"Dafür schlägt mein Herz"
30. August 2017
Vanessa Poepping (29) ist Vikarin in Lübeck. Sie will Pastorin werden. Warum? Das erzählt sie in unserer Serie "Auf dem Weg ins Pastorenamt"
- Die Nachfolger
Info
Heute habe ich eine Beerdigung und eine Trauung hintereinander. Mein Anleiter im Vikariat meinte dann auch, er wisse gar nicht, ob er das so gut findet. Aber jetzt mal ehrlich: Das ist doch das Leben. Freud und Leid sind so dicht beieinander. Das aushalten zu können und trotzdem in dieser Schwere auch das ganze Gute und Schöne zu sehen, das ist etwas, das zwar wahnsinnig viel Kraft kostet, aber es zeigt die Fülle dieses Berufs. Dass man so dicht am Menschen ist.
Ganz offen und ehrlich: Du könntest ja auch Pastorin werden.
Ich hatte ursprünglich angefangen in Kiel Französisch und Religion auf Gymnasiallehramt studieren. Nach einem Semester habe ich dann gemerkt, als ich mit den Volltheologen zusammensaß: Oh, das ist eigentlich viel interessanter als du vorher gedacht hast. Ganz offen und ehrlich: Du könntest ja auch Pastorin werden. Das war mir einfach vorher nie so klar. Ich bin in meiner Gemeinde auf Marli in Lübeck getauft und konfirmiert worden und da hatten wir eine sehr liebevolle Pastorin. Und ich hab zwar immer gedacht, die macht das ganz toll, aber vielleicht ist das ja so etwas wie Berufung. Erst an der Uni wurde mir klar: Das ist eigentlich genau das, was du machen möchtest, deinen Glauben vertreten können und für Menschen einfach da sein, Ihnen zu helfen und sie zu unterstützen. Nach einem Semester habe ich dann auch gewechselt und habe während des Studiums relativ schnell eine Seelsorgerausbildung machen können. Und das hat die Entscheidung komplett gefestigt. Ich wusste: Dafür schlägt das Herz.
„Hier wird das Wort Gottes nicht nur gesagt, sondern auch getan“
Diese Ausbildung hat mir sehr geholfen. Denn ansonsten ist es erst mal ein ganz schön großer Schock, wenn man mit der Praxis anfängt. An der Uni ist es einfach viel Theorie – nie wieder im Leben kann man sich so intensiv mit Themen auseinander setzen. Wenn man in der Praxis ist, kommt es auf einmal auch darauf an: Kann ich mit Menschen? Das wird im Studium einfach nicht so geprüft. Ich arbeite gern praktisch, ich „mache“ gerne, das ist auch der Leitspruch unserer Gemeinde: „Hier wird das Wort Gottes nicht nur gesagt, sondern auch getan“. Und das finde ich auch immer ganz angenehm. Dadurch ist das Vikariat für mich auch so ein gutes Lernfeld. Ich habe einen wundervollen Anleiter, der mir so viel Freiraum lässt und mir Möglichkeit gibt, mich auszuprobieren und Verantwortung zu übernehmen. Was liegt mir, was liegt mir gar nicht? – um das herauszufinden, ist das Vikariats richtig gut. Da wird noch einmal wirklich deutlich, was der Pastorenberuf ist.
Moisling: Das sind ganz liebevolle, bodenständige, ehrliche Menschen
Da ich aus Lübeck komme, habe ich mich gefreut, als das Vikariat dann in Lübeck weiterging. Moisling, der Stadtteil, in dem ich jetzt arbeite, ist in vielen Punkten besonders und deshalb trotzdem etwas Neues für mich. Moisling hat einen Ruf als sozialer Brennpunkt, das ist auch ein Problem für den Stadtteil. Mir wurde schnell deutlich, dass dieser Stadtteil viel viel mehr ist als nur Brennpunkt. Früher hatte die Presse in Lübeck einen negativen Fokus auf Moisling gelegt und deshalb ist dort auch nie jemand hingekommen. Auf die Pfarrstelle in der Gemeinde gab es die ganze Zeit keine Bewerbungen, weil der Stadtteil nach außen hin immer so negativ dargestellt wurde. Moisling hat viele schöne und besonders grüne Ecken. Dort wohnen auch viele Alt-Moislinger, die den Stadtteil seit den Anfängen kennen und schätzen, das sind ganz liebevolle, bodenständige ehrliche Menschen. Sie tragen ihr Herz auf der Zunge. Ich freue mich so, dass ich in dieser Gemeinde bin, die sehr lebendig ist und vom Ehrenamt lebt.
Ich habe während des Vikariats geheiratet und meine Gemeinde ist so aus dem Häuschen gewesen. Die waren alle dabei, die haben so mitgefiebert. Ältere Damen sind aufgeblüht und haben von ihrer eigenen Hochzeit mit einem Strahlen in den Augen erzählt. Sie haben einem Geschenke in ihrem Rahmen gemacht – man bekommt da einfach so viel zurück. Dies sind so die Momente, in denen ich gesehen habe, wieviel Anteil die Menschen an dem eigenen Leben haben. Das ist manchmal für viele angehende Pastoren eine Hürde oder Angst, diese Frage, wie viel Privatperson man sein darf oder nicht. Ich erfahre es als ein ganz kostbares Geschenk, dass das wirklich funktionieren kann in der Gemeinde.
Zur Person
Vanessa Poepping, 29 Jahre, ist Vikarin in der Johann-Hinrich-Wichern-Kirche in Lübeck-Moisling. Sie hofft, Ende des Jahres das Vikariat mit dem 2. Theologischen Examen abschließen zu können.
Vikare in der Nordkirche
Zur Zeit gibt es in der Nordkirche 81 Vikarinnen und Vikare in fünf Ausbildungsgruppen, darunter drei in einem Vikariat im Ehrenamt und zwei in einem zusätzlichen Auslandsvikariat.