Die Haltung der Demut: Ja, mit Gottes Hilfe
03. November 2013
23. Sonntag nach Trinitatis, Predigt zu Mt 5, 33-37
Liebe Gemeinde!
Der Predigttext für den heutigen 23. Sonntag nach Trinitatis steht bei Matthäus im 5. Kapitel. In der Bergpredigt sagt Jesus:
I
5,33 Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten gesagt ist: "Du sollst keinen falschen Eid schwören und sollst dem Herrn deinen Eid halten." 5,34 Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron; 5,35 noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße; noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. 5,36 Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören; denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. 5,37 Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.
Au weia: erwischt! Geschworen wird überall und gern: Obama schwört, er habe nie etwas gehört vom Ausspähen des Handys der Kanzlerin; wir in Schleswig-Holstein kennen aus unserer jüngeren Geschichte etliche Ehrenwort-Attacken von Politikern. Wir schwören unbedacht auf etwas: eine kräftigere Markierung gibt es nicht. „Ich beschwöre dich“: so versuchen wir, Menschen dazu zu bringen, uns zu folgen. Wir suchen nach Gewichten, die unsere Worte wohl aus sich selbst nicht haben. Also: das Schwören ist nicht ein Ausweis von Stärke, sondern der Schwäche.
„Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“ – Das ist ein Spitzensatz der Bergpredigt.
Jesus legt im Kreise seiner Jünger und der sie umgebenden Leute die Heilige Schrift aus – seine und ihre Hebräische Bibel, die Tora. Wie hältst Du es, Meister, mit der Tradition, wie hältst Du es mit dem Gesetz der Väter? – die Frage steht im Raum.
„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht.“
Nicht Evangelium, sondern Gesetz. Oder besser: das Evangelium, die frohe Botschaft, ist nicht zu haben ohne das klare Gesetz, das Gebot Gottes. Barmherzigkeit und Klarheit, Eindeutigkeit und Bekenntnis gehören zusammen. Jesus steht zur Freude am Gesetz – da schwört er drauf, könnte man sagen: Grundgegebenheiten des menschlichen Zusammenlebens sind darin: Vom Töten und Ehebrechen, vom Vergelten und vom Almosengeben, von der Feindesliebe und vom Beten und Fasten – und eben vom Schwören. Gar nicht sollt ihr Schwören und gar keinen Eid sollt ihr leisten! Eure Rede sei einzig und allein: Ja, ja – nein, nein. Das genügt. Alles andere führt weg von der Wahrheit, dass Gott allein Herr der Welt ist; dass die Erde der Schemel seiner Füße ist – und das ihr nichts tun könnt ohne ihn! Ja ist ja und nein ist nein – ohne wenn und aber!
II
„Nein, meine Suppe ess‘ ich nicht!“ Liebe Gemeinde, ich denke an eine Ihnen sicher auch allzu bekannte Elternerfahrung: Der Sohn Kasper will wieder einmal seine Suppe nicht essen – dieser Suppenkasper! „Nein, ich esse meine Suppe, nicht, nein, meine Suppe esse ich nicht!“ Das Kind sagt Nein und meint auch Nein!
Ich kenne das aus meiner eigenen Kindheit, vor allem kenne ich das von meinen vier Söhnen: Nein, ich will nicht; ich will aber: da gibt es für Kinder kein Vertun. Wenn sie Ja sagen, meinen sie Ja, wenn sie Nein sagen, meinen sie Nein. Und dann ist das in den Augen und Ohren der Erwachsenen keineswegs eine gute Sache. „Sei kein Dickschädel; sei nicht so stur!“ Nicht selten wird der eindeutig signalisierte Wille gebrochen: der Stärkere siegt. Das Nein des Kindes stört. Es liegt quer zu unseren Plänen. Es zwingt uns in die Auseinandersetzung mit uns selbst, mit unserem eigenen Nein. Es führt vor Augen, wie wenig absolut wir jeweils sind, machtlos auch oft, wenn das Kind bei seinem Nein bleibt. Nicht gehorcht. Sondern ganz bei sich selber bleibt.
