Greifswald. Gustaf Dalman wäre begeistert: Seine Sammlung wird gerade für Menschen weltweit zugänglich und damit der Alltag im Heiligen Land vor rund hundert Jahren plastisch vorstellbar – möglich macht das die Digitalisierung der Exponate.
Gustav-Dalman-Institut an der Universität Greifswald beherbergt eine europaweit einmalige Sammlung über das Leben in Palästina vor mehr als 100 Jahren.
Gustaf Dalman, ein pietistisch geprägter und hochbegabter Alttestamentler, wirkte von 1902 bis 1914 in Jerusalem als erster Direktor des „Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes“. Im Titel klingt etwas an vom nationalen protestantischen Selbstbewusstsein der Kaiserzeit, aber auch von der damaligen allgemeinen Begeisterung für das Land der Bibel, die zu ähnlichen Vereinsgründungen in Amerika, England und Frankreich führte.
„Wer um 1900 nach Jerusalem kam, traf ein mit der Erwartung, ein tiefes Entzücken und tiefe Erkenntnisse zu gewinnen. Für Christinnen und Christen war das die ideale Stadt, das hatte geradezu etwas Überhöhtes. Dann kamen sie in Jerusalem an und – es war alles ganz normal: die Namen von biblischen Städten standen ganz banal auf Straßenschildern, an manchen Ecken roch es auch merkwürdig, das war für viele ein Schock“, erzählt Dr. Karin Berkemann.
Die Theologin und Kunstgeschichtlerin betreut seit 2013 als Kustodin das Greifswalder Gustaf-Dalman-Institut, 1920 vom Namensgeber gegründet als „Institut für biblische Landes- und Altertumskunde“. Dalman, so die Kustodin, zeigte jungen Theologen aus Deutschland, die Palästina bereisten, den Weg des Wissenschaftlers: „Wenn ihr fromm sein wollt, könnt ihr das auch zu Hause im stillen Kämmerlein mit der Bibel, brachte Dalman ihnen bei. Wenn ihr ins Heilige Land kommt, dann seid neugierig, nehmt alles wahr und schätzt alles gleich wert – jede Pflanze, jede Eidechse, jeden Menschen.“
Archiviert: Blüten, Blätter, ein Beduinenschuh, ausgestopfte Vögel
Das meinte der wissbegierige Gustaf Dalman wörtlich: Er sammelte und dokumentierte akribisch alles über das Land und das Leben der Bauern und Beduinen im Palästina unter osmanischer Herrschaft: den Beduinenschuh und die Handmühle genauso wie Blüten und Blätter, Gesteinsproben, ausgestopfte Vögel, arabische Musik. Er sammelte sogar Sprache: In der Absicht, Jesus so nahe wie möglich zu kommen, erfasste er lexikalisch Begriffe aus dem Alltag.
Für die damalige Zeit ein völlig neuer Ansatz, so Karin Berkemann: „Die normalen Forscher wollten große Dinge finden und gingen zu den berühmten Ausgrabungsstätten. Dalman ging auf den Basar und sprach mit den Leuten, hat sie mit ihrem Pflug fotografiert und sich zeigen lassen, wie sie danach das Getreide mahlen. Seine Idee war: Je näher ich dem Alltagsleben der Menschen komme, desto näher komme ich der biblischen Welt.“
Das Ergebnis, eine riesige Sammlung, findet sich zu einem Teil in Greifswald. Hier wirkte Dalman als Professor für Altes Testament und Palästinakunde ab 1917. Andere Teile finden sich in Jerusalem, eine palästinensische Umweltorganisation in Beit Jala beherbergt heute die ausgestopften Vögel der Sammlung. 20 000 Fotos, 2 000 gepresste Pflanzen und 5 000 Bücher, darunter jüdische Schriften aus dem 16. Jahrhundert, birgt das Institut in Greifswald.
Karin Berkemann: „Was die Dalman-Sammlung hier in Greifswald verwahrt, ist einmalig und eine Wundertüte voller Überraschungen. In Europa gibt es sonst keine so dichte Überlieferung des Alltagslebens dieser Kulturlandschaft. Zu uns kommen sowohl Palästinenserinnen als auch Israelis, um zu sehen, wie der Hügel aussah, auf dem heute ihr Haus steht.“
Neue technische Möglichkeiten bringen das Leben im Heiligen Land nahe
Bereits vor 20 Jahren fing das Institut an, die Dias zu digitalisieren. Diese Bilder Dalmans vom Heiligen Land waren bis in die 1980er Jahre noch in der Lehre verwendet worden: Heute sind rund 26 000 Einzelbilddateien online verfügbar, allerdings meist noch in einer kleinen Auflösung.
