Dom zu Schleswig

28. Oktober 2012 - 21. Sonntag n. Trinitatis

30. Oktober 2012 von Gerhard Ulrich

Predigt zu Mt 5, 38-48

 „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.“

 

Liebe Gemeinde!

Steile, fremde und doch uns so vertraute Sätze haben wir gehört, aus der Bergpredigt Jesu, in der der Evangelist Matthäus Jesu frohe Botschaft sozusagen auf den Punkt bringt.

Der Text ist wie ein steiler Berg selbst. Man steht davor und ist beeindruckt, fast eingeschüchtert.

Wer setzt sich dem Bösen aus ohne Angst um Verlust? Wer verliert gern freiwillig und im Übermaß? Wer lässt sich berauben, drücken und stoßen, ohne mit der Wimper zu zucken? Wer denkt an den Fremden, den Feind, wo ihm der Freund und Volksgenosse doch so viel näher ist?

Diese Radikalität bleibt befremdlich – und ist auch Anlass zu Zweifeln: kann das Recht sein, dass Gott seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute gleichermaßen und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte? Ist das nicht geradezu die Wurzel allen Übels?!

Oder sollte das der Anfang sein einer wirklich gerechten Gesellschaft, der Traum vom Frieden ohne Gewalt?

In seiner „Dreigroschenoper“ lässt Bertolt Brecht den Bettlerkönig Peachum mit der Bibel in der Hand ein Lied singen, das fast wie eine Gegenpredigt klingt:

„Das Recht des Menschen ist’s auf dieser Erden

da er doch nur kurz lebt, glücklich zu sein.

Teilhaftig all der Lust der Welt zu werden,

zum Essen Brot zu kriegen und nicht einen Stein.

Das ist des Menschen nacktes Recht auf Erden.

Doch leider hat man bisher nie vernommen,

dass einer auch sein Recht bekam - ach wo!

Wer hätte nicht gern einmal Recht bekommen.

Doch die Verhältnisse, die sind nicht so.

Ein guter Mensch sein! Ja, wer wär’s nicht gern?

Sein Gut den Armen geben, warum nicht?

Wenn alle gut sind, ist sein Reich nicht fern.

Wer säße nicht sehr gern in Seinem Licht?

Ein guter Mensch sein - Ja, wer wär’s nicht gern?

Doch leider sind auf diesem Sterne eben

die Mittel kärglich und die Menschen roh.

Wer möchte nicht in Fried und Eintracht leben?

Doch die Verhältnisse, die sind nicht so.“

 

In diesen Sätzen ist das Dilemma unserer Welt und auch der Gemeinschaft der Glaubenden beschrieben. Da ist die Sehnsucht nach einer besseren Welt, einer Welt des Friedens und der Gerechtigkeit. Sein Reich, das Gottesreich, das Himmelreich. Und dann sind da die Verhältnisse, in denen wir leben. Ungerecht geht es zu. Reiche werden reicher, Arme ärmer. Und jeder pflegt so seine Feindschaften.

Ist das, was Jesus fordert, nicht blauäugig, fern der Realität? Ist das nicht eine unmögliche Schwäche in dieser Welt? Wenn doch der Alltag auf ganz andere Prinzipien setzt: Auge um Auge, Zahn um Zahn; er hat zuerst geschlagen, sagen nicht nur Kinder zu ihrer Verteidigung, sondern das ist das Prinzip der Verteidigung der Welt insgesamt.

Gestern vor 50 Jahren war die Kuba-Krise auf ihrem Höhepunkt. Das, was man „Gleichgewicht des Schreckens“ genannt hat, hat die Welt damals an den Abgrund der Zerstörung geführt. Und nur, weil die Verantwortlichen damals miteinander geredet haben, und weil ein Offizier an Bord eines Sowjetischen U-Bootes den Befehl verweigerte, sind die Waffen abgezogen worden.

Man könne die Welt nicht mit der Bergpredigt regieren, hieß es aus Politikermund auf der Höhe der Friedensdebatte in den 80iger Jahren. „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“

Die Verhältnisse, sie sind nicht so. - „...ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ –

„Ihr habt gehört, dass gesagt ist...ich aber sage euch...“ - Mit seinen so genannten Anti-Thesen stellt Jesus uns vor diese unauflösbare Spannung. Jesus ist Realist. Er rechnet mit dem Bösen, mit seiner Herrschaft und Macht. Jesus will, dass wir dem Bösen um uns herum und in uns selbst in die Augen schauen. Und dann wird sich zeigen, ob wir es aushalten und so überwinden. Die Gegenüberstellungen Jesu führen zur Erkenntnis der Welt, wie sie ist. Jesus wendet sich nicht zunächst, wie oft missverstanden, gegen ein altes Gesetz der Juden - die hebräische Bibel kennt das Gebot der Feindesliebe genauso. Vielmehr hält Jesus uns mit den unerfüllbar scheinenden Forderungen einen Spiegel vor, in dem wir erkennen den unendlichen Abstand zu Gott. Diese Sätze decken auf, wer wir sind: unselig, ungerecht, rachsüchtig, friedlos. Es ist das Gesetz der Welt, gegen das Jesus seine Worte setzt. So soll es unter euch nicht sein: Auge um Auge, Zahn um Zahn! Und: ich bin nicht gekommen, das Gesetz abzuschaffen, sondern es zu erfüllen, stellt Jesus unmissverständlich klar. So setzt Jesus gegen die Erfahrung der Welt das Bild der Welt, wie Gott sie will; gegen das Menschenbild der Welt das Bild, das Gott vom Menschen hat; gegen die Herrschaft der Welt die Herrschaft Gottes; gegen die Unvollkommenheit der Welt die Vollkommenheit Gottes. Jesus will Mut machen zum Glauben, der mit Gott rechnet auch in den Verhältnissen, die nicht so sind.

„Gott lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“: einer der Gipfel der Radikalität Jesu.

Wir sind nicht alleingelassen auf diesem Weg zum Gipfel, zu dem der Glaube sich ausstreckt sehnsuchtsvoll. Es wird dies ein gangbarer Weg in dieser Welt, wenn ich aufblicke zu dem hin, der voran geht, auf den Prediger der Bergpredigt selbst. Mit ihm ist Gott mitten in den Verhältnissen, die nicht so sind – noch nicht so sind! Er lebt, was er predigt auf dem Berg. Er hat dem Bösen nicht mit Bösem widerstanden; er ist geschlagen worden; ist seiner Kleider beraubt worden; hat Heimzahlungen erlitten. Er erfüllt die unerfüllbar scheinenden Forderungen. Der unbezwingbare Berg ist bezwungen. Und auf dem Gipfel steht das Kreuz, Zeichen genau jener Spannung: „die Verhältnisse, sie sind nicht so“ einerseits – und „ich aber sage euch“ andererseits.

In der Seilschaft Jesu bleibt der Aufstieg zum Gipfelkreuz beschwerlich. Aber vielleicht doch wieder und wieder verlockend, weil er führt zum Gipfel, zum Reich Gottes, zur Welt, wie Gott sie will und meint, wie er sie vorwegnimmt im Leben dieses einen, neuen Menschen. Wer in ihm bleibt, an seinem Wort festhält und festmacht das eigene Leben, der wird ihm auch folgen können in den Zumutungen und Widersprüchen des Alltags.

Menschen haben immer wieder erlebt: In Jesu Gefolgschaft versetzt der Glaube Berge. Die Liebe, die an ihm erfahrbar wird, entzieht uns nicht dieser Welt, hebt die Spannung nicht auf. Aber im Licht seines Lebens verwandeln sich die Ungerechten, Übeltäter, Geldgierigen, Rachsüchtigen, Hassenden in Kinder Gottes.

Indem wir das Verheißene glauben, haben wir Anteil daran: an seiner Vollkommenheit. In aller Schwäche, in aller Unvollkommenheit. Es geht nicht um den perfekten Menschen, um die Erfüllung des Gesetzes-Buchstabens. Es geht um die Unterscheidung der Herrschaft in dieser Welt, es geht darum, welcher Geist das Leben leitet.

