9. April 2012 - Predigt zu I. Korinther 15, 50-58
12. April 2012
Liebe Gemeinde! I „Erschienen ist der herrlich Tag, dran niemand g´nug sich freuen mag…! – Unsere Osterlieder sind von überschäumender Freude bewegt. Unerschrocken klingt es: „Die alte Schlange, Sünd und Tod, die Höll, all Jammer, Angst und Not, hat überwunden Jesus Christ…“ - „Die Sonn, die Erd, all Kreatur, alles, was betrübet war zuvor, das freu sich heut an diesem Tag, da der Welt Fürst darniederlag. Halleluja!“ Keiner kann uns mehr etwas anhaben mit diesem Gott an unserer Seite! Mit ihm werden wir auferstehen mitten im Leben und uns nicht sagen lassen, wann Anfang ist und schon gar nicht, wann Ende! Oder, wie Paulus schreibt: „Der Tod ist verschlungen vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ Ganz am Anfang der Glaubensgeschichte der Christen steht, singt und tanzt die Freude über die Nachricht, dass einer, der tot war, auferweckt wurde von Gott zum Leben! Das Entsetzen der Frauen am Ostermorgen wurde verwandelt in diese Freude. Ebenso die Erfahrung der beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus – der Fremde, der das Brot bricht und den sie dabei erkennen als den auferstanden Christus: „Brannte nicht unser Herz“? – Tod, wo ist dein Sieg?
II
Dieses Wunder des Umschwungs vom Tod zum Leben wurde gefeiert und besungen schon von den ersten Christenmenschen, und es musste zugleich argumentativ im Kontext der hellenistischen und römischen Welt vertreten werden. Im I. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth klingt das so:
„Das sage ich aber, liebe Brüder, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können; auch wird das Verwesliche nicht erben die Unverweslichkeit. Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit. Wenn aber dies Verwesliche anziehen wird die Unverweslichkeit und dies Sterbliche anziehen wird die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht: «Der Tod ist verschlungen vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?» … Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus! Darum, meine lieben Brüder, seid fest, unerschütterlich und nehmt zu in dem Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“ (1. Korinther 15, 50-58)
Liebe Gemeinde, in der Epistellesung aus dem gleichen 15. Kapitel des Korintherbriefes haben wir gehört, wie Paulus sich in´s Zeug legt, um zu begründen, dass es eine Auferstehung der Toten gibt – und vor allem, dass Jesus Christus der erste ist, den Gott tatsächlich auferweckt hat von den Toten. Das, was bei Gott also möglich ist, das hat Gott selbst mit Jesus wirklich werden lassen. Damit aber – so Paulus weiter – hat sich die Wirklichkeit der Welt fundamental verändert. Diese grundlegende Revolution Gottes ist geschehen und bleibt in Kraft – und kein „Eiserner Vorhang“ oder auch kein „Kampf der Kulturen“ wird sie sichern müssen oder aufhalten können. Diese Revolution Gottes bedroht nichts und niemanden – außer den Tod und die Mächte des Todes. Sie allein werden ent-mächtigt. Eine große Verwandlung ist da geschehen, ein für allemal: Gott hat den gekreuzigten und gestorbenen Jesus auferweckt von den Toten. Es ist also nicht alles aus, wenn etwas zu Ende ist! Nach unserem Lebensende kommt nicht ein Nichts. Bei Gott geht nichts und niemand verloren!
Natürlich: Die Spuren des Todes sind sichtbar in dieser Welt. Und Paulus behauptet nicht, dass kein Sterben mehr sein wird. Er verweist jene, die meinen, mit Jesu Auferstehung sei nun alles vollbracht und auf ewig gestellt, auf die Realität: Was verweslich geboren ist, bleibt verweslich. Aber verwandelt werden wir durch die Auferstehung Jesu, erkennbar verwandelt, wenn wir anziehen die Unverweslichkeit – wenn wir also leben aus der Kraft des Lebens des Auferstandenen. Aus der Hoffnung, die Leben erwartet, nicht Tod. Wie die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus es plötzlich – im Nu des Augenblicks – verstehen. Als sie den Weggefährten zwar nicht kennen, aber ihn erkennen an dem, was er sagt und tut: Verwandlung im Nu!
