14. Januar 2023 | Hauptkirche St. Katharinen, Hamburg

Abschlussgottesdienst zum Fernstudium Feministischer Theologie

14. Januar 2023 von Kirsten Fehrs

Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Römer 8,22-26

Der Friede der Ewigen sei mit uns allen. Amen.

Liebe Festgemeinde,

mit so viel Freude und Anerkennung, ja ehrlichem Vergnügen stehe ich hier. Natürlich zuallererst, um angesichts der beeindruckenden Werkstücke zu gratulieren, liebe Absolventinnen. Überhaupt stehe ich bewundernd davor, wie Sie sich durch so viele unterschiedliche theologische Themenfelder hindurchgedacht, -gewundert und -gearbeitet haben. Ja, mehr noch: Sie haben sich auch mit ihrer ganzen Persönlichkeit auf eine feministische oder doch geschlechterbewusste oder doch eher kontextuelle, in jedem Fall neue theologische Auseinandersetzung eingelassen. Das verändert einen doch! Das ist jedenfalls meine Erfahrung.

Dabei klingt „Fernstudium“ ja zunächst dröge, nach: weit entfernt von allem irgendwo sitzen, allein, im Kämmerlein, und dann auch noch studieren müssen. Nein, Sie strahlen genau das andere aus: dass es um Lust geht, um Lust an Erkenntnis, und mehr noch: dass es jenseits des Kognitiven immer um Beziehung geht, um die Anknüpfung der eigenen Biographie mit dem Existentiellen, was sich zuhauf in der biblischen Tradition mal verbirgt, mal offenbart.

Fernstudium, das ist für Sie, glaube ich, wie eine Reise in ein neues Land geworden, mit einer faszinierend-irritierenden Fremdheit und zugleich der Sehnsucht, anzukommen. Anzukommen am anderen Ufer der Gedankenflüsse, anzukommen bei sich selbst, auch um die inneren, prägenden Bilder zu orten und zu verstehen. Und nicht zuletzt: anzukommen bei Gott. Bei der Ewigen, die sagt: „Ich bin, die ich sein werde.“ Sie, deren Nähe mir aufrichtig Hoffnung gibt in dieser Zeit. Hoffnungskraft, die der Erschöpfung und allem, was einen in dieser Welt – wie es im Römerbrief heißt – wahrlich ins Schreien bringen kann, etwas entgegen setzt.

Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mit uns gemeinsam schreit und mit uns zusammen an der Geburt arbeitet, bis jetzt.Mit uns gemeinsam, das ist die die erste Spitze des Predigttextes, den Sie sich ausgesucht haben. – Übrigens, ich bin im Vorwege selten so akkurat auf einen Bibeltext vorbereitet worden, so dass ich dachte: Warum predigen Sie nicht eigentlich selbst? Und ich setze mich fröhlich hin und erfreue mich Ihrer Gedankenklugheit! – Denn gemeinsam, miteinander, das ist doch der erste Akzent, auch des Textes. Heißt weiter: Wir sind keine Zuschauerinnen der Schöpfung, stehen ihr nicht gegenüber – als könnten wir uns entscheiden, bei dieser Veranstaltung mitzuwirken oder nicht. Nein, wir sind Teil der Schöpfung. Sind Teil ihrer Lust und ihrer Fülle und Vielfältigkeit.

Wir – gemeinsam! – tragen in uns die Geburt von etwas Neuem; wir alle schreien im Schmerz, denn wir alle haben Anteil an ihrer Zerstörung. Wir wissen, wie zerbrechlich die Schöpfung ist und zugleich wie wunderschön. Sind wir doch selbst alle Geschöpfe, mit je eigener Haut und Haar und Füßen und Ohrläppchen. Sagenhaft! Divers ohne Ende. Und sagenhaft gleich-würdig. Liebe Schwestern, das ist das Ergreifende an diesem Römertext: Er spiegelt diese ganz besondere, so vielfältige Körpersprache unseres Glaubens wider. Nicht seufzen über das Leid, nein schreien, das ist Wut, Ohnmacht, Widerstand, da geht gar nichts ohne den Körper und feste Füße und laute Stimme. Zuneigung und Streicheln. Liebe deine Nächste, das geht doch nicht ohne Fingerspitzen. Das Brot brechen und einander ansehen. Ansehen geben, das geht nicht ohne Hände, die man einander reicht, und ohne die Sinne, mit denen man was merkt. Mein Glaube bleibt, je länger ich mich darin befinde, ein Berührtsein vom Staunen über diese einzigartigen Schönheiten dieser Welt und zugleich vom Schmerz – auch dem Schmerz der Wahrheit, weil so viel Unheil die Schöpfung zu zerbrechen droht.

Kennen Sie Kintsugi? Das ist eine traditionelle japanische Reparaturmethode für Keramik, wenn sie zerbrochen ist. Dabei wird interessanterweise nicht versucht, die Teile wieder so zusammenzufügen, dass die Risse und Bruchkanten unsichtbar werden, sondern genau das Gegenteil: Der Bruch wird vergoldet. Aus dem Kaputtgegangenen entsteht eine Kostbarkeit. Eine neue Teeschale etwa, die man wieder benutzen kann. Mit einer ihr eigenen Schönheit, die dadurch entsteht, dass die Bruchstellen golden hervorgehoben werden. Der Schmerz wird also gerade nicht unsichtbar gemacht, mit dem Gold wirst du vielmehr eingeladen hinzusehen.

Immer wieder neu hinsehen, auch um den Schmerz in der Welt – und bei sich selbst – nicht zu übersehen. Ich habe das Gefühl, dass Sie auch dies miteinander verbunden hat. Indem manche Ihrer theologischen Auseinandersetzungen die persönlichen Risse und ungelösten Fragen behutsam in einen Herzensraum genommen hat. Raum haben Sie einander gegeben – eben auch für die Brüche im Leben. Fürs genaue Wort und die Abwägung. Fürs sensible Gespräch. Für Lösungen. Keine Lösungen. Für das Aushalten von Spannung. Die Ungeduld gegenüber paradoxer Wirklichkeit. Und – mag sein – im Geist der Ewigen dies alles geteilt, wird es irgendwie wieder ganz. Weil Gott ja einer ist, der dich sieht, der das Ganze sieht in deinem Leben. Dir Ansehen gibt. Und zwar nicht trotz, sondern mit den ureigenen Brüchen und Wunden. Jede hat und kennt sie, die vertanen Chancen, Enttäuschungen, Liebeskummer, Krisenwunden. Schuldgefühle, die nicht nur Fehler sind. Und normalerweise halten wir dies sorgsam verborgen – in unseren versklavten Körpern. Es ist eben gerade nicht so „schön“, anderen gegenüber die eigene Verletzlichkeit zu offenbaren, allemal in einer Gesellschaft der Starken.

>Und bei Kintsugi nun wird genau dies scheinbar Unvollkommene vergoldet und zur Kostbarkeit erklärt. So sollten wir‘s auch machen! Denn damit wird die Erfahrung gewürdigt, dass Zerbrochenes sich wieder fügt, dass der Himmel wieder blau werden und die Hoffnung uns neu erfüllen kann, wie ein heiles Gefäß.

Auf diese Weise neu hinsehen: hinsehen mit dem Schmerz, ja, aber, das ist die zweite Spitze des Textes, auf Hoffnung hin.

Hinsehen und hindenken und hinbeten, natürlich tun wir dies immer wieder zu denen hin, die existentiell von dem barbarischen Angriffskrieg auf die Ukraine getroffen sind. Ein Krieg, in dem nicht allein tausende Menschen, auch russische Soldaten, sterben, sondern in dem die Menschlichkeit stirbt. Wir könnten doch schreien angesichts dieses gewissenlosen Diktators, der alles in Grund und Boden bombt und weltweite Hungersnot verursacht! Fassungslos sehen wir hin und denken und beten für sie, die dieser – nein: jeder Diktatur die Stirn bieten. Sie, die vielleicht in diesem Moment in ihrer Verzweiflung sagen: Was wir sehen, macht keine Hoffnung. Wie können wir hoffen angesichts dessen, was wir sehen?

