24. Dezember 2018 | St. Petri-Dom in Schleswig

Ein Fest der Bilder

Bischof Gothart Magaard bei der Predigt im St. Petri-Dom
Bischof Gothart Magaard bei der Predigt im St. Petri-Dom

24. Dezember 2018 von Gothart Magaard

Predigt in der Christvesper am Heiligen Abend

Liebe Gemeinde hier im St. Petri-Dom,

liebe Schwestern und Brüder,
ein Fest der Bilder feiern wir an diesem Heiligen Abend. Keine Geschichte kommt an diese Menschheitsgeschichte von der Geburt des Kindes zu Bethlehem heran, wenn es darum geht, Bilder vor unseren Augen entstehen zu lassen.

Und diese Bilder des Stalls zu Bethlehem verbinden sich mit den vielen Bildern, die tief in unserer Erinnerung verwurzelt sind: der Weg zum erleuchteten Schleswiger Dom, der festlich gedeckte Tisch, der Weihnachts- oder Christbaum und die Krippe an immer dem selben Ort mit dem vertrauten Schmuck, leuchtende Augen der Kinder mit vor Aufregung geröteten Wangen.

Vielleicht erinnern wir heute auch die Weihnachtsfeste, an denen der Geschenketisch nicht so reich gefüllt war. Jene Weihnachtsabende, an denen manches schlichter war. Oder wir erleben gerade in diesem Jahr  einsame Weihnachten oder schmerzhafte, an denen ein Mensch in unserer Mitte vielleicht ganz besonders fehlt.

An diesem Heiligen Abend stehen uns unterschiedliche Bilder vor Augen: Zerbrochene und erfüllte, mit dankbaren Erinnerungen angereicherte Bilder – und sie verbinden sich neu mit der Geschichte, die vom Geheimnis der Menschwerdung Gottes erzählt.

Ein Fest der Bilder feiern wir. Ein Fest der Bilder, die uns diese Geschichte von der Geburt des Jesuskindes im Stall und von den Hirten auf dem Felde. Bilder von den himmlischen Heerscharen und dem jungen Paar auf der Suche nach einer Herberge. An diesen Bildern machen wir uns auf unseren Wegen durch das Jahr fest, auch mit unserem Glauben.

Und das geschieht besonders dann, wenn die Zeiten bewegt sind, wenn uns das Gefühl der Fremdheit, ja eines gewissen Unbehaustseins ergreift. Weil die Weltgeschichte, die damals Kaiser Augustus schrieb und so das junge Paar in ungewisse Zukunft aufbrechen ließ, auch uns auf unseren Lebenswegen verunsichert.

Ein Bild habe ich darum heute für Sie mitgebracht, Sie halten es in Ihren Händen. Es ist eine Buchmalerei aus dem 15. Jahrhundert. Wir werden Zeugen einer ausgesprochen innigen und leisen Szene:

Maria und Josef und das neugeborene Kind im Stall. Ochs und Esel im Hintergrund. Auf den ersten Blick wirkt alles vertraut. Und doch finden wir Unerwartetes: Denn es ist diesmal Josef, der zu Füßen Marias sitzt und das Kind in seinen Armen hält. Zärtlich ist er ihm zugewandt, berührt den kleinen Kopf beinahe mit seiner Nase. Und über ihm ist ein Esel zu sehen, der sich dem Kopf Josefs ebenso nähert. Als ob auch er ganz genau hinschaut und es kaum fassen kann.

Ein Staunen liegt für mich über dieser Szene – und ich bestaune mit Josef, dem in der Weihnachtsgeschichte so stummem Vater, das kleine Menschenbündel, neugeboren, hilflos und zugleich voller Lebenskraft und Energie. Vielleicht ist Josef deshalb in all den überlieferten Geschichten so schweigsam, vielleicht sagt er deshalb kein Wort, weil er so versunken ist in den Anblick seines Kindes.

Die meisten Bilder der Weihnachtsszene haben einen Fluchtpunkt, eine Mitte: das Kind in der Krippe. Und Maria und Josef, und alle weiteren Figuren sind ihm zugewandt. Hier ist es anders. Marias Blick gilt nicht dem kleinen Sohn. Sie ist mit wachem Blick in ein Buch vertieft. Ganz ungewohnt mit gelblich-goldenem Glanz ist sie gemalt.

Sollte ich dieses Bild einem Satz aus der biblischen Erzählung zuordnen, wäre es dieser: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“

Was sie so in ihren Bann zieht, das müssen die deutenden Weissagungen der alttestamentlichen Propheten sein. „Euch ist heute der Heiland geboren …“, die Kunde der himmlischen Heerscharen, der Engel, hatten die Hirten gehört und zum Stall mitgebracht. Dorthin, wo solch große Worte nicht zu hören waren, sondern nur jener bezwingende erste Schrei des Säuglings, in dem Gott seine Anwesenheit in dieser Welt verkündet.

Und Maria sinnt nun nach, liest jene großen Hoffnungsbilder, die vom Friedenskönig erzählen, vom Licht, das dem irrenden Volk in der Finsternis den Weg weist. Die nachdenkliche junge Frau, die eine im Protestantismus oft verkannte geistliche Tiefe hat, geht in sich.

Sie versucht die Worte zu verstehen, die dieses kleine Leben in den großen Zusammenhang der Gottesgeschichte stellen, wie es ihr verheißen wurde. Und sie erinnert uns daran, dass es nicht das Wunder der Geburt als solches ist, das wir heute feiern. Wir feiern die Geburt dieses einen Menschenkindes Jesus als Beginn des irdischen Weges Gottes unter uns Menschen. Und mit Maria sehen wir die Geburt Jesu Christi im Stall gerade in unserer Zeit im Lichte der großen Verheißungen Israels:

„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. (....) Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.“ (Jesaja Kapitel 9)

Liebe Gemeinde,

was bedeutet es, wenn diese Verheißungen für ein ganzes Volk und für diese Welt mit dem kleinen Menschenbündel in der Krippe in Beziehung treten? Mit dieser ganz und gar nicht herrschaftlichen Geburtsszene im Stall?

Die alte Buchmalerei birgt die Antwort:
Gott beginnt seinen Wandel in dieser Welt mit diesem Moment, der von tiefster Liebe, von wortlosem Staunen und dem aufmerksamen Nachspüren seines Geheimnisses bestimmt ist.

Gott lässt sich von unserer Liebe berühren, im wahrsten Sinne des Wortes. Er geht den leisen Weg in diese Welt hinein. Den anfechtbaren, verwundbaren Weg. Den Weg, den jeder Mensch gehen muss: von der Geburt bis zum Tod, mit großer Freude und großem Schmerz, in Gesundheit und Krankheit, in Gemeinschaft von Familie und Freunden und einsam, ohne eine Menschenseele an der Seite.

Gott setzt auf die Menschlichkeit – nicht auf laute Töne vom Himmel herab. Nicht auf die starken Männer und die großen Töne, die sie in diese Zeit hineinposaunen. Gott setzt auf die Bilder, die uns nachdenklich machen, die aufmerken lassen und hinsehen lassen auf das Neugeborene in der Notunterkunft. Auf die große Verheißung im unscheinbaren Buch, auf die Liebe in den Augen des Vaters. –

Gott setzt auf ein Fest der Bilder, die sich festmachen und immer wieder festmachen an diesem einen Bild der Heiligen Nacht und dem Kind in der Krippe, das uns die große Menschheitsgeschichte Jahr für Jahr neu vor Augen malt.

Liebe Gemeinde,

ein Fest der Bilder feiern wir. Wir feiern ein Bild, in dem Gott sich in dieser Welt festmacht. Ein elementares Bild, in dem ganz und gar Irdisches und Himmelsgeschehen, Armut und große Verheißungen und Hoffnungen beieinander sind – weil Gott ganz und gar da ist; ganz und gar Mensch für uns.

An diesem Bild machen wir uns auch in diesem Jahr fest: mit den leuchtenden Augen, dem gedeckten Tisch, den Sorgen, den zerbrochenen Hoffnungen und erfüllten Wünschen. Wir machen uns an ihm fest inmitten dieser unruhigen Zeit: einer Zeit der Gewalt in Wort und Tat, einer Zeit der Abgrenzung und des von so manchem heraufbeschworenen Misstrauens gegenüber allem, was anders und fremd scheint. 

Wir machen uns an ihm fest inmitten dieser unruhigen Zeit und vertrauen auf die Kraft der Mitmenschlichkeit. Wir vertrauen auf den Weg der Liebe und des Friedens und der Gerechtigkeit. Wir vertrauen auf den Gott, der Gebete erhört, der Glauben weckt und in seiner unbeugsamen Liebe zum Kleinen, zum Unscheinbaren und zu den verborgenen Talenten Menschen zu seinen Friedensboten für unsere Welt macht. Dazu sind wir alle berufen in unseren Familien, in unserer Nachbarschaft – da, wo wir leben und arbeiten. Friedensboten zu sein mit kleinen, elementaren, menschenfreundlichen  Gesten und Zeichen.

Fürchtet euch nicht!“ rufen die Engel auch uns hier in Schleswig zu. Denn euch ist ein Kind geboren und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.

Und: Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.

Amen.

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