21. November 2014 | St. Marien-Dom, Hamburg

Auf der Suche nach ökumenischer Einheit

21. November 2014 von Gerhard Ulrich

Geistliches Wort im Rahmen des Gottesdienstes „50 Jahre Verabschiedung und Verkündigung des Dekrets über den Ökumenismus durch das II. Vatikanische Konzil“

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

I

„Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen“. Das ist der erste Satz der ersten Enzyklika von Papst Franziskus „Evangelii gaudium“. Die Reformatoren hätten formuliert: „solus christus, solo verbo – allein Christus, allein durch das Wort“. So nahe sind wir einander. Es geht Franziskus um eine missionarische Neuausrichtung der Kirche Jesu Christi. Es geht um eine „missionarische Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient“. Schaut man sich die vielen Verlautbarungen aus der Ökumene der letzten Jahrzehnte an, wird deutlich, dass diese Formulierung den Weg der Einheit beschreibt, der Einheit in Gott und seinem Wort.

Um das Evangelium geht es, um seine Kraft für diese Welt! Darin sind auch wir als Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland, die mit dem Erzbistum und mit Ihnen allen in der Ökumene seit Jahrzehnten gleichsam in einer „privilegierten Partnerschaft“ verbunden und auf dem Wege ist, eins. In Sachen ökumenischer Partnerschaft zwischen Christinnen und Christen unterschiedlicher Kirchen, Glaubensgemeinschaften und Konfessionen macht uns im Norden Deutschlands, und besonders wohl in der religiös so bunten Metropole Hamburg, kaum jemand etwas vor: Wir alle wissen, wovon wir reden, wenn wir in der Tradition des Ökumenismusdekrets zusammen unterwegs sind. Gott sei Dank! Und daher ist es auch folgerichtig, diesen wunderbaren Choral „Nun danket alle Gott“, den wir eben gesungen haben, ganz explizit zu beziehen auf unsere vorbildliche Weggemeinschaft in den vergangenen Jahrzehnten. Ja, wir haben allen Grund, dieses Lob- und Danklied auf Gottes Reichtum, Barmherzigkeit und Schönheit aus vollem Herzen zu singen – mit Herzen, Mund und Händen, denn wir wissen um unseren gemeinsamen Auftrag, den Christus selbst seiner Kirche gegeben hat: Das Evangelium nämlich von Gottes Liebe und Gerechtigkeit zu seiner Welt zu bezeugen in Wort und Tat. Unter dem Bogen des Segens Gottes wissen wir uns gemeinsam auf dem Weg – nicht blind für Hindernisse und Felsbrocken, die noch an die Seite zu räumen wären, damit wir zu einer sichtbaren Einheit kommen – vor allem aber: hellwach für das, was Christus von seiner Kirche will. Darum, liebe Schwestern und Brüder, sage ich: uns verbindet viel mehr als uns trennt!

II

Am Anfang des Dekrets, das uns heute hier zusammenführt, heißt es: „Die Einheit unter allen Christen wiederherzustellen zu helfen, ist eine der Hauptaufgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils. Denn Christus, der Herr, hat nur eine einzige Kirche gegründet.“ Und was vielleicht wie eine Abwehr der Vielstimmigkeit und der Vielfalt klingen mag, hat doch eben dieselbe zum Grunde: Vielfalt des Glaubens ist nicht eine Schwäche, die man überwinden muss, sondern Vielfalt ist Reichtum! In ihr versteckt sich nicht der Heilige Geist, sondern in ihr entfaltet er sich – höher als unsere Vernunft.

