14. Februar 2021 l Unikirche Kiel

"Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!"

Blick auf die Unikirche in Kiel im Winter.
Blick auf die Unikirche in Kiel im Winter.© Juergen Haacks/Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

25. Februar 2021 von Gothart Magaard

Predigt zu Jesaja 58, 7 im Gottesdienst am Sonntag Estomihi

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch!

Liebe Gemeinde!

Mit diesem Sonntag stehen wir kurz vor Beginn der Fastenzeit oder Passionszeit – eine Zeit, in der wir dem Leidensweg Jesu folgen. Eine Zeit, die das Übliche unterbrechen soll, damit wir uns auf das Wesentliche besinnen. Und viele Menschen wählen freiwillig ein begrenztes Fastenprojekt und verzichten auf etwas. „Sieben Wochen ohne“ heißt die bekannteste Aktion.

In einem liturgischen Lehrbuch aus meiner Studienzeit heißt es: „Die Christenheit rüstet sich auf große Feste (das Osterfest und dann auch Weihnachten) durch Fasten. Das Fasten (…), ist ein biblisch begründetes Zeichen der Buße, der Umkehr zu Gottes Willen, der Sammlung aller geistlichen Kräfte auf die Hingabe an die Gnade Christ.(…) In das vorösterliche Fasten gehören auch die Trauer über Jesu Leiden und Sterben.“

Wir hören davon an vielen Stellen im Alten und im Neuen Testament. Mose fastete 40 Tage und Nächte und bereitete sich so darauf vor, die Gesetzestafeln auf dem Sinai zu empfangen (Ex 34,28). Von Jesus wird erzählt, dass er nach seiner Taufe 40 Tage in der Wüste fastete (Lk 4,1ff) und den Versuchungen des Teufels widerstehen konnte. Kein Wunder, dass in der ganzen Christentumsgeschichte das Fasten im liturgischen Jahr eine große Rolle spielte. Immer wieder wurde aber auch darüber gestritten, wie denn gefastet werden sollte.

Der heutige Predigttext handelt vom rechten Fasten und steht bei Jesaja im 58. Kapitel. Nach der langen Zeit im Exil, nach der Zerstörung des Tempels und der Rückkehr in die Heimat treibt die Israeliten die Frage um, wie sie sich künftig des Schutzes Gottes versichern können. Regelmäßige Fastentage sollen die Verbindung zu Gott stärken. Mit ihnen verbindet sich die Hoffnung, dass Gott ihnen spürbar nahe kommt. Aber die erhoffte Resonanz bleibt offenbar aus, und die Menschen beklagen sich. In diese Situation hinein schickt Gott seinen Propheten Jesaja und gibt ihm dies mit auf den Weg:

1 Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!

2 Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei. 3 »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?«

Seht, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr, und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. 5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?

6 Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!

7 Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Liebe Gemeinde,

die Botschaft ist klar: Gott will keine äußerlichen oder leeren Rituale, sondern Gerechtigkeit. Es geht ihm um eine Art „diakonisches Fasten“. Ein Fasten, bei dem der Mensch nicht nur an sich denkt und auf sich achtet und so versucht, Gott gnädig zu stimmen und näher zu kommen. Und deshalb fragt Jesaja: „Wie soll Gott an eurem Fasten Freude haben, wenn die, für die ihr Verantwortung tragt, unter eurem Joch leiden?“ Ein Gott wohlgefälliges Fasten würde heißen, die Unterdrückten frei zu geben, mit dem Hungrigen das Brot zu teilen und dem Obdachlosen ein Dach zu bieten.

Fasten erschöpft sich nicht im schlichten Halten der Regeln.  Rechtes Fasten, das Gottes Wohlgefallen findet, geht mit Recht und Gerechtigkeit einher, mahnt der Prophet. Dann lässt sich Gottes Nähe spüren als das aufbrechende Licht der Morgensonne. Heilung wird der Mensch erfahren und die Herrlichkeit Gottes ihn begleiten.

Liebe Gemeinde,

aber was könnte für uns ein rechtes Fasten sein in diesem Jahr? Seit fast einem Jahr leben wir pandemiebedingt mit Einschränkungen, die gerade in den letzten Wochen einem Fasten nahe kommen. Wir müssen erneut auf Besuche verzichten und können nur mit Mühe den Kontakt halten zu vielen alten und kranken Menschen.

Wir müssen auf das gemeinsame Singen verzichten und das kulturelle Leben. Andere sind in Kurzarbeit, der Einzelhandel weitgehend geschlossen, die Studierenden erleben die Semester überwiegend vor dem Bildschirm, der ganze Lehrbetrieb, auch der Schulunterricht findet überwiegend vor Bildschirmen statt. Uns wird viel Verzicht abgefordert. Und Sie alle können dazu sicher viele eigene Erfahrungen beitragen.

Wir verzichten unfreiwillig seit Monaten auf lieb gewordene Dinge. Unser Lebensstil wird zwangsläufig auf den Prüfstand gestellt. Und es betrifft jede und jeden, sogar die ganze Welt. Als Bischof sehe ich mit großer Sorge auf die Entwicklungen. Besonders denke ich an die Menschen in den Krankenhäusern und Heimen, die wenig oder gar nicht besucht werden dürfen. Genauso auf die Menschen, deren berufliche Existenz bedroht ist. Und auf die so stark belasteten Familien und Kinder.

Andererseits höre ich auch viel Positives in dieser Zeit: Vor wenigen Tagen konnte ich mit den Krankenhausseelsorgerinnen und Seelsorger sprechen, die mit großem Engagement für die Patienten da sind, auch für die Sorgen der Angehörigen, die die Kranken gar nicht oder viel zu wenig besuchen können und auch für die seit langem überlasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kliniken und Einrichtungen.

Auch in Gemeinden sind viele kreative Ideen entstanden, z.B. Kurze Andachten im Internet, Botschaften in Briefform an diejenigen, die allein sind oder Seelsorgespaziergänge oder Hoffnungsbotschaften an ungewohnten Orten und in ungewohnter Form. Das alles gibt mir Hoffnung, dass wir aus dieser Krise mit einem geweiteten Blick hinausgehen.

Die Mahnung des Jesaja kann auch unseren Blick für diejenigen schärfen, die besonders leiden. Sie fordert uns täglich heraus, die Bedürfnisse der vulnerablen Gruppen, der besonders verletzlichen Menschen, wahrzunehmen. Und nicht müde zu werden, nach Möglichkeiten der Zuwendung und des Trostes zu suchen. Und das kann wirklich jeder in seinem Bereich.

Deshalb ist es gut, dass der Impfstoff, den wir sosehr erwarten, zuallererst den ältesten und verletzlichsten Bevölkerungsgruppen zu Gute kommt. Und den Berufsgruppen, die für diese und die schwerkranken Menschen täglich mit größtem Engagement arbeiten .

In einer Zeit, in der wir erkennen, wie hochvernetzt wir durch die Lieferketten der Wirtschaft, durch das Reisen, Kultur und die Medien in dieser Welt sind, ist es – mit Jesaja – nicht nur wichtig darauf zu achten, wo Menschen bei uns in den Schlangen vor der Essensausgabe der Tafeln stehen – und sie gibt es zahlreich! Oder wo Obdachlose in der Kälte umkommen – und auch sie gibt es in unserem reichen Land!

Es ist auch wichtig, dass wir nachvollziehen können, wo Produkte, die wir kaufen, durch Menschenrechtsverletzungen oder ohne jede Umweltstandards woanders produziert wurden, z. B. durch Kinderarbeit. „Brot für die Welt“ und auch die Kirchen hatten ein „Lieferkettengesetz“ seit langem gefordert. Und deshalb ist es gut, dass nun ein Entwurf dazu im Bundestag vorliegt und dort und in der ganzen Gesellschaft diskutiert werden kann.   

Nutzen wir also die kommenden Wochen als Chance auszuleuchten, was wir und andere brauchen in dieser Krise. Was trägt durch diese Krise? Wo können wir aufmerksamer sein für andere? Und worauf können wir in dieser Zeit auch gut verzichten?

Die Einschränkungen werden noch eine Weile groß sein. Aber trotz allem gibt es für uns verantwortbare Spielräume, die es zu entdecken gilt. Unser Blick kann sich weiten auf das, was trotz allem noch möglich ist.

Aufmerksames Hinsehen, wo Not ist und Hilfe gebraucht wird, gehört dazu. Geduld miteinander haben, wo Nerven blank liegen. Veränderungen wagen und den Lebensstil überdenken.

Die moderne Variante des freiwilligen Fastens hat mit dem Wunsch nach Gesundung an Leib und Seele zu tun und setzt ein Gegengewicht gegen mediale oder konsumorientierte Übersättigung.

Nutzen wir die kommenden Wochen, um frei zu werden für Gott und den Nächsten. Um aufmerksam füreinander zu sein, das Gespräch zu suchen und nicht zu resignieren. Glaube, Liebe und Hoffnung gelten auch für diese Zeit. Die Liebe vermag auch jetzt viel zu gestalten. So wie wir es im Hohen Lied der Liebe gehört haben.

Jesaja ermuntert uns zu teilen: „Teile mit dem Hungrigen dein Brot.“ Teile, was deine Seele trägt. Teile die Sorgen und die Hoffnung. Teile deine Zeit und sei barmherzig. Auch im Gebet können wir unsere Sorgen und Gedanken vor Gott bringen und ihm in der Fürbitte die Menschen, die in Not sind, anvertrauen.

Und das ist die Verheißung nach Jesaja:

Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte,

und deine Heilung wird schnell voranschreiten.

Deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen.

Die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.

Und wenn du rufst, wird Gott dir antworten.

Mitmenschlichkeit ist der Schlüssel, um Licht in der Dunkelheit, um Heilung und Gottes Nähe zu erfahren. Möge diese Zuversicht uns durch die kommenden Wochen tragen. Trotz Einschränkungen und Verzicht können sich unverhofft neue Möglichkeiten auftun, das Leben jetzt und für die Zukunft zu gestalten. Gottes Geist leite uns dabei!

Amen.

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