Liebe Gemeinde: weil wir die Welt sehen, wie sie ist, wie Jesus sie uns vor Augen führt; weil wir das Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn beherrschen und nur zu gut kennen; weil unter uns das Fremde oft als feindlich ausgegrenzt wird, ist unser Glaube herausgefordert, sich immer wieder zu erinnern an den, der überwindet.

Wir wissen, wie sehr die Welt Menschen braucht, die nicht dreinschlagen, zurückschlagen; die sich nicht abwenden, sich nicht genug sein lassen mit dem Vertrauten, die fest gegründet sind, die sich nicht hinreißen lassen von der Logik Schlagen-Zurückschlagen.

Frieden ist angewiesen darauf, dass wir einander in die Augen schauen, die Welt nicht nur mit den eigenen, sondern vor allem mit den Augen der anderen, der Fremden sehen.

Die Welt ist vor 50 Jahren in der Kuba-Krise nicht in den Abgrund gestürzt, weil nicht Waffen gesprochen, sondern Menschen miteinander geredet haben: Feinde, die sich gegenseitig alles Böse zugetraut hatten und den Finger am berühmten „roten Knopf“ hatten. Und weil, so wird berichtet, ein sowjetischer Offizier auf einem U-Boot den Befehl verweigerte, Nuklear-Torpedos scharf zu stellen.

„Ihr habt gehört, dass gesagt ist...ich aber sage euch...“ –

„Ich kann auch anders“! - Im Alltag als Drohung oft gebraucht, wird, im Glauben gesprochen, zum Ausdruck neuen Selbstbewusstseins. Weil Jesus selbst vorangeht, vorlebt, was er fordert, kann ich Schritte tun heraus aus den Teufelskreisen von Gewalt und Hass; Schritte heraus aus der Logik der Welt. Jeder von uns kennt doch den Überraschungseffekt, den es hat, wenn es uns gelingt, Böses nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen. Wenn einer anfängt, aufzuhören mit dem elenden Hass und der Gewalt.

Ich kann auch anders! Der Glaube weiß, dass wir nicht verlassen sind, wo wir uns auf Gott und sein Wort verlassen, dass wir nicht gefesselt sind, wo wir uns an ihn binden. Jesus will unseren Glauben stärken, mit dem wir uns unterscheiden von der Welten Lauf, den Glauben, der uns tun lässt, was nicht erwartet, opportun, normal ist. Das ist eine Ermutigung zum Anderssein. Den ersten Schritt zu tun: Heraus aus der schlaffen Resignation, die alles hinnimmt, was unabänderlich scheint. Wir können auch anders. Wir können jemandem, der uns übel will, mit Liebe begegnen. Wir können jemandem, der uns bittet, geben ohne zu fragen, was habe ich davon. Wir können mit jemandem unsere Zeit teilen ohne Sorge um unseren Gewinn. Ja, Frieden ist möglich da, wo wir unser Leben nicht als Besitz, sondern als Geschenk und Leihgabe Gottes begreifen, uns selbst als seine Kinder verstehen. Wo wir das tun, da leuchtet das Himmelreich auf, wie es das Evangelium, die gute Nachricht bezeugt.

„Ich aber sage euch“: so werden die angeredet, die neugierig sind in ihrem Leben mit Gott. Die als neue Menschen aus der Taufe gehoben sind. Ja, so hebt Gott uns heraus: Kinder Gottes sollen wir heißen und wir sind es auch. Nein, wir müssen mit unserem kleinen Leben nicht die Welt zum Heil führen. Gott erklärt seinen Kindern den Frieden in Jesus Christus. Tun wir es auch. Gott traut uns das zu.

„Die Verhältnisse, sie sind nicht so“, formuliert Bert Brecht das Ende der Weisheit der Welt. „Ich aber sage euch“, hören wir Jesus, den Anfänger der Liebe Gottes. Darum: wir können auch anders! Amen.

Datum
30.10.2012
Quelle
Stasstelle Presse und Kommunikation
Von
Gerhard Ulrich
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