Ich meine, diese zentrale Aussage verweist die katholische wie jede christliche Kirche auf den Grund unseres Glaubens – auf Jesus, den Christus selbst. Denn, wie es im biblischen Text des heutigen Gottesdienstes aus dem 5. Kapitel des Briefes an die Römer von Paulus ausgeführt wird, gilt: „Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus.“ Die Versöhnung ist also nicht erst von uns Menschen herzustellen, auch nicht von uns Kirchenleuten, sondern sie wird als tatsächliches Geschehen ein für allemal (wie es dann im Hebräerbrief heißt) vorausgesetzt, als vollzogen angesehen. Ebenso „haben wir auch den Zugang zu der Gnade erhalten“, wie es weiter im Text heißt – und ebenso ist „die Liebe Gottes ausgegossen in unsere Herzen“. Mehr und anderes als das muss von uns nicht erst gemacht oder hergestellt werden. Wenn es also um die Rettung der Welt geht, wenn es um das Heil der Welt geht, dann sollen wir Menschen und auch wir Kirchenleute bloß nicht Gott ins Handwerk pfuschen wollen – sondern: Da wir schon die Versöhnung empfangen haben, wie unser Text abschließend in Vers 11 sagt, sollen wir uns nur noch dieser bereits in Christus vollzogenen Versöhnung entsprechend verhalten. Aus den „Indikativen der Gnade“, um mit dem evangelischen Theologen Eberhard Jüngel zu sprechen, leiten sich also Imperative ab auch für das ökumenische Miteinander von uns Christenmenschen über alle Grenzen von Kirchenmauern und Traditionen hinweg.

III

Der Lutherische Weltbund hat seit den 1970 iger Jahren nicht nur für die innerprotestantische, sondern auch für die große Ökumene zwischen Kirchen die Formel von der „versöhnten Verschiedenheit“ geprägt.

Aus Achtung und Respekt vor den unterschiedlichen Kontexten und Traditionen halten wir es miteinander aus, dass wir nicht oder noch nicht in umfassender, sichtbarer Einheit leben. Aber all das ist eben nicht als Mangel oder als Defizit zu sehen, sondern ist vielmehr ein Reichtum, der im Kern eben auch der Vielfalt der biblischen und urchristlichen Traditionen entspricht. Ich rechne also mit der Ergänzungsbedürftigkeit meiner eigenen Konfession und meiner eigenen Glaubensüberzeugung – bei dem anderen und bei der anderen ist also etwas zu entdecken für mich, das ich eben noch nicht habe oder weiß.

In diesem Sinne hat Kardinal Kasper immer wieder vom „harvesting the fruits“ gesprochen, das nun dran sei in der Ökumene, und zwar exakt in der Linie, die das II. Vatikanum vorgegeben hat. Ich persönlich bin ein großer Freund von so etwas wie einer „wertschätzenden Erkundung“ in Sachen Ökumene – und ausgesprochen neugierig im besten Sinne auf die Früchte, die da oft in der Ökumene vor Ort, in der Ökumene im Quartier, zu entdecken sind. Jede und jeder von Ihnen wird – so vermute ich – voll sein von guten Erfahrungen und intensiven Horizonterweiterungen, die da zu erleben sind – aber eben nur dann, wenn man sich aufmacht zu den anderen hin. Da hilft eben nicht die Haltung eines unbeteiligten Zuschauers, sondern allein die eines aktiven Erntehelfers – nur in dieser Haltung ist harvesting the fruits möglich und ertragreich.

Ich z. B. habe das beispielsweise erlebt bei den Gedenkfeiern um die Lübecker Märtyrer 2011, einschließlich der Seligsprechung der katholischen drei. „Sag niemals drei, sag immer vier“, haben sie damals gemahnt, so haben wir wieder gesagt. Und dabei haben wir entdeckt: es gibt eine Ökumene-Bewegung, die viel älter ist als 50 Jahre, die kein Dekret brauchte, kein Konzil. Das ist die Ökumene des Widerstands, des Aufstands gegen das verbrecherische Naziregime. Eine Glaubensbewegung, die jene stark und mutig gemacht hat, die nicht länger hinnehmen wollten Unrecht und Völkermord. Und das brauchen wir heute so dringend wie damals! Wir können es uns nicht leisten, gemeinsam von Gott zu schweigen angesichts der Kriege und der Gewalt, angesichts von Terror und Völkermord, angesichts von Vertreibung und Flucht! Die Menschen warten auf ein Wort von uns, ein kraftvolles Wort! Jene, die vor Gewalt fliehen und ihre Heimat verlassen, erwarten, dass wir uns einsetzen für sie, dass sie offene Türen und Herzen finden, Willkommen erleben; dass wir mit ihnen teilen Frieden und Wohlstand, Freiheit und Gemeinschaft.

