ST. PETRI DOM ZU SCHLESWIG

Dialogpredigt: Bischof Gerhard Ulrich und Prof. Dr. Claus von Carnap-Bornheim, leitender Direktor der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen

25. April 2011 von Gerhard Ulrich

Predigttext: Markus 16, 1-8 Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.

Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

Bischof Ulrich:
Liebe Gemeinde, wir versuchen heute eine besondere Predigt.
 Ein Dialog zwischen Archäologie und Theologie. Warum? Liebe Schwestern und Brüder, das legt sich gerade hier in Schleswig nahe. Dom und Schloss Gottorf und natürlich Haithabu oder Haddeby – wichtiges Handelszentrum und frühes Zentrum des Christentums und vergleichsweise, wenn ich das so sagen darf, Herr von Carnap-Bornheim, gut ausgegraben und erforscht und auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Im neu gestalteten Wikingermuseum in Haithabu (Haddeby) drüben, lieber Herr von Carnap-Bornheim, da interessiert mich ein Raum ganz besonders. Das ist der Raum, der die Geschichte der Christianisierung erzählt. Wie langsam der Thorhammer durch das Kreuz ersetzt wurde, wie die Taufe sich durchsetzte. Wir sehen dort: Religionen und Kulte gehören nicht nur zum Leben des Einzelnen. Sie haben auch etwas mit der Ordnung der Gemeinschaft zu tun. Sie haben auch mit Macht zu tun - und mit Herrschaft.Eines, was Religionen und Kulturen verbindet, was vielleicht auch erst den Menschen zum Menschen macht - das kann man dort in diesem Raum wunderbar sehen: der Umgang mit den Verstorbenen. Die Grab- oder Begräbniskultur.
 In dem einen Raum ist ein Grab dargestellt, an dem man die Übergänge und die unterschiedlichen Kulturen gut sehen kann. Ein „Bootskammergrab“, so nennt man das ja wohl. Können Sie uns darüber etwas erzählen, lieber Herr von Carnap-Bornheim?

