24. Dezember 2012 | Heiligabend | Dom zu Schleswig

Aufbruch braucht Ermutigung

24. Dezember 2012 von Gerhard Ulrich

Weihnachtspredigt in Verbindung mit dem Gemälde des Malers Max Kahlke, Verkündigung an Maria, Großer Marienaltar (1927), St. Petri-Dom zu Schleswig

Liebe Gemeinde!

 I

„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“

So hören wir die Verheißung des Propheten Jesaja. Eine Stimme der Hoffnung für das Volk Israel mitten im Zusammenbruch, als Glaube, Hoffnung, Liebe obdachlos waren.

„Fürchtet Euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird!“

So hören es die Hirten auf dem Feld bei Bethlehem in der Nacht der Geburt des Kindes im Stall. Sie sehen das verheißene Licht – sie, denen auch bei Tag finster ist, hoffnungslos dunkel.

„Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.“ So beginnt der Trost, der Neuanfang bei Jesaja: angesagt ist das Kommen Gottes. Aufbruch braucht Ermutigung. Aufstand braucht Erinnerung.

Das ist die Sehnsucht auch in dieser Zeit: dass einer kommen möge und mit starker Hand dazwischen fährt, ein Ende macht mit sinnloser Gewalt – in Syrien, Palästina, im Kongo. Die Sehnsucht, oft aus der Wut der Ohnmächtigen geboren, zeigt sich dieser Tage in der Wut der Frauen in Neu Delhi, die gegen brutale Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen und für die Rechte der Frauen kämpfen und streiten – und dabei ihr Leben riskieren. Das ist die Sehnsucht, die nicht zu bändigende, dass ein Ende wird endlich mit der Knechtschaft derer, die ihre Heimat verlassen müssen, weil Diktatoren ihr eigenes Volk verfolgen. Dass endlich einer aufsteht gegen entfesselte Waffengewalt, gegen unschuldige Menschen. Und dass einer die Dunkelheit aufbricht derer, die nicht ein und aus wissen, die von der Hand in den Mund leben müssen – mitten im reichen Land auch bei uns.

II

In einer der Seitenkapellen hier im Schleswiger Dom ist der „Große Marienaltar“ von 1927 des Glückstädter Malers Max Kahlke zu sehen mit insgesamt fünf Bildtafeln aus dem Leben Jesu.  Die linke Tafel zeigt die wundersame Begegnung Marias mit dem Engel Gabriel – Sie haben ein Foto davon bekommen.

Wenn ich das Bild betrachte, dann strahlt mir zunächst das warme Rot des Kleides der Maria entgegen – Rot: die Farbe des Blutes, der Liebe. Dazu ihr leuchtendes Gesicht, umgeben von dem hellen Lichtkranz, dem Nimbus. Die Energie des Lichts, das wie eine gleißende Flut vom Fenster rechts in die Szene hinein fällt, hat das Gesicht der Maria zum Strahlen gebracht. Und diese Dynamik des Lichts bringt Maria buchstäblich aus der Fassung: „Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das?“ So heißt es bei Lukas im ersten Kapitel.

Das Licht bricht ein in geordnetes, absehbares Leben. Weihnachten ist umwerfend! Umwerfend schön; umwerfend verwandelnd.

Die Maria auf dem Bild aber schaut nicht hin zur Quelle des Lichtes, sie ist verwirrt. Es braucht den anderen, den liebenden, den lieben Menschen in der Nähe, der hilft, verweist, stützt. Schau hin! Nichts ist zu Ende. Alles fängt neu an.

Der Schrecken ist Maria ins Gesicht geschrieben: die Augen weit aufgerissen, die Arme hilflos geöffnet: wie geschieht mir? Maria scheint den Halt verloren zu haben, ihre Füße sind weggerutscht, in´s Straucheln geraten die ganze Person. So kann es gehen, wenn Gott in´s Leben einfällt. Wie bei den Hirten auf dem Felde:

 „… und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.“

III

Liebe Schwestern und Brüder, das Licht, das da durch das offene Fenster flutet, es lässt ja nicht nur erstrahlen den Schoß der Maria. Es flutet weiter her zu uns, aus dem Bild heraus: das Dunkel wird hell; das Unsichtbare ahnbar. Die Figur der Maria reflektiert den grellen Strahl, der aus der Höhe kommt und Strahlen sendet, die unseren Füßen eine Leuchte sein wollen.

