6. Oktober 2012 - Andacht mit Übergabe der Erntekrone durch den Landfrauenverband Hamburg
06. Oktober 2012
Ansprache zu 2. Kor 9, 6-15 „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb!“
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig. Amen
Liebe Gemeinde!
Erntezeit – reiche Zeit. Reich an Früchten und reich an Festen. So kenne ich es aus Dithmarschen, woher ich stamme. Und so war es eben auch ein ganz feierliches Miteinander, als wir gemeinsam eingezogen sind mit der Erntekrone! Sie in Ihrer Festtracht, wunderschön! Es ist diese geerdete Feierlichkeit, die Erntedank zu einem Fest tiefer, sinnlicher Freude macht. Im wahrsten Sinne: Man atmet die Gerüche, sieht die Früchte des Feldes in solcher Pracht, und – merken wir es nicht gerade - auch die Seele wird satt. Unabhängig davon, ob die Ernte gut ausgefallen ist oder schlecht, hieß es immer und heißt es doch bis heute mit einer gewissen Ehrfurcht: „Wi seggt di Dank, leeve Vadder.“ Denn, wem erzähle ich das, wer täglich mit der Erde in Berührung ist, erlebt hautnah, wie wenig wir wirklich in der Hand haben. Wie angewiesen wir sind auf ihn, der´s wachsen lässt und gedeihen, der unser „Leben in Segen wickelt, gar zart und künstlich“. Zum Wundern schön, dieses Leben.
Deshalb Oh! Oh heißt das Buch voller Geschichten zum Wundern, von denen ich Ihnen eine nun mit auf den Weg geben will. Weil sie so hinreißend das beschreibt, was Erntedank für uns heute bedeuten kann, in Land und Stadt. Ihr Titel ist auch die Überschrift über meine Ansprache: Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb!
Ein kleiner Junge will Gott treffen. Also packt er etwas zu Essen in seinen Rucksack und macht sich auf den Weg. In einem Park sieht er eine alte Frau und setzt sich neben sie auf die Bank. Als er seinen Rucksack öffnet, sieht er den hungrigen Blick seiner Nachbarin und gibt ihr etwas ab. Dankbar lächelt sie ihn an - es ist ein wundervolles Lächeln. Um dieses Lächeln noch einmal zu sehen, bietet er ihr wieder etwas an . Sie nimmt´s und lächelt strahlender als zuvor. So sitzen die beiden den ganzen Nachmittag.
Als der Junge nach Hause kommt, fragt ihn seine Mutter: „Was hast du denn Schönes gemacht, dass du so fröhlich aussiehst?“ Der Junge antwortet: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen, und sie hat ein wundervolles Lächeln.“
Auch die alte Frau wird von ihrem Sohn gefragt, warum sie so fröhlich aussehe. Sie antwortet: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen, und er ist viel jünger, als ich dachte.“
Ich finde diese Geschichte wunderbar zum Erntedankfest, liebe Gemeinde: Diese Freundschaft im Geben und im Nehmen, der leise Humor in der Begegnung, die ungezwungene Dankbarkeit - mit Gott zu Mittag essen, ist wahrlich eine Freude, auf die jede und jeder ein Recht hat. Es kann auf der Parkbank stattfinden, beim Abendmahl oder bei einer Landfrauen-Erntefeier, es ist so unspektakulär wie liebevoll, es macht fröhlich, innerlich satt – und nicht dick. Mit Gott zu Mittag essen, das heißt, nicht allein zu sein, sondern Brot zu teilen und gute Worte, Trost zu spenden und Heiterkeit. Der Tisch des Herrn ist mit all dem gedeckt. Reichhaltig. Und wir, die wir so unterschiedlich sind wie der Junge und die alte Dame, wir sind alle eingeladen, jeden Tag aufs Neue.
Dieser reich gedeckte Tisch nun steht nicht im Schlaraffenland. Erntedank mit seiner Üppigkeit und Lebensfreude feiern wir mitten in dieser Welt. Mit ihrem Mangel und ihren Zerrissenheiten. Wir sehen doch, dass es Erntekatastrophen gibt und die Unersättlichkeit von Spekulanten, dass das Klima uns mit Dürren überflutet und mit Fluten nieder reißt, dass Flüchtlingsnot und nicht enden wollende Kriege Folge sind von einer eklatant ungerechten Verteilung der Güter. Unsere Welt ist total aus dem Gleichgewicht: Die Natur. Die Wirtschaft. Und manchmal die Zwischenmenschlichkeit. Und so schauen wir auf diese üppige Pracht dort vorn und wissen doch auf einmal wieder, dass Frieden und Freiheit, ja dass jeder glückliche Moment im Leben ein wunderbares Geschenk ist. Wissen wieder, dass jedes Sich –Finden und die Geborgenheit, dass ein Frauenchor am Mittag und Geistesgegenwart am Lebensabend, dass dein Kind auf dem Schoß und die Hand auf der Schulter, dass all dies ein Gnadengeschenk ist, das uns hilft zu leben. Und sagen wir dann nicht ganz erleichtert: Gott sei Dank!? Weil wir gar nicht anders können. Denn Dankbarkeit, liebe Gemeinde, ist etwas Inniges, zutiefst Ehrliches. Wir können sie nicht erzwingen, sondern Danken ereignet sich: im Schweigen und der Nachdenklichkeit, im Lachen, im Gebet und in der Liebe. Überall dort, wo ich mich hinein-, ja hin-gebe.
