Aufstand des Lebens gegen alles Sterben
20. April 2014
Ostersonntag, Predigt über Markus 16, 1-8
(Kanzelgruß)
I
„Gelobt sei Gott im höchsten Thron / samt seinem eingebornen Sohn, / der für uns hat genug getan. / Halleluja / Halleluja / Halleluja.“ – Liebe Gemeinde, die Lieder, die wir heute singen, sind von überschäumender Freude bestimmt. Vom Sieg ist die Rede über die Mächte der Welt. „Er ist erstanden von dem Tod, / hat überwunden alle Not; / kommt, seht, wo er gelegen hat. / Halleluja.“ So singt und tanzt die Freude über die Nachricht, dass einer, der tot war, auferstanden ist, wahrhaftig auferstanden!
Der Karfreitagsschmerz verwandelt sich in Osterjubel. In den Osterliedern werden Hölle und Tod einfach verlacht: „Die Höll und ihre Rotten, die krümmen mir kein Haar. Der Sünden kann ich spotten, bleib allzeit ohn‘ Gefahr…Die Welt ist mir ein Lachen/ mit ihrem großen Zorn, sie zürnt und kann nichts machen – so dichtete Paul Gerhardt 1648 im Angesicht schrecklicher Kriegswirren, Pest und Drangsal!
Lachen: Freiheit von Angst und Schuld, Mut zu neuem Anfang, zu Hingabe an das, was dem Leben dient! Ostern ist der Aufstand des Lebens gegen alles Sterben, gegen die Mächte des Todes! Ist der Glaube an das Leben, nicht an den Tod! Die Bibel weiß, dass die Osterfreude teuer erkauft ist durch den Tod des Menschensohnes, durch Gottes Hingabe. Das ist ja gerade das Besondere, das Anstößige und Herausfordernde der christlichen Botschaft zugleich: Sie rechnet mit Tod und Leid, Schmerz und Enttäuschung. Sie weiß, dass der Tod seine Macht beansprucht. Aber sie weiß auch: Gott geht selbst den Weg hinab in das Reich des Todes erst - und überwindet.
„Ich erinnere euch an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe“, sagt Paulus in der heutigen Epistel, „was ihr angenommen habt; in dem ihr fest steht; in dem ihr selig werdet...: dass Christus gestorben ist für unsere Sünden und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage.“ - Das ist das älteste Bekenntnis der Christen überhaupt. Der auferstandene und lebendige Herr ist der Urgrund der Kirche, allen Glaubens. Auf diesem Fundament gründet alle Osterfreude!
Aber langsam. So schnell erklingen die Hoffnungslieder nicht. Erst einmal war das Halleluja stumm. „Und die Frauen kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh“ – Die Ostergeschichten der Bibel setzen anders an: Da ist Trauer zunächst, Entsetzen und Flucht. Die Frauen, die sich früh am Morgen auf den Weg gemacht hatten, den Leichnam Jesu zu pflegen, finden das Grab leer!
II
„Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.“
„Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen.“ - So fängt das Sehen an!
Da machen sich drei Frauen auf den Weg, noch ganz und gar besetzt von Trauer und Entsetzen über das, was geschehen war: Jesus, Träger ihrer Hoffnungen, gescheitert an der Macht des Todes.
Aber die Frauen lassen sich nicht lähmen wie die Jünger, die sich weggeduckt hatten. Die Frauen folgen ihrer Sehnsucht, in den Händen das Öl für den geliebten Toten - wenigstens seine Haut wollen sie retten. Ihr einziges Wort, ein Hilferuf: „Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?“ Die Frauen scheinen sich zu fügen in das Unabänderliche. Sie leisten Trauerarbeit. Sie beschäftigen sich mit dem Toten. Sie suchen an ihm zu handeln, so dass sie sein Tot- Sein im Vollsinn des Wortes begreifen können.
Und dann - entsetzlich! Der Stein weggewälzt, die Totenruhe gestört! Der Leichnam fort! „Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden. Er ist nicht hier!“ - Die Auferstehungsbotschaft des Jünglings im leeren Grab wirkt keineswegs beruhigend auf die Frauen. Sie ergreifen panikartig die Flucht.
III
Was ist da passiert? Wir wissen es nicht und erfahren es nicht. Diese Geschichte und die anderen erzählen nichts von der Auferstehung selbst. Und darum geht es auch nicht. Es geht nicht um Beweise. Es geht um den Glauben, der an diesem Morgen da draußen am Grab beginnt, diese neue Energie, die uns ausstrecken lässt über das Sichtbare und Verstehbare hinaus. Ein Glaube, der sich nicht von Tatsachen einfangen lässt. Eine Hoffnung, die nicht endet an der Grenze des Todes; eine Gewissheit, die alles Leben aufgehoben und geborgen weiß bei Gott, in seiner Liebe, mit der er uns anredet, beim Namen nennt. Ein Grundvertrauen in das Unbegründbare!
