Bahnhofsvorplatz Lübeck

30. März 2013 - Rede anlässlich des Gedenkens an Politisch Verfolgte

30. März 2013 von Kirsten Fehrs

Liebe Lübeckerinnen und Lübecker, liebe Freundinnen und Freunde,

was für ein wichtiges Zeichen ist das heute hier! Ein Gedenken, das zugleich immer aktueller Protest ist. Denn nie wieder soll das sein: Niemals wieder ein Kreuz mit Haken. Niemals wieder Rassenwahn, Kriegstreiberei und Fremdenhass.

 

So viele sind ermordet worden. In den Gaskammern, Konzentrationslagern, Gestapokellern. Sechs Millionen ermordete Juden – Frauen, Männer, Kinder, mein Gott! Und wir gedenken der Deportierten und zu Tode gefolterten Andersdenkenden, der Politiker und Gewerkschafter! Wir gedenken der Homosexuellen, der Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen, Männer und Frauen im Widerstand. Die Aufzählung hat etwas Grenzenloses – grenzenlos Grauenhaftes. So durchfahren einen bei dem Erinnern immer wieder Kälte und Schmerz. Und - dieser Schmerz und diese Kälte sollen ja auch nicht vergessen sein.

 

Deshalb sind wir hier. Haben wir uns selbst als Zeichen mitgebracht. Um nicht zu vergessen. Diese Bombennacht an Palmarum; so viele Lübecker auch wurden Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und Repressalien. Auf vielerlei Weise. So wurde 160 jungen Menschen verboten, sich hier in Lübeck konfirmieren zu lassen. Und was taten sie? Sie und ihre Familien stiegen in den Zug nach Mölln. Sie riskierten für ihr Bekenntnis ihr Leben. Der übervolle Zug am Abend vor Palmarum hat damals ein Zeichen gesetzt für die Macht der Geradlinigkeit. Und das hat Menschen im ganzen Land ermutigt!

 

Wir wissen: Auch wir Kirchen damals hätten mutiger widerstehen, klarer Widerworte sprechen und inständiger beten müssen - und der Gleichschaltung in den Kirchen Hausverbot erteilen. Wir hätten – im Angesicht des Karfreitags – den Gefolterten unterm Hakenkreuz konsequenter beistehen müssen. Geht es doch für uns Christen damals und immer darum zu unterscheiden, welche Kreuze wir mittragen und welche wir zerbrechen müssen!

 

Erinnerung ist eine starke Kraft. Weil sie im Inneren etwas bewegt – weil sie aufwühlt, hochreißt und beim Namen nennt. Klar und kompromisslos. Also: keine braune Einfalt, sondern Vielfalt ist Kultur! Dies immer wieder zu sagen, sind wir hier. Und: hatten die vielen Aktionen der letzten Jahre nicht Erfolg?! Wir haben sie gestoppt mit Weltoffenheit, sagen Sie, und ja: wir haben dem sogenannten „Trauermarsch“ im letzten Jahr den Marsch geblasen. Erfolgreich!

 

Wir gedenken dennoch – heute und gerade. Und werden auch morgen nicht aufhören damit. Denn 152 Menschen wurden in Deutschland seit 1989 von Rechtsextremen ermordet. 152! Der Schmerz auch ihrer Angehörigen soll nicht vergessen sein. Und das neonazistische Netzwerk sollte uns unruhig machen; in bestimmten Regionen Mecklenburg-Vorpommerns etwa gehören 16% (!) der Jugendlichen rechtsextremen Gruppierungen an! Dagegen braucht´s Klartext: Gegen Mord und Gewalt durch Rechtsradikale – aufgestanden! Gegen Intoleranz und Menschenverachtung – aufgestanden! Gegen verbalradikale Aufrüstung im Internet – aufgestanden! Gegen das entmutigte „ Da kann ich ja doch nichts machen!“ – Aufgestanden.

 

Und so stehen wir alle, so unterschiedlich wir sind, auf. Aufrecht für unsere Demokratie. Für ihre Errungenschaften heute und in Zukunft. Und wir wissen genau: das geht nur, wenn auch das Vergangene erinnert wird. Konsequent und verlässlich . Daran gemahnen uns die Getöteten, um die wir trauern. Dass wir einstehen für eine Kultur, die den Palmsonntag 1942 nie vergisst. Weil nur eine gedenkende Gesellschaft auch eine nachdenkliche und demokratische sein kann.

Eine Gesellschaft, die in der Lage ist zu hören:

„Höre doch

auch den lautlosen Schrei,

höre doch,

dass es nie wieder sei

wie damals. (Quelle des Zitates unbekannt)

 

Nie wieder sei es wie damals.

Datum
30.03.2013
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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