Die Welt und wir können ganz anders
25. Dezember 2013
Predigt am ersten Weihnachtsfeiertag in Verbindung mit der Bildtafel "Verkündigung an Maria" (1927) des Malers Max Kahlke, zu sehen am Großen Marienaltar, St. Petri-Dom zu Schleswig.
Liebe Gemeinde!
I
„Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes, da machte er uns selig – nach seiner Barmherzigkeit!“
So hören wir die Wahrheit der Weihnachtsbotschaft aus dem Titusbrief im Neuen Testament. Eine Stimme der Hoffnung und der Verheißung mitten im Zusammenbruch, als Glaube, Hoffnung, Liebe obdachlos waren.
„Fürchtet Euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird!“
So hören es die Hirten auf dem Feld bei Bethlehem in der Nacht der Geburt des Kindes im Stall. Sie sehen das verheißene Licht – sie, denen auch der Tag finster ist, hoffnungslos dunkel.
„Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ So beginnt der Trost, der Neuanfang, die friedliche Revolution des Lebendigen, des Mensch gewordenen Gottes: angesagt ist das Kommen Gottes.
Das ist die Sehnsucht auch in unserer Zeit: dass einer kommen möge, mit starker Hand dazwischen fährt, ein Ende macht mit sinnloser Gewalt – wir hören und lesen gerade zu Weihnachten wieder von Anschlägen im Gazastreifen, von Granaten, die zur Vergeltung fliegen und zerstören Häuser, Leben und Frieden; in Syrien, wo der Bürgerkrieg weiter geht, auch wenn er aus unseren Nachrichtensendungen nahezu verschwunden ist. Die Sehnsucht, oft aus der Wut der Ohnmächtigen geboren, zeigt sich dieser Tage auch im Sudan, in der Ukraine - überall da, wo der Schrei nach Freiheit laut wird, weil die Völker die Despoten satt haben.
Das ist die Sehnsucht, die nicht zu bändigende, dass ein Ende wird mit der Knechtschaft derer, die ihre Heimat verlassen, weil Diktatoren ihr eigenes Volk verfolgen. Dass einer aufsteht gegen entfesselte Waffengewalt gegen unschuldige Menschen. Und dass einer die Dunkelheit aufbricht derer, die nicht ein und aus wissen, die von der Hand in den Mund leben müssen – mitten im reichen Land auch bei uns.
„Fürchtet euch nicht“ – das ist ins Herz geschrieben auch jenen Christen in dieser Welt, die verfolgt werden – wie in Ägypten und an vielen Orten der Welt. Ich habe in diesen Tagen ein Bild gesehen aus einem Kloster in Sues. Bei einem Brandanschlag ist auch das Kreuz in Flammen aufgegangen. Und doch ist es zu sehen als kraftvolle, nicht auszuradierende Spur an der Wand. Ein Fingerzeig für die Bewohnerinnen und Bewohner, dass Gott sich nicht verbannen lässt – mit aller Gewalt nicht.
„Weihnachten ist das wichtigste Fest“, sagt einer, „an Weihnachten werden wir wiedergeboren in Jesus Christus".
Himmlisch, paradiesisch schmücken sie in Ägypten ihre Wohnungen – trotz der Todesangst. Erinnernd Gott, der verheißen hatte zu kommen gewaltig, zu helfen. „Heut‘ schleust er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis“! Nicht verdrängt wird der Schrecken, der Schock, den Feuersbrünste, Überfälle auf Kloster und Kirchen, Morde und Zerstörungen ausgelöst hatten. Aber ein anderes Bild legt sich über das der Angst: das Kind in der Krippe, diese stille Szene des Friedens. Gott kommt nahe – welch ein Glück.
