Apostelkirche Hamburg-Eimsbüttel

Ansprache anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel für Helmut Frenz

07. November 2012 von Kirsten Fehrs

„… und ich weiche nicht zurück“

Liebe Familie Frenz,
Sehr geehrter Herr Menzel-Prachner,
Sehr geehrter Herr Grenz,
meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder!
Helmut Frenz zu Ehren soll heute diese Gedenktafel enthüllt werden. Wir ehren damit einen Pastor, Theologen, einen Menschen, der sich Zeit seines Lebens und mit all seiner Kraft für die seufzende Kreatur eingesetzt hat. Wir ehren ihn, und mehr noch: wir wenden uns diesem Mann in herzlicher Zuneigung zu, der seinerseits so viel Zuneigung und Zuwendung in die Welt getragen hat. Ihm, der mit einer solchen Herzensstärke für unzählige verfolgte und gefolterte,  zutiefst verzweifelte Menschen verhandelt, gestritten, gebetet hat. Mutig und geradlinig war er – und unglaublich hartnäckig. Treffender also hätte das Zitat aus dem Jesajabuch, das diese Gedenktafel prägt, gar nicht sein können: „…und ich weiche nicht zurück.“ (Jes 50,5)
Tatsächlich, er wich nicht zurück. War Befreiungstheologe durch und durch. Für ihn zielte das Evangelium auf die Freiheit von jeglicher Gefangenschaft – Freiheit von Armut, Diktatur, Geistlosigkeit. Denn wir haben keinen knechtischen Geist empfangen! Vielmehr: Würde ist aufrichtendes Menschenrecht! Als ich mit 16 Jahren in der kirchlichen Jugendarbeit aktiv war, war Helmut Frenz Ende der 70-er das Vorbild. Amnesty international und Helmut Frenz waren eins. Mister Amnesty, so sagten auch Sie es, lieber Herr Grenz. Erschüttert haben wir Jugendlichen seine Berichte gelesen über Folter und Willkür, haben gehört von Militärjuntas, schmerzenden Stromstößen und der Trauer der Mütter, die ihre Kinder ermordet auf den Müllkippen gefunden haben. Und uns wurde erstmals bewusst, dass unser Glaube nicht Privatsache ist, die im Dorf bleibt. Sondern dass wir, wenn wir Zeuginnen des Gekreuzigten und Auferstanden sein wollen, auch eine politische Aufgabe haben. Die Verletzung von Menschenwürde braucht immer unseren Protest -  gegen das Vergessen und Verdrängen, und für die Schönheit des Lebens. Es braucht unser Tun, Denken, Lieben, Flehen, Begehren und Sehnen. Bis heute ist das für mich elementar. Helmut Frenz sei Dank. Und so fühle ich mich meinerseits zutiefst geehrt, nun als Bischöfin für diesen einstigen Bischof in Chile, den Menschenrechtler und kämpferischen Seelsorger, für den segensreich wirkenden ai- Generalsekretär und Flüchtlingsbeauftragten, ja den Weltenchrist von außergewöhnlichem Format die gedenkende Ansprache zu halten.
Als ich Helmut Frenz das erste Mal auf dem Kirchentag erlebte, war ich zunächst erstaunt. Ich hatte mir einen lauten, leidenschaftlichen und gestenreichen, irgendwie großartig inszenierten Auftritt vorgestellt. Zumal auf dem Podium auch Politiker saßen, die nicht wirklich seiner politischen Richtung entsprachen. Doch was ich erlebte war groß in anderer Hinsicht, ein Mann mit großem Bart, der unerschütterlich zugewandt blieb, enorm präsent, bisweilen ironisch, präzise und blitzgescheit – und in all dem unerhört eindringlich. Eindringlich kompromisslos. Er konnte sich auf jemanden einlassen und zugleich beharrlich bei seiner Sache bleiben. Denn es ging schließlich um das Eigentliche unseres christlichen Glaubens: um die unverbrüchliche Würde des einzelnen Menschen. Um den Widerstand gegen die Kreuzigungen heutiger Zeit. Um ein Aufstehen gegen das Niedertreten. Das war sein Ziel; und es war zugleich sein Weg: Eben dies grundlegende Diktum Wirklichkeit werden zu lassen - zumindest dort, wo er das konnte –, dass jeder einzelne Mensch vom ersten Atemzug bis zu seinem letzten Seufzer einen unendlichen Wert besitzt. Jede und jeder einzelne, lebendig durch Geist, den Atem Gottes in uns, sind wir nichts weniger als heilig. Unantastbar. Nicht zur Zerstörung freigegeben. Und das heißt: Die Liebe zum Leben ist das Erste und das Letzte. Aus lauter Liebe werden wir in diese Welt geboren und – so Gott will – mit Liebe werden wir diese Erde auch wieder verlassen. Liebe ist A und O unseres Seins. Wir sind auf der Welt, dieser Liebe zum Leben zu verhelfen. Und der Zerstörung die Stirn zu bieten.
