3. Juni 2012 – Wiedereinweihung der Schlosskirche Franzburg
03. Juni 2012
Predigt zu 1. Mose 28,10-22 Bibeltext: 10 Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran 11 und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen. 12 Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. 13 Und der HERR stand ganz dicht bei Jakob (Gute Nachricht Übersetzung) und sprach: „Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. 14 Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. 15 Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.“ 16 Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: „Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!“ 17 Und er fürchtete sich und sprach: „Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.“ 18 Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf 19 und nannte die Stätte Bethel (das heißt übersetzt Haus Gottes); vorher aber hieß die Stadt Lus. 20 Und Jakob tat ein Gelübde und sprach: „Wird Gott mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und mir Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen 21 und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der HERR mein Gott sein. 22 Und dieser Stein, den ich aufgerichtet habe zu einem Steinmal, soll ein Gotteshaus werden; und von allem, was du mir gibst, will ich dir den Zehnten geben.“
Liebe Gemeinde,
müde schleicht sich ein Wanderer durch das Land. Der Tag war lang und der Weg steinig. Die Sonne ist bereits untergegangen. Er nimmt sich einfach einen Stein. Den legt er sich unter seinen Kopf und schläft ein. Was dann geschieht ist mehr als ein Traum. Er begegnet Gott. Völlig überraschend. „Gott wohnt hier, und ich wußte es nicht!“, so sagt er.
Am nächsten Morgen steht er auf. Er kann nicht vergessen, was er im Traum erlebt hat. Und so richtet er den Stein auf, auf dem Kopf in der Nacht lag. Der Stein wird ihm zum Zeichen. Er soll ihn an das erinnern, was er hier erlebt hat.
Die Geschichte von Jakob dem Betrüger beeindruckt mich immer wieder. Jakob war ganz und gar kein Heiliger. Er war listig und durchtrieben. Um Gott kümmerte er sich nicht. Der Erbstreit mit seinem Bruder führte dazu, dass er die Familie verlassen musste. Ihm war klar, dass sein Leben auf dem Spiel stand, wenn er noch länger zu Hause blieb. Offizieller Grund seiner Reise dagegen war etwas anderes. Er sollte sich eine Frau suchen und heiraten. Dafür schickten ihn seine Eltern in die Heimat seiner Mutter. Jakob war ganz und gar kein Heiliger. Doch das störte Gott nicht. Gott kümmerte sich um Jakob. Und Jakob lässt sich von dieser Begegnung mit Gott verändern. Er schließt einen Vertrag mit ihm. Wenn Gott ihm auf seiner Reise beisteht, dann will er Gott ehren und ihm einen Tempel bauen. Nicht irgendwo, sondern genau an diesem Ort. Denn „Hier“, so sagt er, „hier, ist das Haus Gottes und die Pforte des Himmels.“ Jakob versuchte festzuhalten, was Gott ihm damals geschenkt hatte.
Haus Gottes, Bethel. Bethel wurde dann zum Heiligtum. Ein Tempel wurde gebaut. Priester taten ihren Dienst. Über Jahrhunderte wurde dort Gott verehrt und angebetet. Und so kam es, dass aus einer einzigen, außergewöhnlichen Erfahrung mit Gott eine lange Geschichte entstand.
Heute sind wir hier in Franzburg. Die Geschichte dieser Kirche ist ebenfalls alt und wechselvoll. Sie beginnt als im 13. Jahrhundert Zisterziensermönche das Kloster Neuenkamp gründeten. Die Bewegung der Zisterzienser war ebenfalls von einer Erfahrung mit Gott getragen. Es war eine Reformbewegung des frühen Mittelalters. Sie breitete sich über ganz Europa aus. Und die alte Klosterkirche spiegelte die Erfahrung der Zisterzienser mit Gott wieder. Die Kirche, in der wir nun sitzen war ein Teil der großen Klosterkirche. Drei Jahrhunderte lang beteten und arbeiteten hier die Mönche.
Die Reformation brachte einschneidende Veränderungen mit sich. Auch die Reformation war getragen von einer Erfahrung mit Gott. Für das Kloster Neuenkamp bedeutete dies zunächst einmal den Beginn des Verfalls. Johannes Bugenhagen visitierte 1535 das Kloster. Im gleichen Jahr noch wurde das Kloster in ein herzogliches Amt umgewandelt. Zeitweise residierte die herzogliche Familie hier. Dennoch verfiel die Anlage immer mehr. Herzog Bogislaw VIII. ließ die Anlage schließlich in ein Schloss umbauen. Aus Neuenkamp wurde Franzburg (zu Ehren seines Schwiegervaters, Herzog Franz von Braunschweig-Lüneburg). Im Zuge des Schlossbaus wurde der südliche Querarm der Klosterkirche zur Schlosskirche umgestaltet. Der 30 jährige Krieg verwüstete den Ort und es dauerte lange, bis er seine ursprüngliche Einwohnerzahl wieder erreichte. Im 19. Jahrhundert wurde die Kirche neugotisch umgebaut. In den letzten Jahren wurde wieder gebaut. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Auch diese Kirche ist Zeichen für die Begegnung mit Gott. Sie wurde gebaut, weil Menschen einen Ort brauchten, an dem sie Gott begegnen konnten. Das besondere Außergewöhnliche einer persönlichen Begegnung mit Gott verstetigt sich in unseren Kirchen. Wir versuchen die Erfahrung festzuhalten. Wie Jakob stellen wir Steine auf.
