Nagelkünstler Günther Uecker im Alter von 95 Jahren gestorben
11. Juni 2025
Günther Uecker zählt zu den bedeutendsten deutschen Gegenwartskünstlern. Für seine Nagelbilder bekannt, vertrat er stets eine Friedensbotschaft, bezog mit seinen Werken Stellung gegen Ausgrenzung und Gewalt. Eines seiner letzten Werke sind vier Glasfenster für den Schweriner Dom. Nun ist er in Düsseldorf gestorben.
„Wo die Sprache versagt, da beginnt das Bild“ - dieser Satz des Bildhauers und Objektkünstlers Günther Uecker zieht sich durch sein jahrzehntelanges Schaffen. Aus erdhaften Elementen wie Stein, Sand, Asche und Metall schaffte es Uecker, „minimalistische Vokabeln als universal lesbare Sprache in die Köpfe seiner Betrachter zu pflanzen. Hier sucht ein Künstler den Dialog mit dem Betrachter - und findet ihn überall auf der Welt“, hieß es in der Ankündigung einer großen Uecker-Ausstellung 2015 in Düsseldorf.
„Zu dem, was ich sichtbar machen kann, gehören die Neigung zur Zärtlichkeit, die Möglichkeit, Mitgefühl für andere zu erzeugen“, so sagte es der international präsente Künstler einmal, der vor allem für seine reliefartigen Nagelbilder berühmt war. Uecker starb am Dienstag im Alter von 95 Jahren in seiner Wahlheimat Düsseldorf.
Geboren in Wendorf bei Schwerin
Geprägt hat ihn seine Herkunft als Sohn eines Bauern, am 13. März 1930 kam er in Wendorf bei Schwerin zur Welt. Seine Kindheit und Jugend, auch den Zweiten Weltkrieg, erlebte er auf der Ostseehalbinsel Wustrow. Er wuchs in relativer Armut auf. In der DDR studierte Uecker ab 1949 Malerei in Wismar, ging 1953 nach Westberlin und kam 1955 nach Düsseldorf, wo er an der Kunstakademie bei Otto Pankok studierte.
Erste Nagelbilder entstanden Ende 50er Jahre, daneben schuf Uecker Malerei, Zeichnungen, Skulpturen und Bühnenbilder und hatte in der NRW-Landeshauptstadt bereits 1960 seine erste Einzelausstellung. 1961 schloss er sich der von den Lichtkünstlern Heinz Mack und Otto Piene gegründeten Gruppe „Zero“ an.

Zu seinen Düsseldorfer Weggefährten zählte auch Gerhard Richter. Seine Schwester Rotraut, selbst Künstlerin, die er aus der DDR nach Düsseldorf nachgeholt hatte, heiratete 1962 den französischen Künstler Yves Klein, der für seine monochrome blaue Farbe bekannt wurde. Von 1974 bis 1995 unterrichtete Uecker an der Kunstakademie in Düsseldorf, 1978 zog er - frisch zum Professor ernannt - auf einem Kamel reitend in die Kunstakademie ein.
Ein Reisender und Brückenbauer
Uecker war ein Reisender, ein Brückenbauer. 1988, noch zur Zeit des Kalten Kriegs, konnte er in Moskau ausstellen, auch in Irans Hauptstadt Teheran oder in Peking waren seine Werke in Ausstellungen zu sehen. Zu seinen Werken inspirierten ihn nicht zuletzt Reisen in asiatische Länder, etwa nach Usbekistan. Im Mai reiste Uecker, schon stark geschwächt, nach Tadschikistan zu einer Vernissage.
Seit den 80er Jahren setzt Uecker sich zunehmend mit politischen Themen auseinander. Seine in rund 60 Ländern ausgestellten Arbeiten „Der geschundene Mensch“ sind eine Anklage gegen die Gewalt gegenüber Ausländern und Andersdenkenden, der Zyklus „Aschebilder“ befasst sich mit der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl. Für die Toten des Konzentrationslagers Buchenwald schuf er ein Steinmal. 1998 gestaltete Uecker den Andachtsraum des Berliner Reichstagsgebäudes.
Nagelbilder: Verletzung, Schmerz und Schutz
Neben den Stahlnägeln zählten Holzlatten, Leinentücher oder Schriftblätter zu seinen Materialien. Wobei der Nagel beides symbolisiert: Verletzung und Schmerz, aber auch Schutz. Wie beim Igel oder Stachelschwein recken sich die dicht gesetzten Nagelköpfe in seinen Werken möglichen Angreifern entgegen. Seine Nagelreliefs erreichten bei Auktionen Millionen-Erlöse und waren bei Sammlern beliebt. Sie hängen weltweit in Museen und Galerien, etwa in New York.
Kindheitserfahrungen im zweiten Weltkrieg prägten auch seine Kunst
Erst im hohen Alter erklärte Uecker seine Beziehung zum Stahlnagel mit einer Kindheitserfahrung während des Zweiten Weltkriegs auf Wustrow: Er habe das kleine Haus der Familie mit Brettern zugenagelt, um seine Mutter und seine beiden Schwestern vor Übergriffen russischer Soldaten zu bewahren. Und er berichtete von der Erinnerung, dass er nach dem Untergang des Flüchtlingsschiffs „Cap Arcona“ im Mai 1945 Dutzende angespülte Leichen vergraben habe.
Uecker war zweimal verheiratet, aus erster Ehe hatte er zwei Kinder, Marcel und Laura, mit seiner zweiten Ehefrau Christine hatte er den gemeinsamen Sohn Jacob. Bis zuletzt lebte Uecker in Düsseldorf-Oberkassel, sein Atelier hatte er im Düsseldorfer Medienhafen.

Zu seinen letzten Werken gehörten vier Glasfenster für den Schweriner Dom, die letzten beiden wurden im Dezember feierlich enthüllt. 2020 hatte Uecker seine Entwürfe dieses Lichtbogens in Blau vorgelegt - ein Lichtbogen, „der uns ins Universum führt auf der Narbe unserer Verletzungen aus einer Quelle von Leben und seiner Gefährdung“, wie er dazu schrieb.
Der Blauton stammt von einer der wenigen erhaltenen mittelalterlichen Scheiben des gotischen Doms. Es ist das Blau, in dem der Schlüssel gemalt ist, den der Apostel Petrus als Himmelspförtner in der Hand trägt. Der Tod, sagte Uecker einmal, sei für ihn nur ein Übergang: „Danach kommt etwas ganz anderes, das wir uns nicht vorstellen können. Darauf kann man doch neugierig sein.“