31. Oktober 2019, Reformationstag | Dom St. Nikolai zu Greifswald

Betet!

31. Oktober 2019 von Tilman Jeremias

Predigt von Tilman Jeremias zu seiner Einführung als Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Nordkirche am Reformationstag, 31. Oktober 2019

Liebe Gemeinde,

ich stehe hier heute vor Ihnen mit großer Freude und weichen Knien. Mit großer Freude, weil die Landessynode mir ihr Vertrauen geschenkt hat für mein neues Amt. Ich darf Bischof werden im schönsten Bundesland und in einer vielfältigen, lebendigen Kirche. Ich habe mich sehr gefreut über die zahlreichen ermutigenden und stärkenden Worte der vergangenen Monate. Viele Türen und viele Herzen habe ich schon offen gefunden. Und ich freue mich auf das vor uns liegende Fest.

Aus drei Gründen bin ich froh, gerade am heutigen Tag eingeführt zu werden. Zum einen, weil heute Reformationstag ist. Ich bin überzeugt, dass die auf das Evangelium zentrierende Kraft der Reformation genau das ist, was wir auch heute brauchen. Zum zweiten, weil genau heute vor 20 Jahren in Augsburg die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre unterzeichnet wurde, das einzige Mal seit 500 Jahren, dass ein ökumenisches Papier von evangelischer wie katholischer Seite offiziell angenommen wurde, und dann eine Erklärung, die den Kern unseres evangelischen Glaubens betrifft! Und schließlich drittens, weil heute einmal mehr kein Tag ist, der uns den Brexit beschert. Bishop Sarah, I am glad, that you are here today as three guests from our British partner church! Whatever your prime minister will decide: We will stay together as European sisters and brothers in Christ!

Ich stehe vor Ihnen aber auch mit weichen Knien. Denn ich frage mich: Werde ich den erheblichen Erwartungen und der großen Verantwortung dieses Amtes gerecht werden können? Ich werde Bischof in einer Zeit, in der Kirchen und Theologie in West- und Mitteleuropa in einer elementaren Krise stecken. Keine Krise der äußeren Bedingungen. Nein, wir sind, jedenfalls noch, eine wohlhabende Kirche und gehören weltweit zu den privilegierten Christinnen und Christen, die ihren Glauben frei und ungehindert leben können.

Es ist, schlimmer noch, eine innere Krise, eine Krise unseres Glaubens und unserer Theologie. Wir haben einige Schlagworte gefunden, um sie uns vom Leib zu halten: Säkularisierung, demographischer Wandel, Individualisierung, Institutionenmüdigkeit. Das klingt doch überzeugend für den Megatrend raus aus den Kirchen. Aber beschreibt noch zu wenig das wahre Dilemma. Wir haben massiv an Vertrauen verloren, vor allem durch den Missbrauchsskandal. Eine Kirche, die minderjährige Opfer nicht vor sexuellen Übergriffen schützt und dann noch die Täter deckt, hat aufgehört, Kirche zu sein. Sichtlich können wir auch deswegen nicht mehr mit dem Kern unserer kirchlichen Existenz überzeugen, mit der Verkündigung von Gottes unendlicher Liebe zu uns Menschen in Jesus Christus.

So erleben viele in unserer Kirche: Wir arbeiten bis an den Rand der Kräfte und darüber hinaus, versuchen da zu sein für die Menschen. Aber die Mehrheit der Leute, gerade hier in Mecklenburg und Pommern, leben gut, ohne Mitglied der Kirche zu sein. Manche haben ihren ganz privaten Glauben. Aber die meisten sind des Glaubens, ja der Religion, völlig entwöhnt.

Weiche Knie habe ich aber auch wegen der gesellschaftlichen Situation in unserem Land. Der Ton unter uns wird immer rauer. Antisemitische Terrormorde sind wieder möglich bei uns in Deutschland, Ausgrenzung von Musliminnen und Muslimen, Feindschaft Geflüchteten gegenüber. Politische Kräfte, die die Spaltung der Gesellschaft fördern, finden immer mehr Zuspruch. 30 Jahre nach der friedlichen Revolution versuchen sie gar zu okkupieren, was damals so kraftvoll in den Kirchen begann.