Die Frauen auf dem Weg zum Grab scheinen am Ende. Und dann – unglaublich, aber wahr; Grund für Furcht und große Freude zugleich: Der Stein vor Jesu Grab: weggewälzt; das Grab: leer! „Fürchtet euch nicht“, hören die Frauen. Das ist das Ungeheuerliche, Umwälzende, das den Frauen am Ostermorgen in die Glieder fährt. Jesus, ihr Freund und Meister, am Kreuz gestorben, tot ins Grab gelegt. Aber dort ist er nicht mehr. Weil Gott es vermag, von den Toten wieder herauf zu führen, Tot geglaubte ins Leben zurück zu bringen.
Außer sich geraten die Menschen am Ostermorgen. So ist Ostern: ein Weckruf des Glaubens.
III
Wir brauchen es, dass wir erinnert werden an Gott, seine Macht und Kraft. Die Mächte des Todes sind gegenwärtig. Überall in der Welt werden wir zu Zeuginnen und Zeugen von Kriegen, Hunger, Ungerechtigkeit, Verfolgung. Sehen Dürftige im Staub und Arme in der Asche. Und manchmal fühlen wir uns selbst wie abgestorben: Es gibt so viel, was uns im Glauben erschüttert und zweifeln lässt an uns, an anderen, an Gott. Ja, es wird noch gestorben in dieser Welt, und es wird noch getötet in dieser Welt – das war für Paulus so unübersehbar wie für uns. Und die gewaltsame Herrschaft des Todes gewinnt an Kraft und Dynamik durch Sünde und Gesetz, sagt Paulus, also durch die überheblichen wie frommen Versuche, wie Gott sein zu wollen, ihn im eigenen Leben zu entmachten oder ihn ins Festtagsexil zu verbannen. Aber es gibt die Bewegung von Ostern her: Es hilft das Aufschauen auf den, der alles so herrlich regieret. Der, der dem Tod in die Speichen greift, wird auch das Rad meines Lebens drehen und lenken.
Die Lebensenergie, die von dem auferweckten Jesus ausstrahlt, wirkt weit über den Kreis der Christen hinaus. Sie ist lebendig auch außerhalb von Kirchenmauern – zum Glück! Wer an die Auferstehung glaubt, gibt sich nicht zufrieden mit Ungerechtigkeiten, mit sozialen Gräben, mit Gewalt und Hunger, wo auch immer in der Welt. Viele Menschen leben von dieser Energie her und versuchen, sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen, ob sie sich selbst nun als religiös verstehen oder aber eher als religiös unmusikalisch. Die Ostermärsche, die es seit mehr als 50 Jahren gibt, sind so ein Zeichen des Aufstands für das Leben und gegen die Werkzeuge des Todes. Es werden weniger jedes Jahr. Aber der Grund des Protestes ist nicht kleiner geworden: Blutvergießen, sinnloses Sterben durch Waffen überall. Es kann uns nicht ruhig lassen, wenn der Diktator in Syrien weiter auf sein eigenes Volk Bomben wirft und täglich Hunderte gewaltsam sterben – weil sie sich sehnen nach Gerechtigkeit und Teilhabe. Und es kann uns nicht ruhig lassen, wenn Christen in Afrika und an anderen Orten der Welt verfolgt, getötet werden – wie es uns nicht ruhig sein lassen kann, wenn Angehörige anderer Religionen wegen ihres Glaubens verfolgt und ihre Heiligtümer niedergebrannt werden. Dem Hass ist nicht mit Gleichgültigkeit zu begegnen. Und auch nicht mit neuem Hass!
Der Osterglaube ist keine Privatsache, sondern wirkt sich aus auf diese Welt: Gott kehrt die Werte der Welt um; er zeigt ein Ende mit dem Elend und macht einen Anfang mit Freiheit und Gerechtigkeit, die fließen sollen wie ein Strom. Dieser Gott lässt sich nicht vereinnahmen von denen, die ihn so gern für sich gepachtet hätten: Die Mächtigen, die mit ihm in den Krieg ziehen wollen; die Wahnsinnigen, die in seinem Namen töten, terrorisieren, unterdrücken; die Frommen, die selbstgerecht richten über Gut und Böse, Himmel und Hölle. Der Gott der Auferweckung Jesu richtet auf – hebt den Bedürftigen aus dem Staub und den Armen aus der Asche. Es ist sein Wille nicht, dass das Elend dieser Welt das letzte Wort behalte. Es ist sein Wille nicht, dass Menschen Hungers sterben, verfolgt werden und verachtet. Es ist sein Wille, dass ein Ende damit sei.
