ST. JÜRGEN-KIRCHE IN HEIDE

4. März 2012 - Predigt zur Ordination

04. März 2012 von Gerhard Ulrich

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder! Der Predigttext für den heutigen 2. Sonntag der Passionszeit steht im Buch des Propheten Jesaja im 5. Kapitel. Das „Lied vom unfruchtbaren Weinberg“ führt uns mitten hinein in eine politisch brisante Zeit: Welche außenpolitischen Bündnisse soll das Gottesvolk eingehen? Im Inneren wachsen die Verteilungskämpfe zwischen Reichen und Armen. Die Oberschicht schwelgt im Luxus, die Stunde der Raffgier ist da. Die Unterschicht wird abgehängt – die Armen und Obdachlosen sind schlicht „überflüssig“; kein Rettungsschirm in Sicht für die da ganz unten. Der Prophet stimmt sein Protestlied (Jesaja 5,1 – 7) an:

I
„Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. 
Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte. 
Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte? Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.“

II
„Ich mache das jetzt alles wieder kaputt!“ – Mein (damals) kleiner Sohn war außer sich vor Wut. Hatte er doch Stunden damit verbracht, ein Kunstwerk im Sand der Sandkiste zu bauen: einen kleinen Berg in der Mitte gebildet; ein Grabensystem vom Gipfel bis zum Fuß, damit die Murmeln richtig laufen konnten. Ein kleines Häuschen rechts davon, ein Gatter für die Tiere links. Seine Welt hatte er sich geschaffen. 
Dann stockte erst die Murmel, die er herabließ – und schließlich kam sein kleiner Bruder daher und lief über das Kunstwerk, weil er an die Murmel wollte… - Keinen Blick hatte er für die Schöpfung seines Bruders, nur die eigene Sehnsucht nach dem Schatz im Blick. Kein Sinn für die Liebe, die gebaut hatte.
Ich mach jetzt alles kaputt! – So kommt mir die Reaktion des Weinbergbesitzers bei Jesaja auch vor: ein enttäuschter, zorniger Herr. Ein Lied von enttäuschter Liebe – aber genau deswegen voller Energie und Leidenschaft. Ein harter prophetischer Text, das Lied vom Weinberg, der unfruchtbar bleibt. Ein Bild, so heißt es am Schluss des Liedes, das von Israel handelt, von dem Volk, an dem das Herz des Herrn hängt. Und nichts von dem, was Gott sich erhofft hatte, tritt ein: nicht Rechtsspruch, sondern Rechtsbruch; nicht Gerechtigkeit, sondern Geschrei über Schlechtigkeit.
Dabei konnten die Bedingungen besser nicht sein. Der Boden ist bereitet, Reben sind gepflanzt – und dann werden die Früchte nicht gut, sondern schlecht.
Ich habe getan, was ich tun konnte, sagt der Herr des Weinbergs. Also, werde ich ihn jetzt sich selbst überlassen. Werde den Zaun wegnehmen, damit die Tiere ihn zertrampeln. Werde ihn wüst liegen lassen; werde nicht mehr regnen lassen. Ohne Wasser – kein Leben! Ein hartes Gerichtswort. Kein Stück Barmherzigkeit. Konsequenter Liebesentzug nach Versagen der Menschen. 
Liebe Schwestern und Brüder: was für ein Text zur Ordination!?
Da hätte man sich etwas Ermutigendes, Aufbauendes denken können. Nicht so ein Gerichtswort, das den Druck erhöht, das Motivation abgräbt.
Wir wollen doch heute hinein in den Weinberg. Wollen zupacken und bauen, ernten, umgraben. Menschen einladen, dass sie schmecken und sehen, wie freundlich der Herr ist…
Die Schöpfung Gottes: ein angelegter, wohl bereiteter Garten, in dem wachsen kann, was Gott selbst angelegt hat. In dem sich entfalten kann, was eingepflanzt ist. Und alle Voraussetzungen eines guten, erfüllten Lebens sind erfüllt: guter Boden, Schutz und Schirm. Und es ist gesagt, was gut ist: Recht und Gerechtigkeit.
Der Prophet wird nicht müde, sein Volk aufmerksam zu machen auf ihre Gottesferne. Immer wieder hatten sie auf die eigene Stärke gesetzt. Immer wieder den Weg ohne Gott gesucht. Immer wieder waren sie der Verführung der Gottheiten erlegen. Und darum malt ihnen der Prophet das Bild vom verwüsteten Garten vor Augen. Es werden wie bei einer Parabel von Bertold Brecht aufgedeckt „die Verhältnisse hinter den Verhältnissen“: Warum ist etwas so schlecht, wie es schlecht ist? Woran liegt es, dass es schief läuft im Lande? Und tatsächlich, wir wissen es doch, liebe Gemeinde: Es ist eben nicht egal, wie wir leben, wonach wir uns richten; was wir für gut und schlecht halten. Was wir tun, hat Folgen: hier und weltweit! Wie wir leben, an was für ein Ding wir unser Herz hängen – es bestimmt mit den Lauf der Welt.
Ja, in der Tat: diese Welt, wie wir sie erleben, hat sich entfernt von Gottes Bild vom guten Leben: da sind Hunger und Armut; da ist Ungerechtigkeit und Unrecht; da sind ganze Völker dem Hass und der Rache ihrer wild gewordenen Herrscher ausgeliefert. Und das Geschrei über Schlechtigkeit ist laut. Es ist nicht Gottes Wille, dass Menschen hungern weltweit und auch nicht ist es Gottes Wille, dass bei uns immer weniger Menschen immer mehr und immer mehr Menschen immer weniger zum Leben haben. Es ist nicht Gottes Wille, dass das Klima kippt. Es ist nicht Gottes Wille, dass Menschen vom Hass verfolgt und unter Terror ermordet werden. Da ist Gott-Vergessenheit und Selbst-Gerechtigkeit. Da ist mehr Rechts-Anspruch als Rechtsspruch. Und da ist viel Geschrei um Schlechtigkeit, Jammern und Wehklagen, grobe Gnadenlosigkeit.
Klar, liebe Schwestern und Brüder: das ist der Weinberg auch, in den Sie gerufen sind. Gerade, weil diese Welt nicht dem entspricht, was Gott will und verheißen hat, sind wir gesandt, Ohren und Hände aufzutun, zu verweisen auf den, der alles Leben anlegt und bereitet. Also: der Weinberg wird nicht für Sie bereitet. Aber dieser Weinberg wartet auf Sie, auf Ihre Gaben. Auf Ihre Lieder, Glaubenslieder, Hoffnungslieder.

