3. Juni 2012 - Predigt zu 4. Mose 6, 22-27
03. Juni 2012
Bischof Gerhard Ulrich
Liebe Gemeinde!
I
Einer der biblischen Texte für das heutige Fest der Dreieinigkeit Gottes verweist uns auf ein Grund-Wort des Glaubens – Segen. Glauben heißt: Sich segnen lassen – und Segen weiter geben. Das geschieht im Gottesdienst ebenso wie alltäglich. In der Hebräischen Bibel klingt das so: Ich lese aus dem 4. Buch Mose, Kapitel 6:
Und der HERR redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.
Darin hat das Volk Israel seinen Gott erkannt, den „Ich-bin-mit-dir“. Den, der aus der Sklaverei befreit und führt in gutes Land.
Und die Menschen, die mit Jesus unterwegs sind, erkennen in ihm denselben Gott, den Fleisch gewordenen Segen Gottes: der des Gesetzes Freiheit mit neuem Leben füllt, der die Erniedrigten aus dem Staub hebt und den Mächtigen in die Speichen greift.
Und am Pfingstfest in Jerusalem erfahren die Vielen, dass nichts von Gottes Kraft zu Ende ist durch Jesu Kreuz; dass das leere Grab kein leeres Versprechen ist, sondern Feuer des Geistes bewirkt: Gott selbst ist bei ihnen – ganz anderes als vorgestellt, aber machtvoll – so dass bis heute Menschen Feuer und Flamme sein können für Gott und sein Wort – für seinen Segen.
II
So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der HERR segne dich und behüte dich;
Liebe Gemeinde, welch ein wunderbares Wort voller Kraft und Poesie: Gott segne dich und behüte dich! – Seit biblischen Zeiten wird dieser Segen gesprochen, zu Juden und Christenmenschen, verbindet mit Gott und untereinander, schließt uns zusammen mit der gemeinsamen Wurzel guter Kraft. Es ist dieses vertraute Wort eine Summe des Glaubens.
Gott segne dich und behüte dich: so kommt Gott uns nahe. Mit diesem Wort, auf uns gelegt, können wir gehen, begegnen dem, was uns entgegenkommen wird. Gott segne dich und behüte Dich! –
Die tiefste Sehnsucht der Menschen wird hier angesprochen: es gibt ein verborgenes, bewahrtes Wissen darum, dass wir angewiesen sind darauf, dass wir behütet werden auf unseren Wegen. Ja: wir schaffen die Voraussetzungen, aus denen wir leben, nicht selbst!
Segen: das ist Kraft, die wir empfangen dürfen, die wir uns schenken lassen dürfen. Ein Ort höchster Passivität ist der Segen. Er inszeniert, was Gnade ist: nicht erringen müssen, wovon man lebt. Nicht rechtfertigen müssen, was man tut und sagt. Der Segen Gottes: Wort, in das wir uns fallen lassen dürfen mit allem, was zu uns gehört. Gott segne dich und behüte dich: Gegründet in der Erfahrung der Menschen, dass Gott einer ist, der mehr ist als unsere Kraft, höher als unsere Vernunft. Erinnerung an den, der alles ins Leben ruft, der begleitet und erhält, der die Seinen führt und leitet.
Der Segen: wie der Regen, der nach langer Dürre auf das Land fällt und Leben hervorbringt, daß die Saat aufgeht und wächst. Welch ein Segen! – so sagen wir, wenn etwas unerwartet uns gelingen darf, sich wendet.
III
Der Wunsch, dass unser Leben ein gesegnetes sei, ein von guter Kraft umfangenes, dass es erfüllt und glücklich sein möchte – er begleitet unser Leben von allem Anfang an. In früheren Zeiten bewusster als heute vielleicht, gehört der Segen in den Alltag hinein. In unseren Grußformeln spiegelt sich der Segenswunsch: wir wünschen uns einen guten Tag. Wir sagen „Tschüss“ – und wissen vielleicht nicht mehr, dass darin verborgen ist das „Adieu“: Gott befohlen! – Das heißt: sei gewiss: du bist nicht allein.
„Alles Gute“, sagen wir. „Gnädig und barmherzig ist der Herr“, so sagt es der Psalm 145, „geduldig ist Gott und von großer Güte“.