Ich denke an die Aufrüstungsdebatte in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern des letzten Jahrhunderts. Im todbringenden Wettrüsten zwischen Warschauer Pakt und NATO. Mit vielen anderen in der kirchlichen Friedensbewegung war ich der Meinung: Wir sagen Nein – wir sagen Nein, ohne jedes Ja. Frieden schaffen ohne Waffen, jedenfalls ohne solche Massenvernichtungsmittel – dafür soll und muss auch die Kirche politisch kämpfen. Nun, auch dieses Nein hat gestört – aber wer weiß, vielleicht war es gerade richtig hier klar und eindeutig zu reden in der Friedensbewegung auf beiden Seiten der Mauer. „Ein bisschen Frieden“ gibt es nicht – auch wenn damals ein Lied mit solchem Titel die Charts stürmte.
III
Jesus redet Klartext in unserem Predigtabschnitt – seine Rede ist eine Zumutung – denn natürlich, wer macht das denn schon so? Gehört nicht die ausweichende Rede, das "Ja, aber" – oder das "Nein, aber" – das Ja und Nein, also das Jain, irgendwie dazu, damit man überhaupt durchs Leben kommt?! Und ist die Welt nun nicht einmal so kompliziert, dass weder die kleinen noch die großen Fragen des Alltags oder der Politik oder der Kirchenleitung sich reduzieren ließen auf einfache Antworten mit ja oder nein?
Da sitzen seit einigen Wochen Parteien beieinander und verhandeln über ein mögliches Regierungsprogramm. Sie wissen um die Jas und Neins, die während des Wahlkampfs gesagt und plakatiert waren. Und alle wissen: am Ende steht ein Kompromiss. Steht ein bisschen Ja, ein bisschen Nein – mal mehr und mal weniger.
Wer Ja sagt oder Nein, macht sich angreifbar, ist erkennbar. Ich muss stehen, weil andere Nein sagen zu meinem Ja. Aber ohne Ja oder Nein gibt es keinen Kompromiss. Das haben wir auf dem Weg zur Nordkirche erlebt: erst als wir uns trauten, einander zuzumuten, was zu uns gehört, was uns heilig schien, was unaufgebbar bleiben sollte; als wir einander dann und wann gar für dickköpfig hielten und wir das auch sein durften, kam Bewegung in die Sache. Weil wir lernten, einander zu respektieren – mit unseren Grenzen und Möglichkeiten.
Dass das Leben kompliziert ist und anstrengend, dass es ohne Kompromisse und diplomatische Formeln nicht geht, diese Lebensweisheit hat Jesus auch gekannt. Er war ja nicht weltfremd – aber er war voller Gottesweisheit, voller Gottesgewissheit – nämlich voll von der Gewissheit, dass die Welt nicht so bleiben kann, wie sie damals auch schon war – dass sie sich also ändern muss, um bleiben zu können. Jesus war voll von der Gewissheit, dass der Frieden und die Gerechtigkeit Gottes angreifen müssen den Frieden und die Gerechtigkeit der Welt, damit die Welt gottgefälliger und menschenfreundlicher wird. Wenn die Realität Gottes auf die Realität der Welt trifft, dann ist das ein heilsamer Angriff auf Gebräuche, Traditionen und Gepflogenheiten, mit deren Hilfe sich die Menschen „irgendwie“ eingerichtet haben im Getümmel der Welt – mit der Folge aber auch, dass wenige stehen im Licht, viele aber im Dunkel – und die im Dunkel sieht man nicht, wie Bert Brecht singt…
Und was hat Jesus nicht alles ausgelöst mit seiner Predigt auf dem Berge: Ja, die Seligpreisungen, das Gebot der Feindesliebe, der unbedingte Blick und Einsatz für diejenigen, die am Rande stehen: die sogenannten „Antithesen“, die Gegen-Worte, in denen eine andere Möglichkeit des Lebens aufblitzte und die einen Spiegel bildeten für das, was bisher so war. Da vollzog sich eine Umwertung aller Werte, die in der Welt sonst so gelten – und sich in der Regel hemmungslos austoben.
IV
Jesu Rede ist radikal – er stellt das Erste Gebot ins Zentrum – „Du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzen Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“... Um Gottes und der Menschen willen soll in Gottes Namen mit Gottes Namen kein Unfug getrieben werden, kein Missbrauch, der ja zumeist dazu dienen soll, Gott vor den Karren meiner eigenen Interessen zu spannen. Kriege in Gottes Namen, Feldzüge mit „Gott ist mit uns“ auf den Koppelschlössern der Soldaten, Ehrenworte und Eidesformeln, die die Autorität Gottes beschwören, um den Eigensinn und Eigennutz zu verdecken. Oder schlimmer noch: Mit frommen Worten auf den Lippen Böses tun und tarnen. Gegen das alles, was es ja reichlich gibt, ist Jesu Wort eine deutliche Warnung.