III
Es ist gut, in diesen Wochen der Passionszeit immer wieder auf den Ernst des Gottes-Willens verwiesen zu sein. Innezuhalten, das Leben der Gesellschaft, das Leben aber auch des Einzelnen, das eigene Leben zu überprüfen: was tue ich mit den Gaben, die Gott mir gibt? Wie betrachte und nutze ich den Lebens-Garten, in den ich gesetzt bin?
Wir Christenmenschen wissen: das Wort vom Gericht ist nicht Gottes letztes Machtwort. Gott wird Mensch, schickt seinen Sohn. Schickt den, der aufrichtet das geknickte Rohr und der neu entflammt den verglimmenden Docht. Da kommt der, der Gewaltige vom Thron stößt und die Schwachen erhebt. Da kommt der, der die Füße auf den Weg des Friedens richtet; der sich verjagen lässt und ans Kreuz nageln; der den Tod überwindet, damit wir Leben die Fülle haben.Dazu sind Sie und wir zusammen wir in diesem wunderbaren Amt, das die Versöhnung predigt: zu verweisen auf den, der zornig ist aus Liebe, der aber nicht hergibt und sich selbst überlässt, was er geschaffen hat; auf ihn verweisen in Wort und Sakrament, in Seelsorge und Unterricht! Jesus sagt: ich bin der Weinstock – ihr seid die Reben. Ich bin froh über diesen Weinstock Christus! An ihm mag ich hängen, um frei zu sein. Bei ihm erfahre ich Recht und Gerechtigkeit. Bei ihm ist Barmherzigkeit und Liebe. Bei ihm ist Vergebung und darum Umkehr und Neuanfang. Für seine Achtsamkeit für den Weinberg Gottes sind wir gesandt. Beten und Tun des Gerechten: Sie werden immer wieder in Situationen kommen, in denen die gefalteten Hände die einzig angemessene Geste der Hilfe sein werden. Und es wird ebenso Situationen geben, in denen das Zupacken nötig ist. Denn auch das ist wahr: mit gefalteten Händen kannst Du den verrotteten Gartenzaun nicht lackieren…

