Dem Zweifel Raum geben
22. Februar 2015
Invocavit, Ordinations-Gottesdienst über Matthäus 4, 1-11
Liebe Ordinationsgemeinde!
Chocolat… das ist ein wunderbarer Genussfilm: Schon in der ersten Szene sieht man, wie eine feingliedrige Frauenhand die dunkle, samtig-glänzende Schokolade in einem Topf rührt, behutsam und zartbitter. Langsam dann gießt sie die süße Pracht in Formen für kleine Pralinés. Hunderte davon sieht man dann in einem Schaufenster liegen – in köstlichsten Variationen, so lecker.
Und dann der erste freudlose Satz des Erzählers:
Es ist Passionszeit.
Aus der Traum.
Es ist Passionszeit – Fasten, büßen, ins Reine kommen – und hinschauen. Unabgelenkt vom dolce vita Einblick nehmen in das innere Schaufenster unserer Existenz. Es ist Passionszeit und damit Zeit, etwas zu merken. Zum Beispiel wie Mächte und Gewalten uns beherrschen, die wir irrtümlich glauben im Griff zu haben. Und dass es nicht nur Schokoladenseiten bei uns gibt – auch nicht im Pfarramt. Vielmehr ist da doch manches, was einen sauer ankommt. Was einen schwach macht oder durcheinander wirft – diabolos. Teufel auch!
Ach je. Es ist Passionszeit. Zu Beginn des Amtes ausgerechnet das: Verzicht, Ernüchterung und die Versuchungsgeschichte überhaupt samt einem einsamen Jesus und einem Teufel, der alles tut, um sich ins schwarze Fäustchen zu lachen. Und der mit seinen Lockungen ausgerechnet heute, wo es feierlich sein möcht', all die Versuchungen – auch unseres Amtes – herauskitzelt, die da wären: Selbstüberschätzung und Einzelkämpfertum, Helfersyndrom und Eitelkeit. Und – so könnte ich verführt sein, fortzufahren: Da steht ihr Ordinanden auf den hohen Zinnen und seht mit stillvergnügten Sinnen auf Eure künftigen Gemeinden hin! Sie alle Euch zu Füßen… herrliche Versuchung!
Nicht doch. Das alles würde weder dem Predigttext noch Ihnen gerecht. Das Vergleichbare ist nämlich etwas anderes: die Grenzsituation. Der Übergang zu etwas Neuem. Ein letztlich noch unbekannter Ort. An ihn hat der Geist Gottes Sie, ja uns alle zusammengeführt. Hin zu diesem Tag und diesem Moment, der uns die Gnade schenkt, innezuhalten. Um mit dem Evangelium Jesus gewissermaßen in die Wüste zu folgen …
Und so kommen wir von unserer in seine Grenzsituation, in der er fastet und hungert; es ist die Zeit nach seiner Taufe und vor seinem Wirken, genau dazwischen. Einsam inmitten der Wüste, die ja auch mindestens ihre zwei Seiten hat. Die einmal lebensfeindlich, heiß und trocken ist, ohne Wasser und nährende Frucht. Kräftezehrend ist der Weg des Lebens, sagt sie. Auf der anderen Seite ist sie ein Ort völliger Freiheit. In ihrer Kargheit auch schön. Kein Alltag und keine Routine, die ablenken. Mit leeren Händen steht der Mensch dort vor Gott.
Dieses Leerwerden, dieser Abstand zu sich selbst ist geradezu Vorbedingung, um offen zu werden für die Zukunft, das Neue. Ein wenig davon haben wir erfahren vor einer Woche, bei unserer Ordinationsrüstzeit auf dem Koppelsberg. Zwar keine Wüste, aber doch ein Berg, der uns für zwei Tage herausgehoben hat aus dem Alltag und uns die Chance bot, zurück und nach vorne zu blicken. Sich zu freuen. Und dem Zweifel Raum zu geben.
Wer möchte ich sein, wie möchte ich meinen Dienst tun – und vermag ich überhaupt einer Gemeinde gerecht zu werden? Das waren die Fragen. Und es wurde deutlich: viele von Ihnen hatten schon Etliches an Anfechtungen hinter sich. Beeindruckend, dass es eigentlich bei keinem von Ihnen der eine gerade Weg war, sondern die stetige Suche. Bei der man sich auch schon mal ver-suchen kann… Oder ver-fahren. Oder ver-hören. Bleibe, wo du bist, war so ein Verhörer. Oder dies: Entscheide dich für das leichtere Studium, verlass nicht dein vertrautes Land, halte fest an deinem sicheren Job.