Steine stehen fest. Sie sind nur schwer beweglich. Eine lebendige Erfahrung: Himmelsleiter, Engel die auf- und absteigen, Worte die das Herz bewegen, wird festgehalten. Das ist aber ein wichtiger Aspekt im Glauben. Ein Haus ist ein fester Ort. Wenn ich jemand besuchen will und weiß wo er wohnt, dann kann ich ihn dort finden. Und wenn er gerade nicht zuhause ist, dann kann ich ihm eine Nachricht hinterlassen. Das Volk Israel wusste sehr wohl, dass Gott nicht allein im Tempel ist, und der Tempel ihn nicht fassen kann. Aber der Tempel war ein Ort, wo Gott zuhause war. Eine feste Adresse, wenn man mit ihm Kontakt suchte. „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.“ Dieses Hier ist wichtig. Es begründet nicht unseren Glauben, dafür braucht es die lebendige Erfahrung Gottes. Aber dieses Hier, diese konkreten Orte, unsere Kirchen, sind wichtig für den Glauben. Sie verstetigen den Glauben über die Erfahrung des Einzelnen hinaus. Wie viele Menschen sind in dieser Kirche getauft worden, wie viele haben sich hier im Angesicht Gottes das Ja-Wort gegeben? Wie viele haben hier in der Konfirmation ihr eigenes Ja zu Gott gesprochen? Wie viele Gebete sind hier laut und leise an Gottes Ohr gedrungen?
Mit dieser alten Erfahrung Gottes, die sich immer wieder in Stein manifestiert, hängt eine neue Erfahrung Gottes zusammen. Sie entsteht aus der Gemeinschaft der ersten Jünger mit Jesus. Und diese Erfahrung wächst nach Ostern, als sich die ersten christlichen Gemeinden bildeten. Im 1. Timotheusbrief heißt es: „Das Haus Gottes, das ist die Gemeinde des lebendigen Gottes, ein Pfeiler und eine Grundfeste der Wahrheit.“ (1. Tim 3,15) Das ist ganz wichtig. Denn Gott ist nicht nur in den Tempeln und Kirchen zu finden. Viel lieber noch ist er da, wo Menschen in seinem Namen zusammenkommen.
Am vergangenen Sonntag haben wir im Ratzeburger Dom die Gründung der Nordkirche gefeiert. Das war ein schöner und gelungener Gottesdienst. Der Ratzeburger Dom ist in seiner baulichen Pracht einer dieser Orte des „Hier“. Ein Ort, an dem sich Glaubenserfahrung sammelt und festmacht. Im Dom war allerdings nur begrenzt Platz. Die Eintrittskarten wurden verlost. Der Dom war voll. Noch viel voller war aber der Rathausplatz. Dort versammelten sich Tausende und feierten mit. Gott war im Dom dabei, mit Sicherheit war er auch auf dem Marktplatz, mitten unter seiner Gemeinde. Und danach kamen alle zusammen zur Ratzeburger Mahlzeit. An 600 Gartentischen saßen an die 5000 Menschen und aßen gemeinsam und machten sich miteinander vertraut. Das Haus Gottes, das ist die Gemeinde. Überall, wo Menschen in seinem Namen zusammenkommen ist diese Gemeinde: hier im Gottesdienst, im kleinen Kreis im Wohnzimmer, beim Taufgespräch mit dem Pfarrer oder der Pfarrerin, oder wenn der Enkel die Oma fragt, wo denn der liebe Gott wohnt.
Diese Kirche hier ist ein Ort, den wir auf der Landkarte festmachen können. Er scheint auf den ersten Blick stabil zu sein. Doch die Geschichte dieses Ort zeigt uns, wie schnell die Steine auseinanderfallen können. Die Gemeinde hingegen scheint uns beim ersten Hinschauen ein sehr unbeständiges Gebilde zu sein. Menschen kommen und gehen. Sie sind wankelmütig, mal brennend im Geist, mal schwach, matt und verzagt. Doch dieser Gemeinde gilt die Zusage Jesu Christi: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20) Das macht sie stark. Die Gemeinde ist darum ein spiritueller Ort.
Zwei Dinge wünsche ich mir für diese Kirche, für unsere Kirche in Pommern und für die Nordkirche. Ich wünsche mir, dass unsere handfesten Kirchen aus Stein und Holz Orte sind, an denen Menschen Gott begegnen. Und ich wünsche mir das gleiche für unsere Gemeinden. Ich wünsche mir, dass Sie geistliche Orte sind, an denen Menschen Gott begegnen und die Erfahrung machen: Gott nimmt mich an, wie mich diese Christen annehmen.
Am meisten beeindruckt an der Geschichte von Jakob hat mich ein Detail. Ich erzähle es Ihnen noch einmal neu:
Eine Frau geht zügigen Schrittes durch den Ort. Den ganzen Tag war sie unterwegs. Hat gearbeitet. Jetzt ist sie müde und kaputt. Sie will nach Hause. Sie kennt Gott nicht. Da geht sie an der Kirche vorbei, wie jeden Tag auf dem Weg nach Hause. Doch heute merkt sie auf. Stimmen dringen von drinnen nach draußen. Ein Chor singt: „Gott, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.“ (Ps 139, 1-3) Wie überraschend denkt sie. Gott kennt mich? Einen Moment hält sie inne. Gott kennt mich? Dann geht sie weiter, sie öffnet die Tür und schaut hinein.
Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. (1.Mose 28,17) Solche Pforten des Himmels brauchen wir hier in Vorpommern. Ich bin Gott dankbar, dass wir eine davon hier in Franzburg haben. Seien Sie ruhig stolz auf Ihre wundervolle alte und frisch renovierte Kirche! Amen