9. April 2023 | Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg

Evangelische Messe am Tag der Auferstehung des Herrn

09. April 2023 von Kirsten Fehrs

Ostersonntag, Predigt zu 1. Korinther 15,1-11

Liebe Ostergemeinde heute im Michel,

Millionen haben es gesehen. Und viele erinnern sich vielleicht sogar noch: Olympische Spiele in Peking 2008. Man sieht den Gewichtheber Matthias Steiner, wie er sich konzentriert vorbereitet, um unglaubliche 258 Kilogramm hochzustemmen. Das sind ein paar von uns (na gut: richtig viele) gleichzeitig ... 258 Kilo – das hat er vorher und nachher nie wieder geschafft. Man sieht die enorme Anstrengung, wie er wankt und dann tatsächlich das Gewicht hochreißt! Sofort bricht der Jubel aus ihm heraus; er ruft, weint, hüpft, strahlt, wie befreit. Sagenhaft dieser Ausbruch von Freude und Leben.

Das Bewegendste aber ist die Siegerehrung. Da hält Matthias Steiner zusammen mit der Goldmedaille ein Bild seiner Frau Susann hoch. Sie war ein Jahr zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Seine Goldmedaille hat er nicht zuerst für unser Land oder gar für sich selbst, sondern für Susann gewonnen. Ihr Bild immer vor Augen, bei allem, was er tat, hat er diese außergewöhnliche Kraft entwickeln können – auch seelisch. Denn seine traurige Seele trug ja weit mehr als 258 Kilo. Das Wichtigste vor Augen – immer hat Matthias Steiner sie gesehen –, hat vor allem eines gesiegt: die Liebe. Und dann das Leben. Die Freiheit. Die Zärtlichkeit.

Hinweggewälzt wurde von seiner Seele des Grabes schwerer Stein – und der Tod hatte seine Macht über ihn verloren, so kam es mir vor. Nicht das traurige Ende, sondern der Anfang des neuen Lebens hat hier das Spiel gemacht – was für eine Ostergeschichte. Das Leben steht auf und reißt es heraus. Und Millionen haben es gesehen. – Ob sie es allerdings als Ostergeschichte verstanden haben – lassen wir‘s dahingestellt.

Und wer weiß, vielleicht war das ja bei den Fünfhundert, von denen Paulus eben im Korintherbrief erzählt, dass sie esgesehen haben, ganz genauso? Dass ihnen erst einmal gar nicht klar war, was für ein Wunder des Lebens sich da vor ihren Augen abspielte! Ihren Augen, mit denen sie Jesus, den Auferstandenen leibhaftig gesehen haben!

Gewiss – sie werden etwas gefühlt haben. Werden in seiner Nähe auf einmal eine alte Vertrautheit empfunden haben, und dass ihnen Angst und Zentnerlasten von der Seele fielen. Aber tatsächlich intellektuell erfasst, dass Gott diesen seinen Sohn auferweckt hat, nach drei Tagen aus Grab und Tod, das geht ja so schnell nicht. Eigentlich bis heute nicht.

Deshalb braucht es den hohen Theologen Paulus, der eindringlich mit einer Art Beweiskette darlegt, wie dieses Wunder der Auferweckung zu glauben und zu bekennen sei – ein für alle Mal, von dort nach hier, von Korinth und Peking nach Hamburg und zurück. Denn sie haben alle, Petrus zuerst, dann Hunderte, den Auferstandenen gesehen, zuletzt Paulus selbst, der geringste unter den Aposteln. (Nebenbei bemerkt vergisst Paulus dabei leider die Zeuginnen, die ja, wie wir eben im Evangelium hörten, eigentlich die ersten waren ...) Also, dafür die anderen Fünfhundert! Wenn das kein Beweis ist! Es ist fast, als würde uns der Predigttext in seiner ganzen nüchternen Argumentation dazu bringen wollen, dass wir nun auf das „Christ ist auferstanden!“ antworten: „Quod erat demonstrandum.“ (Was zu beweisen war …)

So könnte man denken, wenn man nur denkt – und nicht glaubt. Paulus aber geht es vom ersten Satz an genau darum: ums Er-innern, um eine Herzensbewegung. „Ich erinnere euch aber an das Evangelium“, sagt er, „… durch das auch ihr selig werdet.“Wir sollen, ganz einfach, glücklich sein, dass Christus lebt. Dankbar, dass wir glauben, lieben, hoffen können über alles hinaus, was wir derzeit an Ignoranz und Tod und Irrsinn in der Welt erleben. Denn, das ist der Sinn dahinter, wer den Auferstandenen gesehen hat, der sieht das Leben neu. Glücklicher. Nicht vom Ende, sondern vom Anfang her. Wer ihn gesehen hat, der ersehnt den Frieden hoffnungstrotziger, liebt leidenschaftlicher, die handelt klarer, betet inniger. Wer den Auferstandenen gesehen hat, dem sieht man es an. So erzählt Paulus es von jenen Fünfhundert und dann auch ein wenig mehr von sich selbst, und wie es ihn erfüllt, in Gnade zu leben. Tag für Tag. Vom Morgen- bis zum Abendrot.

Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. So verdichtet Dietrich Bonhoeffer diesen paulinischen Gedanken. Nicht umsonst ist es das Trostlied im Umbruch aller Zeiten. Entstanden im Dezember 1944, als Bonhoeffer dem Tode fast schon näher war als dem Leben. Aber auch der Gnade näher als aller Gnadenlosigkeit, mit der das Naziregime ihn zu brechen versuchte.

