Dialogpredigt des Bischofsbevollmächtigten Gothart Magaard mit dem Pastoralreferenten Michael Wrage vor dem Halbmarathon „Gegen den Wind“
13. Juli 2011
Liebe Schwestern und Brüder, welches Tier geht am Morgen auf vier, am Mittag auf zwei und am Abend auf drei Beinen? Der Mensch ist dieses merkwürdige Wesen. Am Anfang des Lebens brauchen wir den Vierfüßerstand. Dann richten wir uns zum Himmel auf. Proben immer wieder den aufrechten Gang. Am Abend des Lebens sind wir froh, wenn eine Stütze da ist und Sicherheit gibt. Der aufrechte Gang - ganz wörtlich und auch im übertragenen Sinn - zeichnet uns Menschen aus. Die Bewegungsfreiheit - selbst gehen zu können, zu laufen, ein Ziel zu erreichen, einen eigenen Weg zu finden unter diesem Himmel und auf dieser Erde: das ist unsere erste und wichtigste Freiheit.
„Gegen den Wind“ heißt die Überschrift über dem heutigen Lauf. Ein schöner, tiefsinniger Titel. Es gibt nicht nur Rückenwind. Beim Laufen nicht und nicht im Leben. Nicht selten bläst uns der Wind direkt in Gesicht. Dann wird es mühsam. Immer wieder gegen an gehen. Die Richtung halten. Nicht aufgeben. Nicht resignieren.
Was kann helfen, wenn der Gegenwind so heftig ist, das wir am liebsten alles hinschmeißen würden?
Ich denke an die Bibelworte eben.
Gesprochen sind sie in einer Zeit der Verzweiflung. „An den Wassern von Babylon saßen wir und weinten.“ Ganz heftigen Gegenwind hatte das Gottesvolk erlebt. Vertrieben aus dem heiligen Land, Gottes Tempel ein Raub der Flammen. Alles vorbei. Menschen in der Stunde Null – und sie denken: „Mein Weg ist dem Herrn verborgen…“
Und was hören diese müden, verzweifelten Menschen? Nach draußen, ins Freie führt sie der Prophet -- unter die große, leuchtende Himmelskuppel:
„Hebet eure Augen auf und seht! Wer hat dies geschaffen? Warum sprichst du: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber«? Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der ewige Gott wird nicht müde noch matt. Sein Verstand ist unausforschlich.
Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht müde werden.“
Zarte Worte sind das. Fast wie ein Gedicht. Und doch tröstend und stärkend.
Ich übersetze sie mir so:'
Was schaut ihr immer zurück oder zum Boden? Gott ist nicht hinter oder unter euch. Richtet euch auf. Erhebt eure Häupter! Schaut hoch, schaut nach vorn. Da vorne wartet er auf euch. Gott ist uns manchmal verborgen, aber er ist da und lebt. Denn er ist anders. Größer, viel, viel größer als unsere Gedanken über ihn. Kommt mit nach draußen, seht und schmeckt die Weite der Welt. Seht den offenen Himmel - das ist ein Fingerzeig. Wie da Sonne, Mond und Sterne unerschütterlich ihre Bahn ziehen, wie da auf jeden Untergang ein neuer Aufgang, auf jede Nacht ein neuer Tag folgt - so wird auch der lebendige Gott niemals müde oder matt. Sein Leben ist unerschöpflich. In jeder Sekunde ruft er tausend neue Möglichkeiten ins Dasein. Er ist die lebendige Energie, die immer neue Zukunft für alle Wesen und Dinge.
Der eine Lebensatem im Herzen aller Dinge.
Musst du ihn begreifen? Ist es nicht besser, wenn er dich ergreift und mit seinem wachen Lebensgeist deinen Geist und dein Leben aufweckt, bereichert, inspiriert?
Atmet in vollen Zügen den Himmel ein. Spürt, wie die Erde euren Fuß sicher trägt. Und geht zuversichtlich euren Weg. Denn ihr dürft gewiss sein: der euch einst ins Leben rief – der zieht seine Hand nicht zurück, wenn ihr den aufrechten Gang übt. Auch dann nicht, wenn es hart auf hart kommt und der Wind euch direkt ins Gesicht schlägt.
Geht getrost euren Weg, und lauft und lebt ihm entgegen -- an jedem neuen Tag. Seht den immer neuen Anfang, den er euch schenken will - jetzt, hier und heute, und morgen und übermorgen, bis ans Ende der Zeit.
Verlasst euch auf ihn – ganz wörtlich: Verlasst euch selbst auf ihn hin – und ihr werdet merken: ihr geht an der Seite des Ewigen und Unzerstörbaren. Denen, die ihm Vertrauen schenken, denen gibt er neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden.
Und das nicht nur heute beim Halb-Marathon „Gegen den Wind“ hier in St. Peter-Ording. Genauso auch auf dem langen, sehr langen Weg, den wir „Leben“ nennen und „Lebenslauf“, also dort, wo es manchmal ganz heftigen Gegenwind gibt.
Amen.