5. April 2019 | Stiftskirche zu Ludwigslust

Berufung und Beruf

05. April 2019 von Andreas von Maltzahn

Predigt zum Vokationsgottesdienst Religionspädagoginnen und -pädagogen

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.


Liebe Schwestern und Brüder,

ich freue mich, heute diesen Vokationsgottesdienst gemeinsam mit Ihnen zu feiern. Auf der Zielgeraden meines Dienstes als Bischof möchte ich damit auch ein Zeichen setzen, wie wichtig die Arbeit der Religionslehrer*innen ist – nicht nur aus Sicht unserer Kirche, sondern für die gesamte Gesellschaft! Wir leben ja – religiös gesehen – in einer äußerst ambivalenten Zeit: Auf der einen Seite wachsen viele Kinder und Jugendliche ohne religiöse Sozialisation auf. Konfessionslosigkeit vererbt sich mittlerweile über Generationen hinweg als Normalität. Auf der anderen Seite wird Religion in den gesellschaftlichen Debatten unerwartet heftig diskutiert, wird teilweise als fremd und bedrohlich erlebt und lässt zugleich andere nach den verbindlichen Grundlagen unseres Gemeinwesens fragen.

Darum ist es so wichtig, dass sich Menschen wie Sie für diesen Beruf entschieden haben! Wie anders als durch guten Religionsunterricht sollen Heranwachsende lernen, sich im Dschungel der Meinungen und Emotionen zu orientieren?! Wie anders als durch sachkundige Informationen im Reli sollen Jugendliche befähigt werden, authentische Religiosität von entartetem Fundamentalismus zu unterscheiden?! Wie anders sollen Kinder spüren, wie lohnend es ist, die großen Fragen nach Sinn, nach Wahrheit, nach Gott zu stellen, als durch Menschen, die einen persönlichen Zugang zu Religion haben und daher auch aus eigener Erfahrung davon reden können?!

Es ist unverzichtbar, dass unsere Gesellschaft jungen Menschen hilft, sich in dieser Hinsicht zu orientieren – damit sie kritikfähig sind und sich nicht mit Oberflächlichkeiten begnügen, damit sie Haltungen entwickeln, die Andersdenkenden, Andersglaubenden mit Respekt begegnen, damit sie eigene Wurzeln entwickeln können, die Halt geben und nähren in den Herausforderungen ihres Lebens. Ein wunderbarer Beruf, hierbei Geburtshelfer/in sein zu können!

Zugleich weiß ich, dass Ihr Berufsalltag durchaus belastende Seiten hat: Wenn ihnen von Schüler*innen Desinteresse entgegenschlägt oder Kolleg*innen dem Fach Religion mit Unverständnis begegnen; wenn man riskiert, für das Vertreten fremdenfreundlicher Positionen im Netz an der Pranger gestellt zu werden oder wenn man nicht genügend Unterrichtsstunden an einer Schule bekommen kann – all das kann belastend sein. Umso wichtiger ist es, zu wissen, wie wesentlich das ist, was Heranwachsende durch Sie entdecken können!

Der vorhin gehörte Text aus dem Johannesevangelium spricht das auf eigene Weise an. Da sagt Jesus zu Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Da klingt eine Differenz an, die mit meinem Leben zu tun hat. Ich kenne dieses Gefühl der Fremdheit aus Erfahrung – und vielleicht hat steht das ja ähnlich in Ihrem Erleben.

Sie kennen die Redewendung: ‚Der ist nicht ganz von dieser Welt.‘ So beschreibt der Volksmund Menschen, die vielleicht für nicht wirklich verrückt gehalten werden, aber doch herausfallen aus dem Normalen – Menschen, die ihre sympathischen Seiten haben mögen, aber eben doch nicht ganz im Leben stehen. Mit dieser Differenz-Erfahrung bin ich großgeworden. Als Schulkind, das an Gott glaubte, als Jugendlicher, der sich konfirmieren ließ, als Pastor in einem Dorf, das von mir vor allem einen gepflegten Friedhof erwartete und sonst kaum etwas – immer spürte ich die mehr oder weniger deutliche Resonanz: ‚Eigentlich ist er ja ganz nett, aber irgendwie nicht von dieser Welt…‘

Ich habe in meinem Leben ziemlich viel investiert, um diese Differenz zu überwinden, um doch dazugehören zu können. So habe ich die Interessen anderer zu meinen eigenen gemacht, denn ich wollte nicht immer am Rande stehen. Von klein auf an habe ich versucht, die Vernünftigkeit unseres Glaubens argumentativ zu unterlegen. Ich habe zu belegen gesucht, dass man seinen Verstand nicht an der Kirchentür abgeben muss, sondern Glaube und Naturwissenschaft einander ergänzen. Bis zu einem gewissen Maße ist das geglückt. Aber ganz aufheben ließ und lässt sich die Differenz nicht. Das kostet Kraft…

Zugleich ist da etwas anderes: Dem anzuhängen, der gesagt hat „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, kann auch Kraft entbinden. Auch das gehört zu meinem Leben – Selbstbewusstsein daraus zu ziehen, in bestimmter Hinsicht anders zu sein. Es ist schon etwas Besonderes, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die unterschieden zu sein,  schon in ihrem Namen trägt: Zur ‚Ecclesia‘ zu gehören, zur Gemeinschaft der ‚Herausgerufenen‘, deren Markenzeichen es geradezu ist, sich nicht mit dem Normalen zu begnügen – das hat ´was! Zu einem Leben berufen zu sein, das sich nicht erschöpft im Üblichen – das gibt Energie! Nicht nur sich selbst zu leben, sondern dem Christus und zudem die Frage nach Gott in unserer Gesellschaft wach zu halten – das lohnt das Leben!

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sagt der Christus, „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge.“

Schwestern und Brüder, für die Wahrheit einzustehen, ist unser Beruf. Ob als Menschen in unseren persönlichen Bezügen oder im Beruf als Pastor oder Religionslehrer/in – der Wahrheit sind wir verpflichtet!

Man könnte sich mit einem müden Lächeln aus der Verantwortung stehlen wie Pilatus: „Was ist (schon) Wahrheit?“ Hat nicht jeder seine eigene? Ist sie nicht immer gefärbt von dem, was einem nützt? Auf gar keinen Fall! Gerade in einer Zeit, in der sich Lügen als ‚alternative Fakten‘ tarnen, ist es lebenswichtig für die geistige Hygiene einer Gesellschaft, die Wahrheitsfrage zu stellen und sie nicht zu relativieren!

Nehmen wir die Frage des Klimawandels: Ich finde es großartig, dass Schüler*innen streikend auf die Straße gehen, damit wir Erwachsenen uns nicht wegducken, sondern das Problem tatkräftig angehen! Das eine ist, den Leugnern des Klimawandels Paroli zu bieten. Doch auch politisch und in unserem Lebensstil sind wir gefragt, die Weichen so zu stellen, dass das Schlimmste verhindert werden kann. Gewiss, wenn wir aus der Kohle aussteigen, wird Energie etwas teurer werden. Aber wie wenig ist das im Vergleich zu überfluteten Küsten und verheerenden Stürmen?! Gewiss, wir werden weniger Flugreisen unternehmen können und uns bewusster ernähren müssen. Aber möglicherweise wird unser Leben dadurch gerade an Qualität gewinnen.

In der Nachfolge des Christus ist das unsere Berufung: Die Wahrheit zu bezeugen! Das bedeutet zunächst – Recherche! Die Wahrheit suchen! Und dann für sie einstehen. ‚7 Wochen ohne Lügen‘ sind da ein prächtiges Übungsfeld.

Damit klingt schon an: Es geht um mehr als um ein Streben nach Objektivität. Es geht um Wahrhaftigkeit – und zwar als umfassende Lebenshaltung! Mahatma Gandhi nannte seine Autobiographie „Meine Experimente mit der Wahrheit“. Satyagraha, das Festhalten an der Wahrheit mit seiner ganzen Existenz – das war ein umfassendes Programm, in dem sich Ernährungsfragen, Arbeit mit den eigenen Händen, Gewaltfreiheit, Kampf und Kontemplation zu einer Lebenshaltung vereinigten, die seinem Bild von der Suche nach Gott, nach der Wahrheit entsprach. Denn Gandhi war überzeugt: Suche ich existentiell nach der Wahrheit, stoße ich unweigerlich auf Gott! Und das hieß für Gandhi, das Beste aus Christentum, Jainismus, Buddhismus und Hinduismus, sogar Elemente des Islam in sein Lebenskonzept aufzunehmen! Nach wie vor fasziniert mich daran, wie eine sehr persönliche Art zu leben zugleich ungemein politisch sein kann – wurde doch der Zusammenbruch der indischen Kolonialherrschaft durch solch ‚Festhalten an der Wahrheit‘ auf den Weg gebracht.

Der tschechische Bürgerrechtler Vaclav Havel hat dies zu sozialistischen Zeiten wieder zum Programm gemacht. Zu Recht ging er davon aus: Wenn wir versuchen, in der Wahrheit zu leben, dann wird das auf Lüge und Halbwahrheit gebaute gesellschaftliche System über kurz oder lang zusammenbrechen wie ein Kartenhaus. 1989 hat der Ostblock das erlebt.

So liegt auch heute verändernde Kraft darin, Christus als Weg, Wahrheit und Leben ernst zu nehmen und für die Wahrheit einzustehen.

Es verändert mein Leben und die Verhältnisse, wenn ich achtsam umgehe mit allem, was lebt – mit mir selbst, mit den Menschen, die mir anvertraut sind, mit meinen Mitgeschöpfen. Wir alle sind Gott kostbar.

Es verändert mein Leben und die Verhältnisse, wenn ich nicht krampfhaft mein Leben sichern will, sondern mit Hingabe lebe und arbeite; denn wer sich hingibt, der empfängt.

Es verändert mein Leben und die Verhältnisse, wenn ich mich nicht abfinde mit Ungerechtigkeiten, sondern zumindest in einer Sache beharrlich und verlässlich um Besserung ringe. Es ist in Gottes Sinn, so zu handeln.

Es verändert mein Leben und die Verhältnisse, wenn ich Brücken baue zu Menschen, die anders denken, anders sind, anders glauben; denn so durchstoßen wir die Blasen der Gleichgesinntheit und haben die Chance, einander zu entdecken.

Das Schöne, Schwestern und Brüder – das Schöne ist, dass dies nicht nur unsere Berufung, sondern auch unser Beruf ist. Wir können Multiplikatoren sein. In den Begegnungen unseres Alltags, durch unsere Art, mit Konflikten umzugehen, Sie als Lehrkräfte im Fach ‚Evangelische Religion‘, andere als kirchliche Mitarbeitende – auf verschiedenste Weise können wir etwas von der Wirklichkeit, die nicht von dieser Welt ist, in das Leben der Leute bringen. Unsere Gesellschaft braucht diese Erinnerung mehr denn je. Gott segne Sie in Ihrem Dienst!

 

 

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