Das ist vielleicht die größte Versuchung, die es gibt: Den Einflüsterungen stattzugeben, festzuhalten. Festzuhalten, was sicher scheint. Denn da beherrscht die Furcht das Herz, die Angst vor dem, was einen hinter der Grenze erwartet. Und dann scheut man das Risiko und bleibt fest, bewegt sich nicht. Dabei ist's doch, will man leben, genau andersherum. Sören Kierkegaard hat es so treffend beschrieben: "Nichts riskieren, das heißt, seine Seele aufs Spiel setzen."
Also: Riskiert euch! Die Welt braucht doch mehr denn je Veränderung! Den friedlichen Aufstand gegen die Herrscher, die durchmarschieren statt zu verhandeln. Die versprechen, aus Steinen Brot zu machen und stattdessen fruchtbare Landschaften in Wüsten verwandeln. Es braucht die laute Gegenstimme gegen die falschen Prediger, die Heilige Schriften missbrauchen, um zu Hass und Tod aufzurufen. Es braucht die gebende Hand des Nächsten statt der gierenden Hand des Marktes, die nimmt, was sie kriegen kann. Gott sollen wir hören in dieser Wüste – und deshalb ihm eine Stimme geben. Worte leihen. Gebete denken. Von Hoffnung singen. Den Frieden glauben.
Sie, liebe Ordinanden und Ordinandinnen, wollen das, und nicht erst seit heute. Mit den Zweiflern glauben und im Wissen um die Bitterkeiten auch von der Süße des Lebens erzählen. Denn in diesem Moment geschieht's: "Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm."
Es waren berührende Momente, als Sie alle erzählen konnten, wie Sie Gott in Ihrem Leben – neu – gehört und verstanden haben. Was und wozu Sie nun Ja sagen und sich berufen fühlen.
So etwa sie, die von Kind an Behütete – sie sagt mit ihrem Leben: Ich bin berufen zu halten. Berufen, denen einen Grund zu geben, die drohen den Boden zu verlieren. Zu segnen, die ein Dach über ihre Gedanken brauchen.
Oder sie, die von der Gebrochenheit des Todes Berührte – sie sagt: Ich bin berufen zu trösten. Selbst getröstet dadurch, dass wir trotz kluger Theologie eben nicht alles ergründen können zwischen Himmel und Erde. Und die deshalb so stark ist darin, verrückt vor Hoffnung zu sein.
Oder sie, die von Gegensätzen immer wieder Hin- und Hergeworfene – sie ist berufen, jedem sein Recht zu lassen: Tradition und Moderne, altes Lied und neues Lied, Frau und Mann, Gnade und Zweifel, frei und ohne Vorbehalt.
Oder der andere vielseitig Begabte – er ist berufen, Verbindung zu schaffen: Zwischen Einheimischen und Fremden, zwischen Kirche und Religionen, Musik und Sprache, Frage und Spiel, Gemeinde diesseits und jenseits von Grenzen.
Oder er, der sich's oft hart erarbeiten musste – er ist berufen zu würdigen. Berufen, die zu achten, die mit Ängsten kämpfen oder manchmal gar mit Tränen, die zu ermutigen, die fürchten, sie schaffen es nicht. Damit sie werden können, was das Herz ihnen sagt.
Oder sie, die von unzähligen Umwegen und weiten Gedanken Geprägte, sie ist berufen das Kreuz manchmal quer zu denken, gegen jede Gesetzlichkeit. Um denen einen Weg zu eröffnen, die immer suchten, doch nie fanden. Und ihnen zu sagen: Nie ist es zu spät!
Wir erfassen es eben nicht in einem Studium, in einer Methode, in einer Technik, wir können es nicht lernen, nicht üben, nicht finden. Es findet uns: Das Wort Gottes. Es ist ja immer wieder die gleiche Antwort, die Jesus dem Versucher gibt: Allein das Wort Gottes ist es, was uns retten kann.
Also: Ihn sollen wir hören. Sein Wort.
So dass wir aufatmen und leben – als Gottes Kind, aus sich heraus frei, aufrecht und mutig gesandt in das Amt, das die Versöhnung predigt! Ihn sollen wir hören – inmitten all der Spannungen, die manchmal die ganze Welt zu zerreißen droht. Als Seelsorgerinnen und Seelsorger in dieser Welt, die etwas verstehen von den Dunkelheiten und Anfechtungen, die Menschen durchleiden.
Schließlich: Ihn sollen wir hören und von ihm möchten wir reden – als Pastornnen und Pastoren, die die unerhörte Freiheit geschenkt bekommen haben, jeden Tag wieder ein Fenster zum Himmel zu öffnen.
Dafür ist Christus gestorben und auferstanden: dass wir nicht bei uns selbst und den Problemen verharren, sondern dass wir die Weite schauen. Das neue Land. Die Perspektive des Ewigen. Seien Sie dafür gesegnet. Und ich bin sicher, so wie ich Sie kennengelernt habe: Sie werden ein Segen sein.
Es ist ein schönes Amt, das auf Sie wartet!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen