Die Bahnhofsmission in Büchen: "Ein Spalt im Eisernen Vorhang"
21. August 2020
Bis vor 30 Jahren lag das schleswig-holsteinische Büchen an der innerdeutschen Grenze. Die Bahnhofsmission kümmerte sich damals um Millionen Menschen, zurückkehrende Kriegsgefangene und Rentner auf Westbesuch, Abgeschobene und das DDR-Zugpersonal. Der Hamburger Jann-Thorge Thöming hat die Geschichte der Büchener Bahnhofsmission in seiner Masterarbeit erforscht, die jetzt unter dem Titel "Ein Spalt im Eisernen Vorhang" als Buch erschienen ist.
"Das vorliegende Werk zeigt eindrucksvoll, wie die Bahnhofsmission Büchen den mit Ängsten besetzten Grenzübergang zu einem Ort der Begegnung machte", sagte der Vorsitzende des Dachverbandes der Bahnhofsmission, Heinrich Deicke, bei der Buchvorstellung am Donnerstag in Kiel.
Willkommenskultur in Büchen
Thöming, der seit 2017 als Referent beim Verband der Evangelischen Bahnhofsmission in der Nordkirche arbeitet, fand bei seinen Recherchen heraus, dass viele DDR-Bürger ihre Reise bewusst über Büchen planten. Grund war die Willkommenskultur mit Verköstigung und offenen Gesprächen. "Trotz der restriktiven Politik des DDR-Regimes gab es in Büchen deutsch-deutsche Nachbarschaft", erklärt Thöming. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Kreissozialamt, den Ordnungsbehörden und dem Bundesgrenzschutz sei Büchen zudem ein wichtiger Fixpunkt für entwurzelte Jugendliche und Abgeschobene aus der DDR gewesen.
Zur Begrüßung spielte der Posaunenchor
Die Büchener Bahnhofsmission gründete sich 1953, als in Hamburg der evangelische Kirchentag stattfand. 10.000 Besucher aus der DDR wurden damals in Büchen empfangen und verpflegt. Zwischen Dezember 1955 und Februar 1959 reisten nach Angaben der Gemeinde Büchen 247.000 Spätaussiedler, deutsche Kriegsgefangene und Spätheimkehrer aus Osteuropa über den Bahnhof Büchen in die Bundesrepublik ein. Bei der Zugeinfahrt wurden sie von Posaunenchören aus Lauenburg und Umgebung begrüßt.
Bis zu 40 Ehrenamtliche kümmerten sich um die Reisenden
Die herzliche Willkommenstradition stimmte mit den Bestrebungen der Bonner Regierung überein, die DDR-Bürger zu unterstützen. Zudem wollte Bonn sich vom DDR-Regime abgrenzen, das die Bahnhofsmissionen 1956 verboten hatte. So wurden die westdeutschen Bahnhofsmissionen zu einem Großteil aus Bundesmitteln finanziert.
Bis zu 40 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer kümmerten sich rund um die Uhr um die Reisenden, die täglich aus Berlin, Leipzig und Dresden auf dem kleinen Grenzbahnhof Zwischenstation machten. Wer nicht am gleichen Tag zu seinem Zielort weiterreisen konnte, durfte übernachten. Zehn Betten standen seit 1974 zur Verfügung.
Eine Tasse Kaffee und eine Banane für jeden DDR-Reisenden
Die Hauptreisenden waren Rentner, denen es ab 1964 erlaubt war, bis zu vier Wochen im Jahr Verwandtschaft im Westen zu besuchen. Mitte der 1980er Jahre bekamen auch einige Jüngere Reisegenehmigungen. Vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen hatten die Bahnhofsmissionen den Auftrag erhalten, an jeden DDR-Reisenden eine Tasse Kaffee und eine Banane zu verteilen. Südfrüchte waren selten in der DDR.
Die Atmosphäre auf dem Büchener Bahnhof lässt sich nach Angaben von Zeitzeugen nur schwer beschreiben. Auf der einen Seite die freudige Erwartung derer, die aus der DDR zu Verwandten nach Lüneburg oder Hamburg weiter reisen durften. Auf der anderen Seite die Trauer derjenigen, die wieder heimmussten und in Büchen in den DDR-Zug umstiegen.