NS-Geschichte

Akademie der Nordkirche arbeitet NS-Vergangenheit von Hamburger Luxus-Straße auf

Nur wenige Stolpersteine erinnern daran, dass es vor dem Zweiten Weltkrieg im Neuen Wall eine Vielzahl jüdischer Geschäfte gab.
Nur wenige Stolpersteine erinnern daran, dass es vor dem Zweiten Weltkrieg im Neuen Wall eine Vielzahl jüdischer Geschäfte gab.© Andrea Kaiser

11. April 2024 von Claudia Ebeling, Andrea Kaiser

Cartier, Chanel, Tiffany … für Luxuswaren ist der „Neue Wall“ Hamburgs erste Adresse. Beste Lage war die Straße mit ihren Kontoren und Geschäften auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als 40 jüdische Unternehmer besaßen hier erfolgreiche Geschäfte - bis sie enteignet wurden.

Eine ausführliche Webseite mit allen Informationen, geschichtlichen Hintergründen und Möglichkeiten, Fundstücke einzureichen, hat die Evangelische Akademie der Nordkirche

An dieses dunkle Kapitel der Geschichte erinnert am Neuen Wall fast nichts. Auch hier hatte in der Pogromnacht, am 9. November 1938, der Mob getobt. Heute finden sich kaum noch Spuren der Menschen jüdischen Glaubens, die damals hier ihrer Arbeit nachgingen.

Verbrechen der breiten Öffentlichkeit bekannt machen

Viele gute Gründe für die Evangelische Akademie der Nordkirche, das erinnerungskulturelle Projekt „Neuer Wall“ zu starten. Denn welche Verbrechen diese Straße vor über 80 Jahren gesehen hat, ist der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.

Das Projekt möchte dies bisher zu wenig beleuchtete Kapitel der Ausgrenzung und wirtschaftlichen Verdrängung jüdischer Bürgerinnen und Bürger am Beispiel dieser bekannten Straße öffentlich machen.

Akademie-Direktor Jörg Herrmann im Interview zum Projekt Arisierung des Neuen Walls in Hamburg
Das Projekt zur Arisierung des Neuen Wall von Akademiedirektor Jörg Herrmann hat bereits einiges Medienecho in der Hansestadt ausgelöst. © Andrea Kaiser

Direktor Jörg Herrmann erläutert hier seine Motivation und seine Erwartungen

Was ist und war Ihre Motivation, sich dieses historische Kapitel der Stadt Hamburg vorzunehmen?

Jörg Herrmann: Das Thema der "Arisierung" jüdischer Geschäfte und Untenehmen ist ein blinder Fleck in der Auseinandersetzung der Hansestadt mit ihrer NS-Vergangenheit. Eine Aufarbeitung dieser Vorgänge der brutalen Beraubung jüdischer Mitbürger fehlt.

Viele wissen nicht, welches Unrecht der Deportation und Ermordung der jüdischen Mitbürger Hamburgs vorausging.

Am Beispiel der nur 580 Meter langen Straße Neuer Wall in der Hamburger Innenstadt lässt sich dieser Raubzug, der auf der Bühne der Stadt und unter aller Augen geschah, exemplarisch vergegenwärtigen und zum Gegenstand öffentlicher Erinnerungskultur machen.

Passage im Neuen Wall mit Buchhandlung Felix Jud
Im Neuen Wall waren bis zum Kriegsbeginn Anfang September 1939 über 40 jüdische Geschäfte und Unternehmen angesiedelt. In ganz Hamburg wurden etwa 1500 Unternehmen "arisiert". Hier die renommierte Buchhandlung Felix Jud, die heute noch existiert.© Andrea Kaiser

Ihre Geschichten zu erzählen, die Geschichen einst geachteter jüdischer Kaufleute und Unternehmer, scheint mir gerade jetzt, in einer Zeit, in der der Antisemitismus seit dem Angriff der Hamas auf Israel wieder aufflammt, besonders wichtig.

Was haben Sie bei der Vorbereitung erlebt: Welche Hürden gab es? Haben Sie aufwändig recherchieren müssen?

Jörn Herrmann: Wir haben viel Zustimmung erlebt. Zugleich mussten wir feststellen, wie aufwendig und mühsam die Aktenrecherche ist.

Jörg Herrmann ist dankbar für Archivmaterial:

  • Telefon: 040 306 20 14 52
  • Post: Königstraße 52, 22767 Hamburg

Der Journalist und Historiker Cord Aschenbrenner arbeitet seit fast zwei Jahren daran. Zeitzeugen konnten wir bisher nicht befragen, die meisten leben ja auch längst nicht mehr.

Was haben Sie seit dem Start erlebt? Welche Anliegen und Fragen gab es?

Jörg Herrmann: Wir haben uns bemüht, unser Projekt über verschiedene Kanäle bekannt zu machen und haben um Unterstützung bei der Recherche gebeten.

Daraufhin haben wir einige Mails und Zuschriften erhalten, die uns mit Dokumenten, Fotos und Erinnerungen weitergeholfen haben. Sie kamen aus Israel, Kanada, Amerika und Hamburg.

Welche Rolle und welche Aufgabe hat unsere Nordkirche bei diesem Thema?

Jörg Herrmann: Die evangelische Kirche und besonders die Evangelischen Akademien haben es immer für eine zentrale Aufgabe gehalten, die Erinnerung an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, an die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, präsent zu halten.

Damit, wie es der Philosoph Adorno formulierte "Auschwitz nicht noch einmal sei". Die Entrechtung und Enteignung der Juden gehört zur Vorgeschichte dieses staatlich organisierten Massenmords.

Was wünschen Sie sich für den Verlauf und die Zukunft des Projektes?

Jörg Herrmann: Ich hoffe, dass unsere ersten Berichte über das Projekt noch weitere Zuschriften auslösen, die unsere Recherche ergänzen und anreichern.

Blick in den Neuen Wall
Nichts erinnert heute an die jüdischen Unternehmer vor dem Zweiten Weltkrieg. Jörg Herrmann sagt: "Freuen würde ich mich, wenn es gelänge, die Politik und die Geschäftsleute vor Ort für die Aufstellung von einigen Tafeln im öffentlichen Raum der Straße zu gewinnen, die an die damaligen Geschehnisse erinnern. Dafür müsste auch weiteres Geld eingeworben werden." © Andrea Kaiser

Gibt es ähnliche Initiativen oder Recherchen in anderen Orten unserer Kirche?

Ich kenne ein ähnliches Projekt aus Berlin. Das dortige Stadtmuseum hat 2013 eine Ausstellung unter dem Thema "Geraubte Mitte. Die 'Arisierung' des jüdischen Grundeigentums im Berliner Stadtkern 1933-1945" präsentiert.

Die letzte größere Initiative der Nordkirche in Sachen NS-Vergangenheit war die von uns als Akademie erarbeitete Wanderausstellung "Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit ihrer NS-Vergangenheit umgingen" (2016-2019).

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