Prof. von Carnap-Bornheim:
Lieber Bischof Ulrich,
zunächst freue ich mich an dieser Stelle ganz besonders über Ihre anerkennenden Worte, weil als wir diese Ausstellung neu konzipierten und über viele Jahre an wissenschaftlichen und gestalterischen Konzept gearbeitet haben, war natürlich auch immer die Frage, was würden denn Fachleute, die Theologen, dazu sagen, zu dem wie wir uns als Wissenschaftler und Museumsleute die Christianisierung hier im Norden vorstellen. Unser Blick ist natürlich ganz automatisch auf das große Bootkammergrab von Haithabu gefallen.
 Zweifellos ist dieses Grab eines der wichtigsten frühmittelalterlichen Gräber des Nordens überhaupt. Wir sind gut 800 Jahre nach den Ereignissen über die wir gerade hier gehört haben, in der Römischen Provinz Judäa, die wir als die Geburtstunde der christlichen Religion wohl auffassen dürfen. Für uns Archäologen binden sich an diese Vorgänge zahlreiche Fragen: wie und wann setzte sich der neue Glaube eigentlich wo durch; wer waren die Akteure, wer waren die Träger dieses Glaubenwandels und wie waren sie sozial und gesellschaftlich verankert?
 Das Bootkammergrab von Haithabu beantwortet uns dazu sehr viele Fragen. Wir haben dazu das große Glück, auch eine schriftliche Überlieferung zu haben. Wir wissen, dass der wikingische König Harald Klakk um 826 nach Ingelheim bzw. Mainz reiste, um sich von Ludwig dem Frommen, Sohn von Karl dem Großen, dort - in Ingelheim in der Königspfalz wird im Moment ausgegraben, da gibt es einen schönen archäologischen Befund dazu - taufen zu lassen. Aber Harald Klakk war sicherlich nicht der stärkste König, den das dänische Königsreich im 9. Jahrhundert hervorgebracht hatte und so war er darauf angewiesen, starke mächtige Taufpaten zu gewinnen und das war zweifellos Ludwig der Fromme. Er kehrte zurück mit dem Eindruck des christlichen Glaubens, mit der Aufgabe, den christlichen Glauben sicherlich auch hier im Norden neu zu verankern, aber auch mit Gegenständen, die tief in der christlichen Symbolik verankert sind und das können Sie in unserem Museum sehen: Beispielsweise sein Schwert, dass Harald mitbrachte mit christlicher Symbolik, mit Paradiesvorstellung und mit Ewigkeitsgedanken, mit Ornamenten verziert, die diesen Gedanken ausdrücken. Er hat aber auch etwas von Ingelheim mitgenommen, was für ihn ganz neu war, nämlich zu einem großen fränkischen Hofzeremoniell gehört ein Mundschenk und gehört ein Marschall und deswegen ist dieses Grab mit zwei weiteren Toten ausgestattet, die dort liegen. Aber - wir hatten das damals auch diskutiert im Herbst, als Sie uns besuchten im Museum - Harald Klakk war sich seiner Sache nicht so ganz sicher und aus Sicherheitsgründen legte er über sein Grab ein 20 m langes Schiff, das ihn sozusagen noch mit dem alten Glauben, dem Heidnischen Glauben, verankerte.
 Aber wir müssen uns hier auch klar machen: selbstverständlich hat sich Harald Klakk nicht selber bestattet, sondern er ist Teil eines großen Zeremoniells gewesen. Selbst wenn wir über seine Nachkommen aus den nordischen Quellen sehr widersprüchliche Informationen erhalten, sind es sicherlich seine fürstlichen Nachfolger gewesen, die ihn in einem öffentlichen, aufwendigen Akt bestatteten. Sein Beiname Klakk bedeutet übrigens „der Weiche“ oder „der Nachgiebige“, das spiegelt sicher auch etwas seine unsichere politische Situation. Aber wenn wir den Sprung zurück zu der Ostergeschichte machen wollen, so ist es ganz klar, dass auch in seiner Bestattung persönliche Elemente eine Rolle spielten.

Bischof Ulrich:
Von Haithabu nach Jerusalem. Ein großer, ein weiter Bogen, nicht nur zeitlich.
Was kann man aus archäologischer Sicht wohl sagen zur Grablegung Jesu? Was wir wissen, ist ja, dass der Leichnam Jesu der Familie übergeben worden ist damals und dass ein reicher Mann aus Jerusalem, Josef von Arimatia mit Namen, eine Grabstätte für Jesus kauft, damit er überhaupt bestattet werden kann.
In den Evangelien wird erzählt, wie die drei Frauen am frühen Morgen zum Grab gehen. Während die Jünger nach der Verhaftung ihres Meisters vor Angst und Entsetzen sich davon gemacht haben, gehen die Frauen sozusagen ihrer Trauer ganz auf den Grund. Sie wollen dem Verstorbenen den letzten Liebesdienst erweisen: sie haben Öle dabei und Tücher, um den Leichnam zu waschen, zu ölen und für die ewige Ruhe beizusetzen und vorzubereiten.
Und dann, so schildert es Markus ja sehr eindrücklich, das Entsetzliche: das Grab ist leer!Lieber Herr von Carnap-Bornheim, warum ist das eigentlich so schlimm?