Gewiss: Es gibt so Vieles, was unsere Lebenskraft bindet: Das ist der Tod eines lieben Menschen genauso wie das eigene oder fremde Leid; das ist der Verlust des Arbeitsplatzes und damit der Aussicht auf Zukunft. Dem Tod begegnen wir nicht nur am Ende eines irdischen Lebens. Immer wieder bedrängt uns die Erfahrung der Endlichkeit und Begrenztheit - mit jeder zerschlagenen Hoffnung droht etwas in uns abzusterben. Hoffnung begraben: ein Stück Tod mitten im Leben. Das macht uns klein und lähmt uns, lässt uns verstummen. Der Blick auf die Gräber, der Blick auf all das, was abstirbt, was uns genommen wird: er hat auch etwas Anziehendes, Bindendes. Man kann sich dem ergeben und retten, was zu retten ist. Oder man beginnt, wie die Frauen am Ostermorgen, genau hinzusehen, beginnt zu fragen: nach dem Leben. Beginnt, den Blick wieder zu heben, das Leben zu suchen trotz all des Sterbens und Verwerfens. Rechnen mit dem Wunder. Mit der Frechheit des Glaubens, durch alles Entsetzen hindurch, Gott beim Wort nehmen.
Ich denke oft an die Menschen hier in der Region, in Stralsund und an anderen Orten, an die, die in den Werften arbeiten und an ihre Familien: da machte sich Entsetzen breit über die Nachricht, dass auch die „Volkswerft“ in Stralsund am Ende ist. Entsetzen bei denen, die dort arbeiten und die oft in Generationen-Folge die Werft zu dem gemacht haben, was sie ist; die stolz waren auf ihre Werft; deren Lebenssinn in Frage gestellt scheint und deren Zukunft nicht mehr überschaubar scheint. Das ist für viele, als wenn ein Lebensfaden abgeschnitten wird.
Aber dann ist da das Entsetzen nicht nur lähmend. Da stehen Menschen auf, Betroffene und Solidarische, gehen auf die Straße, finden ihre Stimme wieder. Eine Gemeinschaft entsteht, die nicht einfach hinnehmen will das Ende. Da wird entdeckt die eigene Würde, der Wert der Lebensarbeit. Da ist immer noch die Bedrohung, immer noch die Angst: aber da ist auch Bewusstsein für die eigene Kraft. Und diese Kraft beunruhigt, bringt zum Nachdenken die, die entscheiden. Das Ende ist ungewiss. Aber was sich bewegt, hat seinen eigenen Wert. Das Entsetzen um die „Volkswerft“ steht exemplarisch für einen lange schon sichtbaren Trend. Der Mensch wird in seinem Wert beurteilt nach ökonomischen Gesichtspunkten, er wird zum Kostenfaktor in der Wirtschaft und in der sozialen Versorgung.
Ostern sagt: Ihr sollt euch nicht zufriedengeben mit dieser Automatik. Gott hat ein anderes Bild von euch. Steht auf! Verschluckte Wut macht stumm, taub und blind; nicht gelebte Trauer ist Tod mitten im Leben. Wo wir mit Naturgesetzen vergleichen, was passiert aus Menschen-Macht: da werden wir blind für des Lebens Kräfte, für die eigenen Kräfte und die eigene Würde. Da geben wir uns selbst auf. Wie die Jünger damals.
Natürlich: es gibt jede Menge Gründe, wegzulaufen vor den Dingen, die wir nicht mehr sehen können, die nicht auszuhalten sind, die nicht aufzuhalten scheinen: in der Ukraine regiert offenbar das Gesetz des Stärkeren. Und die Sprache des Kalten Krieges, das Gleichgewicht des Schreckens steht wieder auf, scheint es. In Nigeria wütet der Terror. Mädchen werden entführt, weil sie lernen wollen in der Schule; auch wenn aus Afghanistan die Truppen abgezogen werden, ist dort noch lange nicht Frieden. Und Menschen flüchten über die Meere, riskieren ihr Leben, um Leben zu finden. Entsetzlich so vieles in dieser Welt. Als Christenmenschen haben wir uns dem Entsetzen zu stellen. Aber wir bleiben nicht stehen an den Gräbern. Wir legen Zeugnis ab für den Frieden und gegen allen Machtdurst.