Auch in unserer so genannten aufgeklärten Zeit ist der Wunsch nach Segen, nach dem Unverfügbaren ungebrochen. Vor allem an den „Passagen“ unserer Lebensgeschichte: Wenn Eltern ihr Kind zur Taufe bringen, dann steht im Mittelpunkt ihr Wunsch, daß das Leben ein gesegnetes sei, eines, das im Kraftfeld Gottes heran reift. Mit dem Segen wird dem Leben der gute Boden bereitet, auf dem es stehen und ausschreiten kann. Und er ist Vergewisserung für die Eltern, daß nicht alles an ihnen liegt, was kommen mag, dass es nicht allein auf sie ankommt.
Bei der Konfirmation verschenken wir an die Jugendlichen Segen für die Lebensreise: Schutz und Schirm vor allem Bösen, Stärke und Hilfe zu allem Guten – so sagen wir über ihnen. Der Segen Gottes, sein Wort will handgreiflich werden, spürbar. Dann legt Gott seine Hand auf das Leben. Und das spüren wir, wenn segnend Hände uns berühren, zärtlich aber gewiß. Dann können wir anders aufstehen und gehen. Wir schließen uns an an die Kraftquelle Gottes. Das geschieht übrigens in jedem Händedruck bei Begrüßung und Abschied. Daß wir uns miteinander verbinden, abgeben von dem, was uns trägt.
In der Trauung segnen wir Menschen für ihren gemeinsamen Weg, daß Liebe sich bewähren möge. Und schließlich segnen wir Sterbende für ihren Weg aus diesem Leben in der Gewißheit, dass Gottes Zuspruch nicht endet, wo unsere Kraft zuende ist. Gott segne dich und behüte dich – in aller Traurigkeit und in aller Freude gilt die Zusage der Kraft Gottes.
IV
Immer schon, liebe Gemeinde, ist der Segen ein zentrales Geschehen in der Geschichte der Menschen mit ihrem Gott. Als Gott Abraham zumutet, sein Vaterhaus zu verlassen und in ein Land zu gehen, das Gott ihm zeigen will und ihm verheißt, ihn zu einem großen Volk zu machen, da segnet er ihn: „...ich will dich segnen und dir einen großen Namen machen und du sollst ein Segen sein...“ – da konnte Abraham gehen und der Segen Gottes wurde ihm zum Boden, auf dem er festen Stand fand. Jakob, als er sich den Segen des Vaters erschlichen hatte, erfuhr auf der Flucht vor seinem Bruder Esau die Segenszusage Gottes: „Ich aber will mit dir sein und dich beschützen überall, wohin du gehst.“ Es wird erzählt, wie Jakob mit einem Engel Gottes ringt um den Segen: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“. Nach dem Kampf mit dem Engel hinkt Jakob an der Hüfte. Aber als Gesegneter kann er Frieden schließen mit seinem Bruder. Das Leben unter dem Segen Gottes ist nicht frei von Brüchen. Das Volk Israel weiß: der Segen ist nicht Garantie für Barriere-freies Leben. Segen und Fluch liegen nahe beieinander. Und gerade deshalb ist die Erinnerung notwendig, immer neue Ermutigung. „Seht zu, daß ihr Land gewinnt“, so heißt es zu Beginn der langen Wanderung des Volkes Israel ins gelobte, verheißene Land, der Reise ins Ungewisse mit all den Fährnissen, Entsagungen, Verzweiflungen. Eine der schönsten Segensformulierungen, die ich kenne. Gott stößt die Seinen an, sendet sie. Er traut uns zu, zu gehen unseren Weg. Er will uns zurüsten, Schritte zu wagen auch ins Ungewisse.
Darum sollst du so reden, wenn du das Volk segnest:
„Gott segne dich und behüte dich“ –
„Gott lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig“ – Gott hat ein Gesicht, das er in seinem Gegenüber strahlen lässt. Nicht von oben herab. Eigentlich heißt es genauer übersetzt: er lasse leuchten sein Angesicht zu dir hin. Gott wendet sich dir zu.
Was für ein Segen, wenn mich jemand wahrhaftig ansieht.
Wir leben davon, daß wir freundlich angesehen werden, daß man freundlich uns entgegen kommt. Wenn Vater oder Mutter sich über das Kinderbett beugen, und das Kind das leuchtende Gesicht erkennt, dann strahlt es zurück, gerät in Bewegung, strampelt, ist außer sich vor Freude, dann werden Kräfte frei.
Das leuchtende Angesicht: Quelle allen Vertrauens, aller Kraft, aller Zuversicht. Gott selbst, das Leben selbst sagt, wünscht, denkt Gutes über mich.
Darum: das freundlich leuchtende Gesicht über uns, die Zärtlichkeit und Freundlichkeit des Lebens: sie sind Fundament allen Lebens, das so brüchig ist. Das leuchtende Antlitz Gottes in unserem Antlitz, das wir leuchten lassen über einander: es ist ein Grundrecht, ein Menschenrecht! Und wo es fehlt, das wissen wir schmerzlich, ist Leben gefährdet, kann es sich nicht entfalten. Wo Menschen nicht freundlich angesehen werden, sondern voller Hass oder voller Begierde; wo sie nicht Geliebte, sondern benutzte, missbrauchte Wesen sind: da kann Leben nicht gedeihen. Darum ist die Verweigerung des freundlichen Antlitzes ein Verbrechen gegen das Leben. Und es ist eine Gotteslästerung, denn sein leuchtendes Antlitz leuchtet über seinen Ebenbildern. Geschichten missbrauchter Menschen, die Geschichten geschundener Menschen in Kriegen, Terror und Tyrannei sind auch Geschichten verweigerten Segens.
„Gott erhebe sein Angesicht auf dich...“ – Was immer auch geschieht: Gott sieht hin. Er sieht mich an als den, der ich bin. Mit meinen Gaben und meinen Schwächen. Er sieht nicht weg. Er übersieht auch nicht. Er weicht nicht aus. Weil Gott sein Angesicht erhebt, kann ich mit erhobenem Haupt durch das Leben gehen.
V
Liebe Gemeinde, wo wir einander freundlich ansehen, wo wir einander im Blick haben, einander aushalten und uns nahe kommen auch in dem, was uns fremd erscheint aneinander; wo wir einander gnädig sind und nicht nachtragen; wo wir einander stärken und ermutigen; wo wir ausstrahlen etwas von der Liebe, mit der Gott uns anstrahlt, da ist Segen. Da geschieht er, da leben wir als Gesegnete und da werden wir einander zum Segen. Da geschehen Ermutigung, Stärkung. Da wird erfahrbar das, worauf der Segen zielt: „...Gott schenke dir Frieden!“ – Das ist es, was Gott will für uns: das Heil, die Fülle des Lebens, seinen Schalom. Wenn einer mir ins Auge blickt, klar und offen – dann kann ich dem Frieden trauen.
Wir erleben es auch in diesen Tagen: man kann aus dem Segen fallen, wenn man selber sich zum Gott aufschwingt. Dann wandelt sich das menschliche Tun zum Fluch: was da in Syrien geschieht, was dort ein tyrannischer Diktator vernichtet an Vertrauen und Leben; was dort zu sehen ist an Horror und Verzweiflung, an Unfähigkeit der Weltfamilie, Einhalt zu gebieten: das macht Angst, dass lässt aus der zugesprochenen und erbetenen Verheißung des Schalom und des Heils heraus fallen. Wer den Diktator immer noch schützt aus politischem Kalkül und wegen des Erhalts der eigenen Macht; wer ihn und andere mit Waffen ausrüstet, mit denen man so wunderbar Geld verdienen kann; wer schweigt, wenn Menschen sterben unter der Gewalt; wer nicht in die Speichen greift dem Rad der Gewaltigen, obwohl er die Macht dazu hätte: der steht im Wege dem Segen Gottes, der das Leben will, nicht den Tod. Denn Hass bringt neuen Hass und Gewalt bringt neue Gewalt hervor.
Wer das leuchtende Angesicht Gottes gesehen hat, wer etwas weiß von seiner Fülle und seiner Liebe und seinem Schalom, der wird nicht Ruhe geben, bis Frieden sich Bahn bricht. Der wird beten für die Verfolgten, streiten für die Unterdrückten.
Wer sich unter den Segen Gottes stellt, seinen Namen auf sich legen läßt, der gibt sich in Gottes Hand. Das traut Gott uns zu: dass wir sein Geschenk des Friedens annehmen, dass wir als Beschenkte leben und weitergeben, was wir zum Leben haben. Der Segen ist ein Friedensgruß, mit dem Gottes Schalom ausgerufen und ausgeteilt wird. Er wird Wirklichkeit – allen Mächten zum Trotz, die Frieden bedrohen. So will der Segen stärken zum Aufstehen, zum Aufstand des Lebens gegen die Mächte des Todes: „Seht zu, daß ihr Land gewinnt“, Land des Friedens – hier und überall! Amen.