... auf dass uns ein Licht aufgehe
09. Februar 2014
Letzter Sonntag nach Epiphanias, Predigt zu 2. Petrusbrief 1, 16ff
Liebe Schwestern und Brüder!
I
Es ist mir eine große Freude, heute bei Ihnen zu sein: Verbunden miteinander in der seit über 25 Jahren lebendigen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zwischen der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland und den Evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Ich erinnere mich noch sehr gut an den gemeinsamen Festgottesdienst, den wir anlässlich des 25. Jubiläums im Oktober 2012 in Nürnberg gefeiert haben: Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und Bischöfin Rosemarie Wenner als Repräsentantin der Evagelisch-methodistischen Kirche und ich als Leitender Bischof der Vereinigten Lutherischen Kirche Deutschlands: Welch ein Fest der Gemeinschaft, bei dem jeder und jede bleiben darf, wer sie oder er ist, verwurzelt in der Tradition und Gegenwart der jeweiligen Konfession. Das ist der Reichtum des Protestantismus, der so lebendig eben nicht Schwäche ist, sondern seine spezifische Stärke und Tiefe.
Und es ist ein Geschenk unseres Gottes, dass wir unseren Glauben teilen, dass wir miteinander Gott loben und ihm danken, dass wir uns miteinander in Verkündigung und am Tisch des Herrn seiner Gegenwart vergewissern.
II
Der für die Evangelischen Kirchen in Deutschland vorgeschlagene Bibeltext für die Predigt ist am heutigen letzen Sonntag nach dem Epiphanias-Fest ein Abschnitt aus dem 2. Petrusbrief im ersten Kapitel:
Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.
Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.
Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.
Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift eine Sache eigener Auslegung ist.
Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern agetrieben von dem Heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet.
III
Liebe Schwestern und Brüder!
Am Sylvestertag haben meine Frau und ich zusammen mit Freunden in Dresden eine Stadtrundfahrt gemacht. Wir stiegen in einen dieser Busse, suchten Plätze mit gutem Überblick. Und dann hörten wir die Stimme des Busfahrers sächsisch seine Stadt erklären. Mit vielen Geschichten und Anspielungen wusste dieser Mann seine Zuhörer zu fesseln. Manch fader Witz war dabei – aber die meisten Fahrgäste waren’s zufrieden.
Wir kamen zur Kreuzkirche. Das ist jener Bau, der für die Geschichte der Stadt mindestens so bedeutend ist wie die Frauenkirche. Und in der Zeit der Wende spielte dieses Gotteshaus eine herausragende Rolle; ein Ort des Gebets für den Frieden.
Davon allerdings erzählt unser Stadtführer nichts. Dafür etwa Folgendes: „Da hängt ja ein Kreuz in der Kirche. Und daran ein Mann. Der soll daran genagelt worden sein, schaurige Geschichte. Und auch Mohammed, dieser andere merkwürdige Prophet, hat gesagt: alles Quatsch. Und beide konnten sich ja nicht retten (an dieser Stelle lachen einige). Na, ja: wir wissen ja alle: das sind lauter erfundene Geschichten, nichts davon ist wahr. Aber wer’s braucht…“
Peinliches Schweigen im Bus. Unter Protest sind wir jedenfalls ausgestiegen.
„…denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt…“
Der Autor des Petrusbriefes gibt sich allergrößte Mühe, die Autorität seiner Verkündigung zu beweisen: „…wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.“
Klar: In der Auslegung der Bibel geschult, wissen wir, dass die Sache mit der Autorität gerade des 2. Petrusbriefes so eine Sache ist. Hier leiht sich einer eine Autorität, beruft sich auf Petrus, den Zeitzeugen, der dabei war – und man hört die Eifersucht gleich mit: Petrus war dabei, anders als Paulus zum Beispiel. Und als Protestanten lesen wir das Schreiben umso vorsichtiger, schauen auf das Petrusamt und das Papstamt, das sich auf Petrus beruft. Und wir sind aufmerksam dabei, die wahre Autorität der Schrift zu sichern: Sola scriptura – allein die Schrift soll sein höchste Autorität christlicher Lehre.
Der Brief erinnert die frühen Christen. Schon sie haben Schwierigkeiten, zu glauben die Ansage der Wiederkunft Christi: „Wo bleibt die Verheißung seines Kommens?“, spotten einige, „Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Schöpfung gewesen ist.“ (2. Petrus 3,4). Wenn also Gott seine Schöpfung sich selbst überläßt, was spielt es dann noch für eine Rolle, wie Menschen leben? Gottes Gebot scheint überholt zu sein. Ungerechtigkeit und Habsucht greifen um sich, damals schon. Gottvergessenheit macht sich breit – damals schon.
Dagegen will der Briefschreiber die Erinnerung wachhalten an die Verheißung, von der sie lebt; will wachhalten die Erinnerung an das Wort, das oft quer liegt zur Erfahrung, das oft widerspricht den eigenen Gedanken und dem eigenen Wollen.
Der Grund des Glaubens ist nicht eine Fabel. Der Glaube gründet im Zeugnis, in der Zeitzeugenschaft der Martyrioi, derer, die mit Jesus unterwegs waren. Und die seine Kraft und seine Nähe zu Gott erfahren haben. Die gehört und gesehen haben, dass dieser der Menschensohn ist: „Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.“
Unser Glaube lebt von der Erinnerung. Von der Gotteserinnerung. Davon, dass Gott sich unser erinnert; und davon, dass wir uns Gottes erinnern: an seine Liebe, an sein Ja zu uns, an seine Nähe.
Liebe Schwestern und Brüder, das war doch auch der ökumenische Prozess immer gewesen: die Erinnerung an den gemeinsamen Grund, an die gemeinsame Sendung, an den gemeinsamen Dienst! Das war doch das Zentrum auch der Lehrgespräche, die Methodisten und Lutheraner geführt haben, an deren Ende vor 26 Jahren die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft stand: die Erinnerung, die Vergewisserung des Gemeinsamen. Und nur in der Erinnerung des Gemeinsamen liegt die Kraft, die Unterschiede zu respektieren und auszuhalten.
Im sogenannten Hohepriesterlichen Gebet im 17. Kapitel des Johannesevangeliums betet Jesus zu seinem Vater: „Vater, lass sie eins sein…“
Und wenn man das Gebet bis hierher hört, dann könnte man meinen, wir sind noch weit weg von Einheit. Das Gebet geht aber weiter: „Vater, lass sie eins sein, wie ich eins bin mit dir…“ – Das ist die Einheit, um die es geht, die Einheit mit Gott, dem Vater allen Lebens. Und diese Einheit ist nicht darauf ausgerichtet, dass Einheitlichkeit herrsche. Sie gründet und findet statt in der gemeinsamen Ausrichtung auf Gott, sein Wort! Und darum sage ich: wir sind eins in Christus! Diese Einheit ist uns geschenkt. Und solche Einheit schließt Vielfalt nicht aus, sondern ein! Der Geist der Liebe Gottes ist ein großzügiger, weitherziger Geist, der das Haus des Lebens baut, „in welchem Christus ist der Eckstein“, auf dem alles ruht. Es geht um Gotteseinheit, nicht um organisatorische oder institutionelle. Es geht um die Einheit in der Wahrheit: Jesus Christus ist Herr!
Gegen alle Irrlehren halten die Apostel diese Wahrheit fest. Bei der Verklärung Jesu auf dem Berge waren sie dabei. Sie haben gesehen, wie er aufgehoben worden ist. Ganz so, wie der Prophet es gesagt hatte vor Zeiten.
Nun, wir haben die Gnade der Zeitzeugenschaft nicht, liebe Schwestern und Brüder. Wir leben fast zwei Jahrtausende später. Aber wem versuchen wir alle als Nachfolger und Zeugen Jesu Christi auf die Spur zu kommen? Das ist doch genau diese Autorität. Ist doch genau diese Kraft des Wortes aus der Höhe, von den Propheten immer wieder dem Volk ins Herz geschrieben: Gott selbst ist am Werk, er ist es, der die Seinen nicht sich selber überläßt; er ist es, der mit seinem Wort alles ins Leben ruft; er ist es, der die Seinen kennt wie ein guter Hirte, der jede und jeden einzelnen von uns bei ihrem und seinem Namen ruft: Du bist mein! Du bist nicht dir selbst überlassen, nicht auf dich selbst geworfen.
IV
„Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.“
Vor wenigen Wochen haben wir Weihnachten gefeiert, das Fest des Lichtes. Was Petrus bei der Verklärung auf dem Berg geschaut hat, das haben wir an Weihnachten und an Epiphanias gerade gefeiert. Am Ende der Epiphaniaszeit, vor Beginn der Passionszeit noch einmal die Erinnerung daran, dass Gott sich uns in diesem Jesus offenbart, der in Bethlehem im Stall geboren ist, der seinen Weg nimmt zu den Schwachen und Eelenden; der ans Kreuz geht und der den Tod überwindet – Erinnerung an die Heilsgeschichte Gottes also, die in den frühen Prophetenworten aufklingt. Und in seinem Lichte sehen wir das Licht: das Licht der Schöpfung, das Licht der Liebe und des Friedens.
