Abendmahlsgottesdienst zum Pfingstsonntag
19. Mai 2024
Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs über Johannes 14, 23-27
Cara Communita ecumenica,
vi ringrazio molto per l´invito al vostro quasi secondo centenario di questa meravigliosa Chiesa luterana. E per me una grande gioia, oggi poter predicare qui – e ammetto subito di non konoschere nemmeno una parola italiano. Proprio niente.
Alles klar? Nun gut, das ist nicht gerade hamburgisch, liebe Pfingstgemeinde zu St. Jacobi, die ich Sie mit großer Begeisterung begrüße und von Herzen gern wieder treffe. Danke, liebe Lisa Tsang, für die Einladung, mal was Sinnvolles zu tun und bei der Vakanzvertretung zu helfen.
Nein, das eben war der Beginn einer Predigt, die ich am Himmelfahrtstag vor einigen Jahren die Ehre hatte, in Rom in der deutschen Gemeinde zu halten. Und zwar auf Italienisch. Dabei spreche ich diese Sprache eigentlich nicht. Genau darum ging es in den Eingangssätzen: Dass ich mich sehr über die Einladung freue, in dieser wunderbaren lutherischen Kirche zu predigen. Und dass ich es am besten gleich zugebe, bevor es jemand merkt: dass ich kein Wort Italienisch kann. Proprio niente. Gar keins.
Ja, aber warum denn dann überhaupt italienisch, ausgerechnet in der deutschen Gemeinde? werden Sie fragen. Nun, es gibt dort die schöne Tradition, dass die Lutheraner an Himmelfahrt alle anderen Konfessionen zu einem ökumenischen Gottesdienst, mit Gastpredigerin, und vor allem zu einem rauschenden Gartenfest einladen. Und sie kommen alle: die Waldenser mit härenem Gewand, die Anglikanerin, very british, die Benediktiner, mit den amerikanischen Franziskanern im Schlepp, die Syrisch-Orthodoxen (und während ich sie aufzähle wird mir bewusst, dass in Syrien immer noch Krieg tobt, mein Gott), schließlich die lebhaften Brüder der katholischen Gemeinschaft zu Sant‘Egidio, die großartige Flüchtlings- und Sozialarbeit leisten. Kurz und gut: Die ganze bunte christliche Weltfamilie aus aller Herren Länder hat diese eine entscheidende Gemeinsamkeit: Italienisch. Sie alle zusammen sprechen viele Sprachen, nur nicht die selben. Bis auf – …
Nun also: parlare italiano. Interessant, sich in eine fremde Sprache einzufühlen, anstatt sie kognitiv zu erlernen. Es war für mich ein bereicherndes Risiko. Bei dem übrigens alle auch ein wenig mitbangten, ob ich bis zum Schluss durchhalte. Und vergnügt registrierten, dass Perfektion nicht alles ist. Es war wie eine Art paralleles nonverbales Gespräch mit der Gemeinde. Und mir ist wieder einmal nachgegangen, wie die Sprache unseres Glaubens nicht nur die Wiedergabe von Vokabeln ist.
Es geht vielmehr um eine ganz eigene Sinnmelodie, die sich einwebt ins Gesprochene. Eine Melodie, die Bilder weckt von Frieden und Gemeinschaft, die Trost schenkt und innere Ruhe, oder die einen mit den Koloraturen einer „Singet!“-Motette in gnadenlos gute Laune versetzt. Unsere Sprache des Glaubens trägt und bewegt und hofft bis ins Innerste, Herz und Sinne eben, das ist ihr Ziel. Und deshalb ist sie eine Sprache nicht nur mit Worten, sondern mit Gesten und Taten und Noten und Händen und Füßen – und sie kann nur entstehen in Beziehung, im Miteinander.
Das liebe ich so an unserem Glauben: dass er kein Privatissimum ist. Kein Eigen-tum, sondern Geschenk für alle. Weltverschwenderisch weitherzig wird kommuniziert. Und zwar auch, weil unser Glaube den Geist lebt, die Verschiedenheit unter uns herzhaft zu bestaunen. Nach dem Motto: „Ach, das gibt es also auch?“ So viele bunte Vögel, sehnsüchtige Atem-Künstlerinnen [Hinweis auf die folgende Ausstellung], ein klangvirtuoses Arp-Schnitger-Ensemble, das alles gibt‘s in Gottes Weltenfamilie! Wow. Oder: „Oh mio Dio, wie schön!“ Oder hamburgisch: „Nützt ja nix.“ Oder was immer man heutzutage unter der in der Pfingstgeschichte gerühmten Zungenrede versteht ...
