06. Mai 2025 | Büdelsdorf

Demokratie #WIRKLICHMACHEN. Wie diakonische Arbeit den sozialen Zusammenhalt stärkt.

05. Mai 2024 von Nora Steen

Geistlicher Impuls beim Abend der Begegnung des Diakonischen Werkes Schleswig-Holstein

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Menschen,

Jesus war ja jemand, der ging meist genau dorthin, wo es schwierig war.

Er ließ sich nicht abspeisen mit frommen Worten oder abschirmen von seinen Jüngern, die ja quasi so eine Art Bodyguards der ersten Stunde waren. Er sah die, die am Rand des Weges standen. Die mit den schrägen Lebensläufen, die Gekrümmten und Kranken und Sehn-Süchtigen. Die mit einem Schuldenlaster von hier bis nach – Rom.

Und deshalb störte er, dieser Jesus. Immer wenn man meinte, man hätte ihn endlich weggehalten von denen, die anders sind, dann hat er die Konventionen durchbrochen.

Heute zu diesem festlichen Jahresempfang des Diakonischen Werkes – hätten Sie alle abgesagt – so hätten wir im Evangelium dieser Tage wohl gelesen, dass Jesus dazu ermutigt hätte, all diejenigen einzuladen, die hier in Rendsburg an anderen Stellen ihre Tage verbringen. In den Unterkünften für Geflüchtete oder Wohnungslose oder vor dem Bahnhof.

Oder vielleicht – mal ganz anders gedacht: Vielleicht sind ja genau wir die von den Zäunen und Gassen. Weil auch wir einfach nur Menschen sind, mit Schuld, Last und Leid im Gepäck. Auch, wenn wir das Glück gehabt haben, aus unserem Leben etwas „gemacht zu haben“. Und es passt dann möglicherweise doch ganz gut, dass wir hier heute diesen Abend zusammen verbringen.

Dieser Jesus jedenfalls lebte aus der glasklaren Überzeugung heraus, dass ALLE Kinder Gottes sind. Egal woher sie kommen, egal wie sie leben.

DAS ist das Fundament christlichen Glaubens. Radikal geliebt sind wir. Alle. Bis heute. Überall.

Bis heute ist dieses Fundament anstößig. Muss es anstößig sein. Ist das nicht eine Zumutung, auch denen zuzugestehen, geliebte Kinder Gottes zu sein, die nicht unseren eigenen Maßstäben und Überzeugungen entsprechen? Die mich in meiner Komfortzone stören?

Ja. Das ist es. Aber genau diese Zumutung ist die Stärke des christlichen Glaubens. Mehr noch, unser USP – Unique Selling Point. Das ist – wir haben es eben in der Podiumsdiskussion gehört – unser christlicher Beitrag zu unserer demokratischen Gesellschaft.

Wir sehen hin, gerade zu denen, mit denen man sich nicht schmücken kann.

Wir gehen hin. In verwahrloste Wohnungen und auf entvölkerte Höfe ohne behindertengerechte Bäder.

Wir hören uns Lebensgeschichten an, die mehr wilde Achterbahnfahrten als schnieke Autobahnen sind.

Weil die Würde JEDES Menschen unantastbar ist. Und die Demokratie die bestmögliche Gesellschaftsform, um diese uns geschenkte Würde zu leben.

(Randnotiz: Und wir schaffen es sogar mit dieser Demokratie, an einem einzigen Tag einen Bundeskanzler zu wählen. Herzlichen Glückwunsch nach Berlin!)

Demokratie. Unser Fundament, unsere Freiheit und Garant unseres Friedens. Kostbares Kleinod, mühsam errungen und immer wieder gefährdet.

Gefährdet nicht nur in Norderhastedt, sondern auch in Klanxbüll, Hademarschen, Eutin oder Schönberg.

Denn wenn sich auch bei uns – im doch noch so beschaulichen Schleswig-Holstein – diese Gedanken Bahn brechen, die es schon mal gab in unserem Land und von denen wir doch dachten: Nie wieder. Unmöglich. Doch nicht bei uns. Wir haben doch gelernt!

Wenn auch bei uns Gedanken und Weltbilder salonfähig werden, die von Abgrenzung leben und von Nationalstolz getränkt sind und die sagen: Nein, nicht alle gleich geliebt. Manche sind gleicher.

Dann ist es höchste Zeit, uns um unsere Demokratie zu sorgen.

So, wie es ist, wenn im Watt nach der Ebbe die Flut kommt. Es wirkt harmlos. Langsam. Ein wenig Wasser, das die Füße umspült. Aber die, die sich nicht auskennen, unterschätzen die Geschwindigkeit. Unterschätzen die Wucht der Strömung, die dich mitreißen kann und du die Balance verlierst, obwohl alles doch eigentlich so friedlich aussah und es ein strahlender Sommertag ist.

So ist es doch derzeit in unserem Land. Das Wasser kommt harmlos daher. Aber naiv dürfen wir nicht sein. Die Flut kommt.