Ein Licht, das denen leuchtet, die im Finstern sitzen. Ein Licht, das den Weg in unsere Herzen sucht, dass wir Erleuchtete werden. Dass uns ein Licht aufgehe wie am frühen Morgen der Welt ein Licht aufgeht.
Ein wunderbares Bild, liebe Schwestern und Brüder, für die Kraft des Wortes. Ein Licht, das aufbricht alle Dunkelheit – in uns selbst und um uns herum. Ein Licht aber auch, das uns immer wieder neu aufgehen soll im täglichen Umgang mit dem Wort der Heiligen Schrift. Darin sind sich doch ganz nah die Frömmigkeit des Methodismus und die Frömmigkeit des Lutherischen Christentums: Unsere Spiritualität ist eine Spiritualität der Schriftauslegung – Spiritualität des Wortes Gottes!
„Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift eine Sache eigener Auslegung ist.“
Die Schrift legt sich durch sich selbst aus, das ist gemeinsames Evangelisches Wissen. Gott selbst ist und bleibt das Subjekt seines Wortes. Er ist das Licht. Nicht wir müssen es sein. Das Wort, es leuchtet auch ohne uns. Aber es ist die Quelle aller Hoffnung, mit der es durch uns weiter leuchtet, vielen Menschen auch einleuchtet. Hoffnung, in der wir festen Stand finden und die uns Kraft gibt, zu leben, was wir glauben – gegen allen Schein der Irrlichter dieser Welt.
Das gehört für mich zum Vorbildlichen der Methodistischen Gemeinde: diese Einheit von Herrschaft Jesu und Tun der Liebe, von Wort und Dienst, von Zeugnis und Gemeinschaft. Ist es nicht auch das, was in dieser Gemeinde getragen hat in der Geschichte, als die Siedlung um die Kirche herum entstand für die vielen Flüchtlinge aus dem Osten vor allem, die nicht wussten, wohin, und die aber doch wussten: der Mensch lebt nicht vom Brot allein?!
V
„Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben von dem Heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet.“
Ob wir also Getriebene sind von Gottes Geist – das ist von großer Bedeutung für unser eigenes Leben aber ebenso für unser Wirken als Botinnen und Boten Gottes, die wir gesandt sind weiter zu erzählen die Geschichte Gottes mit seiner Kirche und mit seiner Welt.
Das heißt aber auch: Es ist nicht gleichgültig, was wir sagen oder erkennen. Es gibt eine Messgröße. Und die besteht in Gottes Wort selber. Und zwar in seinem Wort, wie es uns bezeugt ist in den Worten der Propheten. Und das ist oft genug das total fremde, störende, widerspechende Wort. Eines, das eben nicht passt in jede Situation. „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht ausgehen lassen“, sagt der Prophet Jesaja. Und er sagt es in eine Lebensrealität des Volkes hinein, in der gerade alles abzubrechen droht, der letzte Strohhalm, an den man sich klammerte, abbrach und das letzte Licht der Hoffnung auszulöschen drohte. Und gerade in seiner Fremdheit, in seiner Klarheit, die wir uns nicht selber sagen können, ist tragfähig das Wort, hilft es auf. Stört es den Gang der Dinge. Ein Wort von aussen, von oben herab. Ganz autoritär. Nur darum erhellend.
Die Propheten sind Lichtträger in dunkler Nacht. Rufer in der Wüste. Schillernde Gestalten. Leute, die das Volk geleitet und begleitet haben auf seiner Wanderung durch die Zeiten. Leute, die nicht müde wurden, auf Gottes Willen zu verweisen. Die den Frieden Gottes aufriefen inmitten der Kriege und des Getümmels. Die die Selbstgerechtigkeit der Menschen, die alles Unrecht und alle Ungerechtigkeit auf den Punkt brachten und selbst Kopf und Kragen riskierten. Die den Mächtigen ins Rad griffen und völlig unausgewogen redeten, was sie für wahr erkannten. Und die mit ihren Stimmen die Menschen wieder und wieder auf die Spur brachten dessen, der Liebe ist und Wahrheit und Leben; der Licht ist und Auferstehung. So, dass wir durch die Zeiten hindurch seinen Morgenstern aufgehen sehen. Und glauben dürfen seine Verheißungen.
Ja, Kirche in der Kraft Seines Geistes ist immer missionarische Kirche! Kirche die bezeugt in Wort und Tat Gottes Liebe und Treue zur Welt. Seid darin einig, dass ihr euch senden lasst, damit die Menschen glauben! Als Verschiedene das Eine, den Einen verkündigen! Amen.