Und überhaupt diese Pfingstgeschichte, die vielen ja ziemlich rätselhaft erscheint. Mit den roten Flammen auf den Köpfen, vor sich hin murmelnden Leuten, die sich irgendwann selig in die Arme fallen und verzückt tanzen – so dass man sie für betrunken hielt vom Federweißen ...
Mitnichten war man betrunken, liebe Gemeinde. Vielmehr wird hier von der heilsamsten Ernüchterung aller Zeiten erzählt. Denn allein durch Gottes Geist, des Geistes Gegenwart wird für die Suchenden und Verzagten, wird in der bedrückenden Kakophonie damaliger Not und Gewalt die Sinnmelodie eingespielt. Und die hat den einen entscheidenden Grundton, entgegen allem ungeduldigen Unverständnis, Abwerten, Verurteilen, Fertigmachen, und das ist das Lieben. Gemeinsames Lieben des Unterschieds. „Euer Herz erschrecke davor nicht.“
Brennendes, anrührendes, herzbewegendes Lieben, das ist die Sprache des Pfingstfestes. Liebe, die umarmt, was in uns zittert. Und die zutiefst respektiert, wer du bist und wie du bist. Liebe, die immer mehr wird, wenn man sie teilt – aus ihr heraus wird die Kirche geboren. Unterschiede in Kultur und Sprache spielen in ihr keine Rolle mehr.
All die Verschiedenen aus Phrygrien und Pamphylien – und wer weiß, auch Italien! – verstanden sich, ohne auch nur eine Vokabel des anderen zu kennen. Man muss sich einmal ganz nüchtern klarmachen, was für ein Wunder das war. Denn noch kurz zuvor waren die Freundinnen und Freunde Jesu so ratlos. Ängstlich in sich zusammengesunken, fragten sie: Was soll werden, jetzt wo Christus endgültig gen Himmel gefahren ist?
Und sie fangen an, wie alle Trauernden, sich zu erinnern. So tröstlich. Auch Jesu letzten Worte: „Meinen Frieden gebe ich euch“. Und sie denken dabei: Ja, brannte denn nicht wahrhaftig unser Herz? Für diese Idee. Für das Reich Gottes, in dem kein Leid und keine Gewalt und keine Tränen mehr sein sollen. Und dann fühlen sie auf einmal, wie sie ein gemeinsamer Geist wärmt. Erfüllt. Mit Friedenssehnsucht. Tatendrang. Liebesworten. Das will gar kein Ende nehmen!
Sie sind so glücklich. Denn Jesus ist immer noch da. Anders zwar als zuvor. Aber die Liebe, die er uns gegeben hat, sie lebt doch unter uns weiter! Das Trösten von Traurigen – das können wir auch. Das Beten – nicht umsonst hat er uns das Vaterunser ins Herz gesenkt. Bedingungsloses Eintreten für Gerechtigkeit – hat er uns nicht gezeigt, wie das geht? Was Jesus tat, das können wir weiterführen – und ausnahmslos jeder Mann, jede Frau und jedes Kind muss das damals mit Herz und Kopf erlebt haben, was Jesus gemeint hat, als er in seiner Abschiedsrede sagte: „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“
Wo die Liebe wohnt, da wohnt Gott, heißt das. Wo Menschen sich umeinander Sorgen machen, wo Menschen wieder zu Atem kommen, wenn die Angst nachlässt, wo zwei reden, um wieder zueinander zu finden, wo das Kind auf Händen getragen und wo gekämpft wird für die Würde der Erniedrigten, wo Menschen im Schweigen miteinander tragen, was keine Worte mehr findet – wo also diese ganz real erlebbare Liebe wohnt, da wohnt auch Gott. Und das Reich Gottes ist mitten unter uns.
Mich bewegt das in diesen Tagen. Dass an Pfingsten ein Geist der Zuneigung und Verständigung im Hier und Jetzt der Welt geboren ist und gegenwärtig sein will! Als einigendes Band zwischen den Meinungsverschiedenen. In diesem Geist erblickt die Kirche das Licht der Welt – und zwar vom ersten Moment an als ein einziges, hemmungsloses Aufeinanderzugehen. Zuhören. Tatsächlich verstehen wollen. Verständigung, die auf einmal einen Ort findet. Verständigungsort Kirche.
Verständigungsort – das trifft den Nerv der Zeit. Denn um die Friedfertigkeit in der Gesprächskultur ist es derzeit nicht gut bestellt. Die Fähigkeit, sich im Gespräch anzunähern scheint immer seltener zu werden, weil andere Meinungen gar nicht mehr gehört werden. Die Sprache gerät an ihre Grenze, und Kompromisse rücken in weite Ferne. Stattdessen erleben wir tätliche Angriffe auf demokratische Politikerinnen und Politiker; und richtiggehender Hass auf Andersdenkende bricht sich gewaltsam Bahn auf unseren Straßen. Das ist besorgniserregend!
Wenn es dazu eine Gegenbewegung gibt, dann in der Kirche, die heute Geburtstag feiert – gern noch viele, viele weitere. Arbeiten wir daran! Weil des Geistes Gegenwart uns zu allen Zeiten aufrüttelt, liebe Geschwister, dass wir eben mit Geistesgegenwart den dumpfen Parolen, die Spaltung wollen, unsere Einigkeit entgegenstellen. Indem wir zusammenhalten, und zusammen dafür halten, dass es jetzt, im 75. Jahr des Grundgesetzes, eine klare Sprache für unsere Demokratie braucht. Demokratie und Freiheit bekommen wir nicht geschenkt. Also: Riskieren wir uns. So verschieden wir sind. Und so verschieden wir glauben. Riskieren wir, unsere Einheit sichtbar zu machen inmitten der Spaltungen, die unsere Gesellschaft zu zerreißen drohen. Vielleicht ja sogar, indem wir friedlich auf die Straße gehen, am 7. Juni in der Innenstadt? Riskieren wir, von Liebe, Nächstenliebe zu reden inmitten des Hasses, den etliche in unserem Land ganz bewusst schüren.
Es ist Zeit, unserer christlichen Hoffnung Hand und Fuß zu geben! – Und dies nicht evangelisch hier und katholisch dort und orthodox dazwischen. Sondern gemeinsam und ökumenisch für die ganze Welt und – natürlich jetzt – für Europa! Mit einer Sprache – das war uns wichtig – haben deshalb Bischof Bätzing, der griechisch-orthodoxe Erzpriester Miron und ich bundesweit dafür geworben, Europa die Stimme zu geben, um es zu stärken. Ein demokratisches Europa, das auf Werten basiert, die von unserem christlichen Glauben mitgeprägt wurden. Für den Schutz der unveräußerlichen, gleichen Würde aller Menschen – dafür braucht‘s jetzt jede Stimme!
In den kommenden fünf Jahren sind so viele Krisen zu bewältigen – vom Angriffskrieg auf die Ukraine in unmittelbarer Nachbarschaft angefangen, über Klimawandel, zunehmenden Rechtsextremismus und bedrückenden Antisemitismus, bis hin zu einer Asyl- und Migrationspolitik, bei der Menschenwürde und Menschenrecht nicht an den europäischen Außengrenzen enden dürfen. Für all das brauchen wir Kompromisse und ein handlungsfähiges Europa. Und das kann nur gemeinsam gehen. Eben nicht mit mehr Abschottung und Nationalismus. Sondern mit Freude an der Vielfalt, liebe Geschwister zu Pfingsten 2024, „euer Herz fürchte sich nicht“.
Riskieren wir also, pfingstbegeistert zu lieben und zu beten und zu hoffen und zu handeln. Das Leben zu wählen. Wir haben die Sprache dafür!
Rischiamo, dunque, la fede in un cielo che vuole farsi terreno. Per fario, abbiamo recevuto la forza dello Spirito Santo! – Riskieren wir, so ging´s denn auch in Rom in die Schlusskurve, riskieren wir den Glauben an ein Himmelreich, das sich erden will. Durch uns. Dazu haben wir die Kraft des Heiligen Geistes empfangen! Und so werden wir uns auch heute und hier in St. Jacobi einander zuwenden, vereint in aller Verschiedenheit, und einander zurufen: La pace sia conte. Friede sei mit dir. Jetzt!
Gottes Friede ist‘s, höher als alle Vernunft, der unsere Herzen und Sinne vereinen will und immer wieder bewahrt in Christus Jesus. Amen.