Den göttlichen Blick der Liebe zulassen können
18. Mai 2014
Sonntag "Kantate", Predigt zu Matthäus 11, 25-30
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde!
Kantate: „Singet Gott, dem Herrn, ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ – so sind wir an diesem Sonntag aufgerufen: Gott zu loben und von seiner Größe zu singen vor der Welt! Wir sehen das Wunder der Natur, die aufblühende Pracht der Blumen und Pflanzen, die zarten Farben der Blüten, das satte Frühlingsgrün der Bäume: ein Lobgesang auch das – auch das Jubilieren der Vögel, der Duft des Flieders…
Da kann man einstimmen in die Kantate von D. Buxtehude, deren ersten beiden Teile wir gehört haben: „Dir, dir Höchster, dir alleine, alles, Allerhöchster, dir, Sinnen, Kräfte und Begier ich nur aufzuopfern meine, alles sei nach aller Pflicht nur zu deinem preis gericht.“
„Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen Jesu, und danket Gott und dem Vater durch ihn.“ – diese wunderschöne Kantate von Dietrich Buxtehude: eine Fülle des Wohlklangs (würde Thomas Mann das nennen) zum Lob der Barmherzigkeit Gottes
„In jeder andächtigen Musike ist Gott in seiner Gnade Gegenwart“, so hatte es Johann Sebastian Bach in seine Bibel geschrieben, die er zum Komponieren benutzt hat!
Und zwar neben eine Stelle aus dem Chronikbuch, die davon erzählt, wie es gewesen ist, als der erste Tempel eröffnet wurde: „alle Leviten, die Sänger waren, … standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertundzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen.
Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem HERRN. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den HERRN lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus des HERRN erfüllt mit einer Wolke,
sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes.“
Jede und jeder bringt ihren oder seinen Ton hinzu. „helft mir spielen, jauchzen, singen, hebt die Herzen himmelan, jubele, was jubeln kann, lasst all‘ Instrumente klingen…“ – so hören wir bei Buxtehude. Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge: er ist gütig und seine Barmherzigkeit währt ewig!
„In jeder andächtigen Musike ist Gott in seiner Gnaden Gegenwart“: Wo man singt, das lass‘ dich ruhig nieder – weil: Gott ist da. Er ist nicht nur gegenwärtig, er ist Gegenwart, erfüllt ganz und gar Raum und Zeit, ist alles in allem!
Das ist der Grund, die Stimmen zu erheben und zu danken und zu loben, heraus fließen zu lassen, was in uns ist! Musik, Gesang sind Kräfte, die in der Lage sind, Steine von Gräbern zu wälzen, Steine von belasteten Seelen zu schieben, das Leben auferstehen zu lassen mitten im Zweifel und mitten in aller Last! Weil einer sagt:
„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ – So haben wir es eben im Evangelium gehört. Diese Einladung aus dem Munde Jesu ist Musik in den Ohren vieler Menschen, die sich sehnen nach Geborgenheit, nach neuer Kraft. Eine Einladung an alle – vorbehaltlos, nicht an Bedingungen geknüpft, ohne Einlasskarte; sondern: frei, umsonst – an alle. So grandios großzügig kann Gott einladen.
Gott lädt alle ein zu seinem Fest des Glaubens, grenzenlos ist seine Barmherzigkeit. Lieber Bruder Nag, ich denke dabei auch an Sie und all unsere Schwestern und Brüder in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Indien. Wie schön, dass Sie heute bei uns sind – und mit im Raum eben auch die Menschen in Ihrem Heimatland! Auch dort versammeln sich die Menschen am heutigen Sonntag in einer Fülle von Gottesdiensten zum Lobe Gottes! So ist – und so soll auch die Kirche sein: Eine in Christus gegründete und darum freie Gemeinschaft von Christenmenschen – quer zu allen Begrenzungen durch Herkunft, Hautfarbe, Sprache und Grenzen. Sie alle führt zusammen und hält zusammen eine weltweite „Singebewegung des Glaubens“!
Lassen Sie mich ein paar Sätze in englischer Sprache sagen:
We are living in different countries, in different cultures. We are talking in different tounghs and languages. But when we are listening to God’s word; when we are praying together and singing Hymns and psalms we experience: we are one in Christ! There are no longer any borders between us. We experience that differences are making us rich together! That we can share our faith is a wonder and a gift of God - our Father in heaven!
„Ich will euch erquicken“ – sagt Jesus, also froh machen und frei für das weltumspannende Zeugnis von Gottes Liebe!
II
Martin Luther hat die Kirche gelegentlich mit einem Krankenhaus, einem Spital, verglichen, das für alle Menschen offen steht und in das alle kommen können, die von Gott Gutes erwarten: Heil für Leib uns Seele. Die Kirche also als ein großes Hospital, in dem die Mühseligen und Beladenen „Ruhe finden“ und Frieden – wie es im griechischen Text der heutigen Evangeliums-Lesung heißt. Die Mühseligen und Beladenen, die Kranken und Bedrückten an Leib und Seele; diejenigen, die leiden und krank werden vom Druck im Berufsleben und vom Stress im Alltag. Ich denke hinüber nach Soma in der Türkei, an die Trauernden, Verzweifelten, Wütenden angesichts der wohl voraussehbaren Katastrophe in dem Bergwerk. Sie wissen kaum wohin mit ihrer Klage und ihrer Wut, werden abgewiesen auch noch. Ich denke an die Hechelnden und die Rasenden, die Lastenträger und diejenigen, die an der Last tragen, nicht gebraucht zu werden in der Arbeitsgesellschaft – ich denke an sie alle bei dieser großzügigen Einladung Jesu: „Kommt her zu mit alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben!“
Merkt, dass ihr nicht allein seid. Merkt, dass Leben noch anderes bedeutet, als Funktionieren, Gutsein, Starksein, Groß sein… „Ich will euch erquicken…“
Pause soll sein, damit Zeit und Ruhe da ist, um Gottes Stimme zu hören, um Gottes Klang zu vernehmen, um Gottes Farben zu sehen – Gottes Stimme mitten drin in den Worten der Bibel; Gottes Klang mitten in den Tönen der Musik; Gottes Farbe mitten in den Farben der Natur.
Einmal nicht, wie wir es so oft hören: du musst losgehen, du musst schaffen, du musst leisten; einmal nicht diese Atemlosigkeit des alltäglichen Lebens, des täglichen Wettstreits um gutes Ansehen, um guten Platz und Fortkommen und Einkommen; einmal nicht: stell’ dich nicht so an. Sondern: kommt her. Ich will euch stärken, aufbauen. Erquicken wie an einer klaren Quelle frischen Wassers. Mit meinem Wort.
Dieses alles gilt – vorbehaltlos! Und doch ist da in den Worten Jesu auch diese Spannung zu spüren: Den Weisen und Klugen – so heißt es, sei diese göttliche Großzügigkeit verborgen, und nur den Unmündigen sei sie offenbart. Nur die angeblich Unterbelichteten hätten einen Schimmer von dem, was wirklich gilt und Sache ist bei Gott…
III
Liebe Gemeinde, ich sehe hier eine der verwirrenden Provokationen in der Rede Jesu, die zum Um-die-Ecke-Denken verführen sollen: Es heißt ja sicher nicht, dass ich erst unmündig werden müsste, um von Jesus befreit werden zu können. Es heißt ja sicher nicht, dass ich erst krank und so richtig beladen werden sollte, um von Jesus aufgerichtet werden zu können. Nein – so sicher nicht. Sondern ganz anders: Löst euch von dem, wie ihr euch selber seht, löst euch von dem, wie andere Menschen euch sehen. Es geht hier darum, dass wir uns den göttlichen Blick auf uns einfach gefallen lassen! Den göttlichen Blick der Liebe!
Und dann, ja dann, so angesehen, sollen wir nicht einfach sitzen bleiben und stumm bleiben. Sondern: Kommen sollen wir und reden! Aufmachen sollen wir uns und singen das Lied des Überschwangs: „Singet dem HERRN, ein neues Lied, denn er tut Wunder!“
„Gott hat es den Unmündigen offenbart“ – lieber Bruder Nag: das war und ist in Ihrem Heimatland mit seinem vom Hinduismus teils zementierten Kasten-System immer noch eine Botschaft mit subversiver Kraft. Und gerade die Kirchen, gerade auch die Lutherischen Kirchen setzen sich ein dafür, dass trennende Grenzen zwischen Kasten und Gruppen, dass Ungerechtigkeiten überwunden werden; setzen sich ein für den Dialog zwischen den Gruppen der Kulturen, setzen sich ein für Berührung der Unberührbaren mit dem Wort, für Liebe und Zuneigung. Und gerade in diesen Tagen nach der Wahl in der größten Demokratie der Welt bewegt dies viele, die mit Indien verbunden sind: wird es Herrn Modi gelingen, die riesigen Klüfte zwischen Arm und Reich, zwischen Kasten und Gruppen zu überwinden, zu überbrücken?! Werden Verfolgungen wegen des Glaubens aufhören?
Das Wort unseres Gottes kann da eine Brücke sein. Die Verheißung, dass Gott gekommen ist in seinem Sohn, die Beladenen zu tragen und frei zu machen die Gebundenen! Das ist eine revolutionäre Botschaft, die Berge versetzen kann hier und in Indien gleichermaßen. Und wir schauen mit Respekt und Dankbarkeit auf die wachsenden Gemeinden dort. Ich erinnere meinen Besuch in Jeypore vor einigen Jahren, die vollen Gottesdienste – zwei am Sonntag nacheinander, die Lust der Menschen am Wort, die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden und Teilhabe aller an dem Geist des Friedens. Und zu Recht machen Sie während Ihres Besuches uns Kirchen hier aufmerksam auf den Widerspruch: ihr habt so schöne große Kirchen – wieso sind die so leer?! Wieso schonen wir unsere schönen Kirchen eigentlich so sehr?
Wir können von euch lernen zu singen und zu tanzen, Gott groß zu machen vor den Menschen! Wir brauchen die Mission hier, den Dienst derer, die den Mund auftun, weiterzusagen und weiter zu singen das Lied unseres Herrn, einzustimmen in den Gesang der Zeuginnen und Zeugen: Singt dem Herrn ein neues Lied und lasst nicht nach, öffnet eure Türen, heißt willkommen die Fremden und die Elenden, jagt sie nicht aus eurem Land. Macht die Kirchen auf für die Mühseligen und Beladenen, die Flüchtenden und die Verletzten. Die ganz unten, die ganz draußen, die „Kasten-Losen“, die „Unberührbaren“, – sie sind es, denen Gott sich offenbart und denen Christus sich zuwendet. Zementierte Formen der Ausgrenzung, der Entwürdigung, werden von Gottes Zuwendung und Hinwendung aufgebrochen – Freiheit quer zum System wird möglich!
Kantate! Singt! Habt Eure Lust am Herrn, der wird dir geben, was dein Herz wünscht – so singt es die Kantate mit dem 37. Psalm. Und das ist die Gewissheit, die uns trägt, auf die wir antworten in Wort und Tat. Dazu stärke uns Gott, der in seiner Gnaden Gegenwart ist: zur immer neuen, erfüllenden Lust an dem Herrn, der aufrichtet und sättigt, der erquickt! Amen.