IV
Bei den Frauen am Ostermorgen wird das Entsetzen zum Anfang des Glaubens: Er ist auferstanden! Was die Frauen hier stellvertretend für uns erleben, ist so etwas wie die Geburt des Glaubens. Und wie bei jeder Geburt, kommt neues Leben nur durch den Schmerz hindurch in diese Welt. Der Glaube sieht scharf, nicht verschleiert. Kennt den Tod, das Bedrohliche. Aber er sieht weiter. Er weist auf das Leben: das, was dir erstirbt, ist nicht alles. Dein Leben gewinnt seinen Wert in dem, was Gott schenkt, nicht in dem, was Menschen nehmen.
„Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden. Er ist nicht hier!“ - Es gibt die Realität des Todes, des Endes. Wer wollte das leugnen. Aber der Glaube weiß, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Er weiß um die Hoffnung, dass Lebenskraft trotz des Todes und über den Tod hinaus trägt. Die Zeuginnen und Zeugen haben ihn gesehen. Jede und jeder an ihrem und seinem Platz, zu ihrer und seiner Zeit. Geheimnisvoll. Der Glaube fragt nicht: wie das? Er weiß: Leben hat Kraft und Macht über den Tod hinaus. Was Ostern geschieht, ist Ermächtigung zum Leben, Begabung, Stärkung aller, die an ihn glauben. Christus stirbt – steht auf, damit wir Leben haben die Fülle auch dann, wenn Leben leer zu werden droht in uns. Leben sucht sich Formen, Wege ans Licht.
„Er ist auferstanden. Er ist nicht hier!“
Leben blüht auf, wo wir nicht mehr mit ihm rechnen. Das ist Ostern. Bis Ostern gilt: das Radikalste in der Welt ist der Tod. Das Ende von Etwas. Jetzt gilt: das Radikalste ist das Leben. Der Anfang von allem. Der Glaube hat Sprengkraft, der da wächst. Er ist die Kraft, die wegrollen kann Steine von den Gräbern der Hoffnungen und der Lust am Leben. Er verhilft Leben zum Durchbruch immer wieder neu. Dazu will uns die Osterbotschaft, das Entsetzen der Frauen am Ostermorgen ermutigen: lasst nicht zu, dass Spuren des Lebens in euch und um euch herum verschüttet werden; betoniert euch nicht ein in euren Gräbern der Angst oder Selbstgerechtigkeit. Auch Mauern können fallen – auch „die Mauer“ konnte fallen – 25 Jahre ist das nun her. Welch ein Glück!
„Er ist auferstanden“, damit wir Leben haben die Fülle: stark sind zu leben, wie Gott es will; zu widersprechen mit seinem Wort; aufzuhelfen und standzuhalten mit seiner Liebe.
V
Liebe Gemeinde, die Ostergeschichte bleibt offen, in nicht-aufgelöster Spannung. Noch verbirgt sich die Freude im Entsetzen; noch ist die einzige Bewegung unkontrollierte Flucht. Die Erfüllung der Verheißung steht aus.
„Geht aber hin...nach Galiläa“, sagt der Jüngling zu den Frauen, „dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.“ Es kommt darauf an, dass wir uns senden lassen, dass wir dieser Verheißung Glauben schenken, uns treiben lassen von unserem Glauben: der Herr ist auferstanden!
Geht nach Galiläa – geht an euren Platz, mitten hinein in den Alltag. Der Auferstandene sendet hinaus: Geh hin! Ein Missionsbefehl. Mach den Mund auf. Geh da hin, wo Menschen stumm und gebeugt an den Gräbern ihrer Hoffnungen stehen; nicht weiter wissen, nicht wissen, wohin das Leben gegangen ist. Geh da hin, wo das Leben weitergehen soll und muss; wo Menschen nach Leben fragen, nach neuem Anfang: da erzähl’, was du gehört und gesehen hast, was du glaubst. Als von Gott beim Namen Genannte, als von Gott vom Ort des Todes weg ins Leben Gejagte. Geh hin. Nimm hinein ins Leben den, der lebt. Lass Jesus aufbrechen, was verschlossen ist in Angst. Lass ihn aufhelfen, was daniederliegt; was in Trauer erstarrt ist, lass ihn trösten.
Ich habe dieser Tage ein kleines Ostergedicht gefunden:
„Wir sind auf der Suche / nach der Kraft, / die uns aus den Häusern, / aus den zu engen Schuhen / und aus den Gräbern treibt.
Aufstehen und / mich dem Leben in die Arme werfen - / nicht erst am jüngsten Tag, / nicht erst, wenn es nichts mehr kostet / und niemandem mehr weh tut. /
Sich ausstrecken nach allem, was noch aussteht, / und nicht nur nach dem Zugebilligten. / Uns erwartet das Leben. / Wann, wenn nicht jetzt?“
„Erschienen ist der herrlich Tag, / dran niemand g´nug sich freuen mag: / Christus, unser Herr, heut triumphiert / sein Feind er all gefangen führt. Halleluja.“
Amen