Und nun stellen Sie sich vor, liebe Geschwister, es ist April 1945. Die kleine Gefangenengemeinde um Bonhoeffer feiert gerade Gottesdienst, da fliegt die Tür zum Saal auf. Ein Nazi ruft: „Gefangener Bonhoeffer, fertigmachen und mitkommen!“ Die Mitgefangenen ahnen, was kommt. Bonhoeffer verabschiedet sich. Unter den Zurückbleibenden trägt er dem britischen Offizier Payne Best einen Gruß an seinen Freund auf, an Bischof George Bell. Das ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens., sagt er. Dann geht er hinaus. Ein Auto bringt ihn ins Konzentrationslager Flossenbürg. Tags darauf wird er auf Befehl Adolf Hitlers umgebracht. Es ist der 9. April 1945. Auf den Tag genau 78 Jahre ist das her.

„Das ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens.“ Was für ein Ostergruß. Woher hat Bonhoeffer diese Kraft, in Erwartung seiner Hinrichtung vom „Anfang des Lebens“ zu sprechen? Wie tief fromm, fromm und politisch, wie wir wissen, muss dieser Mensch gewesen sein? Er wurde dafür oft bewundert. Doch das allein trifft es für mich nicht. Heute – an diesem Osterfest 2023, wo uns Krieg und Not, Diktatur und Unrecht aufs Neue so intensiv beschäftigen, frage ich mich, was die Seele eines Menschen so kraftvoll macht, dass er den Mächten des Todes die Stirn bietet. So, dass sie ihn nicht brechen konnten, sein Rückgrat nicht und seinen Glauben auch nicht. Angefochten war er ja bestimmt, erschrocken und ängstlich bisweilen auch, trauernd um seine Liebsten, alles. Aber gebrochen? Nein! Und ich sehe ihn vor mir, eher unscheinbar, mit seiner runden Brille. Gezeichnet von Folter und Haft. Er sei „unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig“ schreibt er. Und wenig später eben dies „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag ...“

Es ist dies beides in ihm, die Nacht des Zweifels und die Zuversicht des Tages. Beides zusammen hat seine Stärke ausgemacht: das Wissen um die Endlichkeit des Todes, aber auch der feste Glaube, dass die guten Mächte ihn tragen werden, schließlich von dieser in jene Welt.

„Das ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens.“ Ein Osterbekenntnis, das mir nahe geht – als Ohrenzeugin 78 Jahre später. Und ich empfinde es als Fügung, liebe Gemeinde, dass am Ostermorgen des heutigen 9. April 2023 mit Paulus und Bonhoeffer zwei Zeugen aus zwei Zeiten zusammentreffen, die dem alten Bekenntnis mit all seinen Formeln tatsächlich Leben einhauchen: „Dass Christus gestorben ist und begraben wurde nach der Schrift – das ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens – dass Christus auferweckt worden ist am dritten Tag nach der Schrift und dass er gesehen worden ist“.

Das Wichtigste also vor Augen – Christus und das Leben und das Licht und die Sonne. Herrlich! – so mögen auch wir die Kraft gewinnen, die Nacht dem neuen Morgen entgegenzusenden. All diese furchtbaren Nachrichten von den Hinrichtungen in iranischen Gefängnissen, all diese Wut über den gewissenlosen, russischen Diktator, der unzähligen Menschen Zukunft, Land und Liebe raubt, all diese Not, Krieg und Brutalität und diese Attentate im Heiligen Land – Millionen sehen es doch täglich! – Mit der Kraft der Ostern sollen und dürfen wir uns nicht heraushalten!

Wir sollen und können der Kälte und Beziehungslosigkeit des Todes unser warmes, pulsierendes Herz hinhalten. Wir können und sollen erkennen, dass Gott es anders will als es jetzt ist. Heute, wo die Auferstehung des Lebens so wahr ist, sollen uns die Augen neu geöffnet werden dafür, dass die Liebe siegt und nicht der Tod. Die zärtliche Liebe zwischen zweien, die einen Menschen zu ungeahnten Kräften führen kann, dass er 258 Kilogramm hebt. Und die unendliche Liebe Gottes zu uns Menschen, mit der er an uns glaubt.

Darin liegt für mich die wahre Kraft der Ostern, liebe Geschwister. Gott hält an seiner Liebe zu uns fest, trotz allem, was Menschen einander antun können. Nicht um unseren Glauben, unseren manchmal so verstörten, suchenden, unseren ungläubigen Auferstehungsglauben allein geht es zu Ostern. Sondern um Gottes Glauben an uns Menschen. Sein Glauben an die Liebe, zu der wir fähig sind, mit unserem Mut zur Menschlichkeit, mit klarem Wort, wo immer Unrecht geschieht und unschuldiges Blut vergossen wird. Hoffnungstrotzig eben vom Leben gezeichnet sind wir! Dafür ist er auferstanden – dass wir jeden Morgen neu die Kraft gewinnen, Protestanten und Protestantinnen für das Leben zu sein.

Der Herr ist auferstanden. Halleluja. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja. Was könnte uns größere Hoffnung geben? Ich wünsche Ihnen gesegnete, fröhliche Ostern! Aufgerichtet vom Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, dem wahrhaftig Auferstandenen.

Amen.

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