Prof. von Carnap-Bornheim:
Ja, wenn wir uns dieser Frage archäologisch nähern wollen, müssen wir uns mit den Grabsitten in der Zeit um Christi Geburt in der römischen Provinz Judäa auseinandersetzen. Wir sind darüber relativ gut informiert, es gibt da auch deutschsprachige Literatur, Kolleginnen und Kollegen haben sich 2004 im Rahmen einer großen Konferenz in Frankfurt gerade mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Das Grabritual im östlichen Mittelmeerraum ist in dieser Zeit immer noch hellenistisch geprägt, also durch das, was wir aus der griechischen Welt kennen und dieses Grabritual unterliegt einem gewissen Wandel. Aber wir können viele Dinge dazu sagen, auch aus archäologischer Sicht, weil gerade in Jerusalem, aber auch in anderen großen Städten in der römischen Provinz Judäa immer wieder Grabstellen dieser Zeit auftauchen und wissenschaftlich ausgegraben werden. Wir wissen, und das deckt sich wunderbar mit der Überlieferung des Markus, das judäische Familien von gewissem Wohlstand am Rande Jerusalems Felskammergräber unterhielten, in denen sie ihre Toten bestatteten. In der Regel, und auch das kennen wir aus dem archäologischen Befund, waren diese Gräber mit Steintüren oder mit einem großen Rollstein verschlossen, so dass man die Sorge der Frauen gut verstehen kann, diese zentner- und tonnenschweren Steine auf irgendeine Art und Weise bewegen zu müssen. In diesen Felskammergräbern befinden sich dann stollenförmige Grablegen, Grabschächte – wir nennen sie Schiebestollen , in die werden die Toten entweder in Leinen gewickelt oder auf einfachen Holzbrettern beigesetzt. Die Überlieferung des Markus, die wir heute gehört haben, findet damit ein wunderbares Korrelat, zu dem, was wir aus dem archäologischen Befund kennen. Wichtig ist aber auch, was mit den Toten später passiert, denn es sind Kollektivgräber, die in gewisser Weise offen sind, und nach ungefähr einem Jahr wurden die Gebeine des Toten eingesammelt und in einer steinernen oder hölzernen Kiste, einem sog. Ossuar, beigesetzt. Das dient auch dem Zweck, um wieder Platz für jene zu schaffen, die nun verstorben waren. Gelegentlich werden diese Ossuare übrigens auch beschriftet Das ist besonders interessant. Wir kennen das Grab des Johanan aus dem Ossuar Nr. 4 der Grabhöhle 1 von Jerusalem Givat HaMivtar, wir Archäologen legen da großen Wert drauf, dass die Gräber exakt beschrieben werden - und der ist um Christi Geburt gekreuzigt wurden und an dieser Stelle bestattet. Wir kriegen also da einen ganz guten Einblick davon, was es konkret bedeutet, aber auch der Flavus Josephus ein judäischer Historiker aus dem ersten Jahrhundert berichtet uns über das Totenritual dieser Zeit. Er sagt, dass es einfach ist keine verschwenderische Pracht entwickelt und das deckt sich auch gut mit unseren archäologischen Befunden, denn wir finden in diesen Gräbern nur sehr wenig Beigaben. Sie sind beigabenarm und stellen damit ein archäologisch oftmals nur schwer zu fassendes Phänomen dar. Wir wissen aber von Textilfunden, dass die Toten bekleidet waren, die schriftliche Überlieferung hat recht, und wir wissen, dass die Fragen des Totenrituals eng an die Familie gebunden waren. Das überliefert uns Markus geradezu perfekt. Es gibt da keinen Priester, der notwendig ist für die Bestattung, es gibt keine Offiziellen. Es ist ganz interessant, auch einmal zu analysieren, wer nicht dabei ist... Was die Frauen erwartet am Ostermorgen - das ist für sie zweifellos auch deswegen ein tiefer Schock, weil sie verantwortlich waren für die weitere Behandlung des Toten und natürlich erwartet haben- in dem Moment, in dem der Stein zur Seite gerollt wird - dass sie da den Verstorbenen finden und weiter dem vorgeschriebenen Ritual nachgehen können. Ich kann persönlich auch vor diesem Hintergrund und als Archäologe den tiefen Schock, über den Sie sprachen, absolut nachvollziehen.