Das ändert sich gerade: Nach und nach stellt Karin Berkemann mit Hilfe von zwei studentischen Hilfskräften historische Fotos sowie Abbildungen von Exponaten in hoher Auflösung zur freien Verfügung ins Netz:
„Wir bilden hier die künftigen Religionslehrer und Pfarrerinnen aus und möchten, dass sie dieses Material verwenden. Damit können sie ihren Schülerinnen oder Konfirmanden oder auch den Seniorinnen zeigen, wie sie ganz schnell auf dem Handy in das Palästina von vor 120 Jahren reisen können. Ich ermutige die Studierenden, damit zu experimentieren, man kann die Bilder wunderbar in didaktisches Material einbetten, etwa als GIF lebendig machen.“
Studierende machen Bildergeschichten und drehen Filme
Und sogar kleine Filme damit erstellen: „Dalman hat diese Bilder aufgenommen, um uns das Heilige Land näher zu bringen, und das erweitern wir ins Digitale. Unsere Studentinnen und Studenten machen aus den Fotos Bildergeschichten oder drehen sogar kleine Trickfilme mit zusätzlichen Zeichnungen, viele sind da sehr fit.“
Um das Material zu digitalisieren, arbeitet sie mit Kooperationspartnern wie Münzkundlern oder Geographen zusammen, mit deren Unterstützung sie große Landkarten einscannt:
„Wir bieten jetzt einen virtuellen Stadtplan von Jerusalem, mit dem man auf einen Punkt klicken kann, zum Beispiel die Grabeskirche, und so zu weiteren Bildern gelangt und dadurch spielerisch etwas über die Stadt erfährt. So merkt man, dass Muslime, Jüdinnen und Christen denselben Punkt parallel als Heiligtum betrachtet und um 1900 ganz friedlich nebeneinander genutzt haben – einfach zu verschiedenen Uhrzeiten oder Festen.“
Kooperation mit anderen digitalen Portalen
Portale wie „europeana“ erlauben die gezielte Suche nach Bildern aus der Dalman-Sammlung etwa nach Tieren oder Pflanzen oder auch eine Filterung nach Nutzungsrechten oder Auflösung. Nach und nach stellt das Dalman-Institut hier neue Bilder ein.
europeana: Virtuelle Bibliothek zum wissenschaftlichen und kulturellen Erbe Europas
NUMID: Netzwerk universitärer Münzsammlungen in Deutschland
In einer Kooperation mit dem Dalman-Institut haben Studierende der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft gerade rund 1 000 Negative einzeln gesichtet, von Schimmelsporen befreit und aufwändig so aufbereitet, dass man sie scannen konnte. In Kooperation mit den Münzenkundlern von NUMiD wurden die Münzfunde aus Palästina eingescannt.
Karin Berkemann ist begeistert: „Durch die hohen Auflösungen sieht man nun jedes noch so kleine Detail, man kann heranzoomen und die Vorder- und Rückseite ansehen. Die Expertinnen haben nicht nur tolle Aufnahmen gemacht, sondern konnten uns bei den arabischen Münzen auch bei der Einordnung helfen. Wenn sie dann sagen, das ist aus der Zeit von Pontius Pilatus, läuft einer als Theologin doch ein kleiner Schauer über den Rücken. Über die Münzen haben wir etwa dann Kontakt zur Tübinger Uni bekommen. Dort forschen Kollegen gerade zu arabischen Münzen.“
"Menschen und ihren Geschichten ein Gesicht geben"
Eine Spur führte von Farbfotos aus den frühen 1930er Jahren nach Stuttgart ins Landeskirchliche Archiv. Dort wird gerade zu Württembergern geforscht, die ausgewandert sind. Fotograf der beeindruckend frühen Farbfotos sei der Württemberger Paul Hommel gewesen, wie die Kustodin erfuhr: „Da haben wir auf einmal einen Namen und eine Geschichte. Bei unserer Jubiläumstagung über Dalman und seine Netzwerke stellte Aharon Geva Kleinberger seine Arbeit über jüdisch-arabische Dialekte vor und erzählte von einem Palästinenser, über den er lange gearbeitet hat. Ich denke, den Namen kenne ich doch, und hatte in zwei Sekunden das Foto aus unserer Sammlung auf dem Handy, das eben genau diesen Mann mit seiner Familie zeigt.