Helmut Frenz hat dies beides getan. Das Leben geliebt. Und deshalb die Stirn geboten. Auch oder gerade wenn eine Sache hoffnungslos schien. Wenn die Aufgabe eigentlich zu groß und die Mittel zu klein waren. Wenn die Ohnmacht bedrückend und die Diskriminierung bodenlos war. Gerade dann war sein Widerstandsgeist aktiviert. Es galt, dem Goliath des Unrechts mit dem David des Friedenssehnens unermüdlich entgegen zu treten. So gesehen war Helmut Frenz vielen ein Affront – heißt doch „Affront“ in seiner ureigensten Bedeutung: dem scheinbar Stärkeren die Stirn bieten. Und das konnte er! Gern auch gegen die eigene Kirchenleitung. Denn Frenz geriet unvermeidlich in Konflikte. Zwischen den radikalen Linken etwa, die alles für alle forderten, und den damals ängstlichen Kirchenleitungsorganen. O-Ton Frenz dazu: Wenn man zwischen diese Fronten gerät, ist man genau richtig.
„… und ich weiche nicht zurück“….
Nicht umsonst hat Helmut Frenz diesen Jesajavers als Überschrift für eines seiner Bücher gewählt. Steht der doch außerdem in einem Textzusammenhang, der zeigt, wie kraftvoll Jahrtausende alte Worte sein können – in ihrer Poesie, ihrer Präzision und in ihrer Kompromisslosigkeit. Ich lese aus dem so genannten Gottesknechtslied des Propheten Jesaja:
 „Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben,
dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.
Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.
Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam
und weiche nicht zurück.
Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen,
und meine Wangen denen, die mich rauften.
Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.
Aber Gott der Herr hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden.“ (Jes 50,4-7)
Sind das nicht starke Bilder, liebe Schwestern und Brüder? Nicht etwa, weil den Heroen in Sachen Gerechtigkeit das Wort geredet wird. Sondern weil sie so unglaublich real davon erzählen, dass der Schalom Gottes ein Ringen ist und Widerstehen. Wissend: Du wirst den Rücken hinhalten müssen dafür. Es wird Spuren hinterlassen an dir selbst. Schmerzhafte Spuren. Aber es wird nicht umsonst sein.
„… und ich weiche nicht zurück“: nicht von meinem inneren Auftrag und nicht vor den äußeren Gewalten, höre ich auch Frenz sagen. Ich hätte ihn gern einmal gefragt, woher er all die Kraft nimmt, war er doch gesundheitlich mitunter angeschlagen. Mag sein, seine Kraft war die Hoffnung. Denn in jeder Anklage gegen Unrecht und Gewalt schwang sie mit. Eine so vitale Hoffnung, geprägt vom Bild des Auferstandenen, die immer damit rechnete, dass sich tatsächlich etwas verändert in der allzu verbesserlichen Welt.
Seine Hoffnung berührt mich immer wieder aufs Neue. Und dies ermutigt mich, wieder mehr von Hoffnung zu reden. Ja, sie zu denken und zu zeigen. Hoffnungszeichen zu suchen und sie setzen, damit in dieser Gott vergessenen Gesellschaft Menschenrecht und Friedenswort wieder hörbar sind. Eindringlich. Kompromisslos.
Für sein vielfältiges Wirken wurde Helmut Frenz mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet, mit dem Nansen-Flüchtlingspreis, mit der Ehrenmedaille des chilenischen Parlaments für den Einsatz für die Menschenrechte 2001. 2007 wurde er Ehrenbürger Chiles, und ein Jahr später wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität ARCIS in Chile verliehen.
Und nun diese, nein: unsere Gedenktafel. Sie hat bei all den Auszeichnungen ihren eigenen Wert. Nämlich den der Freundschaft. Den der Zuneigung zu dem Menschen Helmut Frenz, den so viele hier gekannt, gemocht, geliebt, ja verehrt haben. Mit dem sie gelacht, gestritten, nachgedacht, Nächte durchwacht haben. Ach, und Wein getrunken sicherlich auch. Und so erinnert die Gedenktafel uns und die, die nach uns kommen, an den „Theologen und Kämpfer für die Menschenrechte“ – und an den Menschen. Unermüdlich, mit manchmal wundem Auge, die Würde jedes Menschen unbeirrbar im Blick.
So soll nun seine Gedenktafel in dieser Kirche enthüllt werden, in deren Kirchengemeinde Helmut Frenz seine letzten Lebensjahre verbracht hat und in der im September letzten Jahres seine Trauerfeier stattfand. Und wenn wir dies tun, mögen wir ihn selbst gegenwärtig empfinden, und ihn hören, wenn er sagt:
 „Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und ich weiche nicht zurück.“
Lassen Sie es uns gleichtun und so das Andenken an Helmut Frenz lebendig halten. So enthüllen wir nun die Gedenktafel und stellen sein Andenken unter den Schutz und Segen Gottes.

Datum
07.11.2012
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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