II
In einer der Seitenkapellen im Schleswiger Dom ist der „Große Marienaltar“ von 1927 des Glückstädter Malers Max Kahlke zu sehen mit insgesamt fünf Bildtafeln aus dem Leben Jesu. Die linke Tafel zeigt die wundersame Begegnung Marias mit dem Engel Gabriel – Sie haben ein Foto davon bekommen. Nehmen Sie es als eine Verbindung zwischen dem Dom zu Schleswig und dem Dom zu Lübeck, in dem ich nun ebenso gerne als „landesbischöflicher“ Prediger zu Gast sein werde, wie ich das im Dom zu Schleswig gewesen bin. Und übrigens: es verbindet mich mit diesem Gotteshaus nicht nur meine Wahl zum Landesbischof. Viel entscheidender für meine Lebensgeschichte ist es, dass ich hier im Jahr 1981 zum Pastor ordiniert worden bin. In diesem wunderbaren Haus Gottes, in dem Generationen Gott gesucht, ihn gefunden und zu ihm geredet haben in Lob und Klage; sein Wort gehört und nie von ihm gelassen haben, trotz all der Zerstörungen und trotz all des Brennens, das von verrückter Gewalt und Krieg und Verblendung ausgegangen ist. In Trümmern hat der Dom gelegen. Doch nie ist Gottes Gegenwart hier entwichen. Solchen festen Glauben hat Max Kahlke in seine Bilder gemalt, hinein getrotzt.
Mir strahlt zuerst das warme Rot des Kleides der Maria entgegen – Rot: die Farbe des Blutes, der Liebe. Die Energie des Lichts, das wie eine gleißende Flut vom Fenster rechts in die Szene hinein fällt, hat das Gesicht der Maria zum Strahlen gebracht. Und diese Dynamik des Lichts bringt Maria buchstäblich aus der Fassung: „Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das?“ So heißt es bei Lukas im ersten Kapitel.
Das Licht bricht ein in geordnetes, absehbares Leben. Weihnachten ist umwerfend! Umwerfend schön; umwerfend verwandelnd.
Die Maria auf dem Bild aber schaut nicht hin zur Quelle des Lichtes, sie ist verwirrt. Es braucht den anderen, den lieben Menschen in der Nähe, der hilft, verweist, stützt. Schau hin! Nichts ist zu Ende. Alles fängt neu an.
Der Schrecken ist Maria ins Gesicht geschrieben: die Augen weit aufgerissen, die Arme hilflos geöffnet: wie geschieht mir? Sie scheint den Halt verloren zu haben, ihre Füße sind weggerutscht, ins Straucheln geraten die ganze Person. So kann es gehen, wenn Gott ins Leben einfällt. Wie bei den Hirten auf dem Felde:
„… und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.“
III
Liebe Schwestern und Brüder, das Licht, das da durch das Fenster flutet, lässt ja nicht nur erstrahlen den Schoß der Maria. Es flutet weiter her zu uns, aus dem Bild heraus: das Dunkel wird hell; das Unsichtbare ahnbar. Die Figur der Maria reflektiert den grellen Strahl, der aus der Höhe kommt und Strahlen sendet, die unseren Füßen eine Leuchte sein wollen. Es blendet eben auch, dieses Licht. In ihm gibt es kein Verstecken. Es leuchtet hervor die dunkle Seite dieser Welt, des Lebens. Es grenzt hart ab die Realität der Welt und die Realität Gottes in ihr.
Ich denke an die Menschen auf dem Mittelmeer zwischen Afrika und Europa: Flüchtlinge, die sich lieber der Lebensgefahr aussetzen und dubiosen Schleppern anvertrauen als in der Heimat zu bleiben, wo sie nicht wissen, wie sie sich und die Ihren ernähren; wo sie verfolgt und bedroht sind an Leib und Seele wegen ihres Glaubens. Und dann kommen sie, wenn sie Glück haben und nicht zuvor in den Fluten ertrinken, an in Europa und finden es versperrt. Das freie, reiche Europa: Eine Festung mit Stacheldraht und nun auch mit einem feinen Hightech-Programm, das Flüchtlinge aufspürt rechtzeitig: Wie viele Menschen müssen noch sterben, bevor wir aufwachen, bevor wir eingreifen und die Ursachen beseitigen von Flucht und Hunger?