Bischof Ulrich:
Die Evangelien erzählen von Furcht und Entsetzen, von Erschütterung, die geradezu bildlich dargestellt wird, die das leere Grab bei den Frauen auslöst. Das ist für die Trauer von größter Bedeutung, nämlich zu wissen, wo der liebe Mensch geblieben ist. Wir wissen das alle, wie wichtig das ist. Damit man sich verbinden kann mit ihm, damit er teilhat und Teil des eigenen gegenwärtigen und zukünftigen Lebens ist und bleibt. Darum die Besuche am Grab, die Rituale am Grab, wie das Niederlegen von Schmuck, darum auch die Erinnerungskultur. 
Das ist es, was Menschen bewegt in ihrer Trauer: Leben ist nicht etwas Abgeschlossenes, es ist vernetzt, es geht über von dem einen zum anderen. Wir leben nicht losgelöst von einander, eingeschlossen in die Grenzen unsers Körpers wie in einem Grab. Leben ist immer offenes, gemeinsames, in einem „Wir“ verbundenes Leben. Die Vorstellung eines in sich verschlossenen Individuums mit seinem undurchlässigen „Ich“ ist etwas sehr modernes.
 Wir leben ebenso „drinnen“ wie „draußen“, in unserem Körper und wie außer ihm und haben dauernd Teil an anderen im Leben wie im Tod. Der Tod hat einen Ort im Leben, und das Leben hat einen Ort über den Tod hinaus.
Diese Übergänge sind wichtig; die Gewissheit: Du bist da, mir nah. Wir haben Teil aneinander. Im Leben, auch im Tod.
Es gibt ja ganz alte Rituale, die das beinhalten! Der König ist tot, es lebe der König! War nicht die Grablegung eines Königs immer auch die Inthronisierung seines Nachfolgers? Genauso wie, wenn der Vergleich gestattet ist, in der ehemaligen Sowjetunion mit den Begräbnisfeierlichkeiten damals für Lenin auch Stalins Herrschaft begann? Gehört das nicht zusammen?

Prof. von Carnap-Bornheim:
Damit, lieber Bischof Ulrich, berühren sie eine der Grundfragen der Interpretation des Bootkammergrabes von Haithabu, aber auch andere frühmittelalterliche Gräber, wie das des Childerich von 486, Vater von Chlodwig, der für die Christianisierung der Franken eine bedeutende Rolle spielt. Sie thematisieren die Grablegen der großen ägyptischen Pharaonen im Grunde genommen genauso wie die der Fürsten von Gottorf, die hier auch in unserem Dom liegen. Da haben wir also eine ganz intensive Parallele und ein ganz bedeutendes kulturhistorisches Phänomen, das wir verfolgen können. Zweifellos ist die Bestattung von Harald Klakk durch seine Nachkommen, immer auch die Inauguration ihrer Nachfolge gewesen. Die Bestattung eines Königs, eines Fürsten, aber auch eines politischen Führers ist immer auch die Zeremonie der Nachfolger. Denken wir es anders herum, sozusagen kontrafaktisch, dann bedeutet es, wenn wir solche Wechsel in politisch sehr unstabilen oder gewaltsamen Situationen haben, dann würden wir eben diese Gräber genau nicht kennen. Dann wären sie nicht da und die griechische Überlieferung, die griechische Klassik gibt uns dafür sehr schöne Beispiele. Denken Sie an Antigone und Polyneikes. Also immer ist die Bestattung des Königs, des Fürsten, auch die Inauguration seiner Nachfolger. Ein öffentlicher Akt und wir können uns die Bestattung von Harald Klakk nur als einen öffentlichen, politischen Akt vorstellen, - allein die Vorstellung, dass man dieses 20 m lange Schiff über den Grabhügel bewegt und dort platziert und dann einen mächtigen Hügel aufschüttet: da müssen ganz viele beteiligt gewesen sein.
Das ist sicherlich anders mit der Bestattung Jesu, die sowohl in der schriftlichen Überlieferung als auch vor dem Hintergrund, den wir kennen mit der Kreuzigung als privates Ereignis aufgefasst werden muss, das die Familie weit mehr betraf als die große Öffentlichkeit in Jerusalems. Aber wer konnte ahnen, was kommen soll.

Bischof Ulrich:
Was bleibt ist der Schock an dem Morgen. 
Die Erschütterung ist entscheidend: Es war ja schon schlimm genug, dass Jesus eben nicht wie ein König bestattet worden ist, sondern wie ein räudiger Verbrecher verscharrt werden sollte. Und nun ist das überlassene Grab auch noch leer. Man hatte das Gefühl, man hatte auf den Falschen alle seine Hoffnungen gesetzt. König sollte er sein der Juden, Schluss machen mit der Macht der Römer im Land, beiseite räumen alte und neue Ungerechtigkeiten, herrschen sollte er und vertreiben die Statthalter der fremden Macht. Weg damit! Und nun war noch nicht einmal mehr der Tod sicher.„Fürchtet euch nicht“, sagt der Engel, „der, den ihr sucht, ist nicht hier.“ Und der Engel schickt die Frauen los, nach Hause sollen sie gehen, nach Galiläa. Dort werden sie ihn sehen, sagt der Engel.
Aber Furcht und Entsetzen bringt die Frauen auf die Beine, so erzählt es Markus. Sie gehen los. Die Trauer hält sie nicht am Grab fest. Sie erzählen, was sie gesehen haben, Markus sagt noch, sie sagten es niemanden weiter, aber als sie dann den Jüngern begegnen, erzählen sie natürlich doch: Wes´ das Herz voll ist, dem geht der Mund über … Und die Jünger laufen ihrerseits los, sich zu vergewissern: stimmt das mit dem Grab? Es ist ein wunderbarer Wettlauf beschrieben. Wer zuerst von den Jüngern am Grab ist.
Das ist eine entscheidende Erfahrung am Ostermorgen: Jesus ist nicht bei den Toten geblieben, wie alle Menschen sonst – inklusive der Herrschenden. Er hat den Tod besiegt, göttliche Macht hat beiseite geräumt, was den Toten von den Lebenden trennt. Wie auch immer.
Menschen haben Jesus danach erfahren, seine Gegenwart auch leiblich gespürt, anders als vorher, aber deutlich: es geht weiter. Die Jünger, so erzählt die Bibel, kommen wieder auf die Füße, kommen heraus aus ihrem Versteck. Sie treffen Jesus, sehen ihn, ganz eindeutig. Und es braucht nicht mehr Totenrituale für den, der nicht bei den Toten ist.
Und dennoch: wir wiederholen dieses Ritual jedes Jahr: trauern, mitgehen zum Grab, durchleben, nachvollziehen den Weg zurück. Hören das „Fürchtet euch nicht“! Das ist nötig für das menschliche Leben offensichtlich, die Vergewisserung der Unabgeschlossenheit des Lebens – des eigenen wie des geliebten Menschen. Hier ist nichts zu Ende mit dem Tod. Neues Leben fängt an. Das ist eigentlich die ganze Osterbotschaft.

Prof. von Carnap-Bornheim: 
Herr Bischof, wissen Sie eigentlich, was am Ostermontag 568 passiert ist?

Bischof Ulrich:
Das ist aber lange her… Meine Erinnerung reicht nicht ganz so weit zurück.

Prof. von Carnap-Bornheim:
 Es führt uns natürlich etwas weg von dem, was wir gerade gehört haben, aber archäologisch und historisch ist der Ostermontag 568 ein ganz besonderer Tag. An dem Tag erreichten nämlich die Langobarden nach 400-jähriger Wanderung von der Niederelbe und der Altmark endlich das italienische Mutterland. Und für Historiker und Archäologen zeigt dieses Datum, das Ende der Völkerwanderungszeit an. Darüber berichtet uns Paulus Diaconus in seiner berühmten Langobarden-Geschichte, die er wohl um die Mitte des 8. Jahrhunderts niederschrieb. Ich möchte da gerne kurz draus vorlesen, wenn Sie gestatten. 
Also Paulus Diaconus schreibt: „Die Langobarden verließen Pannonien und zogen mit Weib und Kind und Hab und Gut Italien zu, um es in Besitz zu nehmen. Sie hatten aber 42 Jahre in Pannonien gewohnt und zogen aus im Monate April in der ersten Indiktion, am Tag nach dem heiligen Osterfest, das der Berechnung gemäß in jenem Jahr gerade auf den ersten April fiel ,nachdem seit der Menschwerdung des Herrn 568 Jahre verflossen waren.“
Die Fußkranken der Völkerwanderungszeit, die Langobarden, die haben sich nicht so besonders weit bewegt: von der Niederelbe und der Altmark in knapp 400 Jahren bis nach Oberitalien. Sie erreichen also das italienische Mutterland und die Historiker und Archäologen sind sich darüber einig, dass das Ende der Völkerwanderungszeit ist und der Beginn des frühen Mittelalters und damit jener historische Prozesse, die das nachrömische Europa, damit auch unsere Region und auch unsere wikingerzeitliche Geschichte mitgeprägt haben. Für mich ist das immer auch eine Prüfungsfrage den Studierenden gegenüber, was wissen sie, was passierte am Ostermontag 568. Das wissen natürlich die allerwenigsten, aber immerhin.

Bischof Ulrich:
Also die Prüfung habe ich offenbar nicht bestanden, aber was ich verstanden habe, ist dieses wunderbare Stichwort vom Ostermontag 568: Das neue Zeitalter beginnt, haben Sie gesagt, auch die Fußkranken kommen an, auch wenn sie lange dafür brauchen, den Weg hinter sich zu bringen - sie kommen an. Eine neue Zeit, ein neues Leben beginnt.
Die Parallele für mich: mit Jesu Auferstehung beginnt etwas Neues, beginnt neues Leben. Nicht mehr steht das Grab im Mittelpunkt, sondern das Leben.
Die Jünger und die Frauen, sie spüren: Neues fängt an. Ungeahnte Kraft nach kräftezehrender Trauer. Das, was verheißen war, kommt: siehe, ich mache alles neu. Neues Leben wächst durch die Trauer hindurch. Nicht mehr vermutete Lebenskraft durchbricht die Mauer des Todes und alle Angst weicht.Liebe Gemeinde, die Osterbotschaft ist in diesem Jahr eine besondere: Da ist das riesige Grab in Japan. Es hat verschlungen das Leben von vielen Tausend Menschen. Es ist begraben alles, was das Leben getragen hat für viele, viele Menschen. Ein Schlund hat sich aufgetan. Und kein Ort für die Trauer, kein Ort nirgends. Noch nicht einmal Erschütterung. Nur gelähmtes Entsetzen. Und nicht Hoffnung auf Neues. Immer neue Katastrophen statt dessen, nuklearer Super-GAU. Dieser Tod in seiner vielfältigen, unberechenbaren Form bedroht das Leben der Überlebenden. Und auf Jahre wird hier nicht Neues wachsen können. Die ihre Häuser verlassen müssen, ahnen, dass sie nie wieder zurück kehren können – jedenfalls nicht, wenn ihnen ihr Leben lieb ist. Und dann diese Stille, diese Grabesstille. Ich möchte an diesem Ostern das Bild vom leeren Grab zusammenhalten mit den Bildern aus Japan, die in unseren Köpfen sind. Denn Ostern erzählt für mich auch von Gottes Aufstand gegen den Tod. Die Dynamik der Auferweckung Jesu von den Toten die bringt Steine ins rollen, die die Grabeshöhle zuhalten sollen. Die Dynamik der Auferweckung Jesu verwandelt, so erzählen uns die Evangelien, die vor Schreck verstummten Frauen. Sie machen den Mund auf. Und Energie wird frei, dass auch wir den Mund auftun können und laut werden lassen die Klage und die Wut und auch die Angst. Und dass wir Gott im Ohr liegen. Denn nur wenn die Not konkret ausgesprochen wird von Gott, dann kann Befreiung und Überwindung sich zeigen. Auferstehung heißt für mich auch, dafür sind für mich die Grabkulturen wichtig: Ich will nicht davon lassen, dass ich auf Gottesallmacht und Liebe vertraue, auf was denn sonst. Die Menschen brauchen gerade jetzt diese Vision vom Leben, wenn alles vergeht, wenn die gewaltige Kraft der Natur und die unkontrollierbare Gewalt von Menschen erfundener Technik vielfach Tod bringt, dann brauchen wir die Vergewisserung, die uns zugesagt und verheißen ist. Leben hat Kraft trotz alledem. Es lohnt sich umzukehren und aufzubauen. Der christliche Glaube, liebe Schwestern und Brüder, ist im Kern Osterglaube, er hängt an dem leeren Grab. Also ein Glaube, der sich darauf verlässt, dass nicht alles beim Alten bleibt. Er lebt davon, dass dieser neue Aufbruch und neue Freiheit sich ereignen, weil dieser Glaube uns frei macht anders zu leben und mit dem Erschrecken lebend auf die Suche zu gehen nach dem, was dem Leben dient. Wege der Liebe zu gehen, nicht des Todes. Umkehren – nennt die Bibel das. Umkehr zum Leben. Zum Leben, das sich speist aus der Hoffnung, die lebendig geworden ist in Jesus Christus selbst. Darum singe ich mit das Osterlied der Hoffnung wie es der Apostel Paulus aufgeschrieben hat. „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges weder Hohes noch Tiefes uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“
 Der Osterglaube stellt uns an die Seite dieser Trauernden. „Fürchte dich nicht“. Auch angesichts der Gewalten gilt das. Gehe los, suche die Spuren des Lebens. Da ist nicht alles mit begraben. Da ist einer, der verheißt neuen Himmel und neue Erde. Und deshalb, lieber Herr von Carnap-Bornheim, ist das so wichtig, dass wir es immer wiederholen: Trauer, aber auch die Überwindung von Trauer. Die Angst vorm Tod weicht nicht aus unserem Leben, aber da ist noch etwas anderes daneben. Die Realität der Welt besteht nicht allein, die Realität Gottes steht daneben.
Sie haben vorhin vom Bootkammergrab erzählt, dass der darin Begrabene sich nicht so ganz sicher gewesen ist und neben den christlichen Symbolen auch die anderen noch schnell im Grab versammelt hatte. Nicht er selbst, sondern die, die ihn begraben haben, haben das getan. Wir brauchen auch immer wieder die Vergewisserung, dass das trägt, was wir glauben, dass es trägt, worauf wir unsere Hoffnung setzen. Dass wir es schaffen, immer wieder die Widersprüche der Erfahrungen, die unserem Glauben entgegenstehen, zu überwinden. Darum ist für mich die Botschaft am leeren Grab, die zuerst die Frauen trifft, so wichtig. „Fürchtet euch nicht“, sagt der Engel. 
Bleib nicht stehen am Grab. Geh nach Hause. Dort werdet ihr ihn sehen.
Vielleicht braucht man lange, wie die Langobarden. Vielleicht werden zukünftige Generationen, wenn sie uns denn mal ausgegraben und archäologisch korrekt „nummeriert“ haben, auch sagen: das waren die Fußkranken. Aber wir haben einen Weg im Licht Jesu und seiner Liebe und seines Friedens, der uns seine Kraft gibt. Er mag lange gehen, aber der Weg lohnt sich. 
Und darum: Der für mich schönste und der am stärksten in Bewegung setzende Segensvers aus dem Alten Testament, der mich mein Leben begleitet und immer wieder Mut gibt – das ist dieser Vers, der Gott seinem Volk sagt, als es zögert, ob es denn nun losgehen soll in die neue Zeit: „Seht zu, dass ihr Land gewinnt.“
Fürchtet euch nicht!
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, er bewahre unserer Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen

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