IV
Und also will ich Ihnen Mut machen, auf dem vor Ihnen liegenden Weg als Pastorin oder Pastor immer ganz schlicht und einfach das zu tun, was Ihnen vor die Füße fällt an Aufgaben und Zumutungen. Mehr und anderes ist nicht angesagt! Sie werden zwar in ein Dienstverhältnis zur Nordelbischen Kirche übernommen, aber in Wahrheit, in der Tiefe ausgelotet, ist es Gott selbst, der Sie ruft, der Sie fordert, der Sie brauchen will als Dienerinnen und Diener seines Wortes und seiner Verheißung. In seinem Weinberg. Ihm sind Sie ergeben. 
Hüten Sie sich davor, es allen recht machen zu wollen! Jemand von Ihnen hat auf unserer Ordinationsrüstzeit von einer Pastorin oder einem Pastor als Chamäleon gesprochen, das seine Farbe ständig an die jeweilige Umgebung anpasst. So ein Chamäleon ist ja auch irgendwie klug – aber, wenn der Dank oder die Anerkennung zum Motor werden unseres Dienstes, dann steht die Freiheit auf dem Spiel. Dann werden Sie und werden wir zu Spielbällen der vielfältigen Erwartungen in den Gemeinden: Immer erreichbar sollen Sie sein und immer unterwegs bei den Menschen; nicht so viel Verwaltungsarbeit sollen Sie tun, aber für einen ausgeglichenen Haushalt sollen Sie sorgen; schön fromm sollen Sie sein, aber bitte weltlich; klar sollen Sie reden, aber sich bloß nicht einmischen in öffentliche Angelegenheiten. Darum: Wenn wir danken für Ihren Dienst, den Sie heute beginnen, dann danken wir Gott, dass er Sie ruft und sendet, stärken will und zurüsten, frei machen will für Ihren Gottes - Dienst.
Dietrich Bonhoeffer hat vom christlichen Dienst einmal so gesprochen: „Der erste Dienst, den einer dem anderen in der Gemeinschaft schuldet, besteht darin, dass er ihn anhört... Es ist Gottes Liebe zu uns, dass er uns nicht nur sein Wort gibt, sondern uns auch sein Ohr leiht. So ist es sein Werk, das wir an unserem Bruder (und an unserer Schwester) tun, wenn wir lernen, ihm (und ihr) zuzuhören. Christen, (besonders Predigerinnen und) Prediger, meinen so oft, sie müssten immer, wenn sie mit anderen Menschen zusammen sind, etwas ‚bieten‘, das sei ihr einziger Dienst. Sie vergessen, dass Zuhören ein größerer Dienst sein kann als Reden. Viele Menschen suchen ein Ohr, das ihnen zuhört, und sie finden es unter den Christen nicht, weil diese auch dort reden, wo sie hören sollten. Wer aber seinem Bruder (oder seiner Schwester) nicht mehr zuhören kann, der wird auch bald Gott nicht mehr zuhören, sondern er wird auch vor Gott immer nur reden.“ (Dietrich Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, DBW 5, 82 f.)So soll es unter uns nicht sein. Sondern das Wort, das am Anfang war und Fleisch geworden ist, will gehört werden zuerst. Alles Predigen, alle Seelsorge wächst aus dem Hören, nicht aus dem Reden.
Die Ordination macht keine neuen Menschen aus ihnen. Sie sind nicht geweihte Leute! Aber dieses ganz andere Prinzip des Lebens, das aus Gottes Wort wächst, aus dem zornigen Liebeswort genauso wie aus dem barmherzigen und vergebenden, will sie einladen, anders zu sein, zu leben, zu begegnen.
Davon, liebe Schwestern und Brüder, lassen Sie sich von nichts und niemandem etwas abmakeln: Sie sind den Gemeinden und allen Ihnen anvertrauten Menschen tatsächlich schuldig die Predigt des Evangeliums, die aus dem Hören wächst. Sie sind dafür da, dass sie aufblättern und ausbreiten die heilige neue Zeitung – wie M. Luther das Evangelium genannt hat. Und diese heilige neue Zeitung sollen sie sich selbst und den Menschen vor die Augen halten. Und ich weiß wohl: Es kann Zeiten im Beruf der Pastorin und des Pastors geben, da hat man das Gefühl, statt dieser Zeitung vor allem Haushaltspläne, Baupläne oder Friedhofs-Belegungspläne in der Hand zu halten – oder Arbeitsverträge von Mitarbeitenden, oder auch das Blatt mit der eigenen Gehaltsabrechnung… Ja, alles das kann es geben und gewiss ist das alles zur rechten Zeit und im rechten Maße auch richtig und Teil des Berufs. Aber: Halten Sie die Balance! Bleiben Sie treu dem Herrn des Weinbergs! Denn ohne IHN könnt ihr nichts tun. Amen.

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