11. Dezember 2016 | Lübecker Dom

Die Risse des Lebens leuchten uns

11. Dezember 2016 von Gerhard Ulrich

Predigt zum 3. Advent 2016, Lukas 3.1-14

1 Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene,

2 als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren, da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste.

3 Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden,

4 wie geschrieben steht im Buch der Worte des Propheten Jesaja (Jesaja 40,3-5): »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben!

5 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden,

6 und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.«

7 Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?

8 Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken.

9 Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

10 Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir nun tun?

11 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso.

12 Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun?

13 Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist!

14 Da fragten ihn auch Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!

 


Liebe Gemeinde!

I

eine Bußpredigt, die sich gewaschen hat. Eine Störung im Advent. Verabreicht durch Johannes den Täufer. Durch den Rufer in der Wüste. Den Wegbereiter.

Mit ihm bekommt die Adventszeit ihren eigenen, eigentlichen Ton: nicht Lichterkranz, sondern Schafsfell. Nicht Punsch, sondern Wasser. Nicht „süßer die Glocken nie klingen“, sondern „Otterngezücht“.

Gott ist im Kommen. Ruft Johannes mit Jesaja in der Wüste.

Er wird sein Volk aufsuchen, wie er es verheißen hat. Es ist sein Advent. Doch es ist noch viel zu tun: der Weg ist zu bereiten. Alle Täler sollen erhöht und alle Berge und Hügel erniedrigt werden.

Johannes: Der redet nicht liebevoll und zart. Ihn packt heiliger Zorn, wenn er sieht, wohin die Menschen treiben ohne Gott. Johannes lässt nicht mit sich spaßen, wenn die Zeichen der Zeit nicht erkannt werden. „Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?“ - Ein Weckruf im Advent. Der andere Advent. Zeit der Bewährung, der Vergewisserung des Lebens: Zeit der Buße!

Manchmal brauchen wir die deutlichen Worte: „Nein, die Taufe allein, das Bekennen mit den Lippen allein ist nicht genug. Gott will mehr: er will, dass ihr euer Leben erneuert, täglich. Er will, dass ihr euch auf sein Kommen vorbereitet, wie man sich auf einen lang ersehnten Gast vorbereitet. Tut Buße: räumt weg, was im Wege ist; räumt beiseite, was stört. Räumt euren Lebensweg auf! Lasst euch aufstören in eurer Behaglichkeit. Öffnet euch: Gott meint es ernst. Er kommt, euch zu bringen das Heil, die Liebe; eure Sehnsucht zu stillen nach Leben, nach Freude.“ Nicht das Fest vermiesen will Johannes. Er will helfen, dass es gelingt, dass wirklich der Herr einziehe bei uns. Er will, dass das nicht ein vorübergehendes Ereignis ist, das mit dem Lichterschmuck irgendwann wieder auf dem Dachboden verschwindet. Gott will die Herzen regieren.

II

Bekennen und Tun, Glauben und Handeln gehören zusammen. Schaut hin auf diese Welt - auf ihre Realität, ihre Erlösungsbedürftigkeit: auf die Bilder des in Trümmer geschossenen und gebombten Alleppo. Der Bürgermeister dieser Stadt hat sie selbst gezeigt dieses Jahr am Reformationstag in Malmö bei dem gemeinsamen Reformationsgedenken des Lutherischen Weltbundes und der katholischen Kirche, an dem ich teilnahm. Mich lassen sie nicht mehr los. Der Nordirak ist ebenfalls vom Kampf gegen den IS so gezeichnet, dass von seinen Städten und Siedlungen – Ursprungsorte der Christenheit – nicht mehr viel übrig ist. Menschen versuchen, der Zerstörung zu entkommen, werden missbraucht als Schutzschilde. Migrations- und Flüchtlingsströme nehmen nicht ab, das Sterben auf dem Mittelmeer kann kein Zaun dieser Welt stoppen. Ganzen Völkern ist bange. Furcht ist ihnen in die Gesichter geschrieben – auch jenen, die ausgesetzt sind einem ganz anderen Waffenarsenal: dem Klimawandel nämlich, der Menschen bedroht, weil sie nicht finden, was sie ernährt, weil Wasser vergiftet ist oder versiegt oder sie verschlingt.

Zeiten sind es, die ins Wanken bringen alle Ordnungen, mit denen wir Menschen unser Zusammenleben regeln und sicher machen wollen: Recht, Solidarität, Demokratie. Populisten haben leichtes Spiel, Fakten spielen keine Rolle. Die Wahrheit einer Information wird zu oft bestimmt durch die Anzahl der Klicks in den sogenannten „sozialen“ Medien. Hass und Anfeindungen werden immer dreister. Die Würde des Menschen ist antastbar geworden! Vereinfacher haben Konjunktur!

Die Texte der Adventszeit begegnen genau dieser Tendenz. Sie lassen nicht zu, dass wir verdrängen oder vereinfachen. Sie spitzen zu. Und sie stellen Zusammenhänge her: wo Menschen sich selbst zu Göttern aufspielen, bleibt kein Stein auf dem anderen. Da ist die Axt den Bäumen wahrhaft schon an die Wurzel gelegt!

III

Vor einem knappen Menschenleben, im Dezember 1948, haben die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet. Wir sind mit Recht stolz auf das Erreichte und auf jene, die es erstritten. Aber: Wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? fragt Johannes - „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Wo ist euer Beitrag dazu heute?

Menschenwürde, Menschenrechte: Angeregt ist das auch durch das biblische Wissen, dass der Mensch nur wenig niedriger geschaffen ist als Gott. Worte Gottes tragen uns zu den biblischen Geschichten von Jesus, den ankündigt der Johannes. Den, der Ausgegrenzte und Entrechtete in seine Gemeinschaft aufnimmt, ihnen Würde, ihnen Rechte zuspricht und Anteil gibt an der Fülle, die Gott allen verheißen hat. Jesus, in dem Gottes Wort Fleisch wird. Der sein Reich aufrichtet, bei uns, mit uns –  einem Samenkorn gleich, oft verborgen, aber real doch.

Und was ist daraus geworden? – schleudert Johannes seinen Landsleuten entgegen: was aus der Botschaft von der Gottebenbildlichkeit aller? Die Axt ist schon an den Baum gelegt – ihr selbst schwingt die Axt, sägt ab den Ast, auf dem ihr sitzt: den Ast der Barmherzigkeit und der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens. Uns schleudert Johannes es entgegen. Die wir schon wissen von Jesus, der Gott lebt. Und die vom Gericht Gottes nichts wissen wollen.

Warum lasst ihr wachsen die Unterschiede zwischen Arm und Reich in dieser Welt? Warum seht ihr zu, wie Menschen verschwinden in der Parallelwelt der Hartz-IV-Empfänger und so zu Betrogenen werden. Die nicht mehr im Einkaufszentrum shoppen, sondern an der Tafel die Nahrung erbitten. Wie Kinder sich ihrer Eltern deshalb schämen und die Eltern verzweifeln, dass sie ihren Kindern keine Vorbilder mehr sein können. Was setzt ihr entgegen: den Parolen, den Erfolgen der Populisten bei uns und in anderen Ländern? Warum sind es so viele, die fühlen: ich gehöre nicht mehr dazu. Um mich sorgt sich keiner? Keiner sieht mich!? Sie sehen sich dem Lauf der Welt ohnmächtig gegenüber. Verstehen die Komplexität der digitalen Welt nicht mehr. Trauen den Verantwortlichen nicht mehr zu, dass sie bändigen die Geister der Globalisierung. Die vielen Ideen und Lebensstile sind ihnen unheimlich, die sich in der Welt mischen. Helft ihr ihnen? Seht ihr sie?

Die Wucht der Rede des Johannes in der Wüste ist ja kein liebloses Gerede. Es wächst im Gegenteil aus der Liebe, mit der Gott sein Volk je und je besucht. Er sieht das Elend, die Unsicherheit; er hört hin auf das Fragen derer, die die Welt nicht mehr verstehen und sich fremd fühlen, heimatlos.

Ist nicht die Axt sichtbar, die an die Wurzeln der Bäume gelegt immer noch? Ist nicht der Einsatz für den Frieden in der Welt nach wie vor unerlässlich und unverzichtbar? Wäre es nicht ein Werk der Buße, zu arbeiten an den Gründen für Armut, Flucht, Hass und Gewalt? Aufzuhören, die Welt mit Waffen zu „beglücken“? Darauf zu pochen, dass Generationenverträge auch eingehalten werden, damit Menschen nicht nur jetzt von ihrer Hände Arbeit leben können, sondern auch noch im Alter?

„Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße...“

IV

Die Menschen damals, die sich zu Johannes auf den Weg machen zur Taufe, lassen sich nicht abschrecken von seiner harten Rede. Sie stellen sich. Sie sagen nicht: alles halb so schlimm. Wir haben doch Entwicklungshilfe und „Brot für die Welt“. Die richten’s schon. „Was sollen wir denn tun?“, fragen sie fast hilflos-ängstlich. Was können wir denn tun gegen die Mächtigen der Welt, gegen ihre Statthalter, die sich ihre Hände in Unschuld waschen. Was können wir ausrichten gegen die, die nicht aufhören weiterzudrehen an der Spirale des Hasses?

Johannes antwortet. Er ruft nicht auf zur Revolution, zum Umsturz. Er verweist auf die Tora, die lebensdienlichen Gebote Gottes. Erinnert an Bekanntes. „Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, der tue ebenso. Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an dem, was euch zusteht! - Johannes überfordert nicht. Alltägliches wird erwartet, kein Verzicht auf Beruf oder bisheriges Leben. Aber: Teilt miteinander, was ihr zum Leben habt. Oder, wie Jesus zusammenfasst: Liebt Gott und den Nächsten wie Euch selbst. Das fängt bei dir an und bei mir.

V

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