Es blendet eben auch, dieses Licht. In ihm gibt es kein Verstecken. Es leuchtet hervor die dunkle Seite dieser Welt, des Lebens.

„Das Böse hat uns heimgesucht“ – so sagen die Menschen in der kleinen amerikanischen Stadt Newtown, in der ein Mann mit drei Waffen 27 Menschen und sich selbst getötet hat. Hilflos fühlen sich die Menschen ausgeliefert. Die Trauer um die Kinder und Erwachsenen, die sinnlos ermordet worden sind, hat ihr Leben verändert. Der Vater eines der ermordeten Kinder sagt mit großartiger Stärke, er hoffe, dass durch diese Tat die Menschen fürsorglicher miteinander würden, stärker aufeinander Acht geben. Und: dass endlich diese schrecklichen Waffen verschwinden…

Das amerikanische Waffenrecht erlaubt jedem Amerikaner, eine Waffe zu besitzen und zur Verteidigung zu benutzen. Dieses Recht aber macht die Menschen zu Herren über Leben und Tod. Mit Freiheit hat dies, finde ich, nichts zu tun!

In diesem Zusammenhang schauen viele auch bei uns mit Sorge auf Berichte über die rasante Entwicklung der Waffenexporte in den vergangenen Jahren: „Deutsche Waffen für die Welt“ – hat der „Spiegel“ seinen Titelbericht überschrieben. „Deutsche Waffen für die Welt“ – ich frage: Was wäre stattdessen mit „Deutschem Brot für die Welt“?

Die Kirchen in Deutschland haben gewarnt. Vermeintlich sichere Bündnispartner und so genannte „strategische Partner“ von heute könnten vielleicht schon morgen diese Waffen einsetzen gegen – Israel zum Beispiel. Mit dem vollzogenen Verkauf von Schusswaffen und Kriegsgerät aller Art endet auch die Kontrolle über diese Waffen – ob sie tatsächlich dem Frieden dienen oder nicht, können wir nicht mehr kontrollieren. Und wir sehen – in Afghanistan und anderswo, wo auch in diesem Jahr wieder Soldaten aus Deutschland und aus aller Welt Weihnachten erleben fern von ihren Familien, wie wichtig zwar wehrhafte Friedensarbeit ist – wie zerbrechlich aber der Frieden ist – auch angesichts der Waffen in Händen von Terroristen und Fundamentalisten.

Wie anders ist da doch die Botschaft Gottes auf dem Feld von Bethlehem: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“! Gott kommt. Hinein in das Leben der Trauernden; kommt gerade zu denen, die nicht ein und aus wissen. Er kommt – und Trost liegt auch in der Ermutigung zu widersprechen den lebensfeindlichen Mächten; Trost liegt auch in Gottes Forderung, die Füße endlich auf den Weg des Friedens zu richten. „Fürchtet Euch nicht, denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“ – so hören es die Hirten auf den Feldern bei Bethlehem; so hören es jene, die alle Hoffnung hatten fahren lassen, die sich eingerichtet hatten in der Finsternis der gesellschaftlichen Kälte, die Vergessenen, Abgeschobenen!

Alle erfahren: Gott, der da in dem kleinen Kind auf die Welt kommt, Mensch wird, ist ein Gott des Lebens. Ein Entwaffner, nicht ein Bewaffner. Ein Licht, das Leben ausleuchtet, damit es sich entfalten kann – in Frieden und Schutz und Liebe. Ein Licht aber auch, das in die Erkenntnis führt dessen, was dem Leben dient und dessen, was es bedroht.

Entscheidend ist, dass wir, die wir in Frieden leben, den Frieden exportieren, teilen die Fülle, die uns geschenkt ist! Die Mensch und Welt verwandelnde Botschaft des Engels erreicht auf den Wellen des Lichts auch mich und Dich. Darum schmücken wir unsere Städte und Wohnungen, lassen erstrahlen unsere Welt in neuem Licht. So kräftig und blendend wie auf unserem Bild.