Denn auch hier bei uns bekommen diejenigen immer mehr Stimmen, die Ängste schüren und Panik machen. Die sagen, wir werden nicht mehr gesehen und gehört und überhaupt – wir müssen unsere Identität schützen und unsere Kultur.

Und ich frage: wer schützt hier wen vor wem? Es tut mir leid, ich verstehe es nicht.

Denn – wenn ich weiß, wer ich bin und was ich glaube – dann muss ich doch gar keine Angst haben, dass jemand anders ist als ich! Dann kann ich doch im Gegenteil die Andere gerade wegen ihres Andersseins schätzen. So sähe sie doch aus, eine selbstbewusste Kultur, die sich ihrer Stärke und ihres Reichtums bewusst ist. Und ihren christlichen Wurzeln.

Vielleicht würde dieser Jesus – wenn er, komplett aus der Zeit gefallen – hier heute unterwegs wäre, verwundert feststellen: Die Menschen hier in diesem reichen Land haben ein fundamentales Ego-Problem. Die haben tatsächlich Angst etwas zu verlieren, wenn sie ihre Herzen öffnen für die, die ihnen fremd sind.

Das Wasser kommt leise. Und gefährlich wird es, wenn auch wir leise bleiben. Meine Kinder erzählen mir: Auch auf den Schulhöfen werden Nazi-Parolen salonfähig und nicht immer schreitet jemand ein. Nicht immer schreit jemand auf.

Im Gegenteil. Die Devise lautet: Hier rein, hier raus. Nicht einmischen. Sonst bist du die Nächste.

Und ich frage mich und Sie: Kennen wir das nicht von irgendwo her?

Und es ist wie beim auflaufenden Wasser. Was in kleinen Rinnsalen startet, wird schneller als du denkst zur reißenden Strömung.

Was können wir also tun, um die Demokratie als beste bislang gefundene Gesellschaftsform zu schützen?

Ich sage: Demos und Veranstaltungen sind gut.

Aber: Demokratie muss sich vor allem im Alltag bewähren. Das heißt für uns als Kirche und Diakonie: Die kompromisslose Zusage Gottes, dass ALLE seine geliebten Kinder sind, muss sich bewähren.

Denn Gottes hoffnungstrotzig liebender Blick auf die junge Schulabbrecherin, den Mitte zwanzigjährigen Drogenabhängigen, die geflüchtete Mutter mit ihren drei Kindern ändert etwas. Fundamental.

Und das, liebe Menschen, das hat in der Tat politische Sprengkraft. Gottes Ebenbilder. Wir alle.

Entscheidend ist also, wer ganz konkret da ist. Vor Ort. Dort, wo sich die Gedanken von Menschen aus Einsamkeit oder Frust so in sich zusammenknäulen, dass daraus Sprengstoff wird. Weil niemand jemals fragt, was eigentlich los ist.

Solche Menschen, die vor Ort hinsehen, die hinhören, die hingehen, haben wir viele in der Diakonie. Sie sind im besten Sinn politisch unterwegs. Mal leise, mal laut. Und beides ist gleichermaßen wichtig.

Ich denke an die Pflegekraft vom ambulanten Pflegedienst, die einen strammen Zeitplan hat bei ihrer Fahrt über Land. Aber die eine Minute nimmt sie sich immer, um nachzufragen bei der 90Jährigen, wie es ihr so geht, wenn sie den ganzen Tag allein vor dem Fernseher sitzt und der Welt beim Leben zuschaut. Denn der neue Rollator wurde immer noch nicht genehmigt, und deshalb kann sie seit Wochen nicht vor die Tür und mal was anderes sehen.

Ich denke an den Sozialarbeiter, der mit Jugendlichen arbeitet, die viel Wut in sich tragen. So viel, dass sie überall anecken. Aber hier ist jemand, der sie aushält. Der sich vor sie stellt, wenn sie Mist gebaut haben. Der ihre Geschichten kennt und sich abends doch noch mal an ihr Bett setzt, wenn alles mal wieder gegen die Wand gefahren ist.

Jesus war ja jemand, der ging genau dorthin, wo es schwierig war.

Und das nur, weil er kompromisslos war. In seiner Liebe. Für alle.

Danke deshalb Ihnen allen, die Sie tagtäglich Ihren Dienst tun. In der Pflege, in der Teilhabe, in sozialen Diensten oder der Eingliederungshilfe. In der Jugendhilfe und all den anderen Bereichen, die ich jetzt nicht einzeln aufzähle. SIE geben unserer Gesellschaft ein menschliches Gesicht. Mehr noch: Das Licht Gottes strahlt durch sie zu denen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens unterwegs sind.

Danke.

 

Lasst uns beten:

Gott,

danke für alle, die tagtäglich deine Liebe in diese Welt tragen.

Wir bitten dich heute Abend für alle,>

die verwundet sind an Leib oder Seele.

Die sich nicht gesehen oder gehört fühlen.

Wir bitten dich für alle,

die um ihr Leben fürchten und noch immer nicht sicher sind.

Wir bitten dich für uns.

Dass wir unser Herz weit machen.

Weil deine Liebe größer ist als unser eigener Toleranzbereich.

Amen

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