Zudem müssen uns Älteren gegenwärtig Kinder erklären, dass unsere Erde existenziell gefährdet ist durch den Klimawandel; wie schön, dass die Anführerin dieser Kinder den Alternativen Nobelpreis erhalten hat.

Große Freude und weiche Knie bei mir also an diesem besonderen Tag. Wie kann es uns gelingen, in solch einer Zeit überzeugend und einladend unseren Glauben weiterzusagen und zu leben?

Ich will mir heute dazu Rat holen von König Salomo. Und möchte mich dazu mit Ihnen in eine glorreiche Zeit Israels versetzen. Glorreich, weil Israel unter diesem weitbekannten König vierzig Jahre in Wohlstand und Frieden lebt. Und der vielleicht glorreichste Tag dieser Regierungszeit Salomos ist der Einweihungstag des von ihm errichteten Tempels. Ganz Israel ist dazu nach Jerusalem gekommen, zu diesem großen Fest, eine Woche lang Staatsfeier.

Einen dreifachen Rat von Salomo sollen wir heute hören. Als Erstes: Im großartigen achten Kapitel des ersten Königebuches wird sicherlich viel Bewegendes berichtet von diesem Tag der Tempelweihe. Sicher geht es da um die große Prozession, hinauf zum Tempelberg, vorneweg die Bundeslade mit den Gesetzestafeln. Sicher geht es da um den einmaligen Moment, als die Gegenwart Gottes in das Allerheiligste einzieht und nicht einmal mehr die Priester sich dieser Stelle nähern können. Sicher geht es um die Tausenden Tiere, die zu diesem Weihefest geopfert werden. Aber für 1. Kön. 8 sind das eigentlich nur Randnotizen. Denn dieses Kapitel ist vor allem eines: Gebet. Der König betet. Dass er betet und was er betet, ist für die Bibel das Entscheidende an diesem Großereignis. Salomos Gebet ist innig und lang, eine Predigt in Gebetsform. Nichts anderes ist bei diesem hohen Fest auch nur annähernd so zentral wie das Beten des Königs.

Und so ist der erste Rat des weisen Königs an uns ein sehr schlichter: Betet! Vieles, was ihr als Kirche tut, können andere auch, zum Teil besser als ihr. Was eure säkulare Umwelt verlernt hat, seid ihr dieser Umwelt umso schuldiger: Betet! Das ist der Markenkern, die Essenz eures Glaubens. Und euer Dienst an den Menschen. Findet eure Form, betet allein, in Gruppen, in der Gemeinde, hört auf Gottes Wort, teilt Brot und Wein, singt, werdet still und lasst Gott reden! Das Beten soll der Mittelpunkt eurer kirchlichen Arbeit sein, Sammlung, Orientierung, Fokussierung auf den Urgrund eures Lebens.

Ich bin meinen beiden Vorgängern im Amt sehr dankbar für manche Gespräche in Vorbereitung auf die Staffelübergabe. Ein Ratschlag ist mir besonders zu Herzen gegangen: Versuche, jeden Morgen zu beten für deinen Sprengel, die Hauptamtlichen und die Ehrenamtlichen im Pommerschen und Mecklenburgischen Kirchenkreis, die Gemeindeglieder, die Verantwortlichen, ganz besonders aber für die, die es gerade besonders schwer haben. Ich hoffe, ich kann das durchhalten. Und vielleicht habe ich ja nach diesem Gebet schon das Wichtigste an meinem Tagwerk getan.

Es gibt so viel zu erledigen. Nach Luther ist jedoch gerade dies der Grund, auch viel zu beten. Regelmäßiges Gebet kann manchmal mühsam sein, das Schwarzbrot des Glaubens, nicht immer folgt die Erleuchtung. Aber das ist unser Mandat als Christinnen und Christen, gerade hier, wo so viele Menschen Gott vergessen haben.