Für mich ist die Figur, die der Maler da so im Grün der Hoffnung hinter Maria gestellt hat, nicht unbedingt der Engel, sondern Joseph. Ich glaube, dass Kahlke das ganz bewusst offen hält: Auch Joseph gehört zentral zu diesem Geschehen der Ankündigung, auch er ist in Hoffnung.

Der Glanz im Gesicht der Maria spiegelt sich in seinem Gesicht. Und seine übergroße Hand oben weist über die Begrenzung des Bildes hinaus – hin auf den, der da kommt.

IV

Mit 36 Jahren ist Max Kahlke schwer gezeichnet von Verletzung und Krankheit, die er im Ersten Weltkrieg erlitten hatte, 1928 gestorben. Der Erste Weltkrieg war für ihn ein Trauma, wie für so viele Menschen in Europa. Der Krieg ist mein großer Lehrmeister, schreibt Kahlke einmal. Ein Lehrmeister des Grauens!

Kahlkes Bilder galten den Nazis als „entartete Kunst“. Es sei zu wenig „Heroisches“ darin, zu wenig die Kriegshelden Verehrendes, schreibt ein Nazi an die Gemeinde in Glückstadt und nach Flensburg. Kahlke hatte ein anderes Bekenntnis in seine Bilder eingemalt. Die vom göttlichen Licht umflutete Maria und ihr Engel-Mann halten lebendig die umstürzlerische Hoffnung auf das Kommen dessen, der so wunderbar irritierende und motivierende Namen hat: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.

Die Bilder Kahlkes stehen für dieses andere Heldentum, das Heldentum der phantasievollen Friedens-Macher, die Jesus in der Bergpredigt seligpreist. Ein Held ist nicht, wer herrisch der Macht der Herren dient. Held ist, wer diese Macht überwindet: „Ich will so nicht verteidigt werden, Herr Premierminister!“ – so schrieb eine Israelitin auf Facebook, nachdem die ersten Raketen aus Gaza mit Raketen auf Gaza beantwortet worden waren vor ein paar Wochen. Wir wissen: es braucht einen, der anfängt aufzuhören mit der Gewalt, der Schloss und Riegel des Hasses durchbricht!

Genau das ist es doch, was wir in unserer weihnachtlichen Zeit inszenieren, zeigen: diese Welt kann ganz anders sein, wir können ganz anders! Die Hoffnung dieser Nacht ist, dass die umwerfende Freude, die wir erleben und einander bereiten, dass die Fülle, die uns geschenkt ist, uns auf die Beine bringt gleich den Hirten: zu teilen, zu trösten, zu ermutigen – nicht nur zu Weihnachten einander zu beschenken mit dem Frieden und der Freude.

Das Licht der Weihnacht leuchtet allen ein, die aufmerksam bleiben für das Besondere; die den Mut aufbringen, dem Ungewöhnlichen nachzugehen, die sich nicht zufrieden geben mit dem, was immer schon so war. Das Licht der Weihnacht will uns ermutigen, neue Wege zu gehen des Miteinanders. Und es leuchtet den Weg zu denen, die im Finstern sitzen, denen, die von keinem noch so monströsen Rettungsschirm bedacht sind.

„Fürchtet euch nicht“, sagt der Engel.

Die Hirten damals gehen dem Wort Gottes nach, folgen dem Licht. Und sie sehen das Kind, das Licht, spüren die Kraft, die von ihm ausgeht. Und sie erfahren: nichts bleibt, wie es war in unserem Leben durch dieses eine Leben! Wer wirklich hinsieht auf den, der da liegt und groß wird und geht durch das Leben bis ans Kreuz, wer die Fenster offen hält für die Flut des Lichtes aus der Höhe: für den kann das Leben neu und stark werden und die Hoffnung groß.

Die Hirten bleiben nicht bei der Krippe. Sie gehen laufen und sagen weiter, dass Friede werde, wie sie gesehen haben! Das Dunkle um uns ist nicht endgültig; die Trauer hat nicht das letzte Wort: alles darf immer neu anfangen!

Bis heute zu uns hier nach Schleswig dringt dieses Wort, dieses Licht, das unsere Gesichter hell und unsere Seelen froh machen will, stärkt die müden Hände! Denn: Gott lässt die Seinen nicht. Er kommt zu uns: Fürchtet euch nicht. Amen.

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