In diesem Zusammenhang schauen viele auch bei uns mit Sorge auf Berichte über die rasante Entwicklung der Waffenexporte in den vergangenen Jahren: „Deutsche Waffen für die Welt“ – hat der „Spiegel“ getitelt. Und auch DIE ZEIT stellt fest: „Der Tod kommt aus Deutschland“. Altkanzler Helmut Schmidt ächtet die Kleinwaffen als „Massenvernichtungsmittel unserer Zeit“ – allzu oft in Händen von marodierenden Banden und Kindersoldaten.
Die Kirchen in Deutschland haben gewarnt. Vermeintlich sichere Bündnispartner und so genannte „strategische Partner“ von heute, könnten vielleicht schon morgen diese Waffen einsetzen - gegen Israel zum Beispiel. Mit dem vollzogenen Verkauf von Schusswaffen und Kriegsgerät aller Art endet auch die Kontrolle über diese Waffen – ob sie tatsächlich dem Frieden dienen oder nicht. Ein Dilemma, das beendet werden muss durch einen Stopp der Waffenexporte!
Wie anders ist da doch die Botschaft Gottes auf dem Feld von Bethlehem: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“! Gott kommt. Hinein in das Leben der Trauernden; kommt gerade zu denen, die nicht ein und aus wissen. Er kommt – und Trost liegt auch in der Ermutigung, zu widersprechen den lebensfeindlichen Mächten; Trost liegt auch in Gottes Forderung, die Füße auf den Weg des Friedens zu richten. „Fürchtet Euch nicht, denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“ – so hören es die Hirten auf den Feldern bei Bethlehem; so hören es jene, die alle Hoffnung hatten fahren lassen, die sich eingerichtet hatten in der Finsternis der gesellschaftlichen Kälte, die Vergessenen, Abgeschobenen!
Alle erfahren: Gott, der da in dem kleinen Kind auf die Welt kommt, Mensch wird, ist ein Gott des Lebens. Ein Entwaffner, nicht ein Bewaffner. Ein Licht, das Leben ausleuchtet, damit es sich entfalten kann – in Frieden und Schutz und Liebe. Entscheidend ist, dass wir, die wir in Frieden leben, den Frieden exportieren, teilen die Fülle, die uns geschenkt ist!
Die Mensch und Welt verwandelnde Botschaft des Engels erreicht auf den Wellen des Lichts auch mich und Dich. Darum schmücken wir unsere Städte und Wohnungen, lassen erstrahlen unsere Welt in neuem Licht. So kräftig und blendend wie auf unserem Bild.
Der Engel, der liebe Mensch, den der Maler da so im Grün der Hoffnung hinter Maria gestellt hat weist mit seiner übergroßen Hand über die Begrenzung des Bildes hinaus – hin auf den, der da kommt. Hinaus über die Grenze dieser Welt, die nicht aufgeht in dem, was wir sehen, erleiden, erdulden, verschulden.
IV
Mit 36 Jahren ist Max Kahlke – schwer gezeichnet von Verletzung und Krankheit, die er im Ersten Weltkrieg erlitten hatte, 1928 gestorben. Der Erste Weltkrieg war für ihn ein Trauma, wie für so viele Menschen. Der Krieg ist mein großer Lehrmeister, schreibt Kahlke einmal. Ein Lehrmeister des Grauens!
Kahlkes Bilder galten den Nazis als „entartete Kunst“. Es sei zu wenig „Heroisches“ darin, zu wenig die Kriegshelden Verehrendes, schreibt ein Nazi an die Gemeinde in Glückstadt und nach Flensburg. Nazis und eben leider auch leitende Menschen unserer Kirche haben damals dafür gesorgt, dass seine Bilder verschwanden.
Kahlke hatte ein anderes Bekenntnis in seine Bilder eingemalt. Die vom göttlichen Licht umflutete Maria und ihr Engel-Mann halten lebendig die umstürzlerische Hoffnung auf das Kommen dessen, der so wunderbar irritierende und motivierende Namen hat: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst. Die Bilder Kahlkes stehen für dieses andere Heldentum, das Heldentum der phantasievollen Friedens-Macher, die Jesus in der Bergpredigt selig preist. Ein Held ist nicht, wer herrisch der Macht der Herren dient. Held ist, wer diese Macht überwindet. Wir wissen: es braucht einen, der anfängt aufzuhören mit der Gewalt, der Schloss und Riegel des Hasses durchbricht! In der Haltung der Arme der Maria bildet sich schon ab das Kreuzgeschehen, die Konsequenz des Lebens Jesu. Sein Leben und Sterben für uns. Sein Überwinden.
Genau das ist es doch, was wir in unserer weihnachtlichen Zeit zeigen: diese Welt kann ganz anders sein, wir können ganz anders!
„Fürchtet euch nicht“, sagt der Engel.
Furchtlos-bestimmt sagen die Christen in Ägypten im Angesicht der Bedrohung und mit der Verheißung im Herzen: „Sie können unsere Kirchen und Klöster zerstören, aber unser Glaube wird dadurch nur noch stärker.“ Weil der, der da kommt, der ist, der überwindet, der dem Tod das letzte Wort nicht überlässt. Und weil der, der da kommt, jene stark macht zu widerstehen, die im Glauben eins sind in Gott selbst! Nicht nur in Ägypten. Überall auf der Welt.
Am Sonnabend habe ich die Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge aus aller Welt in Würzburg besucht. Ich habe mit einer großen Gruppe von Flüchtlingen gesprochen, die dort zum Teil seit Jahren auf die Entscheidung ihres Asylantrags warten. Sie werden betreut unter anderem von der Gemeinschaft St. Egidio, die überall in der Welt das Evangelium für die Armen und Elenden in Wort und Tat predigt.
Die Flüchtlinge haben dankbar erzählt von den Begegnungen mit Menschen, die sie einladen, die ihnen helfen, die ihnen die deutsche Sprache beibringen. Sie haben erzählt auch von ihren Ängsten und Traumata, von Heimweh und von denen, die sie haben zurück lassen müssen. Sie loben die deutsche Medizin. Das waren Menschen mit unterschiedlichem religiösen Hintergrund. Aber das Weihnachtsfest, die Botschaft des Friedens hat für sie alle Bedeutung.
Eine junge Frau aus Kuba, eine ausgebildete Sängerin aus Havanna, stimmte plötzlich ein Lied an, sie sang vom Frieden und von der Liebe.
Und als ich sie hörte und sah, hörte ich den Engel, der den Hirten, den Verlorenen und Verzweifelten zusingt: Fürchtet euch nicht. Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. – Für mich ist der Verkündigungsengel in diesem Jahr diese Frau aus Havanna.
Die Hirten damals gehen dem Wort Gottes nach, folgen dem Licht. Und sie sehen das Kind, das Licht, spüren die Kraft, die von ihm ausgeht. Und sie erfahren: nichts bleibt, wie es war in unserem Leben durch dieses eine Leben! Wer wirklich hinsieht auf den, der da liegt und groß wird und geht durch das Leben bis ans Kreuz, wer die Fenster offen hält für die Flut des Lichtes aus der Höhe: für den kann das Leben neu und stark werden und die Hoffnung groß.
Die Hirten bleiben nicht bei der Krippe. Sie gehen laufen und sagen weiter, dass Friede werde, wie sie gesehen haben!
Bis heute zu uns hier nach Lübeck dringt dieses Wort, dieses Licht, das unsere Gesichter hell und unsere Seelen froh machen will, stärken die müden Hände! Denn: Gott lässt die Seinen nicht. Gott kehrt sich nicht ab. Er kehrt sich um - zu uns – Fürchtet euch nicht.
Amen.