Für Paulus ist diese Hingabe das Geheimnis unseres Lebensglücks. Ich lese den heutigen Bibeltext aus dem 2. Korintherbrief: Ich meine aber dies: wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. Ein jeder, wie er`s sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb!
Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb…Wer selbst so beschenkt wird von dem Schöpfer, der hat allen Grund, seinerseits zu schenken. So einfach ist das, sagt Paulus: Dankbar, dass es uns gut geht, können wir doch ganz frei aus uns heraus dafür sorgen, dass es auch anderen gut geht. Auf dass „wachsen mögen die Früchte der Gerechtigkeit.“
Gerechtigkeit, ja Brot für die Welt - darauf will dieser alte Text hinaus. Dafür will Paulus Geld. Ganz profan. Er macht mit diesem Text nämlich eine einzigartige Kollektenansage. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb! Dieser Satz ist der Beginn einer weltumspannenden, christlichen Solidarität, eines „Solis“, der wohlgemerkt ohne Zwang erfolgen möcht, sagt Paulus. Freiwillig, ohne Neid, ohne gönnerhafte Geste. Ohne die Abwertung derer, die nehmen (müssen), was die anderen geben. Denn es geht um nichts anderes als die Fürsorge für Geschwister, nah und fern. Jung und Alt. Für die, die es hartz getroffen hat. Für die, die nicht nur auf der Parkbank sitzen, sondern auf ihr schlafen müssen, für sie, die auf dieser Erde kein Land haben und keine Früchte, für die Traurigen und Gehetzten, all die, die uns brauchen mit unserer Lebensfreude.
Paulus ist´s nicht für fünf Pfennig peinlich, auch Geld für dieses Brot des Lebens zu erbitten. Er beruft sich auf alte Tradition. Seit Israel in Ägypten war, gab es das Gebot, aus Dankbarkeit für Ernte und Glück Gott den Zehnten zu opfern. Und zwar so, dass man einen Teil der Früchte des Feldes zum Altar brachte. So wie Sie es bis heute tun jedes Jahr. Und dann war es so, dass alle, wie sie da waren, dort vor dem Angesicht Gottes, die Vermögenden und die Armen, gemeinsam alles aufgegessen haben. Nicht sparen hieß die Devise, sondern Feiern. Essen und trinken, auf dass der Bauch voll und das Herz fröhlich werde. Der Gedanke dabei: Wirklich fröhlich ist letztlich nur der, der sich anvertrauen kann. Also: Iß jetzt und teile mit den Bedürftigen, was du hast, denn morgen gibt´s doch neu. Brich mit dem Hungrigen dein Brot, dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte und deine Heilung wird voranschreiten.
Schenken ist also heilsam. Für uns selbst und für die, denen gegeben wird. Nichts, aber auch gar nichts daran ist profan.
Landfrauenvereine in ihrer Arbeit wissen ebenso davon. Hand in Hand, nicht nur Stadt und Land. Sondern auch jung und alt, reich und nicht so reich – und in dieser geschwisterlichen Verbundenheit vermögend in jeder Hinsicht. Fröhliche Geberinnen eben, die Gott lieb hat.
Letztens ist mir zwischen zwei Buchdeckeln noch ein hinreißend fröhlicher Geber begegnet. Einer, der nicht unbedingt zahlen, aber dafür kochen kann. Sogar Sternekoch war in einem Nobelrestaurant. Doch der Erfolg war es nicht, der ihn fröhlich gemacht hat. Sondern seine Arbeit als Koch im Hospiz. Seit elf Jahren schon ist Ruprecht Schmidt im Hospiz Leuchtfeuer in St. Pauli und kocht wahrlich hingebungsvoll für die, die in ihrer Kraftlosigkeit und Appetitlosigkeit nicht mehr daran geglaubt haben, je wieder etwas genießen zu können. Nicht dem Leben Tage geben, doch den Tagen Leben – das leitet ihn. Und essen heißt: Ich lebe noch! Täglich geht der Koch durchs Haus, verteilt Vitamingetränke und fragt nach den Menüwünschen. Hört genau hin. Und dann kocht er und probiert, würzt nach, dekoriert. Labskaus für die Hamburgerin, Steckrübenmus, der an die Kindheit erinnert, farbige Suppen für die, die nichts mehr schmecken kann, Pommes rot –weiß für ihn, der an AIDS stirbt, einen kleinen Löffel Quark mit Slivowitz für den Bankier. Das Lächeln und Strahlen, wenn er den Geschmack genau getroffen hat, machen ihn glücklich. Der Dank kommt oft wie ein Stoßseufzer und erreicht ihn tief. Er ist gerührt, wenn etwa sie, die in ihrem einsamen Zorn kein Wort mehr sprechen wollte, ihn bittet: „Ruprecht, darf ich Sie umarmen?“ Und dann umarmt er sie, ganz vorsichtig, weil sie so zart ist, und er weiß: Das war das beste Coq au vin seines Lebens.
Hier nebenan in St. Pauli, ich bin sicher, liebe Gemeinde, ist Gott sehr häufig zu Gast. Er isst gern dort zu Mittag, heute vielleicht gerad Ihren Kürbis - und er hat hier wie dort die fröhliche Geberin lieb. Mag sein, morgen schon, sitzt er neben dir auf der Bank und ist viel jünger, als du gedacht hast.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen