9. April 2012 - Predigt zu 1. Korinther 15, 1-11
09. April 2012
Liebe Gemeinde! Was für eine herrliche zweite Strophe im vorhin gesungenen Choral: „Auf auf, mein Herz mit Freuden“. Ich kann mich gar nicht satt singen: „Er war ins Grab gesenket, der Feind trieb groß Geschrei, eh er´s vermeint und denket, ist Christus wieder frei – und ruft Vikto-ria, schwingt fröhlich hier und da sein Fähnlein als ein Held, der Feld und Mut behält!“
Mit ungestümer Sprache schmettert die Auferstehungsbotschaft respektive Paul Gerhard sämtliche Satansmächte in Grund und Boden. Das Leben hat den Tod nicht allein über-wunden, nein - Viktoria!, - nieder geschleudert. „Die Welt ist mir ein Lachen mit ihrem großen Zorn.“ Kein Zweifel hat hier aufzukommen, liebe Gemeinde, auch wenn die Wahrheit letztlich unfassbar scheint: Christ ist erstanden. Auf, auf, kein Grund, nicht zu frohlocken! - Ich mag dieses restlos Unausgewogene. Das „gnadenlos Positive“ dabei. Ich mag diesen glaubensfrohen Paul Gerhard, der in seinem Leben wahrlich nicht von Leid und Trauer verschont war. Nein – gegen Rotten und die Höll: Er ist wahrhaftig auferstanden. Punktum. Da komme, wer wolle.
Wer traut sich so etwas heute noch zu sagen? Einfach mal ungestüm, herzensnah zu zeigen, dass man glaubt, was man glaubt. Ohne Literaturnachweis. Gottesbeweis. Quellenstudium. Ohne jahrzehntelange Lebenserfahrung. Ohne Bibelzitat.
Apropos! Die Sprache der Bibel ist ernüchternd verhalten. Mit Freuden zart – so könnte man das Evangelium von den Emmausjüngern eher betiteln. Und in unserem Predigttext? Auch nicht gerade Siegesfanfaren. Im Gegenteil. Der Korintherbrief scheint geradezu darauf bedacht, das Wunder möglichst unspektakulär zu beschreiben. So als würde ihm mit allzu viel Euphorie etwas von der Wahrhaftigkeit genommen. Fast wie eine Beweisführung klingt es, wenn Paulus von den Aposteln sagt: sie haben ihn gesehen. Mit ihren eigenen Augen. Doch diese Zeugenschaft nützt ihnen nicht viel. Noch und noch wird in Korinth um die Auferstehung gestritten. Und nicht nur da. Viele, geben wir´s zu, halten es doch bis heute für ein intellektuelles Risiko, das wahrhaftige Lebendigwerden des Gekreuzigten zu bekennen.
„Aber, die Apostel haben es gesehen!“ hält Paulus ihnen, er hält es uns wiederholt entgegen. Sie haben ihn gesehen und waren fortan nicht mehr Dieselben. Das hat Paulus am eigenen Leibe erfahren. Damals in Damaskus. Wer den Auferstandenen gesehen hat, geht nicht zur Tagesordnung über. Wer ihn gesehen hat, lebt sehnsüchtiger, liebt leidenschaftlicher, handelt klarer, ist ein glücklicher, ein gelassener, ein vertrauensvoller Mensch. Wer ihn gesehen hat, dem sieht man es an. In der biblischen Osterbotschaft ist denn auch dieses kleine ungewichtete Wort „Siehe“ der Dreh- und Angelpunkt:„Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit“ – Der Wochenspruch stellt von Anfang an klar, dass wir, wenn wir von der Auferstehung reden, uns eben nicht in abstrakten theologischen Gedanken bewegen müssen. Vielmehr geht es um ganz konkrete, erfahrbare und sichtbare Zusammenhänge. Siehe –da gibt es etwas zu sehen: den lebendigen Christus, der sich dir in der unterschiedlichsten Art zeigt. Er ist ja von Ewigkeit zu Ewigkeit. Also keiner von gestern, beschränkt auf die Zeit der Zeitzeugen und Apostel. Christus heute unter uns, sichtbar und erfahrbar, davon ist an Ostern zu reden! Wie der lebendige Gott, Menschlichkeit in Person, anschaulich wird in unserem Leben.
„Wir haben längere Zeit nichts mehr von der Anwesenheit Gottes gespürt“, sagt die Küsterin zu Andreas, als sie ihm die Kirche zeigt. Andreas ist junger Aushilfspfarrer und soll in einer dänischen Kleinstadt den dortigen Kollegen vertreten. Der wurde suspendiert, weil er seinen Organisten von der Empore gestoßen hat – so sehr hatte er sich über dessen schlechte Intonation des Psalms aufgeregt. Der alte Pfarrer predigt nicht mehr, er pöbelt und stört den Gottesdienst. Er kann den Tod seiner Frau nicht verkraften.
„Wir haben lange nichts mehr von Gott gespürt“ – mit diesem Satz beginnt der melancholische und zugleich wunderbar heitere Spielfilm mit dem Titel „Italienisch für Anfänger“. Er erzählt, finde ich, eine der schönsten Ostergeschichten. Man muss ihn nicht gesehen haben, um seine Botschaft zu verstehen. Denn er spielt vom Leben selbst, wie wir es alltäglich, hier und untereinander auch erleben können.
Da ist Andreas. Er hat vor kurzem seine Frau verloren. Er ist furchtbar allein – wie auch der schüchterne Portier seines Hotels, der sich ihm gleich vorstellt mit: „Mi chiamo Jörgen Mortensen“. Dessen einziges Hobby ist nämlich ein Italienischkurs an der Abendschule. Eines Abends, als Andreas es nicht mehr aushält mit der Einsamkeit, geht er auch dahin. Und trifft sie zu seiner Überraschung alle: Jörgen, die Küsterin, die schusselige Bäckerei-Gehilfin Olympia, den charmanten Dorfgigolo Halv Finn, die Friseurin Karen. Es stellt sich schnell heraus: Alle müssen mit dem Verlust eines Menschen zu Recht kommen. Und alle haben von der Anwesenheit Gottes lange nichts mehr gefühlt – haben überhaupt keine guten Gefühle mehr gehabt. An einer Stelle drückt dies der alte Pastor, der diese abgrundtiefe Einsamkeit bis zur Besinnungslosigkeit verinnerlicht hat, so aus: „Gott hat mir meine Frau genommen. Und sie hat mir Gott genommen.“
Sie alle gehen nicht in die Kirche. Sie gehen in den Italienischkurs. Sie wollen heraus aus der Düsternis. Wollen Sonne, Wärme, Amore, Charme, ach, sie wollen doch nur, dass sich ihr Leben wandelt. Olympia will weg von ihrem tyrannischen Vater, Karen hofft, dass ihre schwer alkoholkranke Mutter endlich in Frieden sterben kann, Andreas möchte nicht mehr über den Tod seiner Frau nachdenken müssen und Jörgen Mortensen nicht über seine unglückliche Liebe. Was sie bewegt, könnte auch jede und jeden von uns bewegen. Sie alle könnten hier unter uns sitzen. Doch sie alle gehen ja gerade nicht in die Kirche. Auch Guilia nicht, die in Jörgen insgeheim verliebt ist und die einzige Italienerin am Ort. Auch sie geht schließlich in den Italienischkurs.
Denn siehe, alle wissen, dass sie nicht nur diese Sprache lernen, sondern dass sie lernen, überhaupt wieder reden zu können. Dass sie eine Sprache suchen für jene Gefühle, die sie so am Leben hindern: z.B. die Wut darüber, dass sie gestorben und ihn allein gelassen hat. Die abgrundtiefe Scham über das eigene Ungenügen, die Unfähigkeit, um Verzeihung zu bitten, die Unfähigkeit, diese anzunehmen, das Entsetzen über die Qual des Sterbens. Es sind so viele Bilder des Todes, die sie – und uns - im Bann halten. Und sie wären wohl immer noch darin, liebe Gemeinde, hätte Guilia nicht, völlig ungerührt, so getan, als bräuchte sie das Sprachbuch, um zu deklinieren: Ich liebe, du liebst, er liebt, sie liebt, wir lieben… Auf einmal spüren sie, wie das Lachen in ihnen aufsteigt, wie der Stein vom Herzen fällt und von den Gräbern rollt. Erst jetzt merken sie, wie viel Sehnsucht nach Leben in ihnen ist! So versuchen sie, zaghaft zunächst, mit dem „Basta!“- Genug ist´s. Es reicht! Es reichen Ohnmacht, Sorge und Trauer, die überstark den Tag bestimmen. Das Leben hat sein Recht. Es ist heute mit mir aufgestanden. Wie jeden Morgen. Halleluja.
