? Sie würden einem Gespräch mit Freude entgegen sehen.

Ich auch, habe ich geantwortet.

Denn, liebe Gemeinde – ist das, was sich da offenbart, nicht unglaublich gut?!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Datum
27.10.2013
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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