Für den zweiten Rat Salomos lese ich den Predigttext, einen Auszug aus dem Tempelweihgebet Salomos. Der König denkt vor Gott an Menschen, die einmal an dieser Stätte beten werden. Dabei vergisst er auch die Fremden nicht. Er bittet Gott:

1. Kön. 8, 41-43:

  • 41 Auch wenn ein Fremder, der nicht von deinem Volk Israel ist, aus fernem Lande kommt um deines Namens willen –
  • 42 denn sie werden hören von deinem großen Namen und von deiner mächtigen Hand und von deinem ausgereckten Arm –, wenn er kommt, um zu diesem Hause hin zu beten,
  • 43 so wollest du hören im Himmel, an dem Ort, wo du wohnst, und alles tun, worum der Fremde dich anruft, auf dass alle Völker auf Erden deinen Namen erkennen, damit auch sie dich fürchten wie dein Volk Israel, und dass sie innewerden, dass dein Name über diesem Hause genannt ist, das ich gebaut habe.

An diesem hohen Festtag für ganz Israel blickt der König weit hinaus über die Landesgrenzen. Schon vorher hat er daran erinnert, dass Gott ja Himmel und Erde erschaffen hat und damit niemals eingefangen werden kann von einem heiligen Haus. Jetzt denkt er vor Gott an den Fremden, der hier beten möchte. Also denjenigen, der nicht von Kindheit an schon in die Weisungen der Tora eingeübt wurde. Wenn er hier vor Gott tritt, an diesem Ort, vielleicht gar nicht recht weiß, wie er anfangen soll, vielleicht gar keine wohlgesetzten Worte hat, unsicher ist, tastend, ja dann, gerade dann, möge Gott hören, erhören die Rufe dieses Beters. Und das aus gutem Grund. Gottes Name soll bekannt werden unter allen Völkern.

Sage niemand mehr, der Glaube Israels sei eine Stammesreligion. Der ganze Erdkreis ist im Blick beim weisen Salomo. Und gerade der Beter aus fernem Land ist so etwas wie der Maßstab, ob der Tempel Wohnstatt Gottes ist.

Unsere Kirchentüren sind dann und genau dann Tore in Gottes Heiligtum, wenn sie offen stehen für die Fremden. Die, die anders beten, vielleicht anders aussehen, die noch nie da waren, die auf der Suche sind. Ja, vielleicht ist das sogar der entscheidende Wandel in unserer Krisenzeit: Wir sind nicht mehr länger die Kirche, die allen Gott und Welt erklärt. Sondern eine Kirche, die sich öffnet, um gemeinsam auf der Suche zu sein.

Der dritte und letzte Rat des Königs ist seine Weisheit selbst. Noch Jahrhunderte später liehen sich die Schreiber einer ganzen Gattung seinen Namen, um ihre Weisheit unter Beweis zu stellen. Salomo sorgte für Frieden und Gerechtigkeit.

Wir leben in Zeiten, in denen es salomonisches Maß und salomonisches Urteil immer schwerer haben. Laute, hetzerische Stimmen scheinen überzeugender. Daher haben wir als Christinnen und Christen nicht nur das Amt als Betende, sondern auch als Anwältinnen und Anwälte der Ausgegrenzten. Wir gehören an die Seite derer, die am Rand stehen in unseren Dörfern und Stadtteilen, die an den Rand geschoben werden wegen ihrer Herkunft, ihrer vermeintlich fremden Religion, ihres leeren Geldbeutels oder ihrer sexuellen Orientierung. Ja, unsere hauptamtlichen Kräfte sind im Schwinden. Aber das kann nie und nimmer heißen, dass wir uns auf diejenigen fokussieren, die schon immer zu uns kommen. Nein, diejenigen sind Maßstab für das Gelingen unserer Arbeit, die draußen stehen.

Dreifachen Rat gibt uns Salomo heute. Betet! Heißt die Fremden willkommen! Und steht den Marginalisierten bei!

Ich stehe vor Ihnen mit großer Freude und weichen Knien. Ich freue mich, dass Sie heute alle da sind. Denn das neue Amt geht niemals allein. Und ich bin dankbar, dass so viele Gäste aus allen Partnerkirchen des Sprengels heute hier vertreten sind. Welch' eine Stärkung für den Beginn! Es geht nur in gemeinsamer Verantwortung für unsere Kirche in bewegten Zeiten. Es geht nur mit dem beharrlichen Gebet und der Weisheit eines Salomo. Es geht nur unter dem Segen Gottes.

                                       Amen.   

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