Die Notfall-Seelsorge steht Menschen bei, die am Abgrund stehen
22. Oktober 2025
350 Einsätze an 365 Tagen – so sieht die durchschnittliche Jahresbilanz der Hamburger Notfall-Seelsorge aus. Seit 25 Jahren ist sie im Einsatz, um Menschen nach plötzlichen Todesfällen, wie etwa schweren Verkehrsunfällen, beizustehen. Das Jubiläum der Notfall-Seelsorge wird in dieser Woche mit einem Senatsempfang gefeiert. Es ist ein Anlass zur Freude – aber auch einer, um für mehr Unterstützung zu werben.
Als in Hamburg ein siebenjähriger Junge beim Unfall mit einem Müllwagen stirbt, steht die Zeit still. Für die Familie, für Augenzeugen, für Feuerwehrleute, die nicht helfen konnten. „Wenn so etwas Schlimmes passiert, brauchen Menschen einen geschützten Raum für ihre Gefühle“, sagt Landesfeuerwehrpastorin Erneli Martens. Seit 25 Jahren leitet sie die Hamburger Notfallseelsorge, die pro Jahr zu rund 350 Einsätzen gerufen wird.
Zugunglück von Eschede macht Bedeutung der Notfall-Seelsorge bewusst
Als Initialzündung für die systematische „Hilfe für Helfer“ gilt das ICE-Zugunglück im niedersächsischen Eschede 1998 mit 101 Toten und fast ebenso vielen Verletzten. Erstmals trat die kirchliche Notfall-Seelsorge für eine breite Öffentlichkeit in Erscheinung. Und erstmals wurde vielen Menschen bewusst, dass nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern auch die Helfer*innen Unterstützung nach belastenden Einsätzen brauchen.

Heute zählt das Hamburger Notfallseelsorge-Netzwerk rund 300 Pastorinnen, Pastoren, diakonische Mitarbeitende und ausgebildete Ehrenamtliche. Sie helfen Menschen bei erschütternden Ereignissen, plötzlichen Todesfällen oder schweren Unfällen. Bei Bedarf können sie rund um die Uhr von der Leitstelle der Feuerwehr alarmiert werden.
Das Team sucht Wege das Unaussprechliche in Worte zu fassen
„Das ist wie Erste Hilfe für die Seele“, sagt die Pastorin. „Wir suchen das Gespräch, um Worte für das Unaussprechliche zu finden“. Unabhängig von Kultur, Herkunft oder Religion. Auch Martens wird regelmäßig alarmiert und steigt dann in ihren roten Kleinwagen mit der Aufschrift „Feuerwehr“.
Vor ihren Einsätzen weiß sie nie genau, was sie erwartet. Meist hätten Betroffene innerhalb von Sekunden ihren inneren Halt verloren. Zu 85 Prozent fährt Martens in eine Wohnung, dort passieren die meisten Unfälle.
Gerufen wird sie bei Suizid oder auch einem ganz natürlichen Todesfall. „Wenn eine alte Frau ihren Ehemann tot im Bett findet, braucht sie jemanden zum Reden“, sagt Martens. Besonders fordernd sei es, wenn Kinder einen Elternteil oder Eltern ein Kind verlieren.
Ihre Arbeit ist mittlerweile anerkannt und hochgeschätzt
Dabei reagiere jeder Mensch in einer Notsituation anders. „Ich versuche wahrzunehmen und zu spüren, was gebraucht wird“, erklärt Martens. Manche reden sich alles von der Seele, andere brauchen praktische Hilfe bei der Benachrichtigung von Angehörigen. „Oder sie müssen sich bewegen“, sagt Martens, die einmal stundenlang mit jemanden über einen Parkplatz gelaufen ist.

Obwohl es zunächst Vorbehalte gegen eine Frau in ihrer Position gab, werde ihre Arbeit mittlerweile bei der Feuerwehr sehr geschätzt, sagt Martens, die auch an der Feuerwehrakademie über psychosoziale Themen unterrichtet.
Der Bedarf an Freiwilligen wird weiter steigen
Wie oft seelische Hilfe im Unglück gebraucht wird, spiegeln die bundesweiten Zahlen der Evangelischen Notfallseelsorge wider: 30.482 Einsätze wurden 2023 in Deutschland gezählt, rund 92.000 Menschen seien in Krisen begleitet worden, so die aktuelle Statistik. Bundesweit sind dafür den Angaben nach 8.238 haupt- und ehrenamtliche Kräfte unterwegs.
Da die Zahl der Pastorinnen und Pastoren seit Jahren zurückgeht, sind zunehmend mehr Freiwillige gefragt. In Hamburg will Martens deshalb interessierte Ehrenamtliche für die Notfallseelsorge ausbilden. Mehr zu den Einsatzgebieten, Terminen und Basiskursen erfahren Interessierte auf der Seite notfallseelsorge-hamburg.de.