Es kann nicht angehen, dass riesige Rettungsschirme aufgespannt werden und zugleich Millionen von Menschen im Regen stehen, nicht haben, was sie zum Leben brauchen. Wir brauchen eine Wirtschaft, die dem Menschen dient – nicht umgekehrt. „…seid fest, unerschütterlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“ – so Paulus.
Werdet himmlisch, lebt das Himmlische, damit alles verwandelt werden kann. Ja, die Auferstehung Jesu ruft in die Auferstehung jetzt, in den Aufstand gegen den Tod, gegen alles, was das Leben bedroht hier in der Welt; ruft in den Widerspruch gegen allen Hass und alle Gewalt, gegen Intoleranz und radikale Ideologie. Und: Wir behaupten den Sieg auch stellvertretend für jene, die sich besiegt sehen vom Tod, denen durch Mord und Missbrauch das Liebste genommen und der Lebensmut entwendet worden ist. Der Tod ist ein Erschütterer. Der Glaube aber setzt dem Todesschweigen die Stimme des Lebens entgegen. Und wir behaupten nicht mit Worten, sondern indem wir anziehen den Widerstand und aufmerksam sind für die Zartheit des Lebens. Indem wir trösten die Untröstlichen.
Darum auch sind unsere Feiertage von so großer Bedeutung – nicht nur für Christenmenschen. Sie sind Erinnerungsräume, Kraftfelder. Sie helfen, aus der Selbstbezogenheit auszubrechen, die der Tod jeder Gemeinschaft ist. Der Widerstand gegen die Ruhe des Karfreitag in diesem Jahr z. B.; der Protest gegen das Verbot, zu tanzen; die Behauptung eines Politikers, so ein Tag sei ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte – all das offenbart einen beunruhigenden Zustand unserer Gesellschaft, die nur noch schwer bereit und in der Lage scheint, innezuhalten, den Blick von sich selbst weg und auf die Nöte der Welt zu richten. Eine Gesellschaft, die sich ihrer Wurzeln nicht mehr bewusst ist, die sie gar zu kappen bereit ist: Sie hat keine Zukunftskraft. Freiheit, auf die man sich beruft, indem man das Gedenken an das Kreuz Jesu und damit an das Kreuz der Welt, der Elenden und Schwächsten vernachlässigt oder ablehnt, solche Freiheit kehrt sich in ihr Gegenteil. Freiheit heißt nicht, jede und jeder kann tun und lassen, was er oder sie will und wann er oder sie will. Freiheit braucht einen verabredeten, gemeinsam vereinbarten Rahmen. Freiheit führt in die Verantwortung – für andere, für die Welt. Der eine, der für uns auferstanden ist, damit wir leben haben, ermächtigt uns:
„Geht nach Galiläa“, sagt der Engel zu den Frauen. Geht dahin, wo die Menschen sich sehnen nach Gott, wo sie warten auf das befreiende Wort, die helfende Tat. Geht als Verwandelte und legt Einspruch ein, wenn der Mensch zum Objekt wird, sein Marktwert zum Maßstab wird; wenn Armut und Alter, Krankheit und Tod verdrängt werden! Geht und steht auf, wenn Integration immer nur den Fremden fordert, sich anzupassen und die eigene Bewegung auf das Fremde zu verweigert! Gottes Anhänger müssen Einspruch einlegen, wenn Respekt nur eingeklagt, nicht aber auch erwiesen wird!
IV
Ich habe dieser Tage ein kleines Ostergedicht gefunden:
„Wir sind auf der Suche/ nach der Kraft, /die uns aus den Häusern, /aus den zu engen Schuhen/und aus den Gräbern treibt.
Aufstehen und/ mich dem Leben in die Arme werfen - /nicht erst am jüngsten Tag, /nicht erst, wenn es nichts mehr kostet/und niemandem mehr weh tut.
Sich ausstrecken nach allem, was noch aussteht, /und nicht nur nach dem Zugebilligten. /Uns erwartet das Leben./ Wann, wenn nicht jetzt?“ (Luzia Sutter Rehmann)
Denn: „der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden!“
Amen.