Ich habe es wieder neu erlebt beim Evangelischen Kirchentag hier in Hamburg im Mai 2013 – und ich habe es auch erlebt bei der Begegnung der Kirchenleitung der VELKD 2011, als wir von Papst Benedikt XVI. im Vatikan empfangen wurden und er uns versicherte „unsere Kirchen würden Schaden nehmen, würden sie nicht weitere Schritte der Ökumene gehen“. Im Dezember werde ich als Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirchen Deutschlands im Büro für die Einheit der Christen zusammen mit Kardinal Koch erneut zu wichtigen ökumenischen Gesprächen zusammenzutreffen. Wir wollen miteinander auf den Weg bringen weitere Gemeinsame Erklärungen. Die Zeit ist reif dafür, dass wir auch über das erneut und vertieft reden, was uns nach wie vor trennt: Amt und Kirche, Eucharistie!

Ich sage das auch als einer, der seit mehr als 20 Jahren Vorsitzender der ökumenischen „Arbeitsgemeinschaft für Homiletik“ ist: Predigtlehrerinnen und –Lehrer beider Konfessionen, Priesterseminarleiter und Leiter von Predigerseminaren kümmern sich um die praktische und wissenschaftliche Profilierung der Predigt und der Liturgie. Seit ich dabei bin, ist mir um die Ökumene nicht bange. Und ich weiß umso klarer, dass der evangelische Theologe Ernst Lange Recht hatte, als er sagte: „Die Kirche der Zukunft ist ökumenisch oder sie ist nicht Kirche!“

Das alles und noch viel mehr sind ermutigende Zeichen ökumenischer Gemeinschaft, auf die ich mit Freude schaue. Ich lebe also auch in Sachen Ökumene von dem, was alles möglich ist schon jetzt – und ich lebe eben nicht so sehr von dem, was leider noch nicht möglich ist schon jetzt.

Darum will ich auch auf das Gedenken der Reformation im Jahr 2017 im ökumenischen Geist zugehen. Ich will nicht den Schmerz der Trennung verdrängen. Ich will auch nicht die vielen Kränkungen und Enttäuschungen auf dem Weg der Ökumene verniedlichen. Ich will aber auch nicht die Früchte der Reformation für mich verleugnen. Aber ich will darauf zugehen, weil darin eine Chance liegt, die Einheit voranzutreiben und zu sehen, wie sehr wir eins sind in Christus. Ich will darauf zugehen, gestärkt durch viele Erfahrungen des Respekts und der Ehrerbietung, die die Geschwister einander bezeugen, wie Paulus es ausdrückt.

Daher, liebe Schwestern und Brüder, schlage ich vor, dass wir uns im besten Sinne an Paulus halten und uns von ihm weiter mit auf den hoffnungsvollen Weg nehmen lassen, den Christus seiner Kirche gewiesen hat und weiter weisen wird: „Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen“ – im Gegenteil, so meine ich: Diese Hoffnung macht lebendig und neugierig und frei für ein entschlossenes Vorangehen in Sachen Ökumene. Das Ökumenismus-Dekret ist in diesem Sinne Erbe und Verpflichtung.

Es segne uns miteinander auf dem Weg der allmächtige, gütige und barmherzige Gott – der Vater Jesu Christi. Amen

Datum
21.11.2014
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Gerhard Ulrich
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