Liebe Geschwister, deshalb gerade: Hinschauen ist das Wenigste! Und dann denken, schreiben, beten, im Namen Gottes sich ein Herz nehmen und handeln. Auf Hoffnung hin! Denn das ist ja das Rettende der christlichen Hoffnung, von dem der Römerbrief spricht: Nicht dass Hoffnung da ist, wenn alles so gut läuft. Sondern dass sie bleibt, obwohl so vieles ganz schlimm läuft. Deshalb halten wir Fürbitte für einander. Denken an die, die erkrankt sind unter uns. Und deshalb haben wir vom Frauenwerk – seit 30 Jahren schon – AMICA unterstützt! Schreiben Solidaritätsbotschaften zu den Schwestern im Iran. Mit all dem sagen wir: Wir achten auf euch. Wir vergessen euch nicht. Hinsehen, mit widerständiger Geduld, ist die Gegenbotschaft zur Gleichgültigkeit.

Richtig so, denn wir spüren doch alle: Es steht eine tiefgreifende Wandlung an, in diesem Land und überhaupt. Wir werden nicht ins vermeintlich Normale zurückkehren. Das zeigen uns derzeit Lützerath und die Omas for Future schon lange. Zugleich sehen wir noch nicht, was es werden wird. Aber genau das mag doch Hoffnung geben! Hoffnung, die rettet. Denn vieles ist es doch wert, verändert zu werden! Dass wir nachhaltiger wirtschaften, Müll reduzieren, weniger Lebensmittel wegwerfen, mehr singen, wie hier, was weiß ich. Den Blick neu ausrichten, daraufhin, was man eben nicht nur sehen kann. Vertrauen: Wir überstehen das!

Denn wir haben die Kraft der Hoffnung in uns. Die Geistkraft, die geboren wurde, als unter dem Epiphaniasstern Gott vom Himmel auf die Erde kam. Mitten hinein in eine Welt, die schon damals unter Krieg und Schmerz litt. Schauen wir mit diesem Gotteskind neu auf die Welt. Nicht Zeiten-, Sichtwende, liebe Geschwister! Im Geiste Gottes aufs Ganze sehen, auf den Riss und das Gold, den Schmerz und die Schönheit. Die Schönheit jedes Neugeborenen, das der Welt ein so unglaublich freundliches Gesicht gibt. Die Schönheit der Musik, die einem irgendwie klar macht, wie viel Töne und Farben der Menschheit es gibt! Queer, nonbinär, trans, inter ... schön.

Und ganz anders schön empfinde ich auch ein klares Wort, das sich für andere einsetzt. Oder eure Herzenswärme, die den Frierenden mit ihren stampfenden Füßen die Hand reicht. Eure Courage für Mutter Demokratie. Überall Schönheit, die die Not nicht übersieht.

Liebe Schwestern Theologicae, ich danke euch von Herzen fürs Mittun und Mitdenken. Danke für euer Lernen, Ringen, Handeln, Suchen und Sehnen, und darin ja: für das gemeinsame Gebären einer neuen, einer tieferen Welt. Behaltet bloß die Lust an der Erkenntnis und danach, mehr von Gott, der Ewigen zu verstehen.

Zwecks Sichtwende. Darauf, was man nicht sehen kann. Dazu meine kleine Schlussepisode. Traf ich jüngst einen bekannten Meteorologen, der viel Kluges sagte über das Klima – auch unter uns – und über den Himmel und sein Blau. Auf die theologische Debatte, wo denn nun genau der Himmel beginnen würde, antwortet er: Meteorologisch direkt zu deinen Füßen. Wunderbar, sage ich, das heißt ja: Wir sind, stehen und gehen die ganze Zeit unseres Lebens mitten im Himmel. Durchschreiten ihn, jeden Tag. Und Gott geht, wandelt, bewegt sich dann ja direkt neben uns, ist ganz nah, Gott, die uns liebt und mit uns hofft

Bleiben Sie behütet und bleiben Sie sehnsüchtig – gesegnet mit dem Blau des Himmels und seinem Gold darin. Amen.

Datum
14.01.2023
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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