Denn, siehe: Ostern ist das Ende vom Ende.
„…und ruft Victoria!“
Und mir kommt angesichts mancher Verzagtheit in uns und unserer Welt immer öfter eines in den Sinn: Ob wir nicht auch wieder einmal einen Sprachkurs bräuchten. Sprache des Glaubens, die sich was traut. Worte, die wieder etwas begehren. Ungestüm und lebensnah, im Namen des Auferstandenen. Eine Sprache, die es mit dem griechischen Philosophen der Tonne, Diogenes, hält, der von der Tugend der Frechheit sprach. Tugend, weil sie dem anderen den Spiegel vorhält. Und dies eben frech, also: tapfer, kühn, lebhaft, ungezähmt, keck. Im Alten Testament ist David der Prototyp eines solchen Frechlings, wenn er den Goliath kitzelt: „Komm her, damit ich dich besser treffe!“. Er zeigt, dass der Kopf nicht nur Ohren zum Hören und Gehorchen hat, sondern auch eine Stirn, um sie dem Stärkeren zu bieten. Das ist ein Affront in seiner ureigensten Bedeutung: dem scheinbar Stärkeren die Stirn bieten.
Denn machen wir uns nichts vor, liebe Gemeinde: Ostern ist ein einziger Affront und ver-dient unsere Frechheit. Ostern ist ein Affront gegen die Sorge, die deinen Tag zu sehr bemächtigt. Es ist ein Affront gegen den Selbstzweifel, womöglich nicht perfekt zu sein. Es ist ein Affront gegen die moraline Gier, Menschen öffentlich abzustrafen. Nein, Christus ist doch genau dagegen auferstanden: Gerade nicht Strafe, Vergebung verspricht Veränderung! Ostern ist deshalb ein Affront gegen das Schweigen, wenn Menschenrecht mit Füßen getreten wird. Es ist ein Affront gegen religiöse Intoleranz und rechtsradikale Geschichtsverdrehung, gegen Kindersoldaten und Pornographie mit Kindern und Jugendlichen. Ostern ist ein Affront also gegen jede Gewalt, die Menschen einander antun, und erst recht und noch viel mehr ist es ein Affront gegen Gewalt, die wir uns in unserer eigenen Institution antun, emotional, sexualisiert, unheimlich.
Ostern ist ein Affront gegen den Todesbann in unserem Leben. Biete die Stirn, hebe die Augen und siehe – es gibt ihn zu sehen, den lebendigen Christus. Ganz konkret. Und fragte man uns, was wir da sehen – könnten wir, jede und jeder für sich, etwas sagen von Freiheit und Erlösung und Erleichterung und Zuversicht? Könnten wir uns bittschön vorstellen, wie wir der übermäßigen Sorge eine freche Grenze setzen? Dass wir mit dem sterbenskranken Freund nicht nur das Verlorene beweinen, sondern auch einmal scheinbar pietätlos über ihn und mit ihm scherzen? Dass wir laut zeigen, ganz furchtbar emotional, wie sehr wir jemanden mögen. Dass wir Zorn zeigen, wenn er sich Luft machen muss. Kurz: Dass wir sind, die wir sind - unvernünftig, gottverlassen, liebeshungrig, unperfekt, stieselig, versöhnlich, unnahbar – und unnachahmlich wir selbst. Willkommen im Italienisch Kurs im Dom zu Lübeck, liebe Gemeinde, im Kurs des Lebens.
Nicht dass ich´s vergess: am Schluss fahren sie alle nach Venedig, die italienischen Dä-nen. Und sie finden sich, finden sich auch in einem Restaurant wieder und bestellen in perfektem Italienisch das Beste für das Fest ihres Lebens. Und Andreas, ja der Pastor Andreas findet seine Olympia und: dass er wieder etwas glauben kann. Christus – mitten unter uns. Aufgestanden für das Leben.
Nicht Basta – aber:
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, den wahrhaftig Auferstandenen. Amen