Denn wenn Ja nicht mehr Ja ist – und Nein nicht mehr Nein, dann ist alles Vertrauen dahin. Und ohne Vertrauen – kein Leben! Ohne Vertrauen kann es keine verlässliche Beziehung geben – nicht im Kleinen und auch nicht im Großen. Nicht in der Wirtschaft und nicht in der Kirche. Jesu Radikalität ist also zutiefst lebensbejahend und lebensdienlich! Wie ja übrigens auch Gottes uneingeschränktes Ja am Anfang der Schöpfung und auch Gottes uneingeschränktes Ja im Versöhnungshandeln Jesu Christi! Darum, weil bei Gott Ja – Ja ist und Nein – Nein, darum feiern wir seine Gegenwart in Gottesdienst und Sakrament, in der Beichte und im Abendmahl. Und darum gibt es Freiheit, Frei-Sprechung von Schuld und Sünde – eine Freiheit, die neue Gottes- und Nächstenliebe überhaupt erst freisetzt. So sind wir in die Welt gesandt zu bezeugen Gottes Ja – und darin dann auch Gottes Nein zu menschlichem Tun, das Leben gefährdet oder vernichtet.
Gott selbst schwört und setzt ein, was ihm heilig ist – das sehen wir, wenn wir zum Kreuz blicken. Dieser Eid reicht.
"Ich schwör's dir...!" Das ist eine Bekräftigung: du kannst mich beim Wort nehmen.
Jesus sagt: weniger ist mehr. Vertrau dir selbst. Dein Vater im Himmel weiß, was dein Wort trägt .
V
Und natürlich, liebe Gemeinde, denke ich auch an den positiven, den richtigen Gebrauch von Gottes Namen: Es ist ganz gut und richtig, wenn im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Verantwortung vor Gott und den Menschen ausdrücklich benannt wird, damit staatliches Handeln sich begrenzt weiß. Es ist daher auch ganz gut und richtig, wenn über einen so genannten „Gottesbezug“ in der Verfassung Europas – die es noch nicht gibt – nachgedacht und gestritten wird. Denn: Es gibt gar keinen Anlass, Gott zu verschweigen! Auch hier nicht! Begrenzung von Macht ist immer und jederzeit von Nöten, ein Gleichgewicht von checks and balances ruhig auch im Wissen darum, dass es da noch eine „Größe“ gibt, die höher ist als alle Vernunft und die das Ihre zu tun haben wird, mit dafür zu sorgen, dass die Vernunft in Politik und Wirtschaft nicht unter die Räder kommt. Ja, auch von Gottes Autorität gesichert gibt es das „Gebot der Humanität“ - etwa das, die Flüchtlinge, die da kommen zu uns über das Meer eben nicht ertrinken zu lassen in den Wellen….
„Ja, mit Gottes Hilfe“ solcher Zusatz ist zu hören etwa bei Vereidigungen von Ministern oder beim Ordinationsgelübde von Pastorinnen; „Ja, mit Gottes Hilfe“ beim Versprechen der Partner bei einer kirchlichen Trauung. Solches Ja bringt mich – recht verstanden – in die Haltung der Demut: Ich bekenne, dass das Gelingen der Beziehung, dass der Erfolg meiner Amtsführung, eben nicht von mir und meinem guten Willen oder auch von meinem Können garantiert werden kann. An Gottes Segen ist alles gelegen.
Das ist die Macht der Demut. Einer, der das sicher richtig verstanden hat, ist Martin Luther, dessen Worte vor Kaiser und Reichstag in Worm 1521 nahezu sprichwörtlich in die deutsche Sprache eingegangen sind. Auf die Forderung an ihn, seine Schriften mit seinen die Kirche und das Reich revolutionierenden Thesen zu widerrufen, hat er auf seine Weise Klartext geredet – Klartext der Demut: „Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse (aus der Bibel) oder einen klaren Grund wiederlegt werde, … so bin ich durch die von mir angeführten Schriftworte überwunden. Und da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts wiederrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.“
Das, liebe Gemeinde ist Rede im Klartext – Rede im Klartext des Gebets!
Amen.