Ansprache beim Alsterwanderwegkonzert
16. September 2012
Beim Alsterwanderwegkonzert wurden u. a. die Werke aufgeführt, die den ersten und zweiten Preis des Kompositionswettbewerbes gewonnen haben, der anlässlich des 50jährigen Jubiläums der Alsterwanderwegkonzerte ausgeschrieben wurde
Liebe Konzertgemeinde,
„Gehet zu seinen Toren ein mit Danken“ – diese eingangs gehörten Klänge des 100. Psalms machen auch für mich und meine kleine andächtige Rede den Anfang. Denn dieser Psalm ist nicht nur 2 x 50, er ist der Introitus überhaupt: Gehet zu seinen Toren ein – In ihrem ursprünglichen biblischen Zusammenhang wurden diese Worte vor Jahrtausenden gesungen, wenn man in einer feierlichen Prozession in den Tempel zu Jerusalem einzog. Hin zu dem Ort also, an dem Gottes Gegenwart den Menschen immer auch innerlich bewegte. Zu Gebet. Ehrfurcht. Halleluja. Lobeshymnen. Und so sind ja auch wir auf dem Weg, dem Alsterwanderweg, um uns von der Musik bewegen, berühren zu lassen. Denn das, was uns hier zusammen führt, ist nicht allein ein Konzert mit wunderbaren Preisverleihungen, sondern darin immer auch ein Zusammenspiel von Lebensmelodien wie etwa Dankbarkeit, heute sicherlich Stolz, Lebensfreude, Friedenssehnsucht, Liebeswerben. Kurzum: Lebensmelodien, die uns über unseren Alltag hinausführen und uns gar manches Mal mit ihm versöhnen.
Hier und heute erleben wir dies in faszinierender Gestalt, die für Sie, liebe Konzertgemeinde, ja schon lieb gewordene Tradition ist: die gelungene Kombination von altbekannten Werken und Uraufführungen. Was muss das für Sie, die Komponisten, für ein Gefühl sein, das Geschriebene als Klang zu hören! Es ist ein überzeugendes, in die besten Jahre gekommenes Experiment, wie ich finde. Konnten und werden wir doch heute wieder einmal erleben, wie zeitgenössische Musik mit ihren manchmal fremden Klängen und ungewohnten Rhythmen die Gegenwart in besonders treffender Weise aufzunehmen vermag. Schon die Titel der beiden preisgekrönten Werke - die „Sehnsucht nach Gott“ von Andreas Frank und die „Friedens-Bitte“ von Franz Surges – bringen ins Spiel, was ich seit längerem in der Gesellschaft wahrnehme. So vieles in der Kunst, der klingenden, bildenden und lyrischen, so viele Menschen suchen heutzutage eine Annäherung an das Unendliche, an das Religiöse. Sie – und wir – suchen damit nach Wegen, diese manchmal quälende Distanz zwischen Himmel und Erde zu überbrücken. Ja, wir dürsten nach Liebeswort und Friedenslied, ringen in menschlicher Begrenztheit um Worte, Farben, Klänge. All dies, damit in uns ein Bild entstehen möge, wie denn bitte der Ewige sich im Zeitlichen, wie Gott sich in meinem kleinen Leben ereignet. Und so macht der Mensch sich – machte er sich immer schon – Gott zu seinem Bilde.
Es entspringt dies einem Sehnen, ich bin sicher. Keiner Hybris und fehlenden Gottesfurcht. Es ist ein Sehnen tief in uns, das gerade in der Musik eine Sprache findet. Ein Sehnen nach Gottes Nähe, ein Sehnen danach, mehr von Gott zu verstehen. Teilzuhaben an seiner Vollkommenheit. Deshalb holen wir Gott manchmal ins allzu Irdische herunter: damit wir Unvollkommenen uns mehr mit uns selbst zu Recht finden, uns heiler fühlen und ganz. Es ist das Sehnen nach einer friedvollen, besseren Welt, die nicht aus einander reißt und Gott verloren gibt. Eine in diesem Sinne „heile“ Welt, in der es gerecht zugeht. Es liegt Begehren in diesem Sehnen und Eros und Schmerz – alles zugleich. Wir haben es eben in der Musik gefühlt. Denn in dem Maße, wie mir meine Unvollkommenheit bewusst ist und die Lieblosigkeit, in dem Maße wie Unrecht und Schuld, Friedensferne und Ungeduld mich umtreiben, in dem Maße steigert sich das Sehnen nach einem rettenden Friedenswort. Nach Veränderung. Nach einem Akkord, der klare Verhältnisse schafft. Wer sich sehnt, bleibt nicht stehen, wo er ist. Wer sich sehnt, geht. Zum Beispiel einen konzertanten Alsterwanderweg.
Denn Musik gibt Gott die Ehre, indem sie dem Unsagbaren Ausdruck schenkt. Und so wie heute dem Unsagbaren Raum zu geben heißt: die Musik klagt und heilt und liebt und lobt und befremdet wie das Heilige selbst. Sie ist eben kein schmückendes Beiwerk zum Wort, sondern selbst eine eigene Sprache des Evangeliums. Und so vermag die Musik für manche die eine Stimme zu sein, die die aufgewühlte Seele erreicht mit Gottes Wort und der Engel Trost. Sie vermag die eine Stimme zu sein mit klarem Ton, die uns auf einer Ebene berührt, wo das Sehnen pulsiert und das Hoffen. Und sie vermag die eine Stimme zu sein, die dir Vertrauen zurück gibt und dir zuspricht, dass du mit deiner Lebensmelodie eingebunden bist in einen großen Klang, der von Gnade singt und guten Mächten. Und indem solch Musik uns so zu erfüllen versteht, nimmt, manchmal ganz unvermutet – Gott selbst in uns Platz. Wie es eben Johann Sebastian Bach unvergleichlich formulierte: „In jeder andächtigen Musike ist Gott in seiner Gnaden Gegenwart.“
Und so beende ich nun das andächtige Wort. Und zwar mit dem Grundton des Anfanges.
Als wir zu den Toren eingingen– mit Danken.
Ich danke dir, o Gott,
für die Musik,
die Menschen, die sie singen und spielen,
ach, ich danke dir
für deiner Gnade Gegenwart.
Immer schon da – weit und ewig im Himmel –
Und doch jeden Moment neu, hier auf der Erde als meines Fußes Leuchte!
Jeden Morgen, den du werden lässt,
will ich loben und dir danken
– ja, eine Laudatio, die zuallererst –
bevor der Alltag seinen Reigen spielt.
Und der Schmerz und das Verzagen
mögen vergehen durch deinen Segen
kann ich doch – so geht die Musik –
beim Loben und Danken
einfach nicht vergessen,
was du mir Gutes getan hast.
Denn der Herr ist dir freundlich, und seine Gnade währet ewig und seine Wahrheit für und für.“ Amen.