Als ich es Aharon Geva Kleinberger gezeigt habe, hatte er Tränen in den Augen und sagte: ‚Ich arbeite so lange schon über ihn und jetzt habe ich ein Bild.‘ Man kann Menschen ein Gesicht geben, ihre Geschichte zurückgeben, sie wieder lebendig werden lassen. Digitalisierung ist dazu ein tolles Mittel, weil wir auf einmal besser umeinander wissen und so zersprengte Sammlungen und Biographien wieder zusammenführen können.“
Unabhängige Ansprechstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Nordkirche. Montags 9-11 Uhr und mittwochs 15-17 Uhr. Mehr unter kirche-gegen-sexualisierte-gewalt.de
Wir nutzen Cookies, um Ihnen die bestmögliche Nutzung unserer Webseite zu ermöglichen und unsere Kommunikation mit Ihnen zu verbessern.
Cookie Einstellungen
Wir nutzen Cookies, um Ihnen die bestmögliche Nutzung unserer Webseite zu ermöglichen und unsere Kommunikation mit Ihnen zu verbessern. Treffen Sie hier Ihre persönliche Präferenz:
Erforderliche Cookies helfen dabei, eine Website nutzbar zu machen, indem sie Grundfunktionen wie Seitennavigation und Zugriff auf sichere Bereiche der Website ermöglichen. Die Website kann ohne diese Cookies nicht richtig funktionieren.
Dieser Cookie speichert den Zustimmungsstatus des Nutzers zu externen Inhalten; zur Datenschutzerklärung
Diese Cookies werden genutzt, um Funktionen der Website zuzulassen, die Ihnen eine möglichst komfortable und auf Ihre Interessen zugeschnittene Nutzung ermöglichen. Des Weiteren hilft uns die Analyse des Nutzerverhaltens ebenfalls, die Qualität unserer Webseite fortlaufend zu verbessern.
_pk_id
Laufzeit: 13 Monate
Anbieter: Nordkirche Wird verwendet zur Erhebung statistischer Daten darüber, wie Websites von Besuchern genutzt werden. Wird zur Unterscheidung von Benutzern verwendet. zur Datenschutzerklärung
_pk_ref
Laufzeit: 6 Monate
Anbieter: Nordkirche Wird verwendet, um die Zuweisungsinformationen zu speichern, der Referrer hat ursprünglich die Website besucht. zur Datenschutzerklärung
_pk_ses
Laufzeit: 30 Minuten
Anbieter: Nordkirche Kurzlebige Cookies, die zur vorübergehenden Speicherung von Daten für den Besuch verwendet werden. zur Datenschutzerklärung
mtm_Zustimmung
Laufzeit: 30 Jahre
Anbieter: Nordkirche Wird mit einem Verfallsdatum von 30 Jahren erstellt, um daran zu erinnern, dass die Zustimmung vom Benutzer erteilt wurde. zur Datenschutzerklärung
mtm_cookie_consent
Laufzeit: 30 Jahre
Anbieter: Nordkirche Wird mit einem Verfallsdatum von 30 Jahren erstellt, um sich daran zu erinnern, dass die Zustimmung zur Speicherung und Verwendung von Cookies vom Benutzer gegeben wurde. zur Datenschutzerklärung
NID
Laufzeit: 6 Monate
Anbieter: Google (Maps) Wird von Google verwendet, um Werbeanzeigen an Ihre Google-Suche anzupassen. Mit Hilfe des Cookies „erinnert“ sich Google an Ihre am häufigsten eingegebenen Suchanfragen oder Ihre frühere Interaktion mit Anzeigen. So bekommen Sie immer maßgeschneiderte Werbeanzeigen. Das Cookie enthält eine einzigartige ID, die Google benutzt, um Ihre persönlichen Einstellungen für Werbezwecke zu sammeln. zur Datenschutzerklärung
fe_typo_user
Laufzeit: 30 Minuten
Anbieter: Nordkirche Wird beim Website Login benutzt, um Sie wieder zu erkennen. zur Datenschutzerklärung
Einstellungen zum externen Inhalt
Auf dieser Internetseite befinden sich verschiedene Externe Inhalte, wie zum Beispiel YouTube-Videos. Diese bauen eine Verbindung zu externen Servern auf, übermitteln persönliche Daten